Reisebericht #36 – Die Welt hinter dem Nebel
In Brokscal angekommen brannten die Helden darauf die Verfolgung Beorns aufzunehmen und so schlug Kapitän Phileasson Aischas Bitte, noch beim Wiederaufbau der Siedlung zu helfen bis jeder Dorfbewohner wieder ein Dach über dem Kopf hätte aus. Den Rest des Tages half man noch beim Einfangen der nunmehr halb verwilderten Selemferkel und Hühner, im nächsten Morgengrauen brach man jedoch auf.
Doch trotz aller Eile kam man überein, einen kleinen Umweg über Heldenrain zu machen um am Rande der Zivilisation dringend benötigte Ausrüstung aufzustocken. Insbesondere wollte Leniya eine geschliffene Lupe anschaffen, mit der die feinen Runen des Schiffsmodells entziffert werden könnten. Das Dorf war von Mengbillaner Truppen besetzt, nachdem man sich jedoch listig als Missionare ausgegeben hatte wurde man in Ruhe gelassen; und gelogen hatte man dabei auch nicht, wie selbst Shaya einsah, schließlich hatte man einen Schrein der Travia inmitten des Urwalds errichtet und heidnische Echsenpriester bekämpft.
Von Heldenrain aus übernahmen Ynu und Shaya die Führung. Die junge Geweihte wurde von einer vagen Ahnung immer weiter gen Südwesten gezogen, die deutlicher wurde als man sich der Westküste näherte; schließlich erreichte die Gruppe nach etwa einer Woche Marsch eine malerische Bucht auf halbem Wege zwischen Mengbilla und Chorhop.
Während sich Shaya zurück zog um über eine sich ankündigende Vision zu meditieren nutzten die anderen die Gelegenheit um im Meer zu schwimmen, zu fischen, etwas zu jagen und schließlich die Umgebung zu erkunden. Dabei fand die eine halbe Meile hinaus getauchte Leniya tief am Grund die Reste alter Ruinen, deren Herkunft sie jedoch nicht klären konnte. Ebenso stießen Zeja, Kintan und Daerec im nahen Urwald auf im Schlamm der Jahrhunderte versunkene Säulen – Reste eines der hochelfischen Häfen, von denen Shafir der Prächtige gesprochen hatte?
Am Abend teilte Shaya, angelockt vom Duft des Gebratenen, die Ergebnisse ihrer Vision mit den Anderen: ihr war ein strahlend weißer Alveraniar erschienen, dessen Worte von seinen Lippen geperlt und in Form von neun hellen Pergamentstreifen mit je einem prophetischen Vers in ihren Schoß gefallen waren. Viel verwirrendes und auch beängstigendes war dort zu lesen, vor allem der Satz „der Tod wird in eurer Mitte wüten und es ist gut so“ sorgte für Bestürzung. Sollte etwa nur eine der Expeditionen dieses zehnte Abenteuer überleben? Was waren das für alte und junge Weise und von welchem Kessel sprach die Prophezeiung? Brüder, die das Blut von Brüdern vergossen... einen rechten Reim konnte man sich kaum darauf machen. Schließlich deutete die Verse vorerst so, dass es die Aufgabe der Helden sei, in einen Bruderkrieg der Erben der Hochelfen einzugreifen und den Gefährten des alten Hochkönigs Fenvarien zu suchen um heraus zu finden, wo Fenvarien oder seine Seele gefangen gehalten wurden. Hierfür wären eine „zweite Geburt“ sowie die Hilfe eines alten und eines jungen Weisen nötig.
Am nächsten Tag watete Shaya im ersten Licht der Praiosscheibe ins Wasser, wo sie das von Zsintiss erhaltene Modell der elfischen Galeasse sanft auf die Wellen setzte. Und das Ergebnis übertraf die kühnsten Hoffnungen der Helden: knarzend und ächzend wuchs das Modell rasend schnell an und nahm schließlich die Gestalt eines wendigen Seglers von vielleicht zwanzig Schritt Länge an, die üblicherweise von etwa einem Dutzend Seemännern besetzt werden. Am Bug zeigten verschlungene Lettern stolz den Namen des Schiffs: Taubralir, Asdharia für 'Zauberwoge' und über dem schimmernden Deck blähte sich ein einziges weißes Segel mit einer stilisierten blauen Welle.
Sogleich gingen die Freunde an Bord und erkundeten den fremdartigen Segler. Bewaffnet war die Taubralir nicht, dafür fand sich unter Deck jedoch ein Gemeinschaftsraum mit einem Kamin voll heller Holzscheite und auf dem langen Tisch in weiten Schalen frisches, süßes Obst sowie in filigranen Amphoren und Karaffen frisches Wasser und weiße Milch. Später lernten die Helden freudig, dass sich diese Vorräte in jeder Nacht auffüllten, sodass die Mannschaft niemals Hunger oder Durst leiden würde. Leider galt dies nicht für die mitgebrachten Vorräte, sodass der mitgebrachte Rum und Schinken streng rationiert wurden um Abwechslung in die köstliche und doch eintönige Kost zu bringen.
