Oma Elses zweiter Tod

Subreddit Orkenspalter
Als kleine Spielerei ist eine Dependance von Orkenspalter bei Reddit verfügbar. Das Ganze ist als Experiment und Testbetrieb klassifiziert und ist technisch und inhaltlich gänzlich vom Orkenspalter getrennt. Interessierte Reddit-User können dort gerne vorbeischauen, wenngleich das Herz und der Fokus natürlich vollständig hier bleibt (und bleiben wird).

Im Bereich der Betatester kann auch intern darüber diskutiert werden.

Die Stille des Abends ...

... währte nur kurz. Wir hatten kaum die Straße betreten und ich hatte mich unschlüssig umgesehen, ob nicht der einsame, schlurfende Schritt eines untoten Körpers zu vernehmen war. Da hörten wir rufe vom Dorfrand her. Ich konnte nicht ausmachen, um was es ging, aber wir hörten dass sich der Aufruhr uns näherte. Und er kam schnell näher. Jetzt war das Trappeln von Füßen zu hören.

"Lauft!" Alondro wetzte um eine Ecke. Er war es, der uns dieses eine Wort zurief. Aber wir allesamt - Donna Rahjadis, Ritter Paske und ich - waren viel zu perplex, um seinem Ruf nachzukommen. Sein entsetzter Gesichtsausdruck blitzte in der Dunkelheit auf, dann war Alondro schon an uns vorbei und nahm wieder an Fahrt auf. Einzelne Rufe wie "Da ist er!", "Das wirst du büßen!" und "Else!" lösten sich aus dem Stimmengewirr. Kurz darauf bog ein gutes Dutzend Bleichauer aus der Richtung in die Straße ein, aus der Alondo vor wenigen Herzschlägen gerannt kam.

Wir waren ahnungslos, was vorgefallen war. Hatte Alondrus sich etwas zuschulden kommen lassen? Nur allzu gut - oder treffender: böse - war mir in Erinnerung geblieben, wie der Jäger bei unserer Ankunft in Alt-Bergenbach mit einem gezielten Wurfbeil in die Wade eines hungrigen Diebes diesen von dem untoten Hirschschlegel vertrieben hatte. Rahjadis und ich begannen, mit beruhigenden Worten auf die Leute einzureden. Auch Tijakon war unter ihnen. Er hatte sein scharf geschnittenes Gesicht mühsam unter Kontrolle, doch seine Augen blickten verkniffen zu uns. Ich erkannte, dass er genauso aufgebracht war wie die anderen. Unsere Fragen, was vorgefallen sei, wischte er mit einer ungeduldigen Geste beiseite und stapfte wortlos von dannen. Die Menge begann unter Murren und Grollen, sich zu zerstreuen.


Wir folgten dem Nekromanten zurück zu seinem Haus. Im Wohnraum griff er, immer noch düster und schweigend vor sich hinbrütend, in ein Regal, stellte eine flache Flasche und ein kleines Glas vor sich auf den Tisch und goss sich ein. Rahjadis umsorgte ihn, hatte ihm seinen Mantel abgenommen und ihn aufgehängt und machte ihm schöne Augen. Erst, als er bei seinem dritten Glas angekommen war, brach er sein Schweigen. Immer noch sprach kalter Zorn aus seiner Stimme und mir war angst und bange bei dem Gedanken, was Alondro um Alverans Willen angestellt hatte.

"Ich habe mich betrunken, um meine Gefühle zu betäuben", sprach er eisig und maß die Grandessa mit einem schnurgeraden Blick. "Wagt es nicht, mich mit Eurem Verhalten hier unter meinem Dach herauszufordern." Es war, als hätte Firun selbst die Temperatur in diesem Augenblick fallen lassen. Rahjadis schützte die Lippen, entgegnete aber nichts kam seiner frostigen Bitte nach, indem sie von ihren Betörungsversuchen ablies.

