Irdisch-moderne soziale Konstrukte auf Dere

  • Wie sieht es eigentlich mit gelebtem Tier- und Umweltschutz in Aventurien aus? Baumschützer braucht es ja kaum als Organisation; dafür gibt es schon Elfen und Waldschrate. Die Wale werden von den Thorwalern gerettet ... Und was sonst noch?

    Was Baumschützer angeht: das Heldenwerkabenteuer "Wie die Axt im Walde" dreht sich ja genau um baumschützende Druiden - wirkt an manchen Stellen leider nicht ganz zu Ende gedacht.

    Thesia von Ilmenstein schützte die Goblins (gut, mehr aus Dankbarkeit als aus Naturschutz, aber immerhin).

    Tsa- und Perainegeweihte könnte ich mir gut als "Naturschützer" vorstellen, natürlich auch Druiden (s.o.), Geoden und manche Hexe.

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    "Die Nostrier dagegen stehen nirgendwo unter Schutz - zurecht, die muss man ja als invasive Art bezeichnen" sprach der Andergaster ;)

    Wenn überhaupt fände ich eher 300 Jahre passend. Aber dann würde so manches typisch aventurisches wegfallen.

    Ich halte den 30jährigen Krieg (abzüglich Schwarzpulver) für eine einigermaßen vertretbare Referenzgröße für Horasreich und Mittelreich. Zwar ist das Horasreich wohl eher um 1500 und das Mittelreich um 1450 anzusiedeln, aber bestimmte Dinge (Buchdruck, Flugschriften, Av. Bote, Regimentsstruktur, Pikeniere, bestimmte Erfindungen wie Uhrwerke etc.) weisen schon eher ins 16. und frühe 17. Jahrhundert.

    Kurzum: was es 1618/48 noch nicht gab, würde ich in "mein" Aventurien nur nach reiflichem Überlegen (Magie...) einführen.

    Wegfallen würden mMn die weltweite Immanmeisterschaft und noch ein paar andere Dinge.

  • Hmh spannend, vielen Dank für den Gedankenanstoß @Windweber , ich hatte die modernen Element in DSA vorher noch nie explizit reflektiert.

    Je mehr ich darüber nachdenke umso dankbarer bin ich für die „Irdisch-moderne[n] soziale Konstrukte auf Dere“. Denke das braucht jedes Medium, um überhaupt relevant zu sein. Wir reflektieren unsere Gegenwart eben auch in den Spielen, die wir spielen. Und natürlich muss da auch DSA mit der Zeit gehen, aktuelle Diskurse fließen (meist sehr indirekt) in die Spielwelt ein. Und das ist gut so.

    Ich habe inzwischen das Gefühl, dass DAS 4 sehr viel Historismusbetrieben hat, versuchte sich an der „realen Vergangenheit“ und vermeintlich historischen Vorbildern zu orientieren. DAS 5 scheint davon wieder abzusehen und je mehr ich darüber nachdenke, desto besser finde ich das.

    Also nein, mich stören viele der „Irdisch-moderne[n] soziale Konstrukte auf Dere“ überhaupt nicht, ganz im Gegenteil ist es eigentlich ganz schön eine Welt zu bespielen, die gerechter und sozialer ist als die „irdischen Vorbilder“ der Settings und in mancherlei Hinsicht auch fortschrittlicher als die irdische Gegenwart.

    Mich stören vielmehr die ganzen flachen Witzchen und Anspielungen auch irdische Popkultur: wie z.B. Mantrash'Mor, die reißen mich dann tatsächlich aus der Spiel Welt und sorgen fürs augenverdrehen. Davon gibt es leider eine ganze Liste. Auch das scheint mit DAS 5 nicht mehr ganz so viel vorzukommen. Aber es fiel mir auch hier sehr unangenehm bei Xarrmalk, aka Karl Marx auf…

  • Wenn überhaupt fände ich eher 300 Jahre passend. Aber dann würde so manches typisch aventurisches wegfallen.

    Was würde dann denn weg fallen?

    Das Mittelreich und Nostergast, wie wir es kennen. Das romantische Mittelalter, auf dem sie basieren, ist ein soziales Konstrukt der Romantik und damit etwas jünger als 300 Jahre.

    Die sexuelle Freiheit, wie sie die Rahjakirche vertritt, haben wir Hippies und in Deutschland gerade der 68-er Bewegung zu verdanken.

    Dann wären da noch aufklärerische Ideen der Nanduskirche und freiheitliche Ideen der Tsa- und Phexkirche. Aventurien ist zutiefst von einem religiösen Humanismus geprägt, wenn er auch noch Feudalismus u. ä. ringt. Das gehört frühestens in 18. Jahrhundert.

