Faustische Wissenschaftler - Forschung und Ethik

  • Narne

    Ich würde diese Diskussion gerne mit dir fortsetzen. Allerdings muß ich Mechbert recht geben. Dies ist nicht der richtige Thread dafür. Wir können aber gerne einen neuen Thread aufmachen oder das ganze per PM abhandeln. Währst du zu einer der Lösungen bereit?


    @toppic

    Um wieder zum Thema zurückzukommen. Das grundlegende Dilemma der Naturwissenschaftler ist mMn, daß sie einzig und allein Rationalität als Richtlinie anerkennen (zumindest der Großteil der Wissenschaftler). Dies geht zum Teil soweit, daß recht problematische Bilder auch bei Schülern erzeugt wurden. So hat uns z.B. unsere Chemielehrerin den deutschen Chemiker Fritz Haber als einen großen und vorbildlichen Wissenschaftler dargestellt, da er die Amoniaksynthese aus Luft entwickelt hat. Dadurch war es möglich, Düngemittel in unbegrenzter Mengen herzustellen und so den Hunger in der Welt zu besiegen. Daß die Amoniaksynthese auch zur Herstellung von Waffen benutzt wurde, oder auch die generelle Problematik von exzessivem Düngemitteleinsatz wurde kaum oder gar nicht angesprochen. Doch sei's drum: Uns wurde klar gemacht, daß Haber den Chemie-Nobelpreis für die Amoniaksynthese zu recht erhalten hat. Erst während des Geschichtsstudiums (ich bin Historiker!) habe ich dann davon erfahren, daß Fritz Haber auch der Erfinder von Giftgasen war und zwar nicht etwa durch Zufall, sondern während des 1. WK geziehlt an chemischen Waffen geforscht hat. Daß uns unsere Lehrerin darüber nichts erzählt hat, laste ich ihr noch heute an.
    Beide Beispiele, die Skrupellosigkeit Habers und die Blauäugigkeit unserer Lehrerin, führe ich auf einen eklatanten Mangel in den naturwissenschaftlichen Studiengängen zurück. Das Studium der Chemie hat sowohl Fritz Haber dazu befähigt, Giftgase und die Amoniaksynthese zu entwickeln, als auch unsere Lehrerin uns Chemie zu lehren. Das Studium der Chemie hat haber nicht dazu geführt, daß Haber seine Tätikeit unter moralischen Gesichtspunkte bewertet hat und auch nicht dazu geführt, daß unsere Lehrerin uns auf diese moralische Wertung Habers hingewiesen hat.
    Als Historiker erkläre ich das Verhalten Habers mit seinem sozialen Umfeld. Die Jahre vor dem 1. WK ware nunmal in allen industrialisierten Staaten von einem ausgeprägten Nationalismus gekennzeichnet. Und Haber hat es als seine Pflicht als guter Deutscher angesehen, seinem Land zu dienen, indem er Giftgase entwickelte. Moralisch war diese Entscheidung falsch, zumal bereits die Hagener Landkriegsordnung von 1907 den Einsatz von erstickenden oder giftigen Gasen als Waffen verbot. Haber verstieß also mit seiner Tätigkeit gegen bestehendes, internationales Recht.
    Den Grund, weshalb unsere Lehrerin uns nicht über die Tätigkeiten Habers während des 1. WK aufgeklärt hat kann ich mir nur so erklären:
    Entweder wußte unsere Lehrerin nichts davon (halte ich für sehr unwahrscheinlich), oder es stand einfach nicht im Lehrplan, der ohnehin sehr eng ist. Ich hätte es dennoch begrüßt, wenn dieses Thema angesprochen wäre.
    Daher bin ich der Meinung, daß jedes Studium der Naturwissenschaften und der Mathematik auch von einigen Kursen in den Geisteswissenschaften (z.B. Philosophie, Geschichte, Politikwissenschafte etc.) begleitet werden sollte.

    Seid wachsam gegenueber den Maechtigen und der Macht, die sie vorgeben, fuer euch erwerben zu muessen! (Kurt Tucholsky)

  • Das begleiten von Naturwissenschaftlichen Studiengängen durch geistes/sozialwissenschaftliche Kurse ist aber immer dann zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht aus Eigenmotivation der Studenten erwächst. Zwang wird eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Denkweise nicht födern. Auch Geisteswissenschaften erkennen einzig die Rationalität als Richtlinie an, sie wenden sie jedoch auf ganz andere Axiome und Begriffe an, die von Naturwissenschaftlern für gewöhnlich als "schwammig" angesehen werden.

