Die perversen Pinguine des Dr. George Murray Levick

  • Zu einer anderen Zeit, die wir, die nicht in ihr gelebt haben, gerne die gute alte nennen, weil wir nicht in ihr gelebt haben, beobachtete der britische Arzt und Forscher George Murray Levick auf einer Antarktisexpedition die Leben der Adeliepinguine (Pygoscelis adeliae). Was er dort beobachte, schockierte ihn so sehr, dass er zwei Berichte über die Expedition verfasste: Einen über dass allgemeine Leben der Vögel, der es veröffentlicht zu großer Popularität brachte und einen zweiten über deren Sexualverhalten, den er auf altgriechisch verfasste und nur wenigen Forschern persönlich übergab, die allesamt dafür sorgten, dass seine Beobachtungen nicht einmal den in den biologischen Fakultäten, geschweige denn der der Öffentlichkeit bekannt wurden. Es dauerte beinahe hundert Jahre, bis die Studie wiederentdeckt und veröffentlicht wurde. (Das jetzt eine Bezahlschranke verhindert, dass sie gelesen wird, ist eine andere Geschichte.)

    Für einen im viktorianischen England aufgewachsenen Gentleman war das Verhalten der Pinguine aber auch zu skandalös: Selbstbefriedigung, Polygamie, Homosexualität, nicht auf Vermehrung ausgerichtete Paarungen aus reiner Lust, Vergewaltigungen, Missbrauch von Küken und sogar Nekrophilie.

    Dass all das nicht seiner Vorstellung von Moral und der Vorstellung entsprach mag verständlich sein, aber was hinderte ihn daran, seine korrekten Beobachtungen dennoch - ohne Wertung - zu veröffentlichen? Weil er die Moralvorstellungen seiner Gesellschaft als natürlich, d.h. durch die Natur legitimiert ansah. Eine - aus seiner Sicht - perverse Natur hätte ihm die Grundlage seiner Moral entzogen. Deshalb suchte und fand er auch einen Grund, warum die Pinguine sich so unnatürlich verhielten: Der lange antarktische Winter und das damit verbundene nichtsnutzige Herumlungern! Die Pinguine hatten einfach zu viel Freizeit und kamen deshalb auf dumme Gedanken. Problem gelöst und Moral und die »gute« Natur gerettet, schuld waren die Umstände.

    Dass er es war, der seine eigenen Kultur in die Natur spiegelte, um dann mit der (von ihm geschaffenen) Natur seine Kultur zu legitimieren, bemerkte er nicht. Das könnte uns nicht mehr passieren, oder?

    Ich dachte ja, aber einige Argumente, die ich in der »Geschlechterdiskussion« gelesen habe, lassen mich zweifeln. Da wurde von den »natürlichen Freuden des Elternseins«, dem im Vergleich zur Frau prinzipiell stärkeren Mann, dem naturgegebenen Nachteil des Kinderkriegens (der keinem Arbeitgeber zugemutet werden kann) und immer wieder von «dem Mann« und »der Frau« gesprochen und aus den Unterschieden zwischen diesen weitreichende Konsequenzen gezogen.

    Ich höre schon den Vorwurf, dass ich sicher gleich die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern wegdiskutieren werde. Aber das werde ich nicht machen. Ich werde auch nicht fragen, mit welchem Recht von Sein auf das Sollen geschlossen wird, wie es schon Hume zu Recht kritisiert hat, nicht auf den naturalistischen Fehlschluss eingehen, das Gute in der Natur zu suchen, wie es Levick getan hat und auch nicht auf den moralischen Fehlschluss, ein unerwünschtes Verhalten als naturwidrig anzusehen.

    Ganz im Gegenteil: Die Unterschiede sind real, unsere Art zeichnet sich durch einen moderat ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auch hinsichtlich der Körpergröße aus. (Was der übrigens - im Vergleich zu verwandten Arten ohne eine solche Ausprägung - mit ziemlich kleinen Penissen korreliert.)

    Was das bedeutet, lässt sich recht anschaulich an der Häufigkeit der verschiedenen Körpergrößen bei Menschen zeigen. (Die X-Achse gibt die Körpergröße und die Y-Achse die Häufigkeit an, der genaue Kurvenverlauf ist unwichtig). Die meisten Menschen sind von mittlerer Größe sind und es nur wenige ganz große und ganz klein: nv1.png

    Bei einer Differenzierung nach Frauen und Männern ergeben sich folgende Verteilungen: nv3.png

    Frauen sind im durchschnitt kleiner als Männer. Ähnliche Kurven wird es auch für die Muskelmasse im Verhältnis zum Gesamtgewicht und viele andere Eigenschaften geben. Alles nachweisbare biologische Unterschiede, die nicht zu leugnen sind.

    Aber was heißt das? Eigentlich nichts, denn es ist nicht möglich, im Umkehrschluss über eine Eigenschaft festzustellen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt, wie sich besonders gut an einer Kurve zeigt, bei der ich die vorausgesetzte Annahme verborgen habe: nv2.png

    Der Geschlechtsdimorphismus ist weiterhin deutlich an den Daten zu sehen, aber er ist für die Bewertung einer konkreten Person irrelevant.

    Natürlich gibt es Eigenschaften, bei denen ein größererGeschlechtsdimorphismus besteht. Wie wäre es mit der Größe der Brüste? (Hinweis: Das regelmäßige Trinken von gehopften Malzgetränken verändert die Werte erheblich) Oder der Länge von Klitoris und Penis? Oder der Anzahl von X- und Y-Chromosomen? Die Kurven mögen so aussehen: nv4.png

    Vielleicht sogar bei ganz wenigen so (ausdrücklich bei den Geschlechtschromosomen nicht): nv5.png

    Oder sie sind asymmetrisch oder verschoben; aber immer wird es Menschen geben, die nach diesem Kriterium ein Mann, nach anderen aber eine Frau sind und umgekehrt.

    Ich hoffe, dass das Problem deutlich geworden ist: Wir alle projizieren wie Dr. Levick unser Bild von Frauen und Männern in die Natur und benutzen die dann in der Natur gefundenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, um die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter in unserer Gesellschaft zu rechtfertigen und einzelnen Menschen das Recht absprechen, so zu sein, wie sie sind. Aber wir sollten es bemerken und korrigieren können, auch wenn es uns erst einmal unnatürlich vorkommen mag.