  • aber bestimmte Dinge (Buchdruck, Flugschriften, Av. Bote, Regimentsstruktur, Pikeniere, bestimmte Erfindungen wie Uhrwerke etc.)

    Wobei vieles von dem älter ist.

    Buchdruck: 1445

    Flugschriften: kurz nach 1445

    Zeitungen: als Kaufmannsbriefe schon um 1380, die Fuggerzeitung 1589, die ersten Wochenzeitungen ab 1605

    Regimentsstruktur: mit dem Aufkommen des Söldnerwesens im späten 15. Jahrhundert

    Pikeniere: spätestens im 15. Jahrhundert, Vorläufer gab es schon im Schottland des 13. Jahrhunderts

    Uhrwerk: vor 1335

    Ich habe inzwischen das Gefühl, dass DAS 4 sehr viel Historismusbetrieben hat, versuchte sich an der „realen Vergangenheit“ und vermeintlich historischen Vorbildern zu orientieren.

    Damit fing man aber schon mit DSA3 an. Erste Ansätze gab es aber schon in der Spätphase von DSA1, als man Aventurien anfing, ernst zu nehmen.

    Das Mittelreich und Nostergast, wie wir es kennen. Das romantische Mittelalter, auf dem sie basieren, ist ein soziales Konstrukt der Romantik und damit etwas jünger als 300 Jahre.

    Das ist für mich kein Argument, denn alles hier bassiert doch auf den Vorstellungen, wie etwas gewesen sein könnte.

    Die sexuelle Freiheit, wie sie die Rahjakirche vertritt, haben wir Hippies und in Deutschland gerade der 68-er Bewegung zu verdanken.

    Falsch. Wir empfinden das so nur, weil das Christentum jahrhunderte lang extrem sexualfeindlich eingestellt war. Zwar waren die frühen Protestanten dies nicht, aber nach dem Ende des Täuferreichs von Münster 1535 versuchten sich Protestanten und Katholiken gegenseitig an Prüderie zu übertreffen.

    Dann wären da noch aufklärerische Ideen der Nanduskirche und freiheitliche Ideen der Tsa- und Phexkirche. Aventurien ist zutiefst von einem religiösen Humanismus geprägt, wenn er auch noch Feudalismus u. ä. ringt. Das gehört frühestens in 18. Jahrhundert.

    Ich mag mich irren, aber der Humanismus entstand doch schon während der Renaissance. Aufklärerische und freiheitliche Ideen gab es schon im Mittelalter, wurden aber von der Kirche und der Obrigkeit als Ketzerei verfolgt.

  • Ich habe inzwischen das Gefühl, dass DAS 4 sehr viel Historismusbetrieben hat, versuchte sich an der „realen Vergangenheit“ und vermeintlich historischen Vorbildern zu orientieren. DAS 5 scheint davon wieder abzusehen

    Ich würde das nicht unbedingt an der Edition festmachen. Der Historismus gehört meines Wissens nach von Anbeginn (oder wenigstens ab dem Zeitpunkt der Vertiefung der Welt abseits des ork- und tatzelwurmverseuchten Kellers des "Schwarzen Keilers" zu Gratenfels) zu DSA. Gepaart wurde er mit einer äußerst kleinen Welt, einer Vielfalt schreibender Autoren, tw. wenig Koordination und natürlich Magie und Götterwirken, dem "Deus ex machina" für alles, was nicht ins "pseudomittelalterliche Bild" passt.

    Im Grunde ist DSA 5 (das ich persönlich sehr schätze) keine Neuerfindung des Rades, das sehe ich anders als Aventurix . DSA 5 geht aus diversen Gründen (Layout, Farbgebung -> Preise pro Seite, Eignung für Einsteiger...) nicht mehr so tief in den Hintergrund hinein, damit fällt viel "Pseudo-Historizität" weg, Aventurien wirkt (! nicht zwangsläufig ist!) generischer, fantasy-typischer (etwa bei den Illustrationen).

    Dazu kommen (und das scheint wirklich neu zu sein) der Versuch, an bestimmten Stellen Retcons vorzunehmen um bestimmte Dinge des Hintergrundes neu und zwar moderner zu deuten (was nicht zwangsläufig gut und stimmig gelingt, aber das ist ein anderes Thema).

    Dies beschränkt sich aber auf einzelne Punkte und wirkt nur deshalb größer und wie eine komplette Neuorientierung, weil viel dem widersprechender oder auch dies ergänzender Hintergrund einfach nicht mehr thematisiert wird.