    Meiner Meinung nach ist das Studium einer ernstzunehmenden Tageszeitung vollkommen ausreichend, um sich über die Diffizilität gesellschaftlicher Konsequenzen von Erfindungen bewußt zu sein. bzw. das zu sein, was Narne einen aufgeklärter Bürger nennt.

  • Zitat von "Mechtbert_Gnitzinger "


    Meiner Meinung nach ist das Studium einer ernstzunehmenden Tageszeitung vollkommen ausreichend, um sich über die Diffizilität gesellschaftlicher Konsequenzen von Erfindungen bewußt zu sein.

    In diesem Zusammenhang würde mich brennend interessieren, was du als "ernstzunehmende Tageszeitung" bezeichnest, vielleicht mit einem Beispiel ?

  • FAZ
    SZ
    NZZ
    FR

    und keine TAGESzeitung, aber ernstzunehmen:
    ZEIT

    Tageszeitungen, nicht ernstzunehmen
    99% aller regionalzeitungen

    weder Tageszeitung noch ernstzunehmen
    Spiegel
    Focus
    ...

  • Es steht dir frei, mich eines besseren zu belehren, aber wenn ich mich nicht täusche, dann hattest du nach Beispielen gefragt.

  • @Mechbert

    Klar, Zwang ist nicht unbedingt eine Motivation, die zu zusätzlichem Interesse am Fach führt. Andererseits habe ich sehr wohl erlebt, daß an meiner Uni viele Naturwissenschaftler und Techniker (hauptsächlich waren es Bachelor/Master-Studenten eine Ingenieurswissenschaft) in die Geschichtsvorlesungen geströmt sind. Grund war die Möglichkeit einfach an Credit Points zu kommen. Um diesen Ansturm Herr zu werden, mußte jeder, der die CPs haben wollte, am Ende des Semesters eine mündliche Prüfung über die Vorlesung ablegen. Dennoch, es gibt noch immer Ingenieurs-Studenten, die diese Möglichkeit wahrnehmen.

    Vielleicht hat ein Zwang zum Studium von Geisteswissenschaften nicht die erhoffte Wirkung. Der Besuch von geisteswissenschaftlichen Veranstaltungen auch für Naturwissenschaftler ist aber durchaus wünschenswert. Und mit den richtigen Lockmitteln (z.B. Credit Points) funktioniert das auch.

    Richtig ist aber: Alle Geisteswissenschaften wollen erklären, weshalb unsere Gesellschaft so ist, wie sie ist. Jede Geisteswisschaft such dabei in anderen Lebensbereichen nach der Antwort, etwa die Geschichte in den vergangenen Ereignissen, die Politikwissenschaft im politischen System oder die Soziologie in den verschiedenen Gesellschaftsgruppen. Alle stellen aber ähnliche Fragen, z.B. auch nach den Auswirkungen von Technologien. Und diese Frage wird in den Naturwissenschaften oft nicht gestellt.

    Seid wachsam gegenueber den Maechtigen und der Macht, die sie vorgeben, fuer euch erwerben zu muessen! (Kurt Tucholsky)

  • Zitat von "Mechtbert_Gnitzinger "

    weder Tageszeitung noch ernstzunehmen
    Spiegel
    Focus
    ...

    was gibt es denn am Spiegel auszusetzen? :confused2: :huh2:

    Was soll eine Signatur, wenn selbst kleine Bilder nicht darin sein dürfen :-/

  • Früher war es für manche Naturwissenschaftlichen Kurse an verschiedenen Unis eine Auflage, dass man einen Geisteswissenschaftlichen Kurs belegen musste, Zumeinst war dies Philosophie, da wir ja auch wissen, das grade die alten Erfinder oft auch Philosophen waren. Ich nehme mal an (rein spekulativ), dass durch den Philosophiekurs auch die Grundlagen, die sich die Herrschaften Wissenschaftler früher gedacht haben, dadurch verständlicher wurden.