Yanna & Robertét - Der TotenGräber

  • Hallo,

    Eigentlich bin ich gelernter Chemielaborant und seit 2007 hauptberuflich als solcher tätig. Mein Arbeitsplatz in der Forschung und Entwicklung verlangt viel Kreativität und Überblick. Zwei Aspekte die mit in der Fotografie und beim Schreiben von Geschichten sehr zugute kommen und die ich dort auch leidenschaftlich auslebe. Sowohl die Fotografie als auch das Schreiben von Geschichten betreibe ich als Hobby seit etwa 2004 mit Beginn meiner Berufsschule. Hier oben im Norden Deutschlands bieten eine Vielzahl kleiner Dörfer, die Küsten, Städte und das offene Land viele Möglichkeiten atemberaubende Fotos zu machen. Gleichzeitig läd die abwechslungsreiche Landschaft dazu ein sich in der Sonne niederzulassen und der Fantasie freien Lauf zu lassen. Mit dem ersthaften Schreiben habe ich 2004 während der Berufsschule in Gemeinschaftsarbeit mit einer Klassenkameradin begonnen. Aus den anfänglichen Szenen wurden im Laufe der Zeit längere Erzählungen, bishin zu Geschichten über mehrere hundert Seiten.

    Nachdem ich in fiktiven Geschichten, vor allem im Fantasybereich, erste Erfahrung und Erfolge gesammelt hatte, begann ich auch mit dem schreiben kürzerer Artikel, unter anderem für Familie und Bekannte.

    Heute bewegen sich meine Erzählungen vornehmlich im Fantasy und Horror Genre. Artikel schreibe ich derzeit für die Zeitschrift unseres Firmenbetriebsrates.

    In diesem Forum möchte ich nun den ersten Schritt wagen meine Erzählungen - zum Teil fertig, zum Teil in Arbeit - Menschen außerhalb meiner Familie vorzustellen. Ich freue mich über Anregungen und Kommentare.

    Beginnen möchte ich die erste Erzählung mit den Hintergrundgeschichten der drei Hauptcharaktäre um eine bessere Vorstellung von den Figuren zu geben.

    Mit lieben Grüßen
    Rabenfeder

  • Karon ist das einzige Kind einer Familie aus der Mittelschicht Punins. Er wuchs in einem wohlbehüteten Umfeld auf, dass einer sehr lockeren Kontrolle unterlag. Vor allem weil seine Eltern ihn ließen und teilweise auch unterstützen, verbrachte Karon seine Jugend in den verschiedensten Fantasiewelten.
    Er und seine Freunde waren bekannt dafür, sich in zahlreiche Abenteuer zu verstricken und in den seltsamsten Verkleidungen durch die Straßen zu ziehen. Was ihre Eltern und viele andere Erwachsene als jugendlichen Übermut passieren ließen, unterlag in Wahrheit einer strengen Planung und einem ausführlichen Regelwerk. Für jedes Abenteuer wurden die örtlichen Gegebenheiten exakt eingeplant und die Rollen penibel angelegt. Ab und an baute Karon mit seinem Freundeskreis sogar kleinere Objekte auf um die Umgebung stimmiger zu ihrer Fantasiewelten zu gestalten.
    Mit jedem dieser Abenteuer wagten sie sich weiter hinter die Kulissen der Stadt vor. Die Katakomben und eine Vielzahl der Häuser in ihrem Viertel waren ihnen auch von innen kein Geheimnis mehr.

    Mit fortschreitendem Alter veränderte sich der Freundeskreis, so wie es fast immer der Fall ist. Manche zogen weg, andere verloren das Interesse, Neue gliederten sich ein. Zwischen all den Veränderungen blieb jedoch ein fester Kern bestehen, zu dem auch Karon zählte. Einer von ihnen ist zu einem wichtigen Mitglied der KGIA aufgestiegen. Die anderen leiten heute Kontore, führen große Banden oder leiten Theater.
    Karons Weg hingegen war jedoch ein gänzlich anderer. Ein besonders hell erleuchteter, wenngleich auch von tiefem Nebel verborgen.

    Neben den Abenteuern fand Karon immer Zeit, um seinen Pflichten in der Familie nachzukommen. Sein Vater besaß einen Tuchhandel mit einem kleinen Stand auf dem Markt. Dort half Karon nach der Schule und zwischen den Abenteuern regelmäßig aus. Dort bewies er schon in jungen Jahren ein hervorragendes Gespür für Menschen, ein großes Verhandlungsgeschick und ein gutes Gefühl dafür, wie sich eine Situation entwickeln würde.
    Sein Geschick und seine Talente steigern dem Umsatz von Jahr zu Jahr und helfen dem Vater weiter in der Mittelschicht aufzusteigen.

    Auf diesem Weg wird auch die ansässige Phexkirche auf Karon aufmerksam. Seit langem ist sie auf der Suche nach einem heranwachsenden, der dem Tempelvorsteher in Punin bereits vor 16 Jahren in einer Vision offenbart wurde.
    In Karon glauben sie nun endlich den richtigen gefunden zu haben. Ohne sein Wissen unterziehen sie ihm und seinen Fähigkeiten eine Vielzahl von Tests, wie sie parallel auch mit anderen Heranwachsenden durchgeführt werden. Nach einem Jahr ist man sich sicher: Karon ist der gesuchte, von dem es heißt, er werde großes für die Kirche und ihren Glauben bewirken.

    Mit 17 öffnet sich die almadische Phexkirche so weit wie nötig vor Karons Eltern und bittet sie, ihn in ihre Hände zu übergeben. Auch Karon wird kurz zu seinen Wünschen befragt, bevor er dann in die Akademie der Phexkünste zu Punin gebracht wird. Dort erlernt er, noch gezielter als in der üblichen Ausbildung zu Geweihten, seine Stärken zu nutzen und alle anderen Fähigkeiten, die er benötigt um seiner Bestimmung nachzukommen.
    Während seiner Ausbildung lässt man Karon gegenüber keinen Zweifel darüber aufkommen, das er anders; besonders ist. Eine Tatsache die ihm durchaus zu Kopf steigt.

    Karon lernt schnell was von ihm erwartet wird und lernt noch schneller was der dafür können muss. Seine erste Weihe erhält er mit 21. Wenig später begibt er sich das erste Mal auf Reisen. Die ersten Jahre führen ihn quer durch Aventurien und sind eine Art fortgeführte Ausbildung. Vier Jahre später verdient sich Karon seine zweite Weihe und wird von nun an, an die größten Brände innerhalb der Kirche geschickt. Eine Aufgabe, deren Bedeutung Karon nicht entgeht und die sein ohnehin reichliches Selbstvertrauen noch weiter stärkt.

    Im Frühjahr 1034BF folgt er einer Aufforderung Mharbal al‘Tosras nach Riva. Auf dem Weg dorthin, in Nordhag gabelt er die Streunerin Yanna auf, die gerade auf der Flucht vor den örtlichen Wachen ist.
    Karon gefällt ihre Art zu denken und mit dem Leben umzugehen und da ihr Ziel auch Riva ist, nimmt er sie mit.

  • Yannas Geburtsort ist die Stadt Ragath in Almada, zu einer Zeit als die Stadt noch keine 2000 Einwohner maß. Yannas Elternhaus ist eine rahjagläubige Gemeinschaft aus sieben Frauen und fünf Männern mit eigener Glaubensinterpretation. Allem voran steht die Verehrung der rahjanischen Tugenden Schönheit und Extase. Jedes Mitglied der Gemeinschaft verzichtet auf Besitztümer und teilt sämtliches Hab und Gut mit den anderen. Regelmäßig wird gemeinschaftlich musiziert und getanzt. Aber auch das nähen von Kleidern und Kostümen sowie der Geschlechtsverkehr findet in losen Gruppen statt. Feste Paare sind verboten und Bevorzugungen unerwünscht.
    So ist, aufgrund der Einstellung der Gemeinschaft, lediglich Yannas Mutter bekannt. Als Väter kämen alle Männer in Frage, jedoch ist die Klärung dieser Frage weder nötig noch angestrebt. Ebenso wurde es bei Yannas Geschwistern gehandhabt.

    Yanna wird streng im Rahjaglauben der Gemeinschaft erzogen und schon als Kind an verschiedene Arten der Extase und Schönheit herangeführt. Vornehmlich das Tanzen und das Schneidern dienen dazu. Jedoch findet auch Alkohol und Rauschkraut Verwendung. Den religiösen Hintergrund begreift Yanna jedoch nicht.
    Statt rahjagefällig die Schönheit um sich herum zu erkennen sucht sie nach greifbarer Schönheit in Form von Schmuck und ähnlichem. Da sie in ihrem Elternhaus keinen Besitz kennen gelernt hat, nimmt sie sich auch auf der Straße was ihr gefällt.

    Als Yanna zum ersten Mal des Diebstahls bezichtigt wird ist sie vier Jahre alt. Zunächst gelingt es Yannas Eltern sich schützend vor sie zu stellen. Mit ihren eigenen Methoden wollen sie Yanna auf den rechten Weg zurück bringen. Als Yanna mit der Zeit immer besser und deshalb seltener erwischt wird, sehen sie sich in ihren Erziehungsmethoden bestätigt.
    Auch Yannas Nähe zu Rahja scheint sich zu festigen. Immer öfter bringt sie Schmuck oder Weine mit nach hause, die sie angeblich ertauscht oder durch singen und tanzen verdient hat.

    Ein paar Monate nach ihrem zwölften Geburtstag wird Yanna erneut bei einem Diebstahl erwischt. Erschüttert von ihrem neuen Fehltritt wird sie der Gemeinschaft verwiesen. Da man jedoch den Glauben an das Gute in Yanna nicht aufgeben will, stattet man sie mit einer ansehnlichen Summe Geld aus und schickt sie auf eine Reise in Richtung norden, auf der sie endlich zu Rahja finden soll.
    Ihre Reise führt sie den Yaquir Flussaufwärts und dann in Richtung Eslamsgrund. Da sie es nicht gewohnt ist die Tage oder Nächte alleine zu verbringen, schließt sie sich Händlern, Gauklern, aber auch Wegelagerern an. Zwei Dinge lernt sie so im ersten Jahr ihrer Reise. Zum einen, dass sie weder Rauschkraut noch Alkohol in größeren Mengen verträgt. Zum anderen, dass sie mit ihrem Körper, der bereits deutliche Rundungen zeigt, weiter kommt, als mit langen Fingern.

    Obwohl Yanna vernünftig mit ihrem Geld haushaltet und sich lieber gegen Gesang, Tanz oder Nähe aushalten lässt, neigt sich das Gold bald dem Ende entgegen. Der Hauch von Abenteuer über jedem neuen Morgen hat sie bereits vergessen lassen, warum sie auf Reisen geschickt wurde. So fängt Yanna wieder an zu stehlen. Anders als in ihrer Kindheit stiehlt sie jedoch nur noch selten Dinge der Schönheit wegen, sondern immer öfter wegen ihres Nutzens.
    Auch Arbeit versucht Yanna zu finden. Zuerst nimmt sie jede Aufgabe an, für die ihr Geld geboten wird. Als sie jedoch merkt, dass ihr die Arbeiten schnell langweilig werden und dass der Hauch von Abenteuer verschwindet, nimmt sie immer weniger Möglichkeiten zu arbeiten war. Am meisten verschreckt sie jedoch, nun nicht mehr tun zu können, was sie möchte, sondern sich nach anderen richten zu müssen, Dinge so zu tun, wie andere es wollen.

    Etwa 18 Jahre alt hat Yannas Reise sie an Eslamsgrund vorbei geführt und von dort aus Efferdwärts nach Ferdok. In der Stadt am großen Fluss verliert sie sich. Schönheit gerät völlig aus ihrem Fokus und Ekstasen werden immer bedeutender. Das Niveau dieser sinkt mit ihrer steigenden Bedeutung. Rauschmittel jeder Art bestimmen den Alltag. Ihre Nächte hat Yanna schon lange nicht mehr alleine verbracht. Lieber lässt sie sich für ihre Anwesenheit bezahlen.
    In Ferdok hört sie auch zum ersten Mal von phexens Sternenregen. Einem Regenschauer aus Gold und Edelsteinen der im hohen Norden bei Riva geschehen sein soll.

    Da Yanna schon längst den eigentlichen Grund ihrer Reise vergessen und verdrängt hat und sich in Ferdok zu langweilen beginnt, beschließt sie nach Riva zu reisen und dort reich zu werden.
    Von den unzähligen anderen Erfolglosen und den 50 Tagesreisen durch größtenteils unbewohntes Gebiet ahnt sie nichts.
    Bester Stimmung lässt sich Yanna nach Angbar mit nehmen. Dort trifft sie zum ersten Mal den Streuner Robertét.

    In Robertét findet Yanna einen Mentor, der sie zu einem ruhigeren Dasein führt. An seiner Seite verzichtet sie fast vollständig auf Extasen und Rauschzustände. Stattdessen lernt sie von ihm für sich selbst zu sorgen und auf ein Ziel zu konzentrieren. Etwas, das ihr bis heute nur unvollständig aber weitaus besser als in ihrer Jugend gelingt.
    Begeistert erzählt sie ihm von phexens Sternenregen und ihrem Plan. Robertét lässt sich überzeugen ihr zu folgen und den Gewinn zu teilen. Zwei Drittel für Yanna, natürlich. Hauptsächlich bleibt er aber an ihrer Seite um auf sie acht zu geben. Einer Aufgabe, der er regelmäßig nachkommen muss.

    In Nordhag, nach fast der Hälfte der Reise verlieren sich Yanna und Robertét bei einer wilden Flucht. Yanna muss sich einige Tage in der Stadt verbergen, bevor sie Nordhag wieder verlassen kann. Sie glaubt Robertét weit vor sich und bittet einen Tuchhändler sie ein Stück mit zu nehmen. So trifft sie auf Karon.
    Robertét hingegen kann Nordhag erst nach Yanna verlassen und reist zu Fuß weiter in Richtung Riva.

    Von Karon ist Yanna schon vom ersten Augenblick eingenommen. Seine Ausstrahlung und die Abenteuer seiner Geschichten fesseln sie. In wenigen Stunden vergisst sie Robertét. Lediglich phexens Sternenregen bleibt ihr noch lange genug in Erinnerung um Karon zu bitten, sie bis nach Riva mitzunehmen.
    Aufgrund einiger wichtiger Markttage auf denen Karon verkauft, gelingt Yanna das Kunststück beinahe Zeitgleich mit Robertét Riva zu erreichen.