    Die verschiedenen Wissenschaften sind an dieser Stelle schon deutlich weiter. Die Einteilung in männlich und weiblich ist viel zu eng und beschränkt um der Wirklichkeit gerecht zu werden, wie es Suzannah Weiss in ihrem lesenswerten Artikel »5 Ways That Science Supports Feminism – Not Gender Essentialism« zusammenfasst.

    Biologische Unterschiede taugen nicht als Begründung, um Menschen unterschiedliche Rechte zuzugestehen und sie ungerecht zu behandeln. Wer das dennoch will, sollte dazu stehen und ich wette zehn Y- gegen ein X-Chromosom, dass damit ein persönlicher Vorteil verbunden ist und sei es nur, dass es am Arbeitsplatz weniger Konkurrenz gibt und jemand anderes den Abwasch erledigt.

    Um mal einen von mir sehr verehrten Rollenspieler zu zitieren: »I'm a feminist!«

    feminist.jpg

    Ich auch

    Scheffnow

    .

    Dr. George Murray Levick (1876–1956): unpublished notes on the sexual habits of the Adélie penguin

    Polar Record - Dr. George Murray Levick (1876–1956): unpublished notes on the sexual habits of the Adélie penguin - Cambridge Journals Online

    Suzannah Weiss: 5 Ways That Science Supports Feminism – Not Gender Essentialism

    5 Ways That Science Supports Feminism – Not Gender Essentialism — Everyday Feminism
  • Der Text ist mir etwas zu demagogisch. Ich selbst bin deutlich Richtung Humanismus positioniert, aber du schreibst gut genug, um manche validen Argumente und Einwände nicht aufkommen zu lassen und das passt mir nicht. Das ist ein Kompliment.

    Ich hoffe, dass das Problem deutlich geworden ist: Wir alle projizieren wie Dr. Levick unser Bild von Frauen und Männern in die Natur und benutzen die dann in der Natur gefundenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, um die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter in unserer Gesellschaft zu rechtfertigen und einzelnen Menschen das Recht absprechen, so zu sein, wie sie sind.

    Wir alle projizieren unser Bild von (keks) in die Umwelt und nutzen das, was unser Bild bestätigt als Argument. Jedes Lebewesen will sich selbst erhalten und teilt dadurch prinzipiell äußere Einflüsse in "gut" oder "schlecht" ein, selbst das primitivste Bakterium. Ist das genannte "Problem" das menschliche (und was das betrifft tierische^^) Schubladendenken? Dann würde mich die Alternative interessieren. Sicher, der Mensch kann sich sein Schubladendenken vergegenwärtigen und reflektiert damit umgehen, aber loswerden? Ich wüsste nicht wie.

    Biologische Unterschiede taugen nicht als Begründung, um Menschen unterschiedliche Rechte zuzugestehen und sie ungerecht zu behandeln.

    Ich bin kein Freund der Einteilung von irgendjemand nach einfachen Werten (IQ o.ä.), vollkommen irrelevant, ob aussagekräftig oder nicht und wünsche mir eine ganz erheblich stärkere Beachtung des Bunderverfassungsgerichts:

    Zitat von BVerfG 16.07.1969 - 1 BvL 19/63

    Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.

    Das gilt meine Meinung nach nicht nur für den Staat - es ist eine prinzipielle Ablehnung solcher Einteilungen. Aber andererseits muss man nach Inbetrachtziehung aller Taten (nicht Worte, außer es werden Rethoriker gesucht, dann ist beides stark überlappend :iek: ) irgendwann nach Eignung für gewisse Gebiete sortieren, zumindest, wenn man nach Fortschritt - egal ob wissenschaftlich, sozial oder kulturell - strebt. Ob man das tun sollte oder der Mensch dabei überhaupt eine Wahl hat ist wieder ein anderes Thema. Aber auch wenn spezialisierte Varianten der (in ihrer Mainstreamverson klar widerlegten) 10k-Stunden-Regel, die Exzellenz mit Motivation und verbessernder Praxis gleichsetzt in Betracht gezogen werden und die Epigenetik ins Spiel kommt bleibt trotzdem ein Rest "fester" genetischer Ursachen für Leistung übrig, der auf die ein oder andere Weiße mitspielt. Auch wenn das manch Aufklärer gerne anders gehabt hätte, es sieht so aus, als ob geistige Leistungsfähigkeit und geistige Gesundheit, absichtlich unscharfe Begriffe, durchaus auch biologische Ursachen haben - und da Erfahrung, Genetik und Epigenetik nicht klar zu trennen sind dürfte niemand je beurteilt werden.

    Ein weiterer Punkt: Was sind "unterschiedliche Rechte" und was ist ungerecht? Du verschiebst das Problem vom Urteilenden hin zu dem, der die Gesetze verfasst. Ich bin kein Experte, aber sind abgesehen vom Streben nach Stabilität und dem damit verbundenen Verbot unbegründeter Schäden an Person und Eigentum ("unbegründet" im Rahmen der aktuellen Kultur) nicht alle anderen moralischen Grundsätze beliebig und nach Kultur verschieden? Oder gibt es auch bei "Leistung" einen gemeinsamen Nenner?

    Nach meinen beiden eher theoretischen Problemen nun ein ganz konkretes: Werden Kindern nicht aufgrund von biologischen Unterschieden unterschiedliche Rechte zugestanden? Das ist noch ein Punkt, den jede menschliche Gesellschaft teilt: Kinder werden mit anderem Maß gemessen als Erwachsene. Ab wann jemand als erwachsen gilt schwankt, aber als Kind definierte Menschen werden immer anders behandelt als als Erwachsene definierte Menschen, und das ausschließlich aufgrund von biologischen Unterschieden. Das liegt daran, dass bis zu einem gewissen Alter eben eine klare Diskrepanz in den Fähigkeiten besteht. Jetzt wieder dein Spiegel-Argument: Wenn Kinder per Definition aufgrund von biologischen Unterschieden anders beurteilt werden - kann das so ein schlechtes Kriterium sein?

    Noch eins weiter: Ich will Babyfleisch essen. Wenn du Geschlechter nicht nach äußeren Merkmalen und Genetik unterscheidest - wie trennst du zwischen Tier und Mensch? Überlappende Glockenkurven findest du zwischen wirklich allem wenn du dich nur genug bemühst. Sicher, der GMV sagt da schnell nein, aber besonders gesund ist der bekanntlich nicht. Mensch und manch Affe sind sehr nah beieinander, Mensch und Neandertaler sogar vermischt. Über genug Brücken kommst du irgendwann zum Schleimpilz und landest konsequent bei Singers Babyschnitzel. Wo ziehst du die Grenze?


