Boronische Umtriebe
Tijakon zog sich zurück. Wir blieben auf der Straße.
Meine Lügen und die verdrehten Worte, um die Nekromantin zu geben und um Tijakon zu besänftigen, hatten einen faden Geschmack in meinem Mund hinterlassen. Wie etwas schleimiges, das ich nicht mehr rechtzeitig ausspucken konnte. Schon vor dieser Aufregung im Dorf hatte ich Rahjadis genug überredet und Paske würde sich uns immer anschließen, um uns zu beschützen. Ich sah keinen Grund, um von meinem Vorhaben abzurücken. Jetzt mehr denn je, denn unser Nekromant war nach Hause gegangen.
Ich würde nach Borons Willen handeln und Seinen ewigen Frieden auf Dere bringen.
Dort brannte noch Licht in einer Stube. in einem anderen Haus schrie ein Kleinkind. An diesen Häusern schlichen wir vorbei. In einem Eckhaus war alles still. Und in dieses Haus war am Abend eine untote Frau eingetreten, die ich nun zu finden hoffte. Vorsichtig drückte ich die Klinke. Die Türe bewegte sich. Dunkelheit gähnte mir entgegen. Ich spürte - und hörte -, wie Rahjadis und Paske sich hinter mir durch die Tür schoben und sie hinter sich leise schlossen.
Der Himmel war bewölkt. Vom Madamal oder den Sternen war schon im Freien kaum Licht auf die Straßen im Dorf gefallen und hier drinnen waren die Vorhänge an den Fenstern zugezogen. Ich konnte nur die Umrisse von einem Tisch, von Stühlen im Raum erahnen. Ich verließ mich auf meinen Tastsinn und meine Ohren. Von rechts hörte ich die ruhigen Atemzüge, versetzt mit einen Schnarchen ab und an. Paske und Rahjadis bewegten sich in meinem Rücken, während ich mich in die Richtung des Schlafenden tastete. Die Grandessa wisperte etwas - und verstummte abrupt, da wir alle es hörten: Ein Räuspern, das Rascheln einer Decke - der Schläfer war erwacht!
Ich konnte keinen Finger rühren, so starr stand ich vor Schreck. Und atmete im nächsten Moment leise auf, als sich die Atemzüge der oder des Unsichtbaren wieder vertieften und er zurückkehrte in Bishdariels Reich. Schritt und Schritt näherte ich mich dem angrenzenden Schlafraum. Ich stellte mir vor, dass die untote Frau, die ich suchte, ihrer Gewohnheit treu geblieben war und nachts in einem Bett lag, obwohl sie keinen Schlaf mehr finden konnte. Wenn sie sich gar die Schlafstatt mit ihrem Witwer teilen würde, wäre es für mich... schwierig, sie entweder von ihm unbemerkt auszusegnen oder ihn davon abzuhalten, mich aufzuhalten. Wenn er aufwachen und sich zur Wehr setzen würde, dann würde er seine Nachbarn alarmieren.
Doch sie erwies mir diesen Gefallen und blieb ihrer Gewohnheit nicht treu. Ich schlich dem angrenzenden Schlafraum näher und bemerkte nach und nach den Schemen eines Menschen, der sich schwarz vor der Dunkelheit des Raumes abhob. Sie stand Wache vor dem Schlafzimmer ihres Mannes. Bislang hatte sie uns schweigend beobachtet. Mit vor Aufregung zitternden Händen zückte ich mein Beutelchen mit geweihter Graberde, mit dem ich ihr am Ende des kurzen, geflüsterten Banns gegen Untote - nur die nötigsten Zeilen des Segens Sanct Khalids aus dem Schwarzen Buch, die ich auswendig sprach - den Segen Borons erteilte. Boron nahm sie an und sie gab keinen Laut von sich, als ihr Körper zusammenbrach, seines Unlebens beraubt.
Ein Triumphgefühl durchströmte mich. Ich fühlte mich so lebendig - endlich, endlich konnte ich etwas Sinnvolles verrichten! Etwas, das wortwörtlich dem Willen des Schweigenden entsprach!
Paske und Rahjadis antworteten mit einem Lächeln, als sie mich strahlen sahen. Wir verließen das Eckhaus so leise, wie wir es betreten hatten.
Acht weitere Male murmelte ich die Liturgie. Der Herr Boron und der Herr Phex waren mit uns in dieser Nacht, ganz nah. Der Friede Borons begleitete mich in dieser Nacht und erfüllte mich gänzlich. Ich erinnere mich an das, was wir danach taten, doch an keine Worte, die möglicherweise gesprochen wurden. Wir kehrten in Tijakons Haus zurück. Rahjadis verschickte eine Brieftaube mit einem Bericht an Gernot von Mersingen, dass wir die untoten Einwohnerschaft Bleichaus um knapp die Hälfte reduziert hatten. Paske sattelte unsere Pferde. Ich selbst nahm zwei nekromantische Werke in der Bibliothek an mich, damit sie nicht in falsche Hände geraten würden.
Und schließlich verschwand Rahjadis noch einmal in einem der oberen Räume. Möge Rethon ihre Tat besehen und Boron darüber richten, ob sie in Seinem Sinn handelte... als sie den Nekromanten Tijakon von Bleichau in seinem Bett erstach.
Doch das sollte ich erst später erfahren.
in Eile machten wir uns zu Pferde auf den Weg. Erneut auf die Reichsstraße, erneut gen Osten, wo das Alveranszelt noch stockdunkel war. Alondro holte uns bald ein, er hatte kurz hinter Bleichau auf unsere Abreise gewartet und beschwerte sich, dass wir uns so lange aufhalten ließen. Seine Stimmung hob sich, als er meinen entrückten Zustand bemerkte. Es muss sicherlich das erste Mal gewesen sein, dass er so etwas bezeugte und ich denke, es faszinierte und erheiterte ihn gleichermaßen.