  • Willkommen auf dem Orki. :)

    Das wirkt jetzt eher auf mich wie eine Zusammenfassung vorweg, um die Ausgangssituation für die eigentliche Geschichte zu schaffen, so dass diese faktisch noch nicht begonnen hat?
    Wer ist denn die dritte Figur? Und mit welcher Art Geschichte haben wir es zu tun?

    Ich finde allerdings "streng erzogen" und "Rahja-Glauben" im gegenseitigen Kontext etwas widersprüchlich, da meinem Verständnis nach die Kirche der Rahja und ihre Gläubigen eben nicht streng sind.

  • Hallo Schattenkatze. Danke für das Willkommen.

    Ich hätte es wohl deutlicher schreiben sollen. Die ersten beiden Teile sind die Hintergrundgeschichten der Hauptfiguren. Die Dritte, oder besser der Dritte, folgt in den nächsten Tagen. Ursprünglich sind diese Hintergrundgeschichten mal für mich entstanden um ein vollständigeres Bild von der Figur zu bekommen. Inzwischen habe ich mir aber angewöhnt sie ebenfalls zu veröffentlichen.
    Die eigentliche Geschichte beginnt dann mit dem vierten Post. In welches Genre sie dann fällt weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich tue mich sehr schwer mit der Einordnung. Die Handlung findet in Riva statt und ist eher düster angehaucht. Es geht um Dämonen, Mord und etwas das außer Kontrolle geraten ist.
    Was den von dir bemerkten Widerspruch angeht, würde ich dich gar nicht wiedersprechen wollen. Ich muss gestehen dass ich micht nicht immer vollständig an das System halte. Die Gründe dafür sind ziemlich vielfältig und vielleicht auch nicht so wichtig. Wiedersprechen würde ich dir auf jeden Fall nicht.

    Ich hoffe, wenn ein paar mehr Teile der Geschichte hier zu finden sind noch einmal Kritik von dir zu bekommen.

  • Hier nun die letzte Hintergrundgeschichte, nämlich die von Robertét. Ich hoffe es nicht zu viel auf einmal.
    LG Rabenfeder

    Robertét wurde im ausgehenden Jahr 1015 BF in Neetha und unbekanntem Namen geboren. Er ist, entgegen des Wunsches von Mutter und Vater, das einzige Kind der Familie. Gemeinsam leben sie in einer windschiefen, löchrigen Holzhütte inmitten von Neethas Slums. Der junge Robertét lernt schnell phexens Segen über der Stadt zu nutzen. Kaum dass er laufen kann, verdient er sein erstes Geld an der Hand seiner Mutter. Sie benutzt ihn, um Adligen einen Seitensprung nachzusagen und sie um Schweigegeld zu erpressen. Ein Versuch, der sie mehrfach dicht an eine Kerkerzelle führt.
    Robertéts Vater ernährt die Familie als Tagelöhner. Die meiste Arbeit verrichtete er in Neetha, wo er half Häuser zu bauen, die Straßen reinlich zu halten und einigen Marktleuten zur Hand ging. Die beste Arbeit fand er jedoch außerhalb der Stadt, wenn die Bauern das Korn ernteten oder die Holzfäller in den Wäldern eine helfende Hand brauchten. Deshalb geschah es gerade in den Sommermonaten des öfteren, dass Vater und Sohn sich Wochenlang nicht sahen. Auf diese Weise gewöhnte sich Robertét schon in Kinderjahren an die Verantwortung einer Familie. Sie machte ihn zu einem vorsichtigen, beinahe ängstlichen, skeptischen und zurückgezogenen Jungen.

    Um Robertéts achten Geburtstag herum erlitt sein Vater einen schweren Arbeitsunfall. Ein unvorsichtiger Holzfäller hatte eine Buche gefällt ohne den üblichen Warnruf. Robertéts Vater war unter den Baum geraten, zahlreiche Knochen gebrochen und ein Arm zerquetscht.
    Von diesem Tag an hatte Robertét die Verantwortung für die kleine Familie. Da seine Mutter mit der Pflege des Vaters beschäftigt war, ging der junge Robertét von nun an alleine auf Neethas Straßen. Als Bettler und Taschendieb schafft er es genug Geld zu verdienen um die Familie am Leben zu halten.
    Hauptsächlich aus Langeweile erarbeitet sich Robertét verschiedene kleine Rollen in denen er Bettelt. Ob er als Krüppel oder Waise auftritt, jeder hat seine eigene Geschichte. In diesen Rollen erweist sich Robertét schnell als sehr erfolgreich, so dass genug Geld zusammen kommt, um seinem Vater die Besuche beim Wundheiler. Als Taschendieb scheitert Robertét jedoch. Regelmäßig wird er erwischt und entgeht nur mit flinken Füßen einer Verurteilung. Seine Mutter verbietet ihm daraufhin weiter anderer Leute Taschen zu leeren. Gleichzeitig ist sie sehr enttäuscht von ihrem jungen Sprössling und beginnt eine Distanz zwischen sich und Robertét aufzubauen.
    Vor allem diese Entwicklung in der Beziehung zu seiner Mutter ist es, die Robertét immer tiefer in seine Rollen treibt. Er beginnt sie mir unterschiedlichen Namen und Sprechgewohnheiten auszustatten.
    Durch den Wegfall des Geldes aus Taschendiebstählen reichen Robertéts Verdienste bald nicht mehr um die Wundheilerin zu bezahlen. Um über den nächsten Winter zu kommen, verbietet seine Mutter ihm nun auch die Arbeit als Bettler und verlangt, dass er sich als Tagelöhner verdient macht. Trotz seiner jungen Jahre gelingt es Robertét über den Winter immer wieder Anstellungen zu finden. Von Anfang an stellt er sich unter den Namen seiner Rollen vor und imitiert bewusst das Verhalten und die Angewohnheiten seiner Vorgesetzten.

    Um sein zwölftes Lebensjahr herum beginnt Robertét seine Rollen immer klarer zu definieren. Ein Teil seiner Rollen streicht er, weil sie ihm nicht zielgerichtet genug, nicht nützlich oder zu ähnlich zu anderen Rollen erscheinen. Die verbleibenden Rollen baut er immer detaillierter aus. Neben einer eigenen Vergangenheit stattet er sie mit Wünschen, Macken, Sprache, Mimik, Gestik und einem Beruf aus. So weit es das Geld erlaubt, tragen sie alle ihre eigene Kleidung und ihr eigenes Werkzeug.
    Von seinem Vater erlernt Robertét eine Liebe zum Holz und ein Talent für seine Bearbeitung. Waren die Rollen zuerst imaginäre Mäntel, die er sich überwarf und die den echten Robertét verbargen, sind es nun echte Holzfiguren.

    Mit siebzehn Jahren gelingt es Robertét zum ersten Mal als Vorarbeiter angeheuert zu werden. Er verkauft sich so glaubhaft als almadischer Tischler, dass der Baumeister ihn ohne großes Zögern einstellt und seinen bisherigen Vorarbeiter durch Robertét ersetzt.
    Von diesem Erfolg angetrieben überarbeitet Robertét seine Rollen ein weiteres Mal, erschafft Figuren aus höheren gesellschaftlichen Schichten, verfeinert die Sprache um Akzente und beginnt immer mehr Wert darauf zu legen, dass alle Details zueinander passen. Bald begegnet er seiner Mutter auf der Straße und fragt sie nach dem Weg ohne von ihr erkannt zu werden.
    Das Mehr an Geld, dass er nun verdient lässt er nicht nur in seine Rollen fließen, sondern unterstützt seine Familie mit jedem Kreuzer den er verdient.

    Fünf Jahre nach seiner ersten Anstellungen als Vorarbeiter schafft er es eine Festanstellung auf der Neethaner Burg zu bekommen. Er übernimmt dort die Aufsicht über die Stallburschen und einen Teil der Dienerschaft. Durch Freunde, die er schnell gewinnt, lernt er das Fechten und das Reiten. Mehr als ein halbes Jahr lang lässt er es sich in der Rolle gut gehen, doch dann siegt sein Übermut. Überzeugt von sich selbst, versucht er am selben Hof in einer anderen Rolle seine eigene Stelle zu bekommen. Er hofft, mit einer erfahreneren Person mehr Geld zu verdienen. Als er auffliegt muss er aus Neetha fliehen.

    Mit den Gedanken bei seinen Eltern flieht Robertét, verfolgt von einem halben Dutzend Burgwachen. Erst eine junge Bäuerin, die Robertéts Überzeugungskraft unterliegt, rettet ihn vor den Häschern. Obwohl sie ihn zum bleiben einlädt versucht Robertét mehr als einmal in die Stadt zurück zu kehren, um seinen Eltern Geld zu bringen. Erschrocken muss er feststellen, dass große Steckbriefe von ihm am Tor aufgehängt sind. Seine Täuschung wird im als Hochverrat ausgelegt.
    Nachdem er zweimal dabei erfolglos bleibt, sich nachts in die Stadt hinein zu schleichen, gibt er sich geschlagen und lebt von da an in der steten Hoffnung, dass sein Geld noch für viele Jahre ausreichen möge. Tatsächlich aber schaffen es seine Eltern nicht durch den kommenden Winter.

    Für einige weitere Tage bleibt Robertét bei der Bäuerin, die ihn vor den Wachen verborgen hatte. Mit ihrem sonnigen Gemüt überzeugt sich Robertét davon, mehr Wert auf sein Äußeres zu legen und unterzieht ihn einer kleinen Verwandlung.
    Da er die Kleider und das Werkzeug seiner anderen Rollen auf der Burg und bei seinen Eltern zurück lassen musste und er vor den Toren der Stadt kaum eine Anstellung als Aufseher von Dienern finden kann, kehrt er notgedrungen zum Tagelöhner zurück.
    Er ist nun der gebildetste und bestaussehenste Tagelöhner im ganzen südlichen Horasreich. Das offene Land zieht und die Steckbriefe treiben ihn weg von Neetha, in Richtung Norden.

    Weit weg schafft er es jedoch nicht. Der Gedanke im Freien zu schlafen ist ihm so unbehaglich, dass er immer nur von einem Bett zum nächsten reist. Um der Übernachtung am Wegesrand zu entgehen bezahlt Robertét jeden Preis für ein Schlafplatz, den die Wirte oder Bauern verlangen. Das Geld, dass er bei seiner Flucht mitnehmen konnte reicht jedoch nicht lange und auch dass, was er als Tagelöhner verdient ist bei weitem nicht genug um jede Nacht einen Gasthof bezahlen zu könne. Robertét steht deshalb schon bald bei vielen in der Kreide und die Orte an denen er noch unbehelligt arbeiten kann, nimmt rasch ab.
    Zum Beginn des Winters entdeckt er zum ersten Mal auch außerhalb der Stadt einen Steckbrief von sich. Eine Woche später hängen sie an jedem Marktplatz und Dorfeingang.

    Also bleibt Robertét nichts weiter, als erneut die Flucht zu ergreifen. Wieder geht es für ihn weiter in Richtung. Er schafft es vor dem ersten Frost noch bis hinter Methumis. Die Stadt selbst meidet er jedoch, ebenso wie viele andere größere Orte. Er hat sich zwar an die Zeichnung seines Gesichts auf Zetteln und an Hauswänden gewöhnt, ein Risiko will er aber nicht eingehen.

    Dieser Winter wird der erste wirklich harte für Robertét seit langem. Als Tagelöhner findet er keine Arbeit. Baustellen versinken seit Jahren zum ersten Mal wieder unter Schnee, die meisten der Häfen frieren zu und machen den Fischfang unmöglich. Auch auf dem Land sucht man seine Hilfe nicht. Zu ernten gibt es nichts und die Herden sind bereits in die Ställe verbracht. Mit aller Kraft kämpft Robertét ums Überleben. Vor dem Kälte- und Hungertod retten ihn wieder einmal eine Frau.
    Er hatte sie um ein wenig Geld angebettelt und sie lud ihn ein mit ihr zu kommen. Ihr Mann, ein gut betuchter Händler, hatte sich eine schlimme Krankheit zugezogen , so dass er weder Ware einkaufen, noch auf dem Markt verkaufen konnte. Seiner Frau fehlte das nötige Geschick und das Selbstvertrauen um das Geschäft zu übernehmen. Deshalb schlug sie Robertét den Handel vor, dass er, solange ihr Mann krank sei, seine Aufgaben zu übernehmen sollte und dafür ein Lager und Essen bekäme. Ein Geschäft auf das Robertét nur zu gerne einschlug.

    Das Robertét kein besonders geschickter Händler war, machte er durch seinen Charme und sein Aussehen wett. Auf den umliegenden Märkten war er bald von den Frauen geliebt und von den Männern bewundert. Nur er selbst war mit seiner Aufgabe nicht ganz glücklich. Etwas fehlte ihm etwas, über das auch die sehr intime Beziehung zur Frau des Händlers nicht hinweg half. Es dauerte fast den halben Winter über, bis er heraus fand was ihm fehlte.
    Mehr durch Zufall, weil ihm ein Kunde unlieb war, stellte er sich nicht als Robertét, sondern als Almaryon vor. Eine Name den er noch lange beibehalten würde. Aus diesem Namen erwuchs schnell eine Rolle, so dass er bald nur noch als Almaryon bekannt war und der Tagelöhner Robertét in Vergessenheit geriet. Endlich wieder in einer Rolle machte Robertét sich daran diese auszustatten. Da es nicht viel gab, mit dem er die Rolle hätte ausstatten können, nahm er was er fand. Seine Kleidung bestand aus weiten Hemden und Hosen, die er sich aus Stoffresten zusammennähte. Es war mehr ein Flickenteppich, als richtige Kleidung. Da es seinen Kunden gefiel wenn er ihnen erfundene Geschichten und Anekdoten erzählte und Robertét das Geld für jede Art von Werkzeug fehlte, machte er Almaryon zum Geschichtenerzähler.