    Soweit meine Deutung, aber das kann natürlich jeder anders wichten.

    Mich stören vielmehr die ganzen flachen Witzchen und Anspielungen auch irdische Popkultur: wie z.B. Mantrash'Mor, die reißen mich dann tatsächlich aus der Spiel Welt und sorgen fürs augenverdrehen. Davon gibt es leider eine ganze Liste. Auch das scheint mit DAS 5 nicht mehr ganz so viel vorzukommen. Aber es fiel mir auch hier sehr unangenehm bei Xarrmalk, aka Karl Marx auf…

    Ich glaube, das ist ganz einfach Geschmackssache. Über den Xarrmalk (den Bezug hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm, das Pandämonium hole ich mir erst nächste Woche als Taschenbuch) konnte ich herzlichst lachen.

    Und Matrash' Mor... Irgendwo müssen die Amis das ja herhaben und da fallen mir z.B. die Felsenbilder von Naqsch-I-Rustam im Iran ein, dann passt das auch nach Aventurien.

  • Falsch. Wir empfinden das so nur, weil das Christentum jahrhunderte lang extrem sexualfeindlich eingestellt war. Zwar waren die frühen Protestanten dies nicht, aber nach dem Ende des Täuferreichs von Münster 1535 versuchten sich Protestanten und Katholiken gegenseitig an Prüderie zu übertreffen.

    Falsch. Restriktive Sexualmoral ist ein globales Phänomen und unabhängig vom Christentum. Gerade ein Jungfrauenkult als vielleicht stärkste Einschränkung der sexuellen Freiheit findet man überall und zu allen Zeiten. In China, Südafrika, im alten Ägypten, im römischen Reich... Anachronistische Hineininterpretationen sexueller Freiheit in Kulturen, über die de facto keine belastbaren Quellen vorliegen (wie Germanen und Kelten, über die wir praktisch nur römische Propaganda haben) ändern daran nichts.

  • Falsch. Restriktive Sexualmoral ist ein globales Phänomen und unabhängig vom Christentum. Gerade ein Jungfrauenkult als vielleicht stärkste Einschränkung der sexuellen Freiheit findet man überall und zu allen Zeiten. In China, Südafrika, im alten Ägypten, im römischen Reich... Anachronistische Hineininterpretationen sexueller Freiheit in Kulturen, über die de facto keine belastbaren Quellen vorliegen (wie Germanen und Kelten, über die wir praktisch nur römische Propaganda haben) ändern daran nichts.

    Ich bin da nicht Deiner Meinung. Die Existenz von Jungfrauenkulten bedeutet nicht, dass es keine sexuellen Freiheiten gibt. Ich sehe es genau anders herum, gerade weil es sexuelle Freiheiten gab, gab es Jungfrauenkulte.

    Und es ist erwiesenermaßen so, dass gerade die römisch-katholische Kirche besonders sexualfeindlich eingestellt war. Es gab da mal eine sehre gute mehrteilige Dokumentation zu diesem Thema, die u.a. deutlich machte, wie sehr die Kirchenväter von den sexualfeindlichen Ideen einiger griechischer Philosophen beeinflusst wurden, wie sehr das christliche Mönchswesen auf falschverstandenen Berichten über das buddhistische Mönchswesen basiert, wie die sexuelle Freiheit im Täuferreich von Münster dazuführte, dass Protestanten und Katholiken sich danach versuchten, an Prüderie zu übertreffen, nur um nicht mit den münsteraner Täufern auf eine Stufe gestellt zu werden. Es war eine sehr interessante Dokumentation.

  • Hier würde ich eher Windweber zustimmen. Sexuelle Freiheit, wie die Rahjakirche sie propagiert, kenne ich von keiner alten irdischen Kultur, zumindest, wenn man fragwürdige Berichte aus zweiter Hand mal beiseite lässt.

    Allerdings ist das Thema immer auch mit der gesellschaftlichen Bedeutung von Vaterschaft verbunden. Und Aventurien mit 100%ig sicheren, risikolosen leicht erhältlichen Verhütungsmitteln hat da einfach andere Ausgangsbedingungen. Dazu kommen dann zumindest gelegentlich angedeutete magiebasierte Vaterschaftstests.

  • Trotz wiederholte Hinweise, beim aventurischen Thema zu bleiben, wurden die Beitragsinhalte immer rein voller irdischer Bezüge, Quellen und Diskussionen. Auch auf Wunsch des Fadenerstellers wird dieser Faden geschlossen.

  • Schattenkatze 6. Dezember 2020 um 12:40

    Hat das Thema geschlossen.