Rahjadis und ich trafen etwa zur selben Zeit in der Knochenfaust ein. In unseren Zimmern bot Paske einen erschreckenden Anblick: Er wischte sich gerade Blut aus dem Gesicht.
“Was ist geschehen?“, fragte ich ihn. Ich befürchtete einen Überfall auf ihn, während er auf dem Weg vom Boronanger zum Hotel war. Doch es war nichts dergleichen vorgefallen.
"Er hat mich angehustet", sagte Paske mit einem Schulterblick zu dem armen Mann, den die Grandessa vom Leichenkarren gekauft hatte. Erst jetzt bemerkte ich ihn auf dem Bett liegen. So ist er also in diese Lage gekommen, dachte ich mir. Er ist krank. Vielleicht hat seine Familie ihn verkauft?
Mit den Erkrankungen des Geistes kenne ich mich besser aus als mit den Krankheiten des Körpers. Anscheinend ist Rahjadis in dieser Disziplin versiert. Sie untersuchte den Mann und stellte bei ihm die Blaue Keuche fest. Diesen Namen kannte ich auch - eine hoch ansteckende Krankheit, die als Dumpfschädel beginnt. Wenn man sie in diesem Stadium nicht abschütteln kann, verschlimmern sich die Symptome bis zur Keuche. Zuletzt hatte diese Krankheit vor ungefähr 15 Jahren in der Stadt Nostria gewütet. Sie hatte jeden vierten Bewohner dahingerafft.
Sofort hatte ich einen ungutes Gefühl. Wir hatten einen Schwerkranken zu uns geholt, der für jeden von uns die Gefahr der Ansteckung barg. Ich schloss für einen Moment die Augen und nahm einen - vorsichtigen - Atemzug, in dem ich mir sagte, dass wir im Sinne Borons gehandelt hatten. Wir schickten Paske, uns unten an der Hotelpforte Essig und wenn möglich stark riechende Kräuter zu besorgen. Damit bereiteten wir uns Tücher, die wir uns vor Mund und Nase banden, und nun nahm ich mich des Mannes an. Meine Untersuchung ergab, dass er nicht mehr lange leben würde. Vermutlich würde er den nächsten Morgen schon nicht mehr erleben.
Mit Paske von Rabenmund und Donna Rahjadis als stumme und betroffene Zeugen begann ich, den Mann auf sein Sterben vorzubereiten. Erleichterung überflutete mich, als ich diesen letzten, langen Tagen endlich wieder die Kette mit meinem Boronrad anlegte und ihr vertrautes Gewicht spürte.
Er gelangte einmal zu Bewusstsein und sagte uns, dass er Tharun hieß und Bäcker war. Überrascht war jedoch nicht, hier an diesem Ort eine Boroni anzutreffen. Dazu war sein Geist dem Tode bereits zu nah.
Es war spät in der Nacht als ich merkte, dass Tharun bald in einen Fieberschlaf fallen würde, aus dem er in dieser Welt nicht mehr erwachte. Bald hatte er es geschafft. Da schreckte ich hoch, als sich Schritte unserer Türe näherten. Auch Rahjadis und Paske, die beide eingeschlafen waren, wandten sich schnell um. Es war Alondro.
"Bald wird es draußen einen Scheiterhaufen geben.", sagte er und grinste. Und dann erzählt er uns von seinem Abenteuer.
Die Karren wurden zum Glück nicht sofort abgeladen. Der Bedienstete stellte die Leichenwägen in einer Scheune ab hatte sein Tagwerk damit getan. Zumindest ging er weg, was unserem Jäger die Gelegenheit gab, unbemerkt sein unbequemes Gefährt zu verlassen und sich umzusehen.
Er befand sich in einem Lager. Im Dunkeln erahnte er Gerätschaften, die er als “alchemistische Dinge“ bezeichnete. Er fand Kisten die teilweise vernagelt waren. In denen, die eröffnen konnte, fand er Erde, glasartige Kügelchen sowie eine große Menge an Kerzen. Ich klärte ihn auf, dass es sich bei der Erde höchstwahrscheinlich um entweihte Graberde handelte und die Kerzen für nekromantische Rituale benötigt wurden. Bei den glaskugelchen war ich jedoch überfragt.
Dann kletterte er einen Flaschenzug zum darübergelegenen Stockwerk hoch. Leichen über Leichen lagen dort kreuz und quer und in mehreren Lagen. Ich presste die Zähne zusammen und ballte die Fäuste, als ich mit diesen widerwärtigen, götterlästerlichen Anblick vorstellte.
Der Anblick musste auch bei dem Jäger etwas ausgelöst haben. Denn dann entschied er sich, dort Feuer zu legen. Er nahm dafür die Mengen an Kerzen zu Hilfe, die er unten gefunden hatte. So hatte sich diese Nekromanten die Verwendung ihrer wertvollen Ritualkerzen sicher nicht vorgestellt!
Alondro schaute sich weiter zu ebener Erde um. Als nächstes gelangte er in einem Schreibzimmer, dass er als Verwaltung bezeichnete. Dort sah er sich eine Schriftrolle an - er sah sie an, aber ich weiß, dass er nicht lesen kann -, auf der er die Aufzeichnungen von Buchungen zu erkennen glaubte. Auch hier legte er Feuer. Wahllos griff er sich ein Buch und zwei andere Schriftrollen und entkam unbemerkt aus dem Gebäude. Da hatte noch niemand die schwelenden Feuer bemerkt.
Ich entschied, dass Tharuns Körper mit einer Feuerbestattung seine ewige Ruhe erhalten würde. Auf meine Bitte hin zog Alondroo noch einmal los, mit dem toten Körper das Bäckers. Dieser Leichnam würde nicht als Untoter wieder auferstehen.
Auch diese Aufgabe meisterte der brave Jägersmann. Ich glaube, ich freue mich langsam mit ihm an.
Bei den Schriftstücken handelte es sich um ein Buch, dass Listen mit den eingekauften Toten und deren Verwendungszweck enthielt. Sie waren in unterirdischen Räumen und Gängen stationiert und warteten dort auf ihren Einsatz. Diese Beschreibung erinnerte uns an die Kavernen unter dem Todewall. Reihe an Reihe waren dort die Skelettwächter gestanden und hatten geduldig darauf gewartet, dass ihr dämonischer Befehlshaber sie in Aktion versetzte. Scheinbar gab es auch hier in Altzoll solche Vorkehrungen?
Eine der beiden Schriftrollen enthielt einen Befehl von Corina von Warunk, die Leichname von denen, die an der Blauen Keuche gestorben waren, vorerst nicht zu nutzen, sondern erst abzuwarten. Eine kluge Idee, um die rasche Weiterverbreitung der Seuche durch diese Untoten zu verlangsamen.
Die zweite Schriftrolle bildete das Siegel der Nekromantengilde ab.
Damit brachten wir in Erfahrung, wem dieses Anwesen - eines der größten Gebäude am Richtplatz - untersteht: es ist die Residenz der Nekromantengilde. Alondro hatte an die Belange von Corina von Warunk, die oberste Nekromantin Altzolls und Anführerin von deren Gilde, Feuer gelegt.
Innerlich jubelte ich und nach außen hin zeigte ich ein breites Grinsen. "Gut gemacht!" Wieder einmal überraschte ich Alondro, indem ich ihm auf die Schulter klopfte und ihm gratulierte.
Noch später nachts hörten wir Rufe von der Straße: "Feuer!" Vielleicht waren wir die einzigen, denen sie ein Lächeln auf die Lippen zauberten.