    Almrayon der Geschichtenerzähler beschränkte sich bald nicht mehr darauf am Stand den Kunden irgendwelche kleinen Abenteuer lustige Geschichten zu erzählen. Er wollte mehr, er wollte die Rolle voll und ganz ausfüllen. Als sich nun der Winter verzog und dem Frühling Platz machte, stand Almaryon früher auf als nötig. Die Zeit die er so gewann, verbrachte er am Brunnen bei den Mägden und unterhielt sie mit langen Geschichten von schönen Helden und Prinzessinnen aus dem Volk. An seinen freien Tagen ging er zu den spielenden Kindern und fesselte sie mit Geschichten von Rittern, Drachen und großen Burgen. Er nahm so zwar kein zusätzliches Geld ein, machte sich jedoch zahlreiche und einflussreiche Freunde.
    Im Sommer gesundete der Händler vollständig von seiner langen Krankheit und Almaryons Dienste wurden nicht weiter benötigt. Zum Dank erhielt er vom Händler und seiner Frau zwei Bücher mit gesammelten Geschichten.
    Erneut zog Almaryon Richtung Norden, in Richtung Vinsalt. Dieses Mal hatte er jedoch ein weit leichteres Spiel als vor dem Winter. Er war beliebt und man bot ihm kostenlose Unterkunft, nur um seine Geschichten lauschen zu können. Irgendwann im Spätsommer kam das erste Dorf, das sich alleine seinetwegen in der großen Halle versammelte und ihm zuhören wollte. 80 Männer, Frauen und Kinder lauschten einem ganzen Abend gespannt seinen Geschichten. Weitere Dörfer folgen und im Herbst wohnt Robertét das erste Mal seit seiner Flucht aus Neetha wieder auf einer Burg.

    Almaryon fühlt sich sogleich zuhause und sucht fieberhaft nach einer Rolle, die sich besser in das Leben auf einer Burg einfügte. Mit Firón wurde er fündig. Im eigentlichen Sinne war Firón keine Rolle, sondern ein Feldscher aus der horaischen Armee, der es zu einer ansehnlichen Sammlung leerer Branntweinflaschen gebracht hatte und seine Zeit damit vertat, diese Sammlung allabendlich zu erweitern. Dem echten Firón wurde der stete Durst in Verbindung mit einem maroden Geländer zum Verhängnis und Almaryon „erbte“ seine Kleider und sein Werkzeug.
    Mit diesem neu gewonnen Gut, der Sprache und der Gestik des echten Firón, erweitert um ein wenig von Almaryons Hang zum erfinden von Heldentaten, reiste er von Aldyra nach Arivor. Auf die dortige Festung gelangte er ohne Aufsehen und war am Abend Ehrengast. Ohne tatsächlich zu einer Anstellung zu gelangen, lässt er sich den Winter über aushalten.

    Firón steht kurz vor seinem vierundzwanzigsten Geburtstag, als man ihm anbietet mit einer Delegation nach Neetha zu reisen. Sofort wittert er die Chance endlich nach seinen Eltern zu sehen und ihnen neues Geld zukommen zu lassen.

    Tatsächlich gelingt es ihm einen Monat in Neetha auf der Burg, umgeben von 32 Gardisten und seinen vergilbten Steckbriefen, zu wohnen und während der Nächte nach seinen Eltern zu suchen. 32 Tage nach seiner Ankunft in Neetha erfährt er endlich vom Tod seiner Eltern. Emotional völlig aus dem Gleichgewicht fällt er vollständig aus seiner Rolle und wird schon bei seiner Rückkehr auf die Burg verhaftet.
    Der Prozess verläuft kurz und schmerzhaft für Robertét. Er wird wegen Irreführung und Unterschlagung zu lebenslanger Zwangsarbeit in den Goldfelsen verurteilt. Zweieinhalb Jahre wird er dort bleiben.

    Während der ersten Jahre seiner Strafe gibt Robertét sich völlig auf. Ständig ist er mit den Gedanken bei seinen Eltern. Abwechselnd spielt er Möglichkeiten durch wie er sie noch hätte retten können und macht sich Vorwürfe über seine damalige Überheblichkeit.
    Im letzten halben Jahr, beinahe am Ende seiner Kräfte, wurde sich Robertét bewusste, dass er die Schuld an seinen Eltern begleichen muss. Bis heute fehlt im ein Idee oder ein Fingerzeig für den geeigneten Weg, doch bemüht er sich um Phex beistand.

    Eine Fluchtmöglichkeit fand sich für Robertét in dem Dämmerlicht der Miene denkbar einfach. Zwei Wochen lang studierte er den Wachhauptmann genau. Ließ man ihn auch nur einen Moment alleine, übte er die Sprache des Aufsehers und ahmte seine Bewegungen nach. Als der Frühling in das Liebliche Feld einzog und die Wege aus dem Gebirge wieder passierbar machte, nahm Robertét seine Chance war.
    Wissend, dass aus ihm noch immer kein guter Taschendieb geworden war, ließ er sich beim Versuch den Schlüssel zu seinen Ketten zu stibitzen, erwischen. Man befreite ihn von den Fesseln um ihn am nächsten Morgen auszupeitschen. Bis dahin sollte er in einem Stollenloch versenkt werden. Auf wundersame Weise erloschen zwei der Grubenlichter und im Halbdunkeln inszenierte Robertét geschickt einen Rollenwechsel. So landete der Wachhauptmann am Boden der Grube und Robertét verließ die Miene. Im Schutz der Dunkelheit flieht er in die Ausläufer der Goldfelsen.

    Ohne intakte Wurzeln in seine Heimat und einem beachtlichen Kopfgeld, macht sich Robertét schleunigst daran das Reich des Horas zu verlassen. Rastlos reist er so geradlinig nach Norden, wie es die Straßen erlauben. Die Tage verbringt Robertét als Robertét; die Nächte verbringt er bei einsamen Frauen.
    In Angbar trifft er zum ersten Mal auf Yanna, die ihm von ihrem Traum erzählt in Riva, mit den Schätzen aus phexens Sternenregen, ihr Glück zu machen. Nun hat Robertét wieder ein Ziel, eine Möglichkeit zu Geld zu kommen und eine Chance seine Rollen zum wiederholten Male aus dem Staub der Straße zu erschaffen. Dieses Mal jedoch nicht größer sondern realer sollen sie werden. Auch seine Liebschaften fährt Robertét zurück. „Nie mehr als eine Nacht bei ein und der selben Frau“, ist seine Art Buße für sein Ego zu tun.

    Die Zeit trennt seine und Yannas Wege, nur um sie in Riva wieder zusammen zu führen.

  • Gerade Robertéts Hintergrund ist ja schon eine eigene, nicht zu kleine Geschichte. :) So eine Geschichte würde mir auch gefallen.

    Wäre der sein Hintergrund tatsächlich der eines Charakters mit der Frage, wie der ist, würde ich vorschlagen, einige aventurische Begriffe mit hinein zunehmen (z.B. Götterlauf statt Jahr, das sind recht einfache Mittel, die in meinen Augen einen guten Eindruck machen).
    Den klirrend kalten Winter im schon etwas südlichen Horasreich auf Höhe der Zyklopeninsel lasse ich mal außen vor, obwohl der so da kaum vorkommen dürfte.
    Fechten und Reiten lernen und Sprache und Ausdrucksweise der Adeligen erlernen halte ich für etwas problematischer ohne entsprechenden tatsächlichen Kontakt. Nichts gegen Autarkie und sich viel selber beibringen, aber wenn da irgendwo ein Lehrmeister ist, oder ein adeliger Freund (ein Taugenichts vielleicht), dessen Existenz solche Möglichkeiten tatsächlich erklären würde, fände ich das etwas plausibler.
    Der Ausbruch kann eigentlich nicht so leicht gewesen sein, da er ja zweieinhalb Götterläufe dort gewesen war?

    Persönlich - aber über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten :) - würde ich es nicht schlecht finden, wenn die Hintergründe an entsprechenden Stellen erläuternd in die eigentliche Geschichte eingebunden werden würden, statt sie relativ sachlich zusammengefasst vorweg zu stellen, auch wenn man es so, wie es jetzt ist, als nötiges "Vorwissen" vorwegstellen kann.

    Alles in allem warte ich nun auf Beginn der eigentlichen Geschichte.
    Hat es eigentlich einen bestimmten Grund, dass Karons Name sich nicht im Titel wiederfindet?

  • Hallo Schattenkatze

    Erstmal dankeschön dass du dir die Zeit genommen hast die ganze Geschichte sorgfältig zu lesen. Normalerweise neige ich dazu mich sehr ausführlich zu rechtfertig. Diese Mal versuche ich mich mal möglichst kurz zu halten. :)
    Aventurische Begriffe fehlen reichlich, da ja die Geschichten anfänglich nur zu meiner Unterstützung gedacht waren. Viel mehr ärgert mich dass an mindestens zwei Stellen ganze Wörter fehlen, sowie der Fehler mit der Kälte. Das kommt halt davon wenn man eine Figur im Nachhinein nochmal einige hundert Meilen südwärts setzt. ^^
    Beim reiten und fechten lernen hatte Robertét ja auch Hilfe. Dazu gestehe ich ihm ein gehöriges Talent ein alleine durch beobachten zu lernen. So gelingt es ihm ja erst seine Rollen ansprechend auszugestalten.
    Was den Ausbruch angeht möchte ich nur kurz anmerken dass er sich anfänglich in Lethergie befand und sich gründlich auf die Flucht vorbereitet hat, daher die zweieinhalb Jahre.

    Natürlich habe ich den Hintergrund auch in die eigentliche Geschichte eingebaut, die ich, um deine Neugier noch etwas auf die Folter zu spannen, am Freitag beginnen werde zu veröffentlichen :D

    Ja, warum steht Karon nicht mit im Titel? Gute Frage eigentlich. Anfänglich war Yanna & Robertét als Arbeitstitel gedacht. Da bald bei den beiden Namen aber jeder in der Familie wusste von welcher Geschichte dann die Rede ist, ist der Titel irgendwie geblieben. Auf ähnlichem Wege sind übrigens die Hintergrundgeschichten das erste Mal an die Öffentlichkeit gelangt. Freunde und Verwandte wollten mehr über die Hauptfiguren erfahren als sinnvoll in der Geschichte unterzubringen war, so dass ich angefangen habe die Hintergründe weiter zu geben.

    Mit lieben Grüßen
    Rabenfeder

  • Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass fechten und reiten nichts ist, was man rein durch zuschauen lernen kann. Da ist es wichtig, die Bewegungen selber wieder und wieder zu üben mit einem Partner (beim fechten), während beim reiten gerade die Muskelbewegungen an Po und Schenkel und auch die Hände an den Zügeln so wichtig sind, aber eigentlich nichts beinhalten, was man rein durch zuschauen sich aneignen könnte. Daher der Vorschlag, da vielleicht jemanden mit ein oder zwei Sätzen einzubauen, der das kann und Möglichkeiten hat, das in der Praxis zu üben.
    Aber halt ein Vorschlag, wenn nicht, dann nicht.^^

    Kleine Fehler: Ja, die kleinen Mistviecher sind schwer tot zu kriegen.^^ Egal, wie oft man selber Korrektur liest und das Rechtschreibprogramm drüber jagt ... ein paar schleichen sich immer durch.

    Das mit dem Hang zum ausführlichen Rechtfertigen kenne ich. ;)

  • Hier nun der Beginn der Geschichte

    Von Berufs wegen wusste Yanna sofort was sie geweckt hatte. Deshalb lag sie auch weiterhin unbewegt auf den kalten Holzbohlen und wartete auf eine Wiederholung des Geräusches. Da war es. Ein Knarren. Dieses Mal dichter.
    Yanna rollte sich zu Robertét hinüber und stieß ihn mehrfach an. Er war ebenfalls beim ersten Geräusch erwacht und still liegen geblieben.
    „Hörst du das?“, raunte sie ihm mit Sorge in der Stimme zu.
    „Ja.“
    „Ich glaube das kommt von der Treppe.“
    „Ja.“
    „Es kommt näher.“
    „Ja.“ Robertét griff nach dem Dolch unter zu seinem zusammengefalteten Hemd, welches er als Kopfkissen benutzt hatte, und erhob sich lautlos.
    Yanna tat es ihm gleich und folgte ihm zu der einzigen Tür des Raumes. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die vernagelten Fenster. Durch die kleinen Spalten zwischen den Brettern drang das fahle Licht der Sonne. Darum war Robertét also so vorsichtig. Zu dieser Stunde konnte es statt anderer Streuner ebenso gut die Stadtgarde sein, die auf einen guten Fang hoffte.
    Ein weiteres Mal knarrte eine der Dielen im Flur. Dieses Mal lag der Ursprung des Geräusches unweit der der Tür hinter der sich Robertét und Yanna verbargen.
    Erst gestern waren sie in Riva angekommen und hatten sich dieses verlassene Haus als ersten Unterschlupf ausgesucht bis genug Geld ergaunert war um sich ein besseres Quartier leisten zu können. Nun sollte es möglicherweise schon in der ersten Nacht Ärger geben.
    Robertét kniete so vor der Tür ab dass er einem hereinplatzenden Wachmann den Dolch prompt in den schutzlosen Unterleib rammen konnte. In dem Moment als sein Knie den Boden berührte gab die Holzbohle mit einem deutlichen Knacken nach. Hektisch richtete er sich auf und beeilte sich neben die Tür zu kommen. Yanna zog er dabei mit sich und presste sie dicht an die Wand.
    Sekunden lang geschah gar nichts. Kein erneutes Geräusch vom Flur, kein Öffnen der Tür.
    Während er noch darauf wartete das sein Herzschlag sich wieder beruhigte trat Yanna entschlossen vor, kniete sich vor die Tür wie eben noch Robertét, nur mit Bedacht nicht den selben Fehler zu machen, und öffnete die Tür einen Spalt breit. Als hätte Phex es so gewollt, knarrte nun die Tür. Nun gab es nur noch die Flucht nach Vorn.
    Fast zeitgleich stürzten Yanna und Robertét durch die eiligst zur Gänze geöffnete Tür. Der Flur war noch dunkler als das Zimmer und doch sah Yanna eine Gestalt. Eigentlich mehr ein Schatten im Augenwinkel. Bereits als sie dem Kopf nach dem Schatten drehte war nichts mehr zu sehen.
    „Nun mach schon.“, drängte Robertét sie weiter in Richtung Ausgang
    „Warte, da war jemand.“
    „Weiß ich, darum hauen wir ja auch ab.“
    „Ich meine, er ist geflüchtet, in den Keller.“
    Robertét hielt inne. „Geflüchtet?“
    „Ja.“, raunte ihm Yanna etwas lauter zu. „Ich hab ihn genau gesehen. Bei Phex, ich schwöre es dir.“
    „Dann ist es zumindest kein Wachmann. Lass uns nachsehen. Vielleicht gibt’s für uns was zu holen.“
    Nun wieder auf leisen Sohlen stahlen sich die beiden in Richtung der Kellertreppe die direkt neben der Treppe ins Obergeschoss lag, also genau gegenüber der Eingangstür.
    Von oben drang durch das zerfallene Dach ein bleicher Lichtstrahl, welcher gespenstisch auf den Treppenabsatz fiel.
    „Hast du Licht?“
    „Bei meinen Sachen.“ Robertét verschwand mit drei schnellen Schritten im Zimmer und kam mit einer einfach Öllampe zurück. In ihr brannte ein schwaches Licht, gerade ausreichend um die Treppen hinter dem fahlen Licht zu erleuchten. Yanna ging, von Neugier getrieben, auf Zehenspitzen voran. Dennoch lag in ihrem Herzen so viel Angst dass sie immer wieder stolperte.
    Robertét hatte nicht weniger Angst, doch half ihm seine Erfahrung die Nerven zu behalten. Am Ende der Treppe angelangt drehte er den Docht der Lampe höher. Das nun reichlich vorhandene Licht nahm den samtenen Vorhang der Dunkelheit von einem kleinen Weinkeller.
    Das Kellergewölbe war nicht besonders groß und der wenige Platz war vollgestopft mit Regalen in denen eine Vielzahl Flaschen lag, allesamt mit einer dicken Schicht aus Staub überzogen. Ganz genau so wie im Rest des verfallenen Hauses, wo der Regen ihn nicht weg gewaschen hatte.
    Mit gezücktem Dolch durchsuchten Robertét und Yanna den einzigen Raum mit präziser Gründlichkeit. Nirgends fanden sie den Beweis einer anderen Person die ihn betreten hatte .
    „Scheint als hättest du dich geirrt.“
    „Ich war mir so sicher. Irgendwo muss er doch hin sein.“
    „Du hast dich eben geirrt, lass uns gehen.“
    Yanna strich nachdenklich über das Mobiliar, nur um mit dem Ärmel an etwas hängen zu bleiben.
    „Ja was ist denn das?“ Yanna tastete mit den Fingerkuppen über das woran sie hängen geblieben war. „Das sind Türangeln.“
    An einem der Regale waren auf einer Seite Türangeln angebracht, die erlaubten es zur Seite zu schwenken und einen kleinen Raum dahinter frei zu geben. Dieser war gerade einmal eineinhalb Schritt breit und einen Schritt tief.
    „Das ist ja eine schöne Überraschung. Leuchte mal.“
    Der Hohlraum ging vom Boden bis zur Decke und war bis auf eine dünne Staubschicht leer.
    Robertét tastete vorsichtig die Mauersteine und die Fugen ab.
    „Was machst du da?“
    „Ich suche nach einem Mechanismus, einem Auslöser.“
    „Was für einen Auslöser?“
    „Für die Tür.“
    „Wo siehst du hier eine Tür?“ Yanna ließ ihren Blick sorgsam über den Hohlraum gleiten.
    „Siehst du es?“
    Yanna kniete sich nieder. „Der Staub ist verwischt. Als wenn jemand hier durchgegangen wäre.“
    „Und das geht eben nur wenn es einen Durchgang gibt. Und da der nicht zu sehen ist muss hier eine Geheimtür sein.“
    Fieberhaft begann Yanna nun ebenfalls die Wände nach versteckten Hebeln abzusuchen. Erneut war sie es die etwas fand.