Kaum waren die Thorwaler erneut an Deck versammelt da setzte sich das Schiff von selbst in Bewegung, wandte den Bug gen Westen aufs offene Askanische Meer. Schnurgerade ging die Fahrt und weder Phileasson noch einer der Helden wagte es, den Kurs zu beeinflussen. Nach einer Weile bemerkten die Helden, dass es etwas diesig geworden war; bei genauem Hinsehen schien die Gischt der Wellenkronen sich langsam zu erheben, wodurch ein feiner Dunsthauch entstand. Dieser wurde stärker und schließlich konnte kein Zweifel mehr sein, dass dichte Nebelschwaden das Schiff einhüllten und sogar die Praiosscheibe verdeckten. Der schleichende Prozess zog sich über den Rest des Vormittags hin und schließlich glitt das Schiff in einer zunehmend grauer werdenden Nebelbank umher, die so dicht war, dass selbst das Wasser unter dem Kiel nicht mehr sichtbar war. Es wurde kalt und einmal konnten Zeja und Leniya zwischen einigen Schwaden das Wrack eines zerfetzten Elfenschiffs ausmachen. Doch bald schon lichtete sich der Nebel und hinterließ nur einen allgegenwärtigen Schleier wie in einer Waschküche, der die Sicht der Menschen – nicht jedoch die von Zeja und Leniya – einschränkte. Das auffälligste Merkmal der Welt hinter den Nebeln war, dass es keine Praiosscheibe gab, doch Ramon beeilte sich in einem Vortrag über die Sphärentheorie sowie die Verknüpfung von Globulen zu versichern, dass dies nicht anders zu erwarten gewesen sei.
Ohne Himmelsgestirne oder funktionierende Südweiser stellte sich die Orientierung auf offener See selbst für Phileasson und Leniya als äußerst problematisch heraus, doch in den folgenden vier Tagen bemühte man sich den Kurs in der aktuellen Richtung, die man als Nordwesten definiert hatte zu halten. Zeja arbeitete derweil an einer Karte, auf der sie alle Beobachtungen einzutragen gedachte...
Erst nach über vierhundert Meilen in der neuen Welt fand sich ein Hinweis darauf, dass diese nicht ausschließlich aus endlosem Meer bestand: die scharfäugige Elfe entdeckte einen kleinen Katamaran, der sich wenig später als das runenverzierte Totenboot eines Elfen darstellte. Der Elf trug ein seidig-goldenes Gewand und war offenbar eines gewaltsamen Todes gestorben, die unverweste Leiche lag im Schatten eines hellen Segels, das als Wappen ein.
Am nächsten Tag sah der Ausguck dann endlich Land. Erst waren es nur an tiefer liegenden Felsen gebrochene Wellen, dann kleine Riffe und schließlich winzige Schären aus festem Gestein und Kies; aller Proteste Leniyas zum Trotz wurde die Kolonie von Möwen geplündert und zur Rührei verarbeitet. Der Ansammlung winzigster Inseln folgte man gen Nordosten, wo sich nach etwa einhundert Meilen einige Inseln aus den Fluten erhoben, die eine Größe von mehreren hundert Schritt erreichten und hier fanden sich auch erstmals Spuren von Pflanzen: hartes, gelbliches Gras wuchs auf den Flanken großer Dünen.
Auf dem höchsten Punkt einer der Dünen fand ein Erkundungstrupp eine aus Tang und Steinen gefertigte, sehr einfach gehaltene kleine Statue eines springenden Seepferds mit Augen aus Aquamarin; in einer nahen Mulde fanden sich Reste von Muscheln und Fischen sowie eine zerlumpte Zeltplane. Ein verlassenes Lager.
Die Taubralir folgte der Inselkette weitere zwei Tage, wobei hin und wieder noch größere Eilande auftauchten und auch der Bewuchs zunahm. Schließlich erreichte man eine sicher zehn Meilen durchmessende Insel, die dicht bewaldet zum Verweilen einlud. Die Hoffnung, etwas anderes als Fisch und die immer gleichen Speisen des Zauberschiffs trieben die Helden an Land und tatsächlich fand Ynu bald Spuren von Kaninchen.
Zeja führte einen Teil der Gruppe ins innere der Insel, wo sich ein kleiner Berg erhob, an dessen Flanke ein kristallklarer See gefunden wurde. Um alles genau betrachten zu können nahm man in Kauf eine Nacht in der Wildnis zu verbringen, doch am nächsten Tag drängten die beim Schiff gebliebenen zum raschen Aufbruch: Ohm und Raluf berichteten von Träumen in denen etwas Fremdes Jagd auf sie machte und Ynu behauptete, die gefundenen Spuren der Tiere haben allesamt im Kreis geführt. Da bei genauerem Nachdenken niemand ein Tier gesehen hatte, das größer als eine Biene gewesen wäre entschied man, diese merkwürdige Insel sofort zu verlassen.
Da sich hinter der großen Insel über einige Meilen nur noch kleine Riffe und Schären zeigten und im Osten bereits der Rand der Globule in Form von dichten Nebelwolken sichtbar zu sein schien, entschied die Gruppe, den Kurs zu wechseln und nun nach Nordwesten zu segeln, etwa im rechten Winkel zur Inselkette, der man bislang gefolgt war. Nach vier vollen Tagen in denen die Gruppe nur Wasser gesehen hatte befahl Phileasson jedoch den Kurs erneut zu ändern, sodass man die ursprüngliche Inselkette etwas weiter im Norden erneut erreichen würde. Für die Besatzung der Taubralir war dies jedoch erneut ein beeindruckender Beweis dafür, wie gigantisch die Welt hinter den Nebeln wirklich war.