Eirik von Mersingen hatte Donna Rahjadis und mir eine Kutsche nach Devensberg noch für denselben Tag bereitgestellt. Somit hatte ich noch ein paar Stunden Zeit für mich in Perricum, in denen ich auch keine Verpflichtungen für den Orden hatte.
Ich räumte meine wenigen Habseligkeiten aus der Kammer, die mir meine Ordensschwestern und -brüder im Gästehaus des Klosters zugewiesen hatten. Reisefertig, mit meinem Rucksack und dem warmen Wollmantel, unternahm ich meinen letzten Spaziergang am Darpat entlang, um meinen Abschied von Perricum zu nehmen.
Die Schwester Pförtnerin hatte mir die Korallengärten am Ufer des Flusses empfohlen, den Handels- und Militärhafen sowie den großen Sankt-Leomars-Tempel zu besichtigen. Dank der Schule der Austreibung und des Noioniten-Spitals sind Boronis in dieser Stadt kein seltener Anblick. Ich war dankbar für einen unbehelligten Spaziergang, bei dem selbst mir mit meiner blassen Hautfarbe kaum einmal ein Blick folgte.
Unser Kutscher hieß Alrik. Er kannte die Gegend und rechnete damit, dass wir nach einem Siebenspann Reise in Devensberg ankommen werden. Ein schweigsamer Mann, der selten einmal das Wort ergriff, aber auf Fragen bereitwillig Auskunft gab und mit sich und Dere im Reinen schien. Er erzählte uns zum Beispiel vom Pakt von Al'Zul. Unter diesem Namen hatten sich das Haus von Mersingen, die Teile der Traviakirche, die mit der Traviamark belehnt wurde und der Orden des Heiligen Golgarit, für dessen Herrschaft die Rabenmark geschaffen wurde, zusammengeschlossen, um das Land von dem Übel zu befreien, das es fortwährend heimsuchte.
Denn die Wurzel dieses nekromantischen Übels steckt noch immer irgendwo in der ehemaligen Warunkei, behütet von den Überresten des Nekromantenrats.
Die Reichsstraße führte uns durch ein halbes Dutzend Dörfer und Städtchen, bis wir Rommilys erreichten. Von dort aus ging es mit dem Ochsenwasser zur Linken und den Ausläufern der Trollzacken zu unserer Rechten gen Firun.
Donna Rahjadis und ich lernten einander kennen. Sie erzählte wenig von ihrer akademischen Ausbildung in Mirham, viel von ihrem Leben am Silberberg, ihren Gefährten Ortrun (von niedrigem Stand, habe zu Donna Rahjadis' Missfallen andauernd Waisenkinder angeschleppt) und Calvino (Kaufmann aus Grangor, standesgemäß, mit einem latent gemeinen Charakterzug), die eine Zeitlang ebenfalls in diesem Nobelviertel Al'Anfas gelebt haben. Außerdem, erfuhr ich, hatten sie zu dritt ein Haus in Zorgan, das ihnen geschenkt wurde, weil sich ein verfluchtes Bild im Keller befand, das sie gerettet oder entzaubert haben…
Sollte ich in Warunk für das Ordenshaus, das ich eröffnen will, ebenfalls auf diese Weise ein Haus erlangen, würde ich es mit Kusshand annehmen. Damit hätte ich zwei gute, göttergefällige Taten mit einer Handlung vollbracht.
Ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass die Grandessa ab dem fünften Tag unserer Reise zunehmend gereizt wurde. Ihr fiel es schwer, in der Kutsche zu sitzen, und änderte ständig ihre Position. Sie wirkte fahrig und unkonzentriert und ihre Hände zitterten. Aufmerksam, aber verstohlen beobachtete ich ihre Symptome und rief mir ins Gedächtnis, dass sie nunmehr seit ungefähr zwei Siebenspannen in Perricum als Hausgast der Familie von Mersingen weilte. Sie war von hoher Herkunft und vermögend. Alles in allem vermutete ich im Stillen, dass sie gerade einen kalten Entzug von irgend einem der zahllosen Rauschmittel des Südens durchmachte. Sie hatte mein Mitgefühl, aber mehr wollte ich mit meiner schmalen Reiseapotheke nicht anfangen. Meine Mittel hätten das Unvermeidliche nur länger hinausgezögert - dass sie sich von ihrer Sucht losmachen muss.
Meinerseits erzählte ich Donna Rahjadis ein wenig von meiner jüngsten Reise in das Regengebirge, das von hier aus nahezu am entgegengesetzen Ende des Kontinents liegt. Von Donna Rahjadis' al'anfanischer Heimat aus war es jedoch nur ein kleiner Weg gewesen. Wieder konnte ich meiner Verwunderung und meinem leisen Ärger darüber Ausdruck verleihen, wie Goldo Paligan unsere erfolgreiche Expedition im Auftrag Seiner ehrwürdigen Erhabenheit, dem Patriarchen Amir Honak höchstselbst, vor den Augen der Öffentlichkeit verschleiert hat. Und das, obwohl er unseren Fund als grandioses Ausstellungsstück den Fanas zum Geschenk machen wollte!