  • Erstaunlich wie kurz zwei A4 Seiten im Forum werden. Das nächste Mal veröffentliche ich gleich drei Seiten, versprochen.

    „Hier, der Stein ist lose. Er lässt sich ein ganzes Stück hinein drücken.“ Genau das tat Yanna auch, mit dem Erfolg das nichts geschah.
    „Satz mit X.“
    „Ware ja auch zu schön gewesen wenn nicht immer du alles findest.“
    „Na ja, ich habe dir ja auch einiges an Erfahrung voraus.“
    „Riechst du das?“ Yanna schnupperte und auch Robertét sog die Luft tief in seine Lungen.
    „Igitt, was ist das denn?“
    Von beiden unbemerkt hatte ein stechender Geruch nach verfaultem Fleisch und fauligen Eiern den Raum eingenommen bis seine Intensität nicht mehr zu überriechen war.
    „Warte du hier, ich gehe oben nachsehen woher dieser Gestank kommt.“
    „Pass bloß auf, was so riecht kann nicht gesund sein.“
    Yanna nahm die Öllampe und schlich sich vorsichtig zur Treppe. Robertét blieb in der wiederkehrenden Dunkelheit zurück, die ihn nicht einmal seine Hand erkennen ließ, wenn er sie sich direkt vor das Gesicht hielt. Da ihm für die nächsten Augenblicke nichts anderes übrig blieb tastete er weiter über die Steine in der Hoffnung doch noch einen Hebel oder Schalter zu finden.
    Plötzlich schabte direkt vor ihm Stein auf Stein. Erschrocken wich Robertét einen Schritt zurück. Er war sich nicht sicher ob er endlich gefunden hatte was er suchte oder ob jemand von der anderen Seite aus die Tür geöffnet hatte. Angespannt hielt er die Luft an und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Hoffentlich kam Yanna gleich mit dem Licht zurück.

    Mit flinken Schritten hatte Yanna den Lichtstreifen am Ende der Treppe erreicht und stellte mit einigen tiefen Atemzügen fest dass der Geruch hier schwächer war. Trotzdem warf sie noch einen flüchtigen Blick über den Flur. Hier gab es keinen Hinweis auf einen anderen Gast.
    So eilte sie zurück in den Keller. Was sie dort erwartete ließ sie vor Schreck erstarren.
    Das Licht der Lampe lüftete erneut den Schleier der Dunkelheit und warf zuckende Schatten an die Wände. Robertét stand, die Arme weit von sich gestreckt, mit dem Rücken zu einer Gestalt in dunkler Kutte. An seiner Kehle glänzte ein filigraner Dolch, in seinen Augen glänze die Angst. Mit zitternder Stimme versuchte er die Gestalt zu beruhigen.
    Yannas Blick fiel auf die Hand die den Dolch hielt und auf den Teil des Gesichts der unter der Kapuze beleuchtet wurde. Beidem fehlte die Haut und die Muskeln waren verweste, schwarze Stränge zwischen denen das Licht hindurch schien.
    Ohne zu wissen was sie tat oder tun sollte schleuderte sie dem Wesen die brennende Lampe entgegen. Und tatsächlich hatte ihre unüberlegte Handlung einen Effekt. Die Kreatur wich dem Geschoss aus und gab Robertét die Chance sich zu befreien. Dann wurde es für einen Augenblick dunkel, als die Lampe an der steinernen Wand zerschellte. Sogleich wurde es jedoch wieder hell, noch heller als zuvor, als sich das Lampenöl an der Glut des Dochtes entzündete.
    Robertét wurde nach vorne gestoßen, hinein in die wild tanzenden Schatten, taumelte einige Schritte, stolperte über ein Regal, konnte sich gerade noch fangen und rannte hinter Yanna her.
    Auf den Flur hatte er Yanna fast eingeholt. Vor ihm stieß sie dir Tür zur Außenwelt auf und ließ so gleißendes Sonnenlicht einströmen.
    Geblendet von der Helligkeit und angetrieben vom eigenen Pulsschlag schafften beide es erst hinter der Grundstücksmauer aus dem Rennen in einen unauffälligeren Gang zu wechseln. Doch auf der Straße war niemand dem sie hätten verdächtig erscheinen können.
    Die Praiosscheibe stand gleißend hell an einem wolkenfreien Himmel in der Höhe der Mittagszeit und ließ alle Farben blass erscheinen. Nur das Haus welches Robertét und Yanna soeben verlassen hatte, brannte leuchtend rot. Robertét brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es nicht das Licht der Praiosscheibe war, was das Haus zum leuchten brachte. Panisch griff er nach Yannas Handgelenk und zog sie einige Häuser weit die Straße hinunter.
    „Geh einfach weiter, sieh dich nicht um. Das Feuer wird gleich bemerkt werden und dann sollten wir besser nicht mehr hier sein. Besser wir trennen uns den Tag über.“
    „Gut.“ Yanna entzog sich Robertéts Griff und verschwand in einer engen Gasse zwischen zwei Wohnhäusern.
    Kaum dass er aus ihrer Sicht entschwunden war blieb Robertét stehen und blickte zurück. Das Haus brannte jetzt bis zum Dachstuhl und aus den angrenzenden Heimen drangen die ersten verzweifelten „Feuer!“ Schreie.
    Was in Phex Namen war ihnen da eben begegnet? Worauf waren sie da gestoßen? Robertéts Ängste besiegten seine Neugierde und er machte sich eiligst daran in der Stadt unter zu tauchen.
    Es dauerte nicht lange bis der ganze Aelderfried auf den Beinen war und gegen das Feuer kämpfte. Riva bestand, abgesehen von einigen Verwaltungsgebäuden und der Dragenburg, beinahe vollständig aus Holz. Gleichzeitig wurde jeder Raum auf der Halbinsel genutzt, weshalb die einzelnen Häuser dicht an dicht standen.
    Hier im Aelderfried wohnten die alteingesessenen und reichen Bürger Rivas, die Patrizier. Ihre Häuser waren aus feinstem Fachwerk oder von Holz verkleidet und ihre Stufengibel streckten sich ordentlich und sittsam in den Himmel. Die Straßen und Gassen dazwischen bildeten ein wahres Labyrinth. Jedoch war der Einbruch der Wirtschaft auch hier angekommen und eine Reihe der edlen Häuser stand leer. Andere Patrizier hatten sie sofort aufgekauft, damit keine Neuankömmlinge in ihre Reihen zögen.
    Robertét schlenderte durch eine dieser Gassen, die hinter der bescheidenen Pracht der Häuser verlief und ließ seinen Blick über die Kisten und Fässer an den Hintertüren der wenigen Läden im Aelderfried schweifen. Geistesabwesend balancierte er dabei auf der dünnen Lichtnaht zu seinen Füßen. Abgetragene Schuhe und ein Hemd hatte er bereits gefunden.
    Er hatte sich entschlossen in Riva als Almaryon der Jüngere aufzutreten. Die Rolle des Geschichtenerzählers war zwar noch unvollständig, bot ihm aber mehr Freiheiten als die Rolle des Robertét, dem Baumeister und Tagelöhner.
    Robertét entwich ein leiser Seufzer beim Gedanken an all die Rollen in denen er bis zu seiner Verhaftung gelebt hatte. Zur vollendeten Zehn hatte ihm nur noch eine einzige, zündende Idee gefehlt. Jetzt, nach seinem Ausbruch aus dem Kerker blieben ihm nur noch diese Beiden und Firón de Graf. Die Rolle des Feldschers in der er es sogar geschafft hatte eine Burg mit 32 Gardisten aus seiner Heimatstadt mehr als einen Monat zum Narren zu halten. Er musste zugeben, dass er sich damit noch mehr imponierte als seine Flucht. Die hatte er als Wachhabender Offizier des Kerkers angetreten.
    In den Abfällen trieb er Garn- und Stoffreste auf, aus denen er sich in einer ruhigen Ecke das erste Bein einer Hose nähte.

  • So viel zu meinem Versprechen gleich drei Seiten zu veröffentlichen. Das Kapitel hat nur noch anderthalb :(

    Yanna hatte sich nach ihrer Trennung von Robertét gleich auf den Weg zur Stadtmitte, zum Marktplatz auf dem Krämerfried, gemacht. Da in Riva jeden Tag Markttag war, standen zahlreiche Händler am Rande des gepflasterten Platzes und feilschten mit den wenigen Bürgern auf der Straße. Auch eine drohende Katastrophe konnte die Händler Rivas nicht davon abhalten ihren Umsatz zu machen. Kopfschüttelnd wanderte Yanna an den Ständen, Bauchläden und Teppichen vorbei und warf hin und wieder einen sorgfältigen Blick auf die Rauchsäule im Norden.
    Einfache Messer und Dolche, ein Scherenschleifer, Lederwaren, Tuche, Schuhe. Yanna entschied sich für zwei feine Dolche die sich gut in Stiefel oder Ärmel verbergen ließen.
    Etwas Abseits wartete sie bis sich ein Kunde vor dem Tisch mit den Messern einfand und die Messer ihrer Begier ausgiebig begutachtete. Er war höheren Alters, trug saubere Kleidung und hatte eine aufrichtige Haltung. Seine Familie hatte ihm vor langen den Spitznamen Praian gegeben.
    Yanna näherte sich dem Stand möglichst schnell und auffällig. Hektisch schaute sie dem Kunden über die Schulter, drängelte mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, begrabschte die Wahre. Schließlich wurde es dem Händler zu viel und im barschen Ton schickte er Yanna davon.
    „Wie könnt ihr es wagen?“, hob sie zum Widerspruch an.
    „ Verschwindet oder benehmt euch!“
    „Ich lasse mir doch nicht von euch mein Leben vorschreiben.“ Mit wütender Mine verschwand Yanna vom Markt.
    Kaum im Schatten einer Gasse verschwunden ließ sie die Unruhe von sich abfallen und verfolgte mit wachen Augen Praian. Er hatte die Messer tatsächlich gekauft. Als er den Plan verließ folgte sie ihm in die Nebenstraßen.
    Als sie ihn und sich unbeobachtet wähnte, rempelte Yanna Praian wie aus dem Nichts an.
    „Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“ Yanna strich mit zarten Fingern nicht vorhandenen Staub aus seiner Kleidung.
    „Das will ich auch hoffen“, gab er mürrisch zurück.
    „Euch ist doch hoffentlich nichts geschehen.“ Yanna rückte ihr Dekolleté zurecht.
    Die Erinnerung an ihr Gesicht verschwand so schnell wie sie bei Praian aufgekommen war. „Nein. Mir ist nichts passiert.“
    „Das ist gut. Entschuldigt noch einmal.“
    „Ja, ja. Schon gut.“
    Yanna schenkte ihm noch ein schüchternes Lächeln und tat dann einen Schritt nach rechts. Im selben Moment wollte Praian in der selben Richtung an Yanna vorbei, so dass sie beinahe erneut zusammen stießen. Erschrocken wichen beide in die andere Richtung aus und standen sich erneut gegenüber. Noch einmal wiederholte sich das Geschehen.
    „So recht kommen wir nicht von einander los“, sagte Yanna .
    „Wahrscheinlich nicht. Aber kennen wir uns nicht?“
    Yanna wurde rot. „Ich, äh, glaube nicht.“ Sie beeilte sich so schnell es ging an Praian vorbei zu kommen.
    Erst einige hundert Schritt später beruhigte sich ihr Herzschlag. „Phex sei Dank. Das wäre beinahe daneben gegangen.“ Aus ihrem Ärmel zog sie behutsam die beiden Dolche und betrachtete sie mit einem feinen Lächeln.