    Um das nochmal klarzumachen: Ich finde mit Joffe Ideen interessanter als Identitäten und stehe in der humanistischen Ecke, aber ich versuche nicht trotzdem, sondern genau deshalb unangenehme Gedanken fortzuführen.


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    10 Mal editiert, zuletzt von the_BlackEyeOwl (17. September 2015 um 22:58)

  • @Scheffnow
    Interessanter Beitrag zu den Pinguinen (hast du dazu einen Link?) bzw. der Wissenschaftshistorie.
    Tante EDITh hat dank @Schattenkatzes Hilfe die Links gefunden.
    Mir ist aber nicht ganz klar, was du mit den beispielhaften Verteilungskurven aussagen willst? Niemand hat mMn behauptet, dass alle Männer stärker/größer/aggressiver usw. als alle Frauen seien. Es mag Frauen geben, deren Damenbart stärker wuchert als der spärliche Bartwuchs bei manchen Männern, trotzdem ist die Aussage richtig, dass Männer im allgemeinen über einen stärkeren Bartwuchs verfügen als Frauen. Bei deinen Kurven wird jeweils ein Merkmal betrachtet, zur Identifikation bzw. Einsortierung in eine Gruppe werden aber üblicherweise mehrere Merkmale berücksichtigt, wodurch sich die Trefferrate erhöht. Nur mit der Aussage "die Person ist 200cm groß" kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich um einen Mann handelt (obwohl es schon auf Grund dieser einen Angabe wahrscheinlicher ist). Wenn ich aber zudem weiß, dass die Person einen Vollbart trägt, 200kg beim Bankdrücken schafft und über einen 15 cm langen Penis verfügt, ist meine Irrtumswahrscheinlichkeit sehr gering.
    Fast alle Menschen lassen sich auf einen Blick als männlich oder weiblich erkennen - zumindest wenn sie über eine dem Betrachter vertraute Physiognomie verfügen; bei manchen Asiaten fällt es z.B. Europäern oder Afrikanern oft schwerer. Fast alle Menschen fühlen sich auch als entweder Frau oder Mann. Daran kann ich nicht "falsches" finden. "Falsch" ist es, wenn Personen auf Grund ihres Geschlechts benachteiligt werden.
    Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass man das Pferd von hinten aufzäumen sollte: "es darf keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes geben, deshalb definieren wir die Geschlechter weg". Dieser Ansatz wird von manchen verfolgt, ich halte ihn für unwissenschaftlich, da auf Grund einer politischen Überzeugung naturwissenschaftliche Fakten ignoriert oder gewaltsam uminterpretiert werden. MMn geht er auch am Ziel der Gleichberechtigung - die ich selbstverständlich für erstrebenswert halte - vorbei, sondern strebt eine Gleichheit an, welche ich ablehne*. Ich halte das Ignorieren körperlicher Unterschiede im Gruppenvergleich außerdem für nahezu konsequenzlos für die heutige Gleichberechtigungsdebatte: es gibt in Deutschland nur noch wenige Jobs, deren Anforderungen an die KK oder KO so extrem sind, dass dafür fast nur Männer in Frage kämen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: falls es noch Gesetze geben sollte, die den wenigen Frauen, die für solche körperlichen Jobs in Frage kämen, den Zutritt verwehren sollten, dann gehören diese abgeschafft (die Gesetze, nicht die starken Frauen :) ); für >99% der Männer und Frauen änderte sich dadurch aber nichts - trotzdem sollte es getan werden, falls noch nicht erfolgt.
    MMn interessanter wird es bei subtileren Unterschieden (wieder im Gruppenvergleich): ist ein ausgeprägteres Aggressionsverhalten förderlich oder gar hinderlich für eine Berufskarriere? Unterscheidet sich der Effekt (wenn es ihn denn geben sollte, was mich nicht verwundern würde) in eher männlich oder eher weiblich geprägten Umfeldern? Wieviel des Unterschieds ist anerzogen, wieviel ist angeboren? Zeigen die heute in "Männerberufen" bzw. in männlich geprägten Umfeldern beruflich erfolgreichen Frauen ein eher "männliches" Verhalten? Falls ja, tun sie das, weil sie in der Verteilungskurve eher am "männlichen" Rand stehen? Falls ja, ist das eher auf angeborene oder anerzogene Faktoren zurückzuführen? MMn gibt es in diesem Thema noch sehr viel zu erforschen, die Forschung sollte aber ergebnisoffen und -soweit möglich - unbeeinflusst von der politischen Ausrichtung des Forschenden erfolgen.


    * Ich halte den Unterschied zwischen den beiden Begriffen für wesentlich - ich möchte in einer Gesellschaft Gleichberechtigter leben, nicht in einem Staat Gleicher.

    ich wäre ja perfekt, wenn ich nicht so bescheiden wäre....

    3 Mal editiert, zuletzt von Eisvogel (15. September 2015 um 10:22)

  • Interessanter Beitrag zu den Pinguinen (hast du dazu einen Link?) bzw. der Wissenschaftshistorie.

    Ja, in der MI sind die Links verhüllt.

  • Ich halte den Unterschied zwischen den beiden Begriffen für wesentlich - ich möchte in einer Gesellschaft Gleichberechtigter leben, nicht in einem Staat Gleicher.

    Nur ist gerechte Behandlung viel schwerer und setzt ein Urteil voraus, dass im Endeffekt nahezu beliebig ist und je nach Gesellschaft unterschiedlich ausfallen wird, Gleichbehandlung ist viel einfacher. Captain Obvious, ich weiß.

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  • Das führt jetzt vielleicht weg vom Ursprung dieses Fadens, aber ich finde schon das Ziel "Gleichheit" nicht erstrebenswert - Gleichberechtigung natürlich. Ich bin nicht "gleich" wie die anderen 80 Millionen Deutschen (geschweige denn die 8 Milliarden Menschen weltweit) unabhängig von Geschlecht, "Rasse" usw. und will es auch nicht sein, Ich bin auch nicht überzeugt, dass "Gleichbehandlung" einfacher ist - das schlösse nämlich z.B. Förderung, Sozialtransfer usw. aus, wenn man es streng auslegte. "Gleichheit" birgt für mich auch die Gefahr, dass irgendjemand das Originalkonzept festlegt, dem sich dann alle anzupassen haben. Gleichberechtigung lässt dem Individuum mehr Möglichkeiten, Gleichheit schränkt potentiell die Freiheit ein. Ich habe über den Widerspruch zwischen Egalité und Liberté schon in der Schule leidenschaftlich diskutiert. :)

    ich wäre ja perfekt, wenn ich nicht so bescheiden wäre....

