Sollte tatsächlich das Prozedere derart unübersichtlich sein, Übersetzungen fehlerhaft, Abstimmungslisten unvollständig und der Vorsitzende (absichtlich?) Unsinn stammeln, ist dies doch kein auch nur im Ansatz akzeptabler Zustand, ein absolutes Armutszeugnis für die EU. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat sogar ausdrücklich diese Verwirrung kommentiert, aber dann doch schnell noch sein Ziel durchgedrückt. Das ist doch nicht demokratisch.
Jungbluth Genau das ist der Punkt, weshalb ich der Meinung bin, dass man es nicht den Abgeordneten vorwerfen kann. Ich habe die Abstimmung gesehen. Es herrschten tatsächlich chaotische Zustände, die der Sitzungsleiter auch selbst festgestellt hat, aber trotzdem rasch zur Abstimmung übergegangen ist. Wenn es dann noch Zeitverzögerungen wegen live-Übersetzungen gibt und die Abstimmung dann relativ schnell beendet wird, kann es schon einmal vorkommen, dass 13 Leute ihre Meinung im Nachhinein ändern. Und das geschieht nicht nur bei dieser Abstimmung, das ist leider sehr häufig der Fall (auch mehrfach am Dienstag geschehen) - meistens hätte es aber keine Auswirkung auf das Ergebnis gehabt, da diese sehr eindeutig sind.
Wenn du also jemandem etwas vorwerfen willst, dann ist es das Abstimmungsverfahren im Allgemeinen im EU-Parlament, vielleicht noch der Präsident. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass das Parlament jeweils ca. 200 Abstimmungen durchführt. Dazu kommen Redebeiträge etc. Ich kann druchaus nachvollziehen, dass hier zeitlich ein wenig beschleunigt wird, zumal es seltenst etwas am Ergebnis ändert, wenn Personen ihre Stimme nachträglich ändern.
Welche Bedeutung hat solch ein Koalitionsvertrag überhaupt? Ist er mehr als ein Lippenbekenntnis, ist er bindend? Warum kann er so leicht gebrochen werden und warum stört dies in den bereiten Medien anscheinend kaum jemanden?
Es ist eine Absprache, was die Regierungsparteien innerhalb der Legislaturperiode umsetzen wollen. Rechtlich bindend ist das in keinster Weise. Du kannst die Regierung also nicht verklagen, weil sie den Koalitionsvertrag gebrochen hat. Während der Koalitionsverhandlungen müssen alle Seiten Zugeständnisse machen, die klar darin formuliert sind. Wenn dann Gesetzesvorschläge ein wenig über das Ziel hinausgehen, wird gerne mit dem Koalitionsvertrag argumentiert (jüngst z.B. bei der Grundrente geschehen). Es ist also eine Karte, die man gerne spielt, wenn sie einem selbst gerade in den Kram passt. Was geschieht nun bei einem Bruch? Naja, entweder wird er ignoriert, oder er wird als "Verhandlungsmittel" verwendet in der Form: Ihr habt ihn in diesem Punkt gebrochen, also erwarten wir bei diesem anderen Punkt Entgegenkommen. Im extremsten Fall könnte eine Partei auch sagen: Der Koalitionsvertrag ist gebrochen, damit ist die Zusammenarbeit in der Regierung beendet, da das Vertrauensverhältnis fehlt. Theoretisch können dann neue Koalitionsverhandlungen stattfinden, realistisch gesehen würde das allerdings zu Neuwahlen führen. Und das ist etwas, was momentan kaum jemand möchte. Den Umfragen nach würden hiervon am ehesten die Grünen profitieren.
Das als kurzer Exkurs zum Thema Koalitionsvertrag, was wir hier nicht weiter vertiefen sollten, da es zu weit vom Thema abschweift.