    Robertét, auf der Suche nach Stoffresten für sein zweites Hosenbein war in die Nähe des Rathauses gelangt, wo mehrere Bauarbeiter Reparaturen an Dach und Wänden vornahmen. Einen Augenblick sah er ihnen bei der Arbeit zu.
    Einen Baumeister hatten sie zwar bereits, doch er könnte sich hier auch als einfacher Tagelöhner verdient machen. Nein. Er hatte seinen Plan und an dem musste er festhalten, wenn allen funktionieren sollte. Oder Vielleicht...? Nein. Unter keinen Umständen. Und wenn nur heute? Zum Zeitvertreib? Robertét grübelte. Ein paar Heller mehr auf der Tasche konnten nicht schaden.
    Er rollte seine halbe Hose zu einem Bündel und ging entschlossenen Schrittes auf den Baumeister zu. „He da. Könnt ihr noch zwei fähige Hände gebrauchen?“
    „Kommt darauf an was sie mich kosten.“
    „Für diesen Tag nicht mehr als vier Heller. Für einen ganzen Tag verlange ich acht.“
    „Wie lange gedenkt ihr zu bleiben?“ Der Baumeister streckte Robertét die Hand entgegen. Er war höheren Alters, trug saubere Kleidung und hatte eine aufrichtige Haltung.
    „So lange hier Arbeit ist.“
    „Ihr seid willkommen.“
    Robertét spuckte in die eigene Hand und schlug ein. „Robertét.“
    „Praian.“

    Zur Mittagszeit war das Feuer fast zur Gänze gelöscht. Nur noch an wenigen Stellen glomm das Holz schwach. Die Nachbarhäuser hatten außer einer Menge Ruß kaum etwas abbekommen. Nachdem die Angst vor einem alles verschlingenden Brand sich aus den Herzen der Bewohner zurückgezogen hatte, begannen sie damit die Reste des Hauses zu einem großen Berg im ehemaligen Keller aufzuschichten. Jünger verschiedener Götter und Halbgötter sangen, tanzten, wanderten um die Ruine und danken auf ihre Weise dafür dass die Stadt von Schlimmen bewahrt worden war. Langsam verzog sich der dünne Rauchschleier der bis in die letzten Winkel vorgedrungen war.

  • Habe irgendwie etwas wenig Zeit im Moment, daher kam ich erst heute dazu.
    Ich bin etwas überrascht, das die Zusammenfassung damit endete, dass Yanna und Karon gemeinsam unterwegs sind und sie Robertét vergisst, nun aber Yanna und Robertét gemeinsam in einem Haus aufwachen und Karon nicht mal erwähnt wird?

    Denken beide denn so gar nicht über die Begegnung im Haus nach? Da ist diese Gestalt, sie flüchten kopflos, trennen sich und dann ist es auch schon wieder vergessen, da keine Reflektion oder darüber stattfindet?

    Wie wäre es, wenn der Vorarbeiter sich noch etwas vergewissert, dass Robertét Ahnung von der Materie hat (mit ein paar Fragen vielleicht)?

    Ansonsten kann es ruhig weiter gehen. :)

  • Schön wieder von dir zu hören :)

    Ich habe selbst gerade nocheinmal einen Blick in die Charaktergeschichten geworfen. Ich persönlich lese sowohl bei Robertét als auch bei Yanna ganz am Schluss heraus dass sich die beiden in Riva wiedertreffen, nachdem sie getrennt wurden. Ein kleiner inhaltlicher und zeitlicher Sprung ist allerdings tatsächlich drin, was ich nicht sonderlich schlimm finde.

    Was das Thema Reflexion angeht muss ich mir nochmal Gedanken machen. Du hast nicht ganz unrecht, dass das Erlebte zumindest langsam ausgeblendet werden müsste. Ich habe es mir mal auf die To-Do Liste gesetzt.

    Ein "Bewerbungsgespräch" habe ich aus zwei Gründen gelassen. Zum einen weil Robertét sich "nur" als Tagelöhner bewirbt. Für Hilfsaufgaben wird er schon taugen. Zum anderen um die Szene nicht zu sehr aufzublähen. Es sollte lediglich erkennbar sein, dass er eine Anstellung bei dem Mann bekommt den Yanna kurz zuvor beklaut hat.

    Morgen kommt dann der Auftakt des zweiten Kapitels.

    Bis dahin :)

  • Als sich die Sonne hinter die Palisade senkte, beendete der Baumeister die Arbeiten am Rathaus. Robertét folgte den anderen nicht in die gestellte Unterkunft. Eine Einladung hatte er wiederholt abgelehnt. Er hatte andere Pläne.
    Vorsichtig fingerte er ein dünnes Stück Papier aus seiner Hose und las noch einmal die Worte darauf.

    „Jünger des Fuchses.
    Mach dich auf dem Ruf zu folgen
    in die Stadt am Kvill.
    Erwarte mich dort während des
    Borontages im Heiligtum des Lebens.“
    Die Schrift war fein und von geübter Hand. Die einzelnen Buchstaben waren mit Schnörkeln und Schleifen versehen. Eine Unterschrift gab es nicht. Sie war für Robertét auch nicht nötig. Wenn der Fuchs rief, dann folgte er. Er folgte jedoch nicht den Worten auf dem Papier, sondern dem Gefühl, welches das Schreiben, welches ihm vor vier Tagen zugesteckt worden war, auslöste. Diesem Gefühl vertrauter er. Und hier war er nun in Riva, der Stadt am Kvill.
    Robertét wartete, in sein zweites Hosenbein vertieft, auf die Nacht. Als der letzte Sonnenstrahl hinter dem Horizont versiegte war er endlich da: Der Boronstag. Mit einem Seufzer und leichter Aufregung machte Robertét sich auf den Weg. Zielsicher wanderte er durch die Straßen, darauf bedacht keinem Nachtwächter zu begegnen.
    Die Aufregung in seiner Brust wuchs, je näher er seinem Ziel kam. Sein Ziel war das einzige, was er in Riva mit „Haus des Lebens“ verband: Der Tsatempel. Als er das Fachwerkhaus erreicht, schlug ihm das Herz bis zum Halse und die Hände waren von kaltem Schweiß überzogen.
    Das Haus war von außen gut durch die Doppeltür uns seine kunstvollen Verzierungen als Gotteshaus zu erkennen. Sie zeigten Szenen von Geburten, Bildhauern am Beginn ihrer Arbeit, Maler beim ersten Pinselstrich, Philosophen. Die Tür war in Bogenform gebaut und der Pfeiler in der Mitte war das Abbild eines Kirschbaums. Vor den Türen standen Blumenkübel in denen jeden Morgen neue Blumensorten wuchsen und am Abend verblühten.
    Robertét atmete noch einmal tief durch bevor er aus dem Schatten des Mondes trat. Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße. Niemand war zu sehen.
    Mit aller Vorsicht drückte er die Klinke herunter und öffnete die Tür. Wie er erwartet hatte, war sie nicht verriegelt. Eilig verschwand er in der Dunkelheit des Gotteshauses und zog sie Tür hinter sich zu. Es dauerte einen Moment bis er sich ausreichend an das schwache Licht gewöhnt hatte um sich sicher zu bewegen.
    Dem Anschein nach befand sich gleich hinter der Tür der Gebetsraum. In der Form einer acht war ein Gebetspfad in den Boden eingelassen. Auf den beiden Inseln die er bildete, lagen Opferblumen. Für die Andacht standen Bänke entlang der Wand. Der Altar war eine aus Stein herausgeschlagene, betende Eidechse.
    Robertét konnte niemanden in den Schatten entdecken. So nahm er sich den besten als Versteck. Dort wartete er mehrere Stundengläser bis sich die Tür ein weiteres Mal in dieser Nacht öffnete. Auf diese lange Wartezeit hatte er sich allerdings eingestellt, denn er war so früh am Beginn des Boronstages eingetroffen, dass es verwunderlich gewesen wäre, nicht der erste zu sein.
    Er nutzte die Zeit um sein Herz zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen. Schlussendlich begann er Überlegungen anzustellen wer ihn wohl wofür beauftragen würde. Sinnlos, so ohne jeden Hinweis.
    Das Klicken der Türklinke vertrieb die angestellten Vermutungen und brachte den schnellen Herzschlag zurück. Durch die offene Tür flutete Mondlicht und zeichnete die Silhouette eines groß gewachsenen Mannes in den Türrahmen. Einen Augenblick später schloss sich die Tür und die Silhouette schrumpfte zu einem Schatten.
    Sofort wanderte dieser durch den Gebetsraum in eine Ecke und sein Blick schien Robertét zu fixieren. Mühselig rang Robertét der Gestalt etwas ab um den stechenden Blick etwas entgegen zu setzten und das mulmige Gefühl, das er hervor rief, zu mildern. Er erkannte einen Fuhrmannsmantel, lange Haare und möglicherweise auch einen Bart.
    Schritte aus einem Nebenraum beendeten Robertéts Begutachtung und nahmen den Blick von ihm. Die Schritte kamen näher. Irgendwo in der Dunkelheit öffnete sich eine Tür. Angestrengt blickte Robertét in die Richtung der Geräusche.
    Erkennen konnte er nicht mehr als eine seltsame Gestalt. Der Körper war voluminös, beinahe balonartig. Selbst Arme und Beine wirkten wie aufgeblasen. Dort wo der Kopf sein sollte, saß ein unförmiges Gebilde.
    „Guten Abend Jünger des Fuchses.“ Die Stimme war weich, geduldig und hatte einen starken südländischen Akzent, den Robertét aber nicht einordnen konnte. „Ich bin Mharbal al'Tosra. Vorsteher des Phextempels in Fasar.“
    „Dann seid ihr weit gereist, euer Ehrwürden.“ Der Fremde mit dem Mantel trat aus seiner Ecke hervor. „Karon Sal Marnion. Reisender Händler.“
    „Schön dass ihr den Weg hierher gefunden habt.“
    „Alles für den Fuchs.“
    Robertét beobachtete den Wortwechsel genau. Er war sich absolut sicher mehr als einen Händler vor sich zu haben. Ganz sicher.
    „Und wer ist unser zweiter Gast?“, fragte die seltsame Gestalt in Richtung Robertéts.
    „Mir hat er sich auch noch nicht vorgestellt.“
    Robertét glaubte ein süffisantes Lächeln zu erkennen und fühlte wie er in der Dunkelheit rot wurde. Er stand langsam auf, ließ sich beim Vortreten Zeit um seine Unruhe zu verbergen. Der Fremde, der sich als Karon vorgestellt hatte, trug tatsächlich einen Bart. Einen Spitzbart. Unter dem Mantel trug er ein Hemd aus Seide. Auch die Hose war aus solcher.
    Im Nähertreten erkannte Robertét auch den Grund für das seltsame Aussehen des anderen Fremden. Er trug Pluderhosen, ein Bauschhemd, an den Spitzen seltsam verdrehte Schuhe und einen Turban auf dem Kopf.
    „Robertét. Baumeister.“
    „Schön dass auch ihr zu uns gefunden habt.“
    Robertét verschwieg sich eine Antwort.
    „Warum genau wolltet ihr uns hier sehen, Ehrwürden?“
    „Geduld ist in eurem Beruf keine Schande.“
    „Ja, Ehrwürden.“
    „Eure Frage soll dennoch beantwortet werden. Ihr seid hier um Phex einen Dienst zu erweisen. Aus seinem Gotteshaus kommen seit längerem keine Nachrichten mehr. Es gibt zahlreiche Hinweise dass er verlassen ist.“
    „Aus welchem?“, fragte Karon mit Skepsis
    „Hier in Riva.“
    „Dann müssen eure Informationen falsch sein. Erst gestern war ich zum Gottesdienst dort.“
    „Vermutlich wart ihr im offiziellen Tempel.“
    Karon sah betreten zu Boden und schwieg.
    Mit jedem Wort das fiel, war Robertét sich sicherer einen Geweihten und keinen Händler vor sich zu haben. „Worum genau bittet ihr uns?“, mischte er sich ein.
    „Findet heraus weshalb der Tempel Nîbbelich verlassen ist und berichtet an mich. Hier ist eure Entlohnung.“ al'Tosra reichte Karon und Robertét einen Lederbeutel.
    Robertét wog seinen prüfend in der Hand. Er war gut gefüllt. Ein Blick auf seinen Inhalt förderte eine Vielzahl Goldmünzen zutage. „15?“
    „20.“
    „Hm. So viel für ein freundliches anklopfen?“ Robertét erkannte, dass er sein Bauchgefühl falsch gedeutet hatte.
    „Dankt doch einfach Phex für seine Großzügigkeit.“, sagte Karon im genervten Ton.
    „Oh nein. Da stecht doch mehr dahinter.“ Er warf den Geldbeutel zurück zu al'Tosra. „Vergesst es. Das ist mir zu riskant.“
    al'Tosra warf den Beutel wieder zu Robertét. „Mit eurem Erscheinen habt ihr den Auftrag bereits angenommen.“
    Karon lächelte wie ein Sieger.
    „Reicht euch den euer Geweihter nicht?“, sagte Robertét beinahe verzweifelt.
    „Ihr wollt doch nicht euren Schutzgott gegen euch aufbringen?“ Karon überging die vermeidliche Enttarnung einfach. „Oder?“
    „Was wisst ihr schon über mich?“, gab Robertét patzig zurück.
    „Ihr währt überrascht.“
    „Bitte“, mischte al'Tosra sich ein. „Ihr müsst noch lange genug miteinander auskommen.“
    „Wenn wir uns schon nicht leiden können, entlasst mich doch einfach.“, versuchte Robertét es erneut.
    „Diskutiert nicht mit mir, wenn ihr nicht wollt dass euch euer Glück abhanden kommt.“
    Robertét riss mit einem lauten Seufzer ergebend die Arme in die Luft. „Dann will ich wenigstens mehr Informationen.“
    „Mehr als dass der inoffizielle Tempel dem Anschein nach Verlassen ist, wissen wir nicht. Weder wohin die Geweihten verschwunden sind, noch weshalb.“
    „Gibt es für uns eine zeitliche Begrenzung.“, brachte Karon das ganze voran.
    „Arbeitet gründlich und ebenso unauffällig.“
    „Wo finden wir eigentlich diesen 'inoffiziellen' Tempel?“
    „Treffen wir uns morgen früh vor dem euch bekannten Gotteshaus. Dann zeige ich euch wovon hier gesprochen wird.“
    „Ich sehe, ihr könnt auch anders miteinander umgehen. Karon, ich erwarte euren Bericht.“, verabschiedete sich al'Tosra. So unerwartet wie er aus dem Nebenraum aufgetaucht war, so schnell verschwand er wieder in diesem.

