Helden verlieren lassen? Wie handhabt Ihr das?

  • Kenne Deine Spieler - ist ein (heutiger) Grundsatz des Rollenspiels.

    Pflicht des Historikers:
    das Wahre vom Falschen, das Gewisse vom Ungewissen, das Zweifelhafte vom Verwerflichen zu unterscheiden.

    (nach Johann W. von Goethe)

    Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.

    (Vorrede der Grimms Märchen 1819)

  • Also wenn die Helden "nur" eine Aufgabe nicht schaffen, ist das nicht schlimm. Entweder sie nehmen das hin und wenden sich anderen Dingen zu oder entwickeln den Ehrgeiz, das Schicksal doch noch zu ändern. Im Beispiel heißt es, ein Mann würde "unwiderbringlich" in den Fängen des Namenlosen landen. Vielleicht ist das doch nicht unwiderbringlich, sondern nur sehr schwierig, oder man kann dem Namenlosen doch noch eine Niederlage zufügen, indem man seine Kultisten aufdeckt und einer gerechten Strafe zuführt. Da kann sich das Abenteuer vielleicht in ganz unerwartete Richtungen weiter entwickeln.

  • Jetzt stellt sich für mich die Frage, wie rigide sollte ich das durchziehen? Ich selbst finde die Idee absolut in Ordnung, dass Helden verlieren können; wäre das nicht der Fall, würden sie immer gewinnen, dann wäre am Ende alles voraussehbar. Aber wie gehen Spieler damit um? Wie ist Eure Erfahrung? Bzw. lasst Ihr Eure Spieler verlieren oder findet ihr immer einen Kniff, der ihnen einen Ausweg bietet?

    Tatsächlich habe ich (relativ neu im Spielleiten) die Spieler bisher nie verlieren lassen - nicht mal unbedingt aus Absicht, sondern weil die Abenteuer das nicht vorsahen. (Eines war z.B. ein sehr gemütliches, bei dem eine übernatürliche Entität helfend eingriff, was für die Helden aber nicht sofort offensichtlich war. Insofern konnten sie da gemütlich die Lösung des Rätsels ausknobeln, weil der theoretisch mögliche Zeitnotfaktor durch Magie außer Kraft gesetzt wurde.)


    Ich finde es auch okay, wenn Helden verlieren.

    Allerdings würde ich berücksichtigen, wie sehr sich die Spieler in ihre Helden reinversetzen, und wie empathisch sie im Spiel auch reagieren.

    Manche sensible Menschen nimmt es richtig mit, wenn ihr Lieblingscharakter in einem Buch stirbt. Sterben ist in Aventurien eine Sache, aber wenn die Seele zum Namenlosen geht ... :/

    Wenn ich während des Spielens merken würde, dass die bloße Aussicht auf das schlimme Ende eine oder mehrere MitspielerInnen richtig fertig macht, würde ich vielleicht doch noch was drehen, dass der Mann "nur" tot ist, aber nicht beim Namenlosen.


    Hängt immer davon ab, was die Leute abkönnen.

    Definitiv zumuten würde ich aber ein Versagen, das nur im Verlust des guten Rufs oder dem Nichterhalt einer Belohnung resultiert. Verlieren als solches muss man als erwachsener Mensch abkönnen - eigentlich auch schon als Kind, sonst wird's nix mit dem Monopoly oder Mensch ärger dich nicht.

    Die Frage ist nur, wie schreckliche Folgen und ein wie genaues Beschreiben derselben zumutbar ist. "Seele eines Unschuldigen geht zum Namenlosen" ist halt schon ziemlich hart.


    Nicht zu vergessen ist auch: Manche Leute brauchen Spannung, andere wollen gar keine. Oder nicht zuviel. Es gibt dutzendweise Genres in denen der Ausgang der Geschichte eigentlich von vornherein klar ist. Selbst beim eigentlich spannenden Krimi weiß man in Serien, dass der Ermittler überlebt, spannend ist höchstens, ob er den Fall gelöst kriegt, bevor es weitere Mordopfer gibt.