  • Das führt jetzt vielleicht weg vom Ursprung dieses Fadens, aber ich finde schon das Ziel "Gleichheit" nicht erstrebenswert - Gleichberechtigung natürlich.

    Ich stimme dir zu. Aber alle gleich zu behandeln verlangt keinen Aufwand, alle gleichberechtig zu behandeln dagegen ist eine Gratwanderung.

    Warum Verzicht auf Sozialtransfer nicht einfacher ist als Sozialtransfer musst du mir erklären.

    "Gleichheit" birgt für mich auch die Gefahr, dass irgendjemand das Originalkonzept festlegt, dem sich dann alle anzupassen haben.

    Genau das geschieht diese Tage... Effizienz wird überall und immer verlangt. Aber das führt nochmal woanders hin.

    Non serviam!

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    Einmal editiert, zuletzt von the_BlackEyeOwl (15. September 2015 um 13:35)

  • Ich stimme dir zu. Aber alle gleich zu behandeln verlangt keinen Aufwand, alle gleichberechtig zu behandeln dagegen ist eine Gradwanderung.
    Warum Verzicht auf Sozialtransfer nicht einfacher ist als Sozialtransfer musst du mir erklären.

    Da hast du recht - ich bin davon ausgegangen, dass Gleichbehandlung in unserer Gesellschaft nicht gewünscht ist (der Sozialstaat als Transferkonzept scheint weitgehend akzeptiert zu sein, es gibt viele Stimmen die weiteren Ausbau desselben fordern), von manchen aber Gleichheit als erstrebenswert angesehen wird. Gleichheit lässt sich aber nicht durch Gleichbehandlung erzielen, sondern ich muss den einen fördern, den anderen nicht - oder ihn gar benachteiligen - dem einen was geben, dem anderwen was wegnehmen usw. Außerdem muss ich die Schablone definieren, an die sich alle anzupassen haben, damit dann endlich alle "gleich" sind.

    ich wäre ja perfekt, wenn ich nicht so bescheiden wäre....

  • Gleichberechtigung ist sowohl Weg als auch Ziel, Gleichbehandlung ein Weg und Gleichheit ein Ziel, oder? Bin kurz verwirrt. Der Sozialstaat scheint Gleichberechtigung zu unterstützen - das Bildungssystem aber (innerhalb der Schulformen und indirekt) Gleichheit anzustreben.

    Non serviam!

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  • Ja, so kann man es sehen - wobei ich das Ziel Gleichheit vehement ablehne.
    Gleichbehandlung steht der Gleichheit im Wege, zumindest wenn man postuliert, dass am Ausgangspunkt eben nicht alle gleich sind.

    ich wäre ja perfekt, wenn ich nicht so bescheiden wäre....

  • Nicht dein Ziel, ein Ziel. Reine Nomenklatur. Das du Gleichmachung von Ungleichem ablehnst musst du nicht so häufig wiederholen, das ist unmöglich nicht zu verstehen und ich stimme dir zu, Ungleiches gleichzumachen wird dem ganzen Menschen nicht gerecht, auch wenn es die Behandlung von Menschen vereinfachen mag. Andererseits muss man aber an irgendeinem Punkt all die Individuen bewerten und einteilen...

    Non serviam!

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  • Also die Rückseite des Spiegels, gespiegelt? Gerne.

    Nach schockierenden, aber noch unbestätigten Berichten, soll es sich bei Frauen nicht um eine außerirdische Spezies handeln und sie sollen auch nicht einfach so aus Bäumen fallen. Stattdessen wird eine gemeinsamer Genpool von Frauen und Menschen Männern angenommen. Von den über 21.000 Genen (1) werden weniger als 45, d.h. weniger als 0,2 Prozent geschlechtsspezifisch, d.h. ausschließlich auf dem Y-Chromosom vererbt (2), darunter kein lebenswichtiges Gen.

    Es gibt keine deterministische Kopplung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen und Chromosomensätzen. Ein Prozent aller Menschen, d.h. allein in Deutschland über 800.000, weisen eine Diskrepanz zwischen chromosomaler Ausstattung und der Ausbildung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen auf (3). Fertilität, Schwangerschaft und selbst die Geburt von gesunden Kindern bei männlichen (XY) Geschlechtschromosomen ist nachgewiesen (4).

    Auf genetischer Ebene wird das Bild noch uneindeutiger: Wurde ursprünglich angenommen, dass das Gen SRY für die Ausbildung von Hoden verantwortlich sei (5), zeigt sich zunehmend, dass die wirkliche Entwicklung weitaus komplizierter ist. Liegt bei vorhandenem XY-Chromosomensatz das Gen WNT4 mehrfach vor, bilden die betroffenen Menschen zusätzlich zu den primären männlichen Geschlechtsmerkmalen einen Uterus und Eileiter aus (6). Varianten des Gen RSPO1, ebenfalls an der Entwicklung der Eierstöcke beteiligt, können zu einer Ausbildung von Keimdrüsen führen, in denen gleichzeitig Spermien und Eizellen ausgebildet werden (7). Mutationen des Gens Foxl2 verwandelt in adulten Körpern weibliche Eizellen in Sertoli Zellen, die zur Bildung von Spermien beitragen (8). Wird das Gen Dmrt1 deaktiviert, entwickeln sich aus Zellen des Hodengewebes solche der Eierstöcke (9). Genetisch bedingte Veränderungen der Rezeptoren für Sexualhormone in somatischen Zellen führen bei im Körper liegenden, voll funktionsfähigen Hoden zur Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale.

    Biologie und Medizin haben längst das binäre Geschlechtermodell hinter sich gelassen und gehen längst von einem Netzwerk von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren aus, die zu einem Kontinuum von Geschlechtern und Geschlechtsmerkmalen führen. Das Geschlecht lässt sich nicht auf den ersten Blick erkennen; es ist nicht mit einer vertrauten oder unvertrauten Physiognomie verbunden. Der beste Weg, das Geschlecht eines Menschen festzustellen, ist einfach danach zu fragen und die Antwort zu akzeptieren.