  • Na, jetzt scheint es ja zum Thema zu kommen und interessant zu werden. :)

  • Robertét folgte ihm kurz darauf. Er wollte wenigstens wissen durch welchen Ausgang sein Auftraggeber verschwand. Doch als er den kleinen Nebenraum erreichte war dieser leer.
    Unter fluchen kehrte er in den Gebetsraum zurück und sah gerade noch wie die Tür zufiel. Nun war er wieder alleine im Tempel. Alleine mit sich und seinen Gedanken.
    Immer wieder spielte er Möglichkeiten durch sich doch noch aus diesem Auftrag herauszuwinden. Doch egal ob er einfach davon lief oder mit aufwendigstem Zirkus verschwand, für ihn würde es schlecht ausgehen.
    Mit einem alles beherrschenden unguten Gefühl im Magen versuchte er die Gedanken an den Auftrag zu verdrängen. Jedes Mal, wenn sie zurück kehrten wurden Robertéts Knie weich und er musste sich festhalten um nicht zu stürzen.
    Vorsichtig öffnete er die Tür zur Straße und spähte hinaus in die endende Nacht. Der Himmel war bereits blassblau und aus den Bäckereien stieg Rauch. Doch auf der Straße war niemand zu sehen oder zu hören.
    Robertét zog die Tür hinter sich zu und verschwand lautlos in der Gasse aus der er gekommen war. Hier war es noch fast dunkel. Ein schützender Umhang aus Schwärze der Robertét Sicherheit gab.
    Zügig durchquerte er die kleinen Gassen der Stadt auf der Suche nach einem Schlafplatz und fand sich in der Nähe des Neuhavens wieder. Genauer auf der Rückseite einer Taverne. Überall roch es nach billigem Bier, Urin, erbrochenem. Die sandige Straße war voll von Tonscherben und menschlichen Hinterlassenschaften. Jeder Stein stank danach. Aus den Fenstern dröhnten unermüdlich Sauflieder und das Grölen der Trunkenen.
    Einige Schritte vor sich sah Robertét einen Betrunkenen, sich nur mit Mühe auf den Beinen haltend, durch den Dreck torkeln. Mit großzügigem Abstand folgte Robertét ihm um nicht noch schlimmeren Geruch ertragen zu müssen. Der Stofffetzen vor Mund und Nase konnte kaum das Schlimmste abhalten. Von hinten konnte er nichts von dem Alkoholisierten erkennen. Ein grauer Mantel mit langer Kapuze verhinderte es. An den dunklen Flecken auf dem hellen Sand erkannte er jedoch, dass auch die Blase bis eben randvoll gewesen war.
    Unvermittelt stürzte der Betrunkene und konnte sich gerade eben noch mit den Händen abfangen. Dabei gab der Mantel etwas von dem Preis das er eigentlich verdecken sollte.
    Aus den Stoffstiefeln ragte ein hautloses Bein, den beigen Knochen wie eine Fackel zwischen den verfaulten Muskelsträngen präsentierend.
    Robertét entwich ein erstickter Schrei. Er taumelte erschrocken einige Schritte zurück und beobachtete Fassungslos wie die Kreatur sich mühevoll aufrichtete und zu Robertét umdrehte. In den Resten des Gesichtes labten sich Maden und unter der Brust krampfte ein schwarzes Herz.
    Eine zitternde Knochenhand wurde nach Robertét ausgestreckt. Mit wackligen Schritten kam das Wesen näher, die Augen fest auf Robertét gerichtet. Jede verbliebene Faser strahlte den Willen aus, den vor Angst japsenden zu erreichen.
    Erneut strauchelte die Kreatur. Beim Versuch sich abzufangen brach der eben noch vorgestreckte Arm, mit dem Geräusch eines morschen Astes. Das Aufrichten misslang der Kreatur und sie schlug hin.
    Übelkeit stieg in Robertét auf. Endlich schaffte er es seinen Blick loszureißen und die Beine in die Hand zu nehmen.
    Er hatte schon fast den Marktplatz erreicht als er seine Schritte verlangsamte und seinen Lungen eine kurze Pause gönnte. Hatte er es doch geahnt. Etwas in Riva stimmte ganz gewaltig nicht und er steckte nun, gezwungenermaßen, mitten drin.
    Verzweifelt stellte er erneut Überlegungen an wie er aus dieser Situation entkommen könnte. Es musste einfach einen Weg geben diesem Unheil zu entkommen. Um nichts in der Welt wollte er noch einmal einem Untoten gegenüber stehen. Mochte Phex das Glück doch für sich behalten.
    „Baumeister grüßt euch.“
    Ungläubig sah Robertét auf. „Karon? Wo kommt ihr...? Ich... hatte...“
    „Wie verabredet.“
    Langsam schlich sich das Gebäude in Robertéts Gedanken, vor dem er zum Halten gekommen war: Der Phextempel. Die Verabredung die sie in der Nacht getroffen hatten. Oh nein. Die letzte Chance zur Flucht, vertan.
    Er reagierte intuitiv. „Ich hatte mit 'euer Ehrwürden' so früh gar nicht gerechnet.“, sagte er Karons Verhalten der Nacht imitierend.
    „Warum nennt ihr mich Ehrwürden?“
    „Ist das nicht der Titel der einem Geweihten gebührt?“
    „Wie kommt ihr darauf dass ich Geweihter sei. Ich bin Tuchhändler, seit acht Jahren.“ Entweder irrte Robertét sich oder Karons Fassade war ebenso gut wie Robertéts Rollen.
    Bevor beide sich erneut in Feindseligkeiten weiden konnten, stand Yanna unerwartet neben ihnen.
    „Karon, seid mir gegrüßt. Ich habe gehört, dass ihr eine helfende Hand bei euren Geschäften brauchen könnt.“
    „Yanna! Ich befürchtete schon euch nicht wieder zu sehen.“ Karon umarmte sie freudig.
    „Ah, euer Geschäftspartner?“ Sie nickte in Robertéts Richtung.
    „Yanna? Seid ihr noch bei Trost?“ Robertét war entrüstet. „Wieso schlagt ihr euch auf seine Seite?“
    „Kennen wir uns irgend woher, dass ihr mich einfach mit Namen anredet?“
    „Ich bitte euch. Ihr kennt mich und ich kenne euch.“
    „Ihr kennt euch bereits? Prächtig.“ Karon konnte sich das Lachen kaum verkneifen.
    „Reißt euch zusammen. Ja, Yanna und ich kennen uns.“
    „Er hat recht Karon. Wir kennen uns seit ein paar Monaten.“, gestand auch Yanna ein.
    „Na endlich. Und woher kennt ihr ihn, Yanna?“, wobei er Karon vom Scheitel bis zur Sohle musterte.
    „Ich habe Karon drei Tagesreisen vor Riva getroffen, als wir beide uns im Sveltland verloren hatten. Ich brauchte jemanden der mich mit nimmt und er suchte jemanden der ihm die Langeweile vertrieb.“
    Karon hatte wieder zu Atem gefunden. „Jetzt wisst ihr woher ich Yanna kenne. So verratet mir doch woher ihr sie kennt.“
    „Nur zu gerne.“ Robertéts Nase wuchs in den Himmel. „Wir haben bereits oft zusammen gearbeitet und uns in schlechten Zeiten unterstützt.“
    „Was meint ihm mit 'zusammen gearbeitet'?“
    „Wir tun das was ihr auch tut, nur dass wir nicht von Phex persönlich dazu beauftragt und von ihm bezahlt werden. Und jetzt erzählt mir bitte nicht schon wieder etwas von Tuchen.“
    „Ihr seid also Streuner, Diebe?“
    „Unter Gleichgesinnten? Ja.“
    Yanna schwieg und auch Karon war danach das Thema zu wechseln. Robertét empfand die Geheimniskrämerei als kindisch und machte ein entsprechend beleidigtes Gesicht.
    „Vermutlich ist es besser wenn wir uns auf den Weg machen.“, sagte Yanna. „Karon geht ihr doch voran. Ihr kennt als einziger den Weg.“
    „Und ihr werdet euer neu gewonnenes Wissen für euch behalten.“ In Karons Stimme schwang eine Drohung mit.
    „Müsstet ihr uns sonst beseitigen?“, kicherte Yanna.
    Zur Antwort grinste Karon lediglich. Robertét verdrehte die Augen.
    Als sie sich auf den Weg machten, trottete er missmutig hinten drein. Nach einiger Zeit ließ Yanna sich zu ihm zurück fallen.
    „Was hast du gehen ihn?“
    „Warum reist du mit so einem?“ Robertét war beleidigt.
    „Warum nicht. Sei nett zu ihm. Bitte.“
    „Du magst ihn doch nicht etwa?“
    „Und wenn es so wäre? Stell dich nicht so an Robertét.“
    „Ich soll mich nicht anstellen? Weist du wer Karon wirklich ist?“, schrie er im Flüsterton.
    „Tuchhändler. Aber welche Rolle spielt das?“ Yanna brüllte flüsternd zurück.
    „Yanna, er ist Phexgeweihter.“, zischte Robertét.
    Yanna stutze einen kaum merklichen Moment. „Und wenn er es ist, was schadet es uns?“
    „Schaden? Uns? Ist das nicht offensichtlich.“
    „Phex hält seine Hand schützend über alle Händler und Diebe. Er schenkt uns den Nebel und das Glück. Wenn ich mich richtig erinnere ist es das was unser Gewerbe erleichtert. Einer seiner Diener an unserer Seite kann ja wohl kaum zu unserem Nachteil sein.“
    „Diese Geweihten lügen wann immer sie den Mund aufmachen. Die klauen dir das Bett während du darin schläfst.“
    „Würde ich ebenfalls wenn ich es könnte. Und Lügen ist keine dir all zu fremde Eigenschaft, Almaryon-Robertét-und was weiß ich noch. Weißt wenigstens du deinen echten Namen?
    „Ich lasse mich jedenfalls nicht blenden.“ Robertét reagierte nicht weiter auf Yanna. Von ihm und seiner Einstellung genervt holte sie Karon ein und ließ sich von ihm unterhalten.

    Karon bog in einen kleinen Tunnel. Hier flüchtete das Licht von der Dunkelheit. Jeder Meter strahlte eine solche Lebensfremdheit aus, dass niemand den Tunnel betrat der es nicht wirklich wollte.
    Robertét zögerte am Eingang, abgeschreckt und angewidert von den Gerüchen, verängstigt von der Schwärze und irritiert durch die übermächtige Unwirklichkeit des Ganges. Überall standen Kisten; ein totes Huhn lag auf einer davon. Hinter dem Tunnel war nur schwach ein dunkler Innenhof zu erkennen.
    Yanna und Karon hingegen schien all das nicht zu schrecken. Sie gingen wie selbstverständlich hindurch. Karon drehte sich zu Robertét um. „Ihr müsst es wollen, dann kann euch nichts passieren.“
    Robertét sammelte sich. Er wollte sich nicht vor diesem Schnösel die Blöße geben. „Ich will wissen wer du bist.“, wiederholte er energisch in Gedanken immer wieder und ging mit angehaltenem Atem durch den Tunnel.
    Auf der anderen Seite angelangt sah er zurück. Von hier sah es nach einer einfach Unterführung aus. Kopfsteinpflaster auf dem Boden, weder von Kisten, Ratten noch anderem Getier bedeckt. Gebildet aus den Wänden von Häusern. Bedeckt von einer Holzdecke. Der Boden eines weiteren Wohnhauses. Mit einem Kopfschütteln versuchte er sich der Verwunderung zu entledigen die ihn bei diesem Anblick befiel.
    Sie standen jetzt in einem fensterlosen Innenhof in dessen Mitte ein alter Brunnen stand. Statt der üblichen wild wachsenden Sträucher und Pflanzen wucherte Nebel aus allen Ritzen.

  • Karon hielt direkt auf den Brunnen zu. Je dichter er ihm kam, um so dicker wurde der Nebel. Schon waren von Karon nur noch graue Umrisse zu erkennen. Dann war er ganz verschwunden. Yanna nahm Robertét bei der Hand und beeilte sich Karon zu folgen. Robertét zog sie einfach mit.

    Yanna konnte ihre Hand vor Augen nicht erkennen. Die ganze Welt bestand aus einem undurchdringlichen, feuchten und grauen Schleier. Entschlossen ging sie weiter. Mit der einen Hand nach dem Brunnen tastend, an der anderen Robertét.
    Unerwartet lichtete sich der Nebel. Geräusche drangen an Yannas Ohr. Es wurde zusehends heller. Das Grau formte Gestalten und Objekte. Dann fanden sie und Robertét sich am Ende des Tunnels, auf den Innenhof blickend.
    Flink ließ sie ihren Blick über den Ort schweifen. Noch immer stand der Brunnen in der Mitte. Dieses Mal jedoch zeigte er keine Altersspuren. Das karge Kopfsteinpflaster war einem Rasen mit Beeten und zurück gestutzten Büschen gewichen. Auf den freien Flächen waren seltsame Stände aufgebaut, ganz wie ein kleiner Markt. Außer Karon war niemand zu sehen.
    „Unglaublich!“
    Karon antwortete nicht, sondern wanderte geistesabwesend durch die Reihen der Stände und ließ seine Finger dabei über das Holz gleiten.
    „He was ist? Stimmt was nicht?“
    „Still. Siehst du es denn nicht?“ Robertét deutete auf die Stände.
    Erst jetzt erkannte sie was ihr so seltsam erschienen war. Hier und da waren Streben zerbrochen. Bretter abgerissen, Tücher zerschnitten und von den Waren fehlte jede Spur. Nicht an jedem Stand war etwas zerstört worden und nicht in dem Maße dass es jedem auffiel, aber doch genug um bei dem der es bemerkten ein mulmiges Gefühl hervor zu rufen.
    „Eigentlich sind hier immer fünf, manchmal auch zehn Händler. Im Hof tummeln sich Geweihte, Spieler, heimatlose Diebe. Dieses Gotteshaus ist ein Inbegriff des phexschen Lebens.“ Fassungslosigkeit beherrschte Karon Stimme. „Es kann doch nicht sein dass all diese Menschen verschwunden sind.“
    Yanna ging auf Karon zu und legte ihre Hand vorsichtig auf seine Schulter. Sanft legte er seine Hand auf ihre und atmete tief durch. Dann nahm er ihre Hand. „Lasst uns hinein gehen.“
    Karon ging auf eine Tür in der Wand zu. Robertét folgte ihm, fasziniert und angewidert zugleich, davon wie die beiden sich aneinander festhielten.
    Die Tür war angelehnt. Karon konnte weder Schäden am Holz noch am Schloss entdecken. Yanna noch immer an der Hand, streckte Karon langsam die Hand nach der Klinke aus. Ein leichtes Zittern konnte er nicht unterdrücken.
    „Karon, wartet.“, Robertét war kreidebleich. „Riecht ihr das?“
    Geräuschlos sog Karon Luft durch seine Nase. „Nein, nichts.“
    Yanna nickte zustimmend. „Ich rieche auch nichts.“
    „Jetzt ist es weg.“ Robertét hatte noch immer diesen sehr schwachen Geruch nach Verwesung in der Nase. Vielleicht war es ja doch nur eine Einbildung.

