Die letzte, ungemütliche Nacht sollte unsere letzte Nacht im Freien sein. Die Stadtmauern Altzolls kamen in Sicht. Hohe Wehrtürme ragten aus ihr in das wolkenverhangene Alveranszelt. Ich kam mir sehr versiert vor, als ich den höchsten Turm wahrnahm und mir seine Position links in der Stadt nahe der der Mauer merkte, als ich den Graben vor der Mauer und das breite Tor besah.
Mit unseren herankommen an die Stadt wurde auch die Reichsstraße belebter. Zwischen matschigen Wiesen und vereinzelten bauernkaten waren außer uns noch Karren und beladene Reisende unterwegs in Richtung Altzoll. Es sah nach Markttag aus. Am Stadttor selbst hatte sich eine Schlange an Wartenden gebildet. Uniformierte durchsuchten die Wägen. Sie trugen ein Wappen mit einem Drachenschädel, das Abzeichen der gefürchteten Drachengarde.
Schließlich kamen wir an die Reihe, wobei Paske und ich zu Rahjadis aufschließen mussten, die sichtlich ungehalten darüber war, warten zu müssen. Und nicht gewillt war, es länger hinzunehmen, als es ihre Ellbogen und ihre gesäuseten Entschuldigungen beim Vordrängeln erlaubten.
Je näher wir kamen, umso mehr schnappten wir auf, wobei es bei den Durchsuchungen ging: Die Gardisten durchstöberten alle Waren und sämtliches Gepäck auf der Suche nach verbotenen zwölfgöttlichen Devotionalien, nach Alchemika und sonstigen magischen oder wertvollen Gütern, die zollpflichtig waren, sowie nach verborgenen Waffen. Als ich den Wortfetzen von den "verbotenen Zwölfgötterkulten" hörte, bekam ich weiche Knie. Meinen Weihrauchschwenker, das Salböl und die geweite Graberde konnte ich leicht als nekromantisches Ritualzubehör ausgeben. Wenn sie aber mit ihrer Suche gründlich waren und ihnen meine Abschrift des schwarzen Buchs in die Hände fiel, war es mit unserer Tarnung aus. Ich konnte nur hoffen und beten, dass sie nicht tiefer in meinem Gepäck graben würden als bis zu den die nekromantischen Bücher, die ich von Tijakon mitgenommen und zuoberst in meinen Rucksack gepackt hatte.
Ich flüsterte Rahjadis hastig meine Sorge zu und sah an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie erkannte, dass ich noch blasser war als sonst und die Besorgnis aus meiner Stimme sprach. Sie warf mir noch rasch ein beruhigendes Lächeln zu, bevor Sie sich an einen der beiden Drachengardisten wandte.
Doch sie begrüßte ihn nicht... wie ich erwartet hatte, und ließ auch nicht ihren Charme spielen. Nicht in der Weise, wie ich es bislang an ihr erlebt habe. Stattdessen lag auf ihren Lippen eine Zauberformel. Sie hatte Gardist Schweißstirn auf magische Weise so bezirzt dass sie ihm eine wohlvertraute Freundin war. Und als solche war es nicht nötig, dass wir unser Gepäck durchsuchen ließen. Stattdessen reichte es aus, dass wir unsere Waffen ablegten. Sie würden bis zu unserer Abreise in einem Arsenal neben dem Tordurchgang verwahrt werden.
Alondro schmeckt dir das gar nicht. Bei dieser Gelegenheit fiel mir auch auf, dass der Jäger tatsächlich mit zwei Bögen, zwei Wurfäxten und was weiß ich noch alles an Waffen reiste. Dieser Mann war eine laufende Waffenkammer
Und dann waren wir in der Stadt die Reichsstraße führte geradeaus weiter in die Stadt. Wir befanden uns in einem wohlhabenden Viertel. Uns umgaben zweistöckige Fachwerkhäuser. Sie wiesen merkwürdige Verzierungen auf, die allenthalben auf dem Holz, an Türstürzen, Fensterläden und -rahmen angebracht waren. Es waren unregelmäßige Formen von heller Farbe, soweit ich es mit meiner eingeschränkten Farbwahrnehmung erkennen konnte - vielleicht von gelblicher, vielleicht hellbrauner Farbe. Ich trat einen Schritt an eines dieser Dinger heran und nahm es näher in Augenschein. Und im nächsten Augenblick fuhr ich entsetzt zurück. Es waren Knochen, beschnitzte Knochen! Und das schlimmste daran war, dass sie von Menschen stammten. Dieses ganze Stadtviertel, wahrscheinlich sogar diese gesamte Großstadt, war eine einzige, götterlästerliche Grabschändung.
Wenn uns jetzt jemand beobachtet hätte und die vorgebliche Nekromantin gesehen hätte, die angewidert das Gesicht verzieht und angesichts der Menschenknochen mit Übelkeit zu kämpfen hat, wären wir wieder einmal in arge Erklärungsnot geraten.