Das mit der Anarchie ist - Eggy, fühl dich nicht persönlich angegriffen - der größte Schwachsinn, den ich seit langem gelesen habe.
1. Anarchie
Duden:
ZitatAnarchie, die (griech.).
Zustand der Herrschafts-, Gesetzlosigkeit. Chaos in polit., wirtschaftl. o.ä. Hinsicht
Der Duden-Definition schenke ich einfach mal Glauben, zumal Anarchie aus dem altgriechischen kommt und somit eine genaue Bedeutung hat. Im allgemeinen tritt Anarchie beim Übergang zwischen zwei Staatsformen auf, der bekanntlich in nahezu allen Fällen gewaltsam verläuft.
ZitatDie Anarchie ist eine herrschaftslose Staatsform, es gibt keine Gesetze.
Anarchie ist keine Staatsform, Anarchie ist das Fehlen einer Staatsform. Stell dir die deutsche Nachkriegszeit vor, bevor die Aliierten alles wirklich unter Kontrolle hatten oder den Irak oder Afghanistan (mal abgesehen von den Städten mit internationaler Militärpräsenz) im Moment, das ist Anarchie.
2. Gesetze
Alleine die Aussage "Es gibt keine Gesetze" ist eine Gesetzessaussage und somit paradox.
Das Fehlen von Gesetzen wäre eine der fatalsten Sachen, die geschehen könnte. Gesetze sollen das Zusammenleben von Menschen verschiedenster Kulturen und Ansichten erleichtern und ermöglichen. So zum Beispiel unser Grundgesetz mit §1 "Die Würde des Menschen ist unantastbar.". Ich akzeptiere alle Gesetze der Bundesrepublik Deutschland und habe auch keine Angst vor der Staatsgewalt, da ich sie nicht breche (von der Straßenverkehrsordnung mal abgesehen).
Was bitteschön soll denn dann das alltägliche Leben Regeln, wenn jeder macht was er will? Ein einziges Chaos wäre die Folge und damit meine ich nicht einmal Plünderungen oder so. Stell dir vor jeder Computer hätte ein anderes Betriebssystem, jeder Steckdosenhersteller würde seine eigene Variante produzieren, weil sie ihm besser gefällt. Klar dem entgegen steht die Rationalität, da man so keinen Umsatz mehr macht, bzw. die eigenen Produkte keinen Nutzen mehr haben. Also stellt man sich selbst und anderen Regeln auf, sich an DIN-Normen zu halten, damit auch alles klappt.
3. Gewalt
ZitatEine REgierung beruht auf Gewalt
Wie soll es auch anders gehen? Gewalt ist auch nicht nur körperliche Kraft, ein Maschinengewehr und Terrorisierung. Entscheidungsgewalt für übergreifende Entscheidungen ist schlicht und ergreifen notwenig, wenn man eine große Menge von Menschen koordinieren will. Kein Musikkonzert würde funktionieren, ohne Planer, Organisatoren und Ordner. Kein Haus könnte gebaut werden, wenn jeder einfach irgendwo einen Stein hinlegt oder Zement aufschüttet. Also gibt man schon für die kleinsten Dinge Entscheidungsgewalt ab.
Ein Beispiel aus einer meiner Vorlesungen:
Ägyptische Bauarbeiter wollen eine Pyramide bauen. (Anmerkung: Das waren keine Sklaven, sondern eher religiöse Fanatiker. Und zwar der ganze Staat.) 30 von ihnen wollen einen Steinklotz ziehen, was sie auch versuchen. Jeder zieht ein bisschen, will sich aber auch nicht den Rücken kaputt machen, also zieht er nicht so sehr und versucht seinen Nachbarn dies nicht merken zu lassen. Irgendwann kommen sie auf den Trichter, dass das so nicht geht. Alle wollen gemeinsam etwas machen, doch auch jeder hat seinen eigenen Egoismus. Sie entscheiden sich einem eine Peitsche in die Hand zu drücken, der sie antreibt. Er soll natürlich nicht wahllos um sich schlagen, sondern einfach nur antreiben (mit einer Reitgerte verprügelt man sein Pferd ja normalerweise auch nicht). Schließlich klappt es.
Das wäre ja zu schön um wahr zu sein, doch logischerweise sagt sich der Kerl mit der Peitsche: "Wenn ich jetzt schon die Peitsche hab und damit Macht, können die mir auch den a**** die ganze Zeit hinterhertragen."
Daraus folgt, dass dieser Machtinhaber nun einer Kontrollinstanz unterliegen muss und der Posten zudem befristet sein sollte, um die Ausnutzung zu verhindern. Damit sind wir bei der Demokratie: Abwechslung und Kontrolle.