    Karon öffnete die Tür und ließ etwas Licht auf den Raum dahinter fallen. Hier war das Chaos viel größer als vor der Tür. Tische, Stühle und Bänke lagen umgeworfen und zerbrochen auf dem Boden. Dazwischen lagen Krüge, Teller, Lebensmittel, sogar einige Kleidungsstücke. Gegenüber der Tür standen die Reste eines Tresens.
    Vorsichtig tasteten sich die sechs Füße zwischen die Reste der Schankstube vorwärts. Unter den Sohlen brachen und knirschten Glassplitter. Mühevoll tasteten sie sich entlang der Wand zum Tresen vor.
    Die Stille und der Geruch machten Robertét zu schaffen. Inzwischen war er sich sicher, dass der Geruch stärker geworden war. Er glaubte sogar die Richtung zu kennen in der die Quelle lag. Angestrengt schaute er in eine Ecke des Raumes. Dort, genau hinter dem Tisch.
    Von Karon und Yanna unbemerkt behielt Robertét den Tisch fest im Blick. Krampfhaft unterdrückte er jedes Blinzeln. Der Geruch nach Tod zog ihm die Eingeweide zu einem Klumpen zusammen. Vor seinem geistigen Auge wiederholten sich die Begegnungen mit den wandelnden Leichnamen.
    Am Tresen angekommen tastete sich Robertét rückwärts daran vorbei. „Riecht ihr es jetzt?“
    Yanna rümpfte die Nase. „Meinst du wirklich?“ Sie verlor ein wenig Farbe um die Nase. „Dass hier jemand getötet wurde?“
    „Nein. Die wandelnden Toten.“, raunte Robertét.
    „Tse.“ Karon sah verachtend zu Robertét.
    „Glaubst was ihr wollt, aber hinter dem Tisch dort hinten versteckt sich jemand.“
    „Unsinn.“ Karon griff nach einem Becher und noch bevor Robertét ihn daran hindern konnte, warf er das Holzgefäß in die Richtung des umgekippten Tisches.
    Scheppernd schlug das Wurfgeschoss auf den Boden auf, prallte ab, flog taumeld weiter und prallte erneut auf. Panisch folgte Robertéts Blick dem Zickzackkurs des Bechers. Auch Yanna war erschrocken. Mehr allerdings von dem unverhältnismäßig lauten Geräusch das brutal die Stille zerriss. Gerade als sie sich zu Karon wand um ihn auszuschalten sah sie am Rande ihres Blickfeldes etwas unförmiges auftauchen.
    Karon und Robertét sahen hingegen ungeschönt wie blitzschnell eine blutig rote Gestalt hinter dem Tisch empor sprang und auf die drei zu hielt. Starr vor Angst sahen sie das Wesen auf sich zukommen, unfähig zu irgend einer Handlung.
    Der Untote hatte schon fast keine Haut mehr über seinen Muskeln und auch diese gaben an vielen Stellen schon den Blick auf blutig, schmierige Knochen frei. Unglaublich flink sprang er über die Bänke und verschwand durch einen Durchgang. Ihm nach folgte ein bestialischer Gestank.
    Karon reagierte als erster, griff nach einem Messer und folgte dem Untoten. Auch Yanna nahm nach einem kurzen Augenblick die Verfolgung auf. Robertét hingegen kauerte sich zitternd hinter den Tresen.
    Der Geruch trieb Karon und Yanna die Tränen in die Augen.
    Hinter dem Durchgang lag ein kurzer Gang mit einigen Türen. Eine davon stand offen. Dahinter lagen Dunkelheit und das Geräusch von nackten Füßen auf Holz.
    „Wir brauchen eine Fackel. Schnell!“
    „Nein.“ Karon fuhr sich mit den Fingern über die Augen und trat entschlossen durch die Tür. Er befand sich in einem Ruheraum. Er rief sich in Erinnerung wie das Zimmer bei seinem letzten Besuch ausgesehen hatte.
    Der Fußboden war mit Strohmatten bedeckt gewesen. Dazwischen hatten niedrige Tische mit Kartenspielen gestanden.
    Jetzt war das Stroh in die Ecken geräumt und die Tische zerschlagen. Auch einige Bodenbretter waren herausgerissen worden. Er sah gerade noch wie eine Geheimtür zu fiel. Eine Chance sie noch zu erreichen hatte er nicht. Dennoch setzte er zum Spurt an. Doch noch bevor er das Zimmer zur Hälfte durchquert hatte, rastete der Verschlussmechanismus ein.
    „Verdammt.“ Er musste wegen des Gestanks husten.
    Yanna, die mit einer Fackel in den Ruheraum kam, musste auf der Stelle kehrt machen. „Oh mein Gott ist das ein widerlicher Gestank.“
    Karon rettete sich unter Würgen aus dem Zimmer. „Widerlich.“ Er zog die Tür hinter sich zu.
    „Alles in Ordnung bei dir?“ Yanna kniete neben Karon, der an der Wand zu Boden sank.
    „Einfach nur etwas viel. Untote die geheiligte Räume betreten können erlebt man nur selten.“ Selbst solche Umstände konnten seinen Zynismus nicht vollständig vertreiben.
    „Ist er weg?“ Robertét lugte vorsichtig um die Ecke.
    „Ja verdammt. Ist er. Auf und davon.“
    „Wie ist er euch entkommen?“
    „Regt ihr euch nur auf. Hinter dem Tresen hattet ihr ja genug Zeit euch Gedanken zu machen.“, fluchte Karon.
    Robertéts Wangen färbten sich rot und sein Blick fixierte verschämt den Boden.
    „Hätte ich gewusst das ihr ein solch unsäglicher Feigling seid, dann hätte ich euch glatt geholfen euch von al'Tosra frei zu kaufen.“
    Robertét starrte noch fester auf die Maserung der Holzbohlen. „Als ob es euch besser gehen würde.“, sagte er mehr zu sich selbst.
    „Offensichtlich geht es mir noch besser. Ich habe wenigstens das Herz eines Mannes und nicht das einer Maus.“
    „Ihr seid ihnen aber auch erst einmal begegnet.“
    Ungläubig sah Karon Robertét an. „Wie bitte?“ Er stand auf und ging mit breiten Schultern auf Robertét zu. „Soll das etwa heißen dass ihr wusstet, was hier auf uns wartet?“ Er packte Robertét am Kragen und schob ihn gegen die nächste Wand. „Ihr habt uns ins offene Messer laufen lassen.“, brüllte er das vor Angst zitternde Bündel an.
    Yanna schaffte es endlich sich für eine Seite zu entscheiden und redete beschwichtigend auf Karon ein. „Er hatte keine Ahnung. Sonst wäre er bei seinem Mut doch ganz sicher nicht mit hinein gekommen.“
    „Und was hat er dann gemeint?“
    „Wir sind diesen Wesen tatsächlich schon einmal begegnet. Gestern Morgen.“ Ausführlich erzählte Yanna von ihrer ersten Begegnung mit den Untoten und Robertét fügte zögerlich die Zweite hinzu.
    „Ich hätte nicht gedacht oder besser, sehr gehofft, dass diese Begegnungen nichts mit dem Auftrag zu tun haben.“, schloss Robertét.
    Seufzend erhob Karon sich. „Das Glück scheint euch nicht gegönnt.“
    „Und wie soll es jetzt weiter gehen?“
    „Ich nehme einige Unterlagen mit und suche darin nach Hinweisen. Ihr beide hört euch in der Stadt um.“
    „Und wonach genau sollen wir uns umhören?“
    „Das werdet ihr schon wissen wenn ihr es hört.“
    Robertét war versucht die Augen zu verdrehen.
    „Bei euch bin ich mir da nicht so sicher.“, stichelte Karon.
    Robertét war jedoch zu erschöpft um darauf einzugehen. Er freute sich im stillen endlich wieder darauf auf die Straße zu kommen.
    Karon wies Yanna und Robertét an im Speisesaal zu warten während er Dokumente zusammen suchte. Immer wieder kam er mit dicken Büchern und versiegelten Schriftrollen an, die er vor den beiden Wartenden auftürmte. Er versäumte nicht regelmäßig darauf hin zu weisen, dass sie auf keinen Fall einen Blick auf die Papiere werden durften.

  • Dank deftiger Erkältung hat es etwas länger gedauert. Nun ist der nächste Teil aber da. Viel Freude damit.

    „Endlich.“, seufzte Robertét als Karon das vorläufige Ende seiner Sammlung bekannt gab.
    Kurz darauf durchquerten sie voll beladen den Innenhof. Karon führte sie durch die halbe Stadt, auf die andere Seite des Kvill, wo Bücher eine wahre Seltenheit sind, in einen anderen Hof. Dieser war nur locker von Häusern und Hecken begrenzt, hatte eine kleine Rasenfläche mit Bäumen.
    Kaum von Sträuchern verborgen stand auf diesem Hof, den mach auch getrost als Park in der Hässlichkeit der Underen Wyk hätte bezeichnen könnten, ein Kastenwagen. Oder etwas das einem Kastenwagen zum Verwechseln ähnlich sah. Hier waren jedoch die Räder gegen Stützen ersetzt worden, die Deichsel diente als Wäscheleine und an der rechten Seite befand sich eine Leiter zu einer Art Dachterasse.
    „Dekadent.“, staunte Robertét.
    „Oh, das beste kennst du ja noch gar nicht.“, schwärmte Yanna.
    'Das Beste' war die Inneneinrichtung. Neben einem echten Bett gab es einen Schreibtisch, Schränke, eine Vielzahl, an speziellen Halterungen verstaute Stoffballen und ein Bücherregal.
    „Dekadent.“
    „Unglaublich, nicht.“
    „Allerdings.“
    Karon grinste in sich hinein. „Legt alles einfach auf das Bett. Ich sortiere es dann selbst.“
    „Kann ich dich unterstützen?“, fragte Yanna.
    „Ja, kannst du.“
    Yanna sah mit großen Augen zuerst auf den Papierberg und dann auf Karons Oberarme. „Wie?“
    „Du kannst dich zusammen mit Robertét auf der Straße umhören.“
    „Oh.“ Yanna sah enttäuscht zu Boden.
    „Gute Idee Karon. Lest ihr nur ein bisschen und überlas die echte Arbeit jemandem mit Talent.“, stichelte Robertét.
    „Ihr habt recht. Deshalb soll Yanna dich ja auch begleiten.“
    „Damit sie noch etwas lernt?“, fragte Robertét mit zweideutigem Unterton.
    „Das kann dann ja nicht all zu lange dauern.“
    Da Robertét keine Wiederworte mehr einfielen, verließ er den Wagen schleunigst.
    „Auf der Straße und ohne Untote ist er wirklich nicht so schlecht.“, verteidigte Yanna den abwesenden schwach.
    Karon sah sie nur mit milden Augen an.
    Vor dem Wagen legte sie ihren Arm um Robertéts Hüfte. „Kannst du dich nicht mit ihm vertragen? Er ist so lieb und freundlich, wenn du dich nur bemühen würdest.“
    „Du meinst reich und hübsch.“
    „Robertét, bitte.“ Yanna hielt ihn am Arm fest.
    „Tue was immer du für nötig hältst. Ich werde jetzt tun was nötig ist um aus diesen Niederhöllen zu entkommen.“ Er entriss sich ihrem Griff und ließ sie auf dem Hof am Rande einer Panik zurück.

    Kaum aus Yannas Sicht verfiel Robertét in einen Laufschritt. Wie er sich einredete um nicht noch später auf der Baustelle zu erscheinen. Die Wahrheit lag wohl weit eher in Karons überwucherndem Wesen.

    Yanna stand noch einige Minuten fast bewegungslos im Innenhof, nach den richtigen Worten für einen nicht mehr vorhandenen Robertét suchend. Sie sah sich bei einem schwierigen Balanceakt der sie Karon näher bringen sollte aber ohne Robertét zu verlieren. Letzteren hatte sie schon des Öfteren gebraucht um aus heiklen Situationen zu entkommen und würden ihn vielleicht auch noch weitere Male benötigen. Karon hingegen war der echte Mann. Ein Mann ohne Angst. Ein Mann der keine Grenzen kannte. Von ihm konnte sie das bekommen, wozu Robertét nie in der Lage wäre.
    Noch immer in Gedanken verließ sie den Innenhof. „Sich in der Stadt umhören. Wo soll ich anfangen? Wie fragt man einen einfachen Bürger ob ihm halb verfaulte Menschen begegnet sind? Wen kann ich fragen ohne aufzufallen?“
    Ohne Robertét würde sie nicht weiter kommen. Also musste sie ihn wohl oder übel suchen.
    Wie viel sie bisher von Robertét gelernt hatte bewies sie, in dem sie zuerst in den heruntergekommenen Hafenkneipen und den einschlägigen Wirtshäusern der Underen Wyk nach ihm sucht. Sie ging sogar so weit in den Norden, bis sie bei den Gerbern und Salzsiedern und ihren kleinen Kanälen voller übel riechender Flüssigkeiten ankam. Ohne Phex Hilfe hätte sie ihn auf dem Vorplatz des Rathauses übersehen.
    Scheinbar zufällig schlenderte ein gut aussehender junger Mann in vielfarbiger Hose und freiem Oberkörper an ihr vorbei. Mit offenem Mund sah Yanna ihm nach. Bewunderte die Freiheit die in seinen Gesichtszügen lag und den durchtrainierten Körper. Spielend leicht schlug der Gaukler ein Rad und ging mit breitem Grinsen einige Schritte auf den Händen.
    Wie gebannt folgte Yanna ihm mit ihrem Blick. Unbemerkt von sich selbst ging sie weiter, inzwischen sogar rückwärts, ohne den Gaukler aus den Augen zu verlieren. Aus seinem Handstand winkte er ihr zu. Verlegen winkte sie zurück und stellte dabei erschrocken fest, dass ihr Schuh an etwas hing.
    Geräuschvoll und ungelenk stürzte sie über einen Stapel Gemüsekisten. Hämisches Gelächter schallte über den Platz.

