Auf der Suche nach dem Brief, der die gefesselte Seele im Trollenwarte-Turm erlösen würde, teilten wir uns auf. Ich schlich in das angrenzende Zimmer und fand mich - mein Herz jubelte! - in einer engen Schreibstube wieder. Hohe Regale säumten die Wände, Buch an Buch stand hier. Ich erkannte die Titel von knapp zwei Dutzend der nekromantischen Werke, derer hier noch viel mehr standen, während ich mich umblickte und auf einen Sekretär zu ging, der mir vielversprechend erschien.
Leere Papierbögen und Tintenfässer standen ordentlich auf der Schreibfläche, gesäumt von zwei Schubläden. Als ich die erste aufzog, spürte ich einen Stich an der Hand. Mir war sofort klar, was passiert war: Corina hatte das Schubfach mit einer Falle gesichert. Eine Falle mit einer spitzen Nadel, die zweifelsohne mit einem Gift versehen war. Und nun war es bereits zu spät, das Gift war bereits in meinem Blut. Sinnlos, an der brennenden Stelle zu saugen - das hatte ich von Hapu im Dschungel gelernt. Oder von Karianna? ...Einerlei.
Es war nicht zu ändern. Aber ich spürte auch keine Veränderung. Vielleicht war das Gift also nicht mehr wirksam? Es war jedenfalls das Zeichen, dass ich mit meiner Eingebung richtig lag. Ich war einem Geheimnis auf der Spur, das es lohnte, mit einer Falle gesichert zu sein. Und wirklich hatte ich einen Handgriff später den Brief an Ingalf Grünacker in der Hand, den er uns auf dem Dach des Turmes gezeigt hatte.
Papier und Pergament umgab mich deckenhoch in diesem Raum, beschrieben mit unheiligen Zaubern und Ritualen, die dem Willen aller Götter spotteten. Ich sah einen Weg, um diese Lästerlichkeit los zu werden, und folge Alondros Vorbild. Ich zerknüllte ein paar Blätter, legte aufgeschlagene Bücher darum, und legte Feuer. Ohne lange zu den Flämmchen zu blicken, die an den Kanten der Seiten emporkletterten, huschte ich zurück in das Schlafzimmer.
Die Szenerie hatte sich verändert: Die Nekromantin lag auf dem Boden vor dem Schrank. Sie war immer noch zur Unkenntlichkeit in ihrer Kleidung gefesselt. Ich sah eine dunkle Lache unter ihrer verhüllten Menschengestalt und fuhr erschrocken zusammen, als ich in meinem Rücken einen Schritt hörte. Alondro stand direkt hinter mir. "Sie ist tot", teilte er mir tonlos mit. Das Jagdmesser an seiner Hüfte zog meinen Blick wie magisch an, doch natürlich waren weder der Griff noch seine Hände blutverschmiert. Und doch hatte ich keinen Zweifel daran, dass er sie umgebracht hatte.
Meine Hände wurden eiskalt. Was sollte ich tun? Sollte ich etwas tun? Er hatte immerhin einen Mord begangen. Und doch hätte sie kein anderes Schicksal erwartet, sobald das heer eintraf. Nein, ihr Tod war ein gerechter. So nickte ich Alondro nur knapp zu, wandte mich ab und schlug das Boronrad vor meiner Brust. Es war zu beklagen, dass ihre Seele nicht zum Herr der Toten gehen wird. Seine unheilige Widersacherin hat Corinas Seelebereits in ihre Knochenhände geschlossen. Corinas Tod hat die Reihen der Alptraum-Meisterin gestärkt und nur die Reihen der lebenden Nekromanten dieser Stadt geschwächt.
Ich nahm nur noch den Siegelring der Gildensprecherin der Nekromanten an mich. Es war ein ekliges Gefühl, ihr den Ring von den noch warmen Fingern zu zerren. Unterdessen holte Alondro Rahjadis und Paske aus den Bereichen des Hauses, die sie durchsucht hatten. Kener der Wächter hatte uns bemerkt, doch bald werden sie auf das Feuer aufmerksam werden.
Wie wir gekommen waren - an Rahjadis' Seil am Badezimmer herab - verließen wir das Haus. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass es nicht ganz unpraktisch war, eine Hose statt meiner Robe zu tragen - ich hatte mich ja unter stummen Protesten von Alondro neu einkleiden lassen. Verrückt, dass das alles an diesem Tag geschehen war.
Mit einem leichten, spielerischen Zug durch Donna Rahjadis' Hand fiel das magische Seil herab und verwandelte sich im nächsten Moment zurück in den Stab, den wir kannten. Nun hieß es: So schnell es ging zum Schuldturm und Ingalfs Seele den Brief präsentieren, den ich sicher in meiner Hosentasche spürte. Wir alle waren unruhig, denn stündlich und Minute um Minute rückte das Mersinger-Heer näher. Dass mir in dieser Nacht die vielen Untoten auffielen, die in den Straßen Altzolls patroullierten, machte mich noch nervöser. In den letzten zwei Nächten waren sie mir nicht so stark ins Auge gefallen. Vermutete die Stadtvögtin den bevorstehenden Angriff? Hatte sie deshalb die Stadtwache verstärkt?