Die Vision der gefesselten Seele hatte uns ein Puzzleteil gezeigt, das zu ihrer Erlösung und sogar zur Befreiung Altzolls beitragen wird: Corina von Warunk, die Gildensprecherin der Nekromanten. Sie hatte die Seele von Ingalf Grünacker als Wächter über die Stadt in den Schuldturm gebannt, mithilfe eines Briefes, dessen Inhalt uns nicht bekannt war. Noch nicht?
Die Nacht hatte sich über die Stadt gesenkt. Der Himmel war bewölkt, es sah nach Regen aus. Allzu gerne hätten wir Corina einen Besuch abgestattet, aber wir wussten nicht, wo sie wohnte. Doch wir hatten einen Kontaktmann und wählten unseren Weg zurück zu unserer noblen Unterkunft so, dass wir an der Stelle in der Nähe des geschundenen Boronsangers vorbeikamen, an der wir Gansfried getroffen hatten. Tatsächlich saß er zu diesen fortgerückten Stunde - ich schätzte es auf die Ingerimmsstunde, und eigentlich liegt mein Zeitgefühl immer richtig - noch auf einer Bank, tief in seinen Wollumhang gehüllt. Er willigte ein, für uns die Ohren offen zu halten und seine Freunde zu befragen, wo Corina zu finden sei. Er sah müde aus, als er von dannen zog.
Wir beschlossen, zum Gildehaus der Nekromanten weiterzugehen. Unser Hotel lag in der Nähe und wenn uns das Glück hold war. verkehrten dort noch Leute, denen wir folgen konnten? Oder sie nach Corinas Wohnsitz fragen. Donna Rahjadis wollte direkt zurück in unsere Unterkunft, um dort die Gäste zu befragen.
Die Stille in den Straßen erschien mir unheimlich. Ahnte die Stadt, dass ein Heer auf sie zu marschierte? Denn es war in dieser selben Nacht, dass die schweigsamen Ordensleute der Golgariten und das Kampfesvolk derer von Mersingen auf Altzoll stürmen würden. Meine Kehle wurde eng bei diesem Gedanken und ich musste mich zwingen, tief zu atmen und auf das Vertrauen zu spüren, das ich vor allem in Boron und Seine Vorsehung und in Seine elf göttlichen Geschwister hatte.
Düster breitete sich vor uns der Richtplatz aus. Die Häuser, die den Platz säumten, wurden spätlich von einzelnen Laternen erhellt, die ein Nachtwächter entzündet hatte. Und gerade, als Nieselregen einsetzte und den Blick verschleierte, streckte sich Paskes Hand aus. Er zeigte nicht auf das Haus neben dem Haupthaus der Nekromantengilde, das in der vorigen Nacht durch Alondros Zutun abgebrannt war. Er zeigte auch nicht auf die "Knochenfaust", denn die makabere Vorderseite unseres Hotels kannten wir bereits. Nein, Paske deutete auf eine Inschrift über der Eingangspforte am Haus daneben:
"C v W"
Corina von Warunk. Wir hatten ihr Wohnhaus gefunden. Die Gildensprecherin der Nekromanten war unsere Nachbarin.