    Das Geschlecht ist kein Kriterium, an dem Leistungsfähigkeit, Intelligenz, Stärke oder sonst eine positiv oder negativ beurteilte Eigenschaft festgemacht werden kann und taugt damit nicht, um eine bestehende Diskriminierung von Frauen zu begründen. Sich darauf zu einigen, wäre ein echter Fortschritt.

    Aber wenn ich lese,dass »Ungleiches gleichzumachen [...] dem ganzen Menschen nicht gerecht [wird]«, habe ich das Gefühl, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.

    Scheffnow

    .

    1) Gesamtzahl der Gene

    Ensembl genome browser 68: Homo sapiens - Whole genome - Location

    2) Anzahl der Gene auf dem Y-Chromosom

    Ensembl genome browser 68: Homo sapiens - Chromosome summary - Chromosome Y: 1-1

    3) DSDs: genetics, underlying pathologies and psychosexual differentiation.

    DSDs: genetics, underlying pathologies and psychosexual differentiation. - PubMed - NCBI

    4) High-level 46XX/46XY chimerism without clinical effect in a healthy multiparous female

    High-level 46XX/46XY chimerism without clinical effect in a healthy multiparous female - James - 2011 - American Journal of Medical Genetics Part A - Wiley Online Library

    5) Genetic evidence equating SRY and the testis-determining factor

    http://www.nature.com/nature/journal…s/348448a0.html

    6) Up-Regulation of WNT-4 Signaling and Dosage-Sensitive Sex Reversal in Humans

    http://www.cell.com/ajhg/abstract/S0002-9297(07)61219-1

    7) Human RSPO1/R-spondin1 Is Expressed during Early Ovary Development and Augments β-Catenin Signaling

    PLOS ONE: Human RSPO1/R-spondin1 Is Expressed during Early Ovary Development and Augments β-Catenin Signaling

    8 ) Somatic Sex Reprogramming of Adult Ovaries to Testes by FOXL2 Ablation

    http://www.cell.com/cell/abstract/S0092-8674(09)01433-0

    9) DMRT1 prevents female reprogramming in the postnatal mammalian testis

    http://www.nature.com/nature/journal…ature10239.html

    Einmal editiert, zuletzt von Scheffnow (16. September 2015 um 06:14) aus folgendem Grund: Auszeichnung korrigiert.

  • stattdessen wird eine gemeinsamer Genpool von Frauen und Menschen Männern angenommen.

    Spars dir. Und danke auch.

    Der beste Weg, das Geschlecht eines Menschen festzustellen, ist einfach danach zu fragen und die Antwort zu akzeptieren.

    ...denn alles andere würde dem ganzen Menschen auch nicht gerecht. Ich finde nichts, was deine feindselige Formulierung begründet. Erkläre dich.

    Das Geschlecht ist kein Kriterium, an dem Leistungsfähigkeit, Intelligenz, Stärke oder sonst eine positiv oder negativ beurteilte Eigenschaft festgemacht werden kann und taugt damit nicht, um eine bestehende Diskriminierung von Frauen zu begründen. Sich darauf zu einigen, wäre ein echter Fortschritt.

    Einig. Ich stimme dir aus ganzem Herzen zu - aber ich versuche weiterzuspinnen, mit dem ursprünglichen Thema kann das wenig zu tun haben. Wenn die Gleichberechtigung, Gleichstellung (oder welchen Begriff die euphemistische Tretmühle inzwischen fleißig zermalmt) der Geschlechter nur ein weiterer Schritt in der Auflösung aller Einteilungen, aller Vorurteile, aller Schubladen ist... wie sähe eine Welt ganz ohne aus?

    Wie soll jeder Mensch die Fähigkeit aufbringen, jeden Anderen individuell zu bedenken? Nun, nur das wäre gerecht, aber nichts ist utopischer. Möge die singularity irgendwann kommen, dann kann man zumindest nicht mehr meinem menschlichen Geist einen Blick in die Zukunft abverlangen.

    Oder denke ich zu kompliziert und weiß zu wenig? Ist diese Unbestimmtheit ein Einzelfall in der Biologie?

    Die allgemein anerkannte Ungleichbehandlung von Kindern aufgrund von biologischen Merkmalen steht weiterhin im Raum - oder sehe ich da etwas Zentrales nicht?

    Aber wenn ich lese,dass »Ungleiches gleichzumachen [...] dem ganzen Menschen nicht gerecht [wird]«, habe ich das Gefühl, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.

    Ich weiß nicht was Eisvogel dachte, aber ich war schon lange nicht mehr beim Ausgangsthema und habe mich von meinen Gedanken in sehr allgemeine Gefilde tragen lassen. Nicht die diversen Geschlechter sind ungleich, individuelle Menschen sind ungleich und sollten gerecht behandelt werden. Ist das unmissverständlicher so?

    Eine schläfrige Eule

    .

    Mein eigener Kopf, das muss reichen. Nenne es Hybris.

    Non serviam!

    Beherrscher des Kophtanischen Imperavi nach Zant...
    und lobet Thargunithread, die Herrin der Threadnekromantie!


    8 Mal editiert, zuletzt von the_BlackEyeOwl (16. September 2015 um 01:31)

  • Also die Rückseite des Spiegels, gespiegelt? Gerne.

    Nach schockierenden, aber noch unbestätigten Berichten, soll es sich bei Frauen nicht um eine außerirdische Spezies handeln und sie sollen auch nicht einfach so aus Bäumen fallen. Stattdessen wird eine gemeinsamer Genpool von Frauen und Menschen Männern angenommen. Von den über 21.000 Genen (1) werden weniger als 45, d.h. weniger als 0,2 Prozent geschlechtsspezifisch, d.h. ausschließlich auf dem Y-Chromosom vererbt (2), darunter kein lebenswichtiges Gen.

    Natürlich sind die exklusiv auf dem y-Chromosom liegenden Gene nicht "überlebenswichtig", wie würden sonst Angehörige unserer Spezies mit XX oder X0 (Turnersyndrom) Chromosomensatz existieren?

    Es gibt keine deterministische Kopplung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen und Chromosomensätzen. Ein Prozent aller Menschen, d.h. allein in Deutschland über 800.000, weisen eine Diskrepanz zwischen chromosomaler Ausstattung und der Ausbildung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen auf (3). Fertilität, Schwangerschaft und selbst die Geburt von gesunden Kindern bei männlichen (XY) Geschlechtschromosomen ist nachgewiesen (4).