    Insofern ... klopf mal vorher ab, ob die Leute Game of Thrones Fans sind, oder Herr der Ringe nicht lesen wollen weil sie gehört haben, dass da jemand stirbt. ;)

  • Danke für die vielen Beiträge! Spannende Diskussion.

    Auch wenn all diese Beiträge natürlich Detailunterschiede zeigen, bestärken sie mich in meiner eigenen Perspektive, dass Chars nicht immer erfolgreich sein müssen. Am Ende ist der Ausgang eines Abenteuers immer von den Handlungen der Spieler/Chars und (auch wenn man daran etwas drehen kann) dem Würfelglück abhängig und das muss nicht immer ein glorreicher Sieg sein. Es sollte immer die Möglichkeit bestehen, dass die Chars am Ende in ihr Tagebuch schreiben, what the fuck, haben wir versagt; ich finde, wenn sich das ergibt, ist das für die Charakterentwicklung und Storyline eine wertvolle Erfahrung.

    Das bedeutet allerdings nicht, dass ich das als Meister provozieren würde; zumindest nicht in den meisten Fällen: Die Sc müssen immer eine gute Chance haben, einen Erfolg nach Hause zu tragen; dass bedeutet, dass weder der Plot noch die Gegner für das Level der Spieler nicht zu schaffen sind, wenn sie plietsche Entscheidungen treffen und diese ebenso gut umsetzen. Hier die Grenzen auszutarieren, gehört für mich als Meisterlehrling noch zu den Sachen, über die ich mir ziemlich viele Gedanken mache, weil hier das richtige Händchen zu haben, natürlich auch eine Erfahrungssache ist.

    Als Ausnahme (!) kann ich mir aber durchaus auch eine bewusst gesetzte Szene vorstellen, bei der eine Gruppe mit einem Gegner oder einer Situation konfrontiert wird, die für sie zu groß ist; um ebendiese Erfahrung mitzunehmen, dass es da draußen Mächte gibt, die noch zu groß sind. Ob sowas aufgehen kann, ist natürlich auch abhängig von den Mitspielern und ich denke, ein solcher Plot müsste zudem ausreichend Möglichkeiten für Erfolgserlebnisse jenseits dieser Situation bieten, damit die Sache nicht frustrierend wird. Und er müsste so inszeniert werden, dass die Spieler trotz einer einberechneten Niederlage die Möglichkeit bekommen, mit ihren Chars in der Niederlage zu glänzen; der Erfolg wäre dann etwa, dass sie überhaupt aus dieser Situation rauskommen. Das ist allerdings nur ein Gedankenspiel für die Zukunft, weil ich damit noch weit weit überfordert wäre.

    Vergleichbar halte ich es auch mit dem Thema Tod, das ja noch viel fragiler und weitreichender ist. Das würde ich als Meister niemals pushen, sofern nicht von einem Spieler gewünscht, sondern innerhalb gewisser Grenzen sehe ich meine Aufgabe schon darin, meine schützende Hand über die Chars zu halten. Aber ich will den Spielern auch nichts schenken. Wenn sie weitreichend schlechte Entscheidungen treffen oder sehr schlecht würfeln, dann können Chars natürlich auch sterben. Wäre das nicht so, wäre der Begriff ‚Heldentum‘ ein leerer Begriff; denn wenn die Chars nichts auf Spiel setzen müssen, weil sie eh aus allen Situationen rauskommen, dann ist das wie Cheating bei Computerspielen: Unendlich öde. Ich habe in den letzten Tagen darüber eingehender nachgedacht und für mich ist klar, eine Gruppe, die auf eine solche Spielweise bestehen würde und nur zufrieden ist, wenn sie immer und immer siegt, wäre nichts für mich. Bei einer solchen Gruppe könnte ich nicht leiten. Das würde mir keinen Spaß machen. Aber natürlich würde ich das Thema Heldensterben auch nicht leicht nehmen; das wäre immer Anlass für ein Break und ein Gespräch mit der Gruppe.

