Überfall auf Corina
oder: Der Pyromantie zweiter Teil
Ein breitschultriger Mann stand mit verschränkten Armen vor dem Eingangsportal, das uns seine berühmt-berüchtigte Bewohnerin preisgegeben hatte. Seine abweisende Pose ließ vermuten, dass er nicht zögern würde, das Schwert an seinem Gürtel zu nutzen, um ungebetene Gäste fernzuhalten. Ein Schwall Kautabak, der geräuschvoll den Weg von seinen Lippen zum Kopfsteinpflaster beschrieb, half nicht dabei, ihn mir sympathischer zu machen.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Alondro fortgegangen war. Erst, als er wie aus dem Nichts an meiner Seite stand und murmelte, dass er ein offenes Fenster gefunden hatte, reimte ich mir seine verstohlene Erkundung zusammen. Besagtes Fenster lag auf einer ruhigen Seite des Hauses - dunkel, aber einsichtig vom Richtplatz aus und im ersten Stockwerk. Leise berieten wir uns. Das Ergebnis war, dass Donna Rahjadis ihren Magierstab mit einer raschen Handbewegung in ein Seil verwandelte und ich um Borons Beistand betete, dass er uns einen Ort der Ruhe schenken würde. ER erhörte mein Gebet und die erbetene Ruhe senkte sich nicht nur auf diesen kleinen Flecken Dere, sondern auch auf meine Seele.
Wir fanden uns in einem Badezimmer wieder, die Umrisse eines großen, runden Zubers schälten sich neben anderen Gegenständen aus der Dunkelheit. Ein Gang mit einer Treppe grenzte an. Wir schlichen in den nächsten Raum - ein Schlafzimmer. Das Ziel unserer Suche war wahrscheinlich ihr Studierzimmer, denn wenn sie so eines hatte, dann bewahrte sie den schicksalshaften Brief an Ingalf Grünacker, die gefesselte Seele im Schuldturm, vermutlich dort auf. Und um diesen Brief zu finden, zu entwenden und damit Ingalfs Seele zu erlösen, waren wir nun zu Einbrechern geworden.
Ich hätte von mir gedacht, dass ich ein schlechtes Gewissen hätte, oder den strengen Blick Praios' strafend in meinem Nacken spüren würde. Doch nichts dergleichen, beides blieb aus.
Alondro wandte sich noch einmal auf den Gang, denn wir hatten ein Gespräch von unten gehört. Eine Frau und ein Mann unterhielten sich im Erdgeschoss. Hier im Schlafzimmer hörten wir nur einzelne Fetzen ihres Wortwechsels durch die angelehnte Türe. Bis der Jäger leise zurückkam und uns mitteilte, dass der Mann sich um die Sicherheit der Stadt sorge, da er den Schrei der Seele gehört habe (die Seele hatte einen bitteren Ruf herausgebrüllt, als wir sie verlassen hatten). Seine Gesprächspartnerin reagierte unwirsch auf seine Sorge und schickte ihn vor die Türe, um dort Wache zu halten. Corina hatte also mindestens drei Wächter, von denen zwei mutmaßlich draußen ihren Dienst verrichteten. Sie hatte gewiss auch magische Sicherungen in ihrem Haus, vor allem für ihre magischen Utensilien und Unterlagen. Dafür würden wir Donna Rahjadis' Fähigkeiten brauchen.
Plötzlich wisperte Alondro, der noch an der Türe gelauscht hatte: "Versteckt euch!"
Wir zerstreuten uns so rasch und so leise wie die Mäuse in der Speisekammer, wenn eine Laterne entbrennt. Rahjadis kroch unter das breite Bett, Alondro bezog neben der Tür Stellung, ich stieg in einen Kleiderschrank und zog die Holztüre hinter mir zu, bis auf einen ganz schmalen Spalt. Mir entging, wo sich Paske versteckte.
Mein Herz raste, als ich durch das dunkle Zimmer hin zu dem hellen Spalt blickte, der sich zwischen Türe und Angel auftat und immer breiter wurde. Die Umrisse der Frau hoben sich vor dem Laternenlicht auf dem Flur ab. Ich meinte, dass sie meinen Atem hören müsste, oder den Herzschlag in meiner Brust. Doch sie sah einmal in meine Richtung - jede Faser meines Körpers erstarrte -, aber sie wandte sich wieder ab. Corina entzündete ein Licht und wir sahen sie besser. Die Frau war älter, als ich angenommen hatte. Sie zog sich das Obergewand ihrer Robe über den Kopf - und dann ging alles ganz schnell: Alondro ergriff sie so schnell, dass sogar ich in meinem Versteck erschrak, und fesselte und knebelte sie mit ihrem eigenen Gürtel und ihrer eigenen Kleidung, in die sie noch halb verstrickt war. Sie hatte uns nicht erkannt.
Zappelnd und erstickte Laute von sich gebend lag eine der beiden einflussreichsten Frauen Altzolls auf dem Boden zwischen uns. Wir sahen und ratlos an: Was tun wir nun mit ihr? Ich erinnere mich nicht mehr, wer diese Idee hatte, aber das Ergebnis war, dass wir sie in den Schrank sperrten, den ich kurz zuvor okkupiert hatte.
Nur noch ganz leise war sie zu hören und wir hatten das Gefühl, nun das Haus ein Stück weit sicherer erkunden zu können.