    Auf genetischer Ebene wird das Bild noch uneindeutiger: Wurde ursprünglich angenommen, dass das Gen SRY für die Ausbildung von Hoden verantwortlich sei (5), zeigt sich zunehmend, dass die wirkliche Entwicklung weitaus komplizierter ist. Liegt bei vorhandenem XY-Chromosomensatz das Gen WNT4 mehrfach vor, bilden die betroffenen Menschen zusätzlich zu den primären männlichen Geschlechtsmerkmalen einen Uterus und Eileiter aus (6). Varianten des Gen RSPO1, ebenfalls an der Entwicklung der Eierstöcke beteiligt, können zu einer Ausbildung von Keimdrüsen führen, in denen gleichzeitig Spermien und Eizellen ausgebildet werden (7). Mutationen des Gens Foxl2 verwandelt in adulten Körpern weibliche Eizellen in Sertoli Zellen, die zur Bildung von Spermien beitragen (8). Wird das Gen Dmrt1 deaktiviert, entwickeln sich aus Zellen des Hodengewebes solche der Eierstöcke (9). Genetisch bedingte Veränderungen der Rezeptoren für Sexualhormone in somatischen Zellen führen bei im Körper liegenden, voll funktionsfähigen Hoden zur Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale.


    Das selbst die Geschlechtschromosomen in Ausnahmefällen nicht mit dem Phänotyp übereinstimmen, ist lange bekannt und auch nicht weiter verwunderlich. "Fehler" können sich auf Grund verschiedener Mechanismen ergeben, z.B.durch Mutationen bei Genen, die im jeweiligen Pathway relevant sind: wenn z.B. der Rezeptor für die Androgene, die bei XY-Föten normalerweise recht früh ausgeschüttet werden, nicht "richtig" funktioniert, entsteht trotz XY-Satz ein komplett oder teilweise weiblicher Phänotyp (dein Beispiel), wenn auf Grund einer Mutation "fehlerhafte" Hormone produziert werden, geschieht ähnliches. Externe Hormongabe während der Schwangerschaft kann den resultierenden Phänotyp beeinflussen usw. Diverse (meist phänotypische) Übergangsformen zwischen den Geschlechtern sind schon lange beschrieben, Hermaphroditen seit der Antike.

    Biologie und Medizin haben längst das binäre Geschlechtermodell hinter sich gelassen und gehen längst von einem Netzwerk von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren aus, die zu einem Kontinuum von Geschlechtern und Geschlechtsmerkmalen führen. Das Geschlecht lässt sich nicht auf den ersten Blick erkennen; es ist nicht mit einer vertrauten oder unvertrauten Physiognomie verbunden. Der beste Weg, das Geschlecht eines Menschen festzustellen, ist einfach danach zu fragen und die Antwort zu akzeptieren.

    Das Geschlecht lässt sich - wie von mir ausgeführt - meist auf den ersten Blick erkennen. Nicht immer allerdings, oft leiden die Betroffenen unter der Diskrepanz zwischen Phänotyp und gefühltem Geschlecht und bedürfen verschiedener Formen der Therapie, sei es psychologisch und/oder operativ, oft mangelt es auch im Umfeld an Verständnis. Auch eine Diskrepanz zwischen chromosomalem und phänotypischem und/oder gefühlten Geschlecht kann als problematisch empfunden werden - wenngleich dies oft gar nicht bekannt wird: XY-Frauen, die ihren chromosomalen Status erfahren, wenn sie z.B. auf Grund unerfülltem Kinderwunsches oder ausbleibender Menarche eingehend untersucht werden, sind meist schockiert, wenn sie erfahren, dass sie "eigentlich Männer sind". In diesem Falle ist eine einfühlsame Aufklärung über Diskrepanzen zwischen chromosomalem und phänotypischem Geschlecht angezeigt. Es gibt Transsexuelle, deren psychologisches Geschlecht sich vom chromosomalen und phänotypischen unterscheidet usw.
    In der Biologie gibt es wenige 100%-Effekte und wenige absolute Trennungen in schwarz/weiß oder andere Dualismen, warum sollte das beim Geschlecht des homo sapiens anders sein? Dies aber zum Aufhänger zu nehmen, ein Konzept, welches im Alltag gut funktioniert und mit dem sich nahezu 100% der Population vertraut fühlt, wegzuerklären, halte ich für falsch und politisch motiviert à la "es darf keine Diskriminierung des Geschlechtes wegen geben (natürlich nicht!), also schaffen wir die Geschlechter am besten ab." Das Vorgehen erinnert mich ein wenig an einen Witz zum Ende der (offiziellen) Segregation in den USA: Busfahrer zu den Fahrgästen: es gibt keine Schwarzen und Weißen mehr. Deshalb sind wir jetzt alle Grüne. Die Hellgrünen sitzen vorne, die Dunkelgrünen hinten". Schwarz und Weiß wegzuerklären hat in diesem Beispiel nichts gebracht. Anstatt den Mitbürgern zu erklären, dass es eigentlich keine Geschlechter gibt - was sich mit der Alltagserfahrung und dem persönlichen Empfinden fast jeden beißt - sollte man mMn lieber erklären, dass es keinen Grund gibt, jemand wegen seines Geschlechtes zu benachteiligen.

    Das Geschlecht ist kein Kriterium, an dem Leistungsfähigkeit, Intelligenz, Stärke oder sonst eine positiv oder negativ beurteilte Eigenschaft festgemacht werden kann und taugt damit nicht, um eine bestehende Diskriminierung von Frauen zu begründen. Sich darauf zu einigen, wäre ein echter Fortschritt.

    D`accord - von mir auch nie bestritten, trifft auch für die Diskriminierung von Männern zu. Unterschiede zwischen den Gruppen gibt es trotzdem bei einigen Merkmalen, wie du im Ausgangsbeitrag anhand der Kurven ja auch dargestellt hast. Innerhalb der Gruppen natürlich auch, das ist das Merkmal sich teilweise überlappender Verteilungskurven.

    Aber wenn ich lese,dass »Ungleiches gleichzumachen [...] dem ganzen Menschen nicht gerecht [wird]«, habe ich das Gefühl, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben.


    Wie von der Eule bereits geschrieben, handelt es sich hier vielleicht um ein Mißverständnis? In der Diskussion zwischen uns beiden Vögeln ging es primär um Unterschiede zwischen Individuen, die nicht eingeebnet werden sollten.
    Was ich von Gleichheit halte, habe ich ja schon ad nauseam kundgetan.

    ich wäre ja perfekt, wenn ich nicht so bescheiden wäre....