    Das bedeutet für mich aktuell: Ich spiele mit der Gruppe schon seit 7 Jahren, für die ich jetzt noch recht neu leite. Und ich denke und hoffe, sie werden bei dieser Spielweise mitziehen, sofern ich ihnen immer ausreichend Möglichkeiten biete, ein Abenteuer erfolgreich zu bestehen und die Chars nicht maßlos überfordere. Ob das wirklich so ist, wird sich natürlich dann erst zeigen, wenn es zu einer solchen Situation kommt; denn bisher hatten wir weder ein verlorenes Abenteuer noch einen gestorbenen Char. Und sollte es eine solche Situation nicht allzu bald geben, schätze ich, dass ich im Laufe der Zeit auch das Outplay-Gespräch darauf lenken werde, wenn es sich anbietet.

    Und dann noch kurz zu meinem aktuellen Abenteuer

    Wie passt das jetzt in deine Situation? Das wichtige an dem ganzen ist, dass du das am Spieltisch irgendwie kommunizieren musst. Wenn plötzlich eine Uhr im Hintergrund läuft, und man etwas verlieren kann, dann müssen das die Spieler (oder die Helden) irgendwie mitbekommen. Klingt jetzt banal, aber wenn die ersten zwei Traumsequenzen praktisch nur ausgehalten werden müssen, und es i nder dritten plötzlich um leben und Tod geht - woher sollen die Spieler das wissen? Wenn die aus den ersten beiden Träumen heruasfinden, dass sie nur lange genug überleben müssen - woher wissen sie dann, das die Regeln für den dritten Traum anders sind?

    Ja. Die Sache werde ich so lösen, dass ich den Spielern durch meine Beschreibung klarmache, dass der Mann, in dessen Träumen sie sich bewegen, ersticken wird, wenn sie ihn nicht befreien; sie können sehen, wie er nach Atem ringt.

    Ist denn IT bekannt, wie viele KR zur Verfügung stehen? Wenn nicht: Dann wissen sie doch nur, dass die Magierin schon dran ist mit ihrem Zauber, aber nicht wieweit schon fortgeschritten.

    Nur bei der Szene mit der PIlzsuppe werde ich ansagen, wie viele KR sie zur Verfügung haben. Bei der Schwanenszene würfele ich auf die LeP der Schwäne und bei der Endszene auf die LeP des nach Atem ringenden Mannes; in beiden Fällen lässt mir das einen gewissen Spielraum, die Sache zugunsten der Helden zu manipulieren; das werde ich auch machen, allerdings hat das natürlich auch eine Grenze; die werde ich mir vorher noch genauer überlegen müssen.

    Einmal editiert, zuletzt von AhiraRules (8. Juli 2023 um 12:52)

  • Es gibt Abenteuer-Ausnahmen, wo u.a. einige der Helden zu sehr von den falschen Pilzen gegessen haben.

    Solche Abenteuer lassen sich nur spielen, wenn du weisst, das die Spieler dafür bereit sind!

    Bei DnD (aber auch DSA) gab es drastische niedrigstufige Abenteuer mit Doppelgängern, wo gierige Helden im Alleingang umkommen konnten ... anderseits ein "gutes Ende" wenn der Spieler sowieso mit seinem Char unzufrieden wäre.

    Wenn man im offiziellen Aventurien möchte, muss der SL leider mittels Zufall oder NSCs eingreifen, um den Tod eines wichtigen NSCs zu verhindern.

    Witzig hingegen, das es ein Abenteuer gibt, wo ein berühmter NSC zum Abschuss - und auch so dargestellt wurde - freigegeben wurde, im späteren lebendigen Aventurien aber "unverzichtbar" wurde. ;)

    Pflicht des Historikers:
    das Wahre vom Falschen, das Gewisse vom Ungewissen, das Zweifelhafte vom Verwerflichen zu unterscheiden.

    (nach Johann W. von Goethe)

    Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.

    (Vorrede der Grimms Märchen 1819)