    Robertét sah nur aus dem Augenwinkel eine konturlose Gestalt die unerwartet plötzlich verschwand. Als er sich unwillkürlich danach umdrehte, sah er ein völlig chaotisches Bild.
    Beine ohne erkennbare Besitzer, Stroh das in der Luft tanzte, flüchtende Erdäpfel. Die Szene war so komisch, dass er mit einem herzlichen Lachen in das allgemeine Gelächter einstimmte.
    Ebenso schnell aber verging ihm das Lachen, als er sah wer sich da aus dem Chaos erhob. Bevor er sich zwischen den anderen Tagelöhner und den Baumaterialien verstecken konnte, hatte ihn das wütende Augenpaar fixiert. Der Blick spie Gift und Galle, wünschte Tod und Teufel.
    „Du!“ Yanna kam mit langen Schritten näher. „Du Unsäglicher.“
    Nun galt das Gelächter ihm.
    „Robertét du elendiger.“
    Er ging einige Schritte rückwärts.
    „Überall musste ich nach dir suchen.“ Schon stand sie vor ihm und packte ihm am Ohr. „In ganz Riva musste ich dich suchen.“ Sie zog ihn vom Rathaus fort, begleitet von schadenfrohen Gelächter, Jubel und Applaus.
    „Was fällt dir ein hier zu arbeiten anstatt dich umzuhören und deinen Auftrag zu erledigen?“
    Mit einem kräftigen Griff löste er ihre Hand von seinem Ohr. „Besser du mäßigst dich, Yanna.“
    „Scheinbar ist das der einzige Tonfall den du verstehst.“
    Er packte ihr Handgelenk sehr fest. „Du bringst das Fass zum Überlaufen. Ist dir nicht einen Moment in den Sinn gekommen, dass ich nicht nur von Phex Gunst lebe, sondern von Brot und Bier? Und das will bezahlt werden. Vielleicht sollte ich dich einfach fragen wieso du Stunden nach mir suchst, statt dich um die Aufgabe zu kümmern die auch dir gestellt wurde.“
    Yanna öffnete den Mund.
    „Sag nichts. Du hast einfach keine Ahnung wie du das anstellen sollst. Du hast noch immer nichts gelernt, außer andere deine Arbeit machen zu lassen. Yanna, du bist die unfähigste Streunerin die mir je begegnet ist.“
    Jetzt vergreifst du dich aber im Ton.“, wehrte sie sich zaghaft.
    „Oh nein. Dieser Ton steht mir zu. Wegen deines grandiosen Auftritts muss ich diesen redseligen Menschen nun eine Ausrede auftischen um meine Rolle zu wahren. Und zwar eine Gute.“ Er entließ Yanna aus seinem Griff und ging ohne ihr eine Chance zur Verteidigung zu lassen.
    Den Tränen nahe verließ sie den Rathausplatz fluchtartig ohne dabei von Robertét eines Blickes gewürdigt zu werden. Wut steig in ihr auf. Wie konnte es dieser eingebildete Kerl es wagen sie so anzugreifen. Minutenlang fluchte sie über seine Unzulänglichkeiten und Fehler.
    An einer abgelegenen Stelle der Stadtmauer zwischen aufgehäuftem Stroh ließ sie sich zu Boden sinken und lehnte sich erschöpft an das warme Holz der Palisade. Sie ließ den Kopf in den Nacken sinken und sah in den Nachmittagshimmel.
    Was aber wenn Robertét doch recht hatte? Wenn sie wirklich nichts von ihm gelernt hatte, sondern nur durch seine Hilfe die letzten Jahre überlebt hatte. Wenn sie wirklich eine Streunerin war, die ohne jedes Talent durch die Welt stolperte?
    Sie gab sich eine ganze Weile ihren Selbstzweifeln hin, bevor die Wut und ein überwältigender Tatendrang in sie zurück kehrten. Sie beschloss sich an Robertét zu rächen. Sie würde ihm beweisen wie gut sie war. Sie würde ihm zeigen, dass sie mindestens ebenso gut war wie er. Und am Ende, wenn sie mit ihm fertig war, dann würde er alles für Sie tun, um Gnade und Vergebung flehen. Er würde es zutiefst bereuen.
    Was hatte er noch über sie gesagt? Sie würde nur andere für sich arbeiten lassen? Wieso eigentlich nicht.
    Yanna warf einen kurzen Blick in Richtung Himmel und stellte fest, dass ihr nicht viel, aber gerade noch genug Zeit blieb.

  • Auf gehts in nächste Kapitel

    Als die Dämmerung bereits über Riva herein gebrochen war und Robertét in einem kleinen Zimmer an seinem zweiten Hosenbein nähte, schlich Yanna sich an das geschlossene Stadttor im Osten, das Bauerntor, heran.
    Das helle Holz hob sich gut gegen die Dunkelheit ab. An den hohen Seiten flatterten rot-weiße Banner, die in ihrer Länge bis fast an die Köpfe der Wachen darunter reichten.
    Yanna zählte zwei Wachen, gerüstet mit Harnisch, Hellebarde und Schwert. Ihre weiten Hosen und Hemden waren ebenfalls in Rot und Weiß gehalten. Der seichte Abendwind trug zusammenhanglose Gesprächsfetzen in die Nacht.
    Yanna sah zum wiederholten Male an sich hinunter. Ihre Kleider saßen schief, der Rock hatte einen langen Riss, so dass ihr Bein darunter gut zu erkennen war. Bluse und Rock waren an den Knien und Ellenbogen dreckig. Sie fand sich meisterhaft.
    Noch einmal sah sie zum Tor hin und fand alles unverändert.
    Einen Augenblick später stand sie in einer Seitengasse in der sie weitere Vorbereitungen getroffen hatte. Im Sandboden fanden sich zahllose Fußabdrücke von unterschiedlichen Schuhen, wild verteilt. Alles Umstehende war sorgfältig umgestoßen.
    „Phex steh mir bei.“, murmelte sie ein letztes Mal, dann ließ sie sich nach vorne fallen.
    Das Ergebnis waren blutende Schrammen an den Händen, Armen und im Gesicht. Yanna biss die Zähne zusammen.
    Sie rannte los in Richtung Stadttor. Sie schrie dabei so hysterisch sie konnte, bettelte inständigst um Hilfe und schlug an einige Türen.
    Durch ihren Lärm schaffte sie es eine Vielzahl Einwohner zu wecken. Wer nicht durch den Krach geweckt wurde, den weckten die bellenden Hunde.
    Noch bevor sie das Tor erreichte, kam eine der Wachen mit blankem Schwert zu ihr gestürmt.
    Yanna entschloss sich vor seinen Augen ein weiteres Mal zu stürzen. Schnell war er bei ihr und versuchte sie auf die Beine zu bringen. Yanna machte sich schwer in seinen Armen.
    „Oh, bitte helft mir.“
    „Was ist euch geschehen?“ Der Wachmann musste Yanna stützen, damit sie nicht erneut fiel. Nervös sah er in die Richtung aus der Yanna gekommen war. „So redet doch mit mir. Was ist mir euch geschehen?“
    „Ich wurde überfallen.“
    Der Wachmann merkte, dass Yanna nicht in dem Zustand war mehr zu erzählen. Er trug sie eiligst in einen kleinen Holzverschlag neben dem Stadttor.
    Hier standen neben einem wackeligen Tisch nur zwei einfache Hocker. Eine Fackel spendete Licht.
    Im Laufe der nächsten Stunde brachte der Wachmann mit männlicher Vorsicht, Yanna dazu ihm zu erzählen was ihr passiert war.
    Unter Tränen berichtete sie von einem, in schwarz gekleideten Mann der sie mit einem Messer angegriffen hatte. Sie konnte dem Wachmann auch den Ort nennen. Mit einer krakeligen Handschrift und sehr einfachen Sätzen notierte er alles was Yanna ihm erzählte.
    Nachdem er alles in Erfahrung gebracht hatte, was er brauchte um Riva wieder sich zu machen, bot er Yanna an sie nach Hause zu begleiten.
    „Ach, ich will euch nicht noch mehr Umstände machen.“
    „Ihr bereitet mir keine Umstände.“
    „Aber dürft ihr euren Kameraden so einfach alleine am Tor lassen?“
    „Macht euch darum keine Sorgen. Die Zeiten sind friedlich.“ Der Wachmann erhob sich und bot Yanna die Hand.
    Ihr bleib wohl keine andere Wahl. Sie nahm die dargebotene Hand folgte dem Gardisten in die inzwischen fortgeschrittene Nacht.
    „In welche Richtung geht es?“
    Yanna dachte kurz nach und wies dann in die Richtung einer einfachen Wohngegend im Gewerkehoop. Während sie schweigend nebeneinander her gingen überlegte Yanna fieberhaft wie sie dem Wachmann unauffällig entkommen könnte. Mit schnellem Blick musterte sie die Häuser und deren Eingänge. Als die Stille zwischen ihr und dem hilfsbereiten Gardisten schon unangenehm wurde, bemerkte sie dass sie sich unweit des Phextempels befand. „Es sind nur noch zwei Straßen.“
    „Ich begleite euch auch noch bis an das andere Ende der Stadt.“
    Yanna lächelte zaghaft. „Da vorne ist es schon. Vor dem Durchgang blieben Sie stehen.
    „Nun, die letzten Meter kann ich euch wohl auch alleine gehen lassen.“ Auch der Gardist erfuhr die abstoßende Ausstrahlung des Portals und unterlag ihr unwissentlich.
    Yanna hingegen lag viel daran zum Tempel zu gelangen. Nach einer kurzen Verabschiedung und dem Versprechen des Gardisten den Angreifer schnell zu finden, verschwand Yanna im Durchgang und verbarg sich im Innenhof. Weiter wagte sie sich ohne Karon nicht.
    Den ersten Schritt war nun getan. Mit einem flüchtigen Grinsen besann sie sich auf den moralischen Kampf des Wachmanns zwischen ihren Brüsten und seinem Anstand. Er würde ganz sicher tun was er versprochen hatte und nicht eine Sekunde hinterfragen was sie ihm erzählt hatte.
    Sie legte sich auf ein schnell zusammengestelltes Lager aus einer uralten und löchrige Wolldecke. Die Nacht war bewölkt und die Wärme des Tages reichte hier im hohen Norden nicht bis zum nächsten Morgengrauen. Yanna schlief unruhig. Immer wieder lag die wach und dachte über ihren Plan nach.

    Während Robertét weiter als Tagelöhner arbeitete und mit viel Geduld den Teil der Stadtbewohner ausfragte, der sich am besten in den Abgründen der Stadt auskannte, arbeitete Yanna an etwas größerem. Nach ihrer Meinung jedenfalls.

    Zuerst trieb sie mit flinken Fingern etwas Silber und Kupfer auf, ohne dabei das Risiko all zu hoch anzusetzen. Ihr war klar, dass sie auf diesem Wege nicht zu viel Geld beschaffen durfte. Nach weiteren Möglichkeiten würde sie heute Abend suchen. Jetzt aber war sie auf dem Weg in den Hafen. Unter dem Arm hatte sie sich einen Kanten Brot und Hartwurst geklemmt.
    Abseits der Piers standen große Schuppen in denen die Waren der Handelskontore unter strenger Bewachung lagerten. Überall lagen Taue, Fischernetze hingen zum säubern und flicken zwischen Pfählen. Dazwischen liefen Schlepper, Matrosen und Schiffsbauer mit stiller Routine.
    Yanna suchte sich ihren Weg zur Hafenmeisterei. Durch die offene Tür standen seit dem frühen Morgengrauen arbeitsuchende Tagelöhner zahlreicher Professionen. Wer um diese Zeit noch keine Arbeit hatte, schlimmstenfalls noch nicht einmal in die Hafenmeisterei gelangt war, dessen Chancen waren denkbar schlecht.
    Genau unter diesen Menschen sah Yanna sich um. In einem älteren Mann fand sie was sie suchte. Das Haar war schütter und hatte schon viel von seinem Braun eingebüßt. Die Haltung war gebeugt, das Gesicht von Falten und Narben zerfurcht, die Hände hatten reichlich Hornhaut.
    Yanna war gerade erst stehen geblieben, da stürmte schon fast die gesamte Schlange auf sie zu, umkreiste sie und redete lautstark auf sie ein. Die Männer und Frauen präsentierten ihre Muskeln, priesen ihre bisherigen Arbeiten an und taten alles um Yannas Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie aber griff zielsicher nach dem älteren Mann. „Ihr kommt mit mir.“ Glücklich folgte er ihr während der Rest sich missmutig wieder in eine ordentliche Schlange stellte.
    „Was darf ich für euch tun?“
    „Geduld.“
    Geduldig und schweigsam folgte er Yanna. Es lag ihm nichts daran irgend etwas zu tun, dass seine gerade gewonnene Anstellung gefährdete.
    Yanna ging nicht weit. Eine der beiden Hafenschänken war ihr Ziel. Um diese Tageszeit war der Schankraum leer. Lediglich die Wirtin wischte mit einem Stofflappen das Bier und die Essensreste der letzten Nacht von den Tischen. Riva und vor allem die Besitzer der Tavernen legten viel Wert darauf, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie würdigte den beiden frühen Gästen eines kurzen Blickes und beantwortete Yannas Forderung nach zwei Lowanger Kirschbier mit einem kurzen Nicken. „Setzt euch.“