    9 Mal editiert, zuletzt von Eisvogel (16. September 2015 um 11:07)

  • Wenn eine Erklärung notwendig ist, erkläre Ich mich:

    An Deutschlands Hochschulen gibt es ungefähr 44.000 Stellen für Professorinnen und Professoren. Da das Verhältnis von Männern und Frauen in der Bevölkerung annähernd gleich ist, wäre ein solches Verhältnis auch bei den Professorinnen und Professoren zu erwarten. Tatsächlich liegt der Frauenanteil im Schnitt bei 20% und variiert von ca. 30 % in den Sprach-, Kultur- und Kunstwissenschaften bis ungefähr 10% in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sowie Mathematik.

    In jedem einzelnen Fach ist zu beobachten, dass der Frauenanteil mit jeder Qualifikationsstufe geringer wird. So lag er 2007 in der Chemie zu Studienbeginn bei 42%, fiel bei der Promotion auf 33%, bei der Habilitation auf 19% und bei den Berufungen auf 7%. In der chemischen Industrie wurden 2001 weniger als 5% der höheren Führungspositionen von Frauen gehalten und bei einer Umfrage unter Chemikerinnen und Chemikern wurde unabhängig von der Position in der Hierarchie festgestellt, dass 23% der Chemiker, aber nur 6% der Chemikerinnen ein Jahreseinkommen von über 90.0000 Euro hatten.

    Ich behaupte, diese Zahlen lassen sich nur durch eine Diskriminierung und massive Benachteiligung von Frauen erklären. Ich behaupte weiterhin, dass es keine Gründe gibt, die diese Benachteiligung rechtfertigen.

    Und ich meine gelesen zu haben, dass ihr das anders seht. Ohne Sätze aus dem Zusammenhang reißen zu wollen, kann ich die Aussage »[...] aber du schreibst gut genug, um manche validen Argumente und Einwände nicht aufkommen zu lassen [...]« nur so verstehen, dass es biologische Gründe für die Benachteiligung von Frauen gibt, denn dass es diese nicht gibt, war die Kernaussage meines ersten Beitrags. Dieser Eindruck wurde durch »Wenn Kinder per Definition aufgrund von biologischen Unterschieden anders beurteilt werden - kann das so ein schlechtes Kriterium sein?« noch verstärkt.

    Gerade die Differenzierung des Geschlechtsbegriffs sollte zeigen, dass ich keine Unterschiede leugne oder versuche etwas »wegzudefinieren«, sondern nur feststelle, dass schon das herkömmliche Verständnis von Geschlecht gänzlich ungeeignet ist, irgendetwas daraus abzuleiten und weiterhin, dass die Dichotomie von Mann und Frau nicht mehr dem aktuellen Wissensstand entspricht. (Transsexualität wird übrigens im neuesten Entwurf der internationalen Klassifizierung von Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme nicht mehr als Krankheit, sondern als nicht zu bewertender Zustand gesehen.)

    Und frage ganz konkret:

    Was ist gegen die ungerechtfertigte Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts zu tun?

    .

    Auf die »allgemein anerkannte Ungleichbehandlung von Kindern aufgrund von biologischen Merkmalen« möchte ich gesondert eingehen, dafür ist es mir heute zu spät.

    Und »Singers Babyschnitzel« würde ich - wenn gewünscht - nicht hier diskutieren, sondern auslagern und zu einem eigenen Diskussionspunkt machen.

  • Und »Singers Babyschnitzel« würde ich - wenn gewünscht - nicht hier diskutieren, sondern auslagern und zu einem eigenen Diskussionspunkt machen.

    Ich antworte morgen ausführlich, aber ja, das Thema würde ich gerne diskutieren. Und das Singer nicht tatsächlich Babyschnitzel fordert ist hoffentlich klar, ich habe seine Forderungen immer als "menschenartigere Rechte für Tiere" und nicht "tierartige Rechte für manche Angehörige der Spezies Mensch" verstanden, von der aktuellen Diskrepanz der Rechte ausgehend. Seine Ausreden bei konkreten Fragen nach Kindstötung erschienen mir aber immer leicht fadenscheinig.

    Non serviam!

    Beherrscher des Kophtanischen Imperavi nach Zant...
    und lobet Thargunithread, die Herrin der Threadnekromantie!


    4 Mal editiert, zuletzt von the_BlackEyeOwl (16. September 2015 um 23:22)

  • Mentor in einem Förderprogramm für Nachwuchswissenschaftlerinnen? Das ist mehr als gut. Mein Respekt. Und ich glaube, diese Förderung zahlt sich auch aus.

    In der Unimedizin Mainz - um bei dem Fachbereich von Dr. Edith Heischkel-Artelt zu bleiben - schaffen es überproportional viele Frauen ihr Medizinstudium erfolgreich abzuschließen. Waren es 2001 erst 46%, stieg der Anteil bis 2012 auf 65% und damit deutlich über den Anteil von Frauen an den Studierenden.

    Bei den Promotionen sieht es auf den ersten Blick auch sehr positiv aus. Hier stieg der Anteil von 48% auf 57%. Absolut gesehen, eine wirkliche Verbesserung, aber ein deutlicher Abfall gegenüber dem Anteil bei den Abschlüssen. Irgendetwas passiert auf dieser höheren Qualifikationsstufe, die es Frauen schwerer macht, ihren Anteil zu halten.

    Bei den Habilitationen, der nächsten Stufe ist für den Fachbereich Medizin sogar ein eklatanter Rückgang von 32% in 2011 auf 8% 2013 in festzustellen. Da die absoluten Zahlen sehr klein sind, habe ich mir die Zahlen für die gesamte Universität Mainz - zu der die Unimedizin in akademischer Hinsicht gehört - angesehen: habilitationen.png

    Frauen sind weit unterrepräsentiert und hier ist nicht einmal ein positiver Trend auszumachen. Über alle Jahre gerechnet, liegt der Anteil bei 24%. Erst wenn noch ältere Zahlen hinzugezogen werden, zeigt sich eine leicht positive Entwicklung.

    1962 war Dr. Edith Heischkel-Artelt die erste Professorin im Fachbereich Medizin der Universität Mainz. Davor hatte der Frauenanteil demnach bei 0% gelegen. 2013, über 50 Jahre später lag er bei genau 15%. Wird diese Entwicklung fortgeschrieben, würde es noch über 150 Jahre dauern, bis es genauso viele Professorinnen gibt wie Studienanfängerinnen.