Ich gebe auch jede Woche immer wieder aufs neue die Entscheidungsgewalt für meinen Alltag an andere ab. Der Professor bestimmt, was er mir erzählt um mir die BWL nahezulegen, ich verlasse eine Kneipe oder Disco wenn sie zu macht auch wenn ich noch gerne bleiben würde und ich lasse mir sogar von einer Ampel vorschreiben, wann ich den Fuß vom Gaspedal zu nehmen habe. Gerade bei letzterem müssen sich alle an die "Gewalt der Ampel" halten und an Gesetze, nicht weil sie dann von irgendwem bestraft werden, sonder weil sie sonst unter umständen sterben.
Zudem muss der Staat eine gewisse Gewalt ausüben können, um die Gesetze und deren Einhaltung zu sichern. Die Polizei tritt für Gesetze ein, die für die Menschen sind.
4. Organisation
ZitatDie Rede ist von dem Konsensprinzip.
Wozu gibt es denn Bundestag und Bundesrat? Unser System ist darauf ausgelegt einen Konsens zwischen Interessen des Bundes und denen der Länder zu erzielen. Aufgrund unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse in Bezug auf die Parteien auch auf diese. Zudem bietet unser Staat Gesetze, die eine Unterdrückung von Minderheiten in gewissem Maße einschränken. Mehr soll es auch nicht sein. Was wäre denn, wenn die Rechts- und Linksradikalen oder religiöse Fanatiker machen könnten, was sie wollen? Die wollen Druck (eine Form von Gewalt) ausüben. Eine gewisse Art des Konsensprinzips wird also in der Tat umgesetzt, doch hat auch ein Staat das Recht seinen Fortbestand zu sichern.
ZitatAber: in diesem Konzensprinzip werden eben nur Fachleute und wirklich Interesierte beratschlagen.
Warum beschäftigen sich denn wohl Fachleute freiwillig oder gegen Bezahlung mit Volkswirtschaflichen, Soziologischen und anderen Problemen der Bundesrepublik. Schau dir mal die Webseiten verschiedener Lehrstühle an und such mal nach Publikationen von Professoren. Denn so wie du es schilderst ist es bereits. Und wer interessiert ist, kann auch heute schon mitberatschlagen.
5. Entscheidungen
ZitatSollte es also nach Beratungen immer noch unterschiedliche Meinungen geben, so kann es drei Entscheidungen geben:
1) Die Minderheit stellt ihre Bedenken freiwillig zurück.
2) Es gibt von der Minderheit keine Gruppenzugehörigkeit: auf das Veto wird verzichtet, jedoch trägt die Minderheit die Entscheidungen nicht mit.
3) Es kommt zum Veto: die Minderheit legt also das Veto ein. Die Mehrheit kann das Veto ablehnen, es kommt zur Gruppenspaltung.
Das führt zu Stillstand. Und außerdem, wie soll eine schnelle Entscheidung (z.B. Einsatz der Bundeswehr zur Flutbekämpfung) getroffen werden, wenn man sich erstmal beratschlagen muss?
6. Fazit
ZitatMan muss also Aufklärung betreiben, Schwächen des aktuellen Staatensystems aufzeigen usw.
Schade, dass du diesen Satz nur eingeklammert hast. Denn unser System hat Schwächen. Sowohl in der Theorie als auch in der Praxis (z.B. sind 80% der weltweiten Literatur zu Steuerwesen in Deutscher Sprache verfasst). Die Demokratie ist auch primär ein Grundprinzip mit verschiedensten Ausprägungen (man vergleiche Deutschland, die Schweiz, die USA und die Briten und wird nicht allzu viele Gemeinsamkeiten finden), die keinesfalls perfekt sind - mit Nichten. Deshalb darf die Demokratie kein "Endzustand" sein. Keine Staatsform kann das sein. Die Welt ändert sich, die Menschen ändern sich und nichts ist perfekt oder wird jemals perfekt sein. Man kann nur versuchen sich dem Ideal immer weiter anzunähern.
Demokratie stellt auch gewisse Anforderungen an die Bürger ihres Staates: Bildung, Ideale, Engagement.
In der Praxis sieht es oftmals recht düster aus, doch unsere Generation kann etwas verändern wenn sie am Zug ist und das auch will. Klar gibt es Schwierigkeiten, die gab es immer und wird es auch immer geben, aber warum sollte man sich dann davon abhalten etwas zu verändern? Und eine Demokratie lebt von Veränderung und Vielfalt. Ihr Grundprinzip ist eigentlich recht simpel und eine der wenigen Sachen, die nicht mehr abgeändert werden müssen weil es schon so gut ist, wie es geht. Warum also die Demokratie abschaffen?