    Um es ganz deutlich zu sagen: Ohne Programme wie das Edith Heischkel-Mentoring-Programm oder Institutionen wie das Frauenbüro und den Frauenbeauftragten in den Fachbereichen wäre der Anteil von Frauen auf jeder Qualifikationsstufe noch um einiges geringer. Aber warum kommt diese Förderung auf den höheren Qualifikationsstufen nicht an? Vielleicht, weil es gar nicht um Leistung geht, denn die erbringen Frauen genauso wie Männer, sondern um so etwas:

    »Männer wollen einfach eine nette Frau, mit der man nicht viel diskutieren muss; jung, attraktiv, gut kochen muss sie können, Kinder großziehen.« Prof. Dr. Ulrich Kutschera, Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie, Universität Kassel

    »One should start asking why women being underrepresented in senior positions is such a big problem. Is this actually a bad thing? It is not immediately obvious for me that… is this bad for women? Or bad for science? Or bad for society? I don’t know ...«

    Sir Tim Hunt, Biochemiker und Nobelpreisträger

    Das sind die Wissenschaftler, die die Leistung von Frauen als Wissenschaftlerinnen beurteilen und über Karrieren entscheiden. Sie stehen exemplarisch für eine (Un)kultur in den Wissenschaften, die Frauen benachteiligt.

    Nachtrag 28.09.2015:

    Wissenschaftler mit einem traditionalistischen Rollenbild projizieren ihre Normalität auf ihre Arbeitsgruppen. Wenn es für sie normal ist, dass ihre Partnerinnen keinen oder keinen gleichwertigen Beruf ausüben und stattdessen den Haushalt führen und Kinder großziehen, werden sie z.B. Besprechungen spontan und zu allen möglichen Zeiten ansetzen. Die Probleme, die sie ihren Mitarbeiterinnen und auch Mitarbeitern damit bereiten, sind ihnen völlig fremd. Entsprechende Hinweise werden ignoriert. Auch werden sehr häufig gerade in der Qualifizierungsphase extreme Arbeitsleistungen erwartet, die nur zu schaffen sind, wenn regelmäßig weit über jedes Maß hinaus gearbeitet wird. Beschwerden oder Weigerung sind schnell mit Nachteilen - bis hin zum Karriereende - verbunden. Die Auswirkungen sind nicht geschlechtsneutral, die Übernahme des Rollenbildes des Professors ist Männern wesentlich eher möglich, als Frauen. Letzteres führt zudem dazu, dass sich die Probleme tradieren und in der nächsten Generation von Wissenschaftlern wieder zeigen.

    Diese alten Wissenschaftler ändern sich nicht mehr. Entweder warten wir also ab, bis das Problem mit jeder neuen Generation (hoffentlich) etwas geringer wird und Frauen und Männer in 150 Jahren gleichberechtigt vertreten sind oder wir setzen die Brechstange an und erzwingen durch Quote und Kohortenmodell, dass Frauen schon jetzt ihren Anteil an allen Positionen bekommen. Das Argument, dass dadurch die Qualität in den Wissenschaften sinkt, lasse ich solange nicht gelten bis so viele schlechte Professorinnen berufen wurden, wie wir jetzt schon schlechte Professoren haben.

    .

    Interview Ulrich Kutschera:

    Gender Mainstreaming: "Unfug, Religion, feministische Sekte." | Inforadio - Besser informiert.

    (Zitat im Interview ab 29:30, »Möchtegernalphaweibchen« bei 32:20)

    Stellungnahme Ulrich Kutschera:

    1325234453-kutschera.pdf

    Interview Tim Hunt:

    Nobel Prize Winner Calls Lady Scientists Crybabies - The Daily Beast Vollständige Antwort von Sir Hunt auf die Frage »In your opinion, why are women still under-represented in senior positions in academia and funding bodies?«: »I’m not sure there is really a problem actually. People just look at the statistics. I dare myself think there is any discrimination, either for or against men or women. I think people are really good at selecting good scientists but I must admit the inequalities in the outcomes, especially at the higher end, are quite staggering. And I have no idea what the reasons are. One should start asking why women being underrepresented in senior positions is such a big problem. Is this actually a bad thing? It is not immediately obvious for me that… is this bad for women? Or bad for science? Or bad for society? I don’t know, it clearly upsets people a lot.«

    Einmal editiert, zuletzt von Scheffnow (28. September 2015 um 09:08) aus folgendem Grund: Nachtrag hinzugefügt.

  • @Scheffnow
    @Eisvogel
    @the_BlackEyeOwl

    An euch drei an dieser Stelle mal ein Daumen-hoch von mir. Das hier - und zwar jeder hier vertretene Standpunkt - liest sich zumindest mal so, als hätten da beim Schreiben nicht gleich irgendwelche schussbereiten Waffen neben der Tastatur gelegen (ein Eindruck, der in manchem anderen Thread zu dieser Thematik ja durchaus gelegentlich entstehen konnte, ähem).


    Nachtrag: Na sowas, warum kriegt der Eisvogel-Eddie denn kein Highlight? Ich bin entsetzt!
    Ah, da hat er es dann doch noch erhalten, schön schön. :)

  • Was ist ein Eisvogel-Eddie? Klingt nach durchtriebenen Feilschern spezialisiert auf Tiere der Roten Liste.

    Und danke für die Blumen. :elfzaubert <=die da

    Irgendwann muss ich mir wohl die Zeit nehmen, hier nochmal adäquat zu antworten, aber warum Professoren mit bestimmten Rollenbildern pauschal die Unfähigkeit zur Akzeptanz und das Ignorieren aller anderer Rollenbilder unterstellt wird kann ich nicht nachvollziehen. Und wenn beide Ehepartner zufrieden mit der Rollenverteilung sind, dann habe ich ihnen nicht vorzuhalten, wie unmodern, emanzipationszersetzend oder in mangelnder anderweitiger Erfahrung begründet diese Verteilung ist, denn das ist weder das Bier des Staates noch meines oder deines. Das ist auch mit Gleichheit gemeint... warum ist es wünschenswert, dass alle Rollen nicht-traditionell verteilt sind? Ich wünsche mir keineswegs, dass alle Rollen traditionell verteilt sind, aber ich sehe auch nicht, warum ein Staat das Recht haben sollte, seine erwachsene Bevölkerung kollektiv umzuerziehen.

    Non serviam!

    Beherrscher des Kophtanischen Imperavi nach Zant...
    und lobet Thargunithread, die Herrin der Threadnekromantie!