Wieder eine merkwürdige Gemeinsamkeit, die mir die Gänsehaut aufstehen ließ, dass dieser Totenbeschwörer und ich beide - er aufgrund seiner persönlichen Neigung, ich aufgrund meiner Kirchenregel - danach streben, unsere Gefühle zu beherrschen.

Letzten Endes half uns seine Wut dabei, ihm zu entlocken, was vorgefallen war. Er war gut darin, sehr gut sogar, seine Gefühle zu unterdrücken. Doch hin und wieder blitzte in seiner Erzählung doch die tiefe Abneigung hervor, die er Alondro gegenüber gefasst hatte. In gleichem Maße stieg der Jäger in meinem Ansehen. Was hatte er also getan?

Alondro hat es sich offenkundig nicht nur dem Glücksspiel hingegeben. Das letzte Licht des Tages hatte er genutzt, um eine Zusammenkunft der Bleichauer aufs empfindlichste zu stören, um es harmlos auszudrücken. Tijakon teilte uns mit, dass er uns so plötzlich verlassen hatte, weil er für ein dringendes Ritual gebraucht wurde. Eine Bauersfamilie hatte schon länger den Tod ihrer Großmutter Else erwartet. Nun war es geschehen und ihre Seele hatte den Körper verlassen (ich strengte mich an, nicht aus langer Gewohnheit das Boronrad vor der Brust zu schlagen und obsiegte über den Habitus. Auch das widerwärtige Gefühl, das bei seiner grausamen, boronlästerlichen Schilderung in mir aufwallte, verbannte ich aus meinen Gesichtszügen). Da ich seine vorgebliche Collega war, beschrieb er in erster Linie für mich in groben Zügen, dass er an einem Wegschreien in den Feldern in der gebotenen Eile der Stunde "Oma Else" nach dem altbekannten Ritual zum Unleben erheben wollte. Schließlich sollte der Leichnam noch möglichst frisch, so wenig verfallen wie möglich sein. Dann würde der besondere Zauber Bleichaus, der sie in die Reihen der einzigartigen "Untoten von Bleichau" berief, mit Sprache begabt und wohl auch mit den Erinnerungen an ihr altes Leben, am wirkungsvollsten sein. Der Ritus hatte bereits begonnen, da - und hier unterdrückte er wieder mühsam seine angestaute Wut - schlug ein Pfeil in die Brust der Toten. Nun war sie dem wahren Tod geweiht (und ich jubelte innerlich und lobte den trefflichen Schützen Alondro). Es war bereits so dunkel gewesen, dass sie nicht erkennen konnten, woher der Pfeil gekommen war. Doch es waren viele, die das Ritual besucht haben, denn alle wollten am Wiederauferstehen der beliebten Großmutter teilhaben und sie zurück in ihrem neuen "Leben" begrüßen, wenn sie endlich frei von den Gebrechen wäre, die sie in ihrem alten Leben geplagt hatten.

Sie scheuchten ihn auf und nahmen seine Spur auf, trieben ihn ins Dorf und waren ihm schon dicht auf den Fersen, bevor sie auf uns stießen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen was passiert wäre, wenn sie ihn in die Finger bekommen hätten. Im Geiste frohlockte ich noch einmal und nahm mir vor, Alondro ganz persönlich meinen Dank für diese gute, göttergefällige Tat auszusprechen. Vielleicht, so hoffe ich, würde ihn das weniger reserviert mir gegenüber machen.

Nun sprach ich Tijakon mein Bedauern aus und machte noch ein paar Worte um die Ignoranz ungebildeter Leute der "hohen Kunst" gegenüber. Meine Schadenfreude über seinen Verlust und Borons Gewinn klang selbst in meinen Ohren wie dieses Bedauern, dass ich überhaupt nicht empfand. Doch ich vermute, dass mir meine stille Euphorie über dieses Glück und Alondros Eingreifen wider die Erzfeindin meine darstellerische Leistung nur vorgaukelte.


Und es war nicht zuletzt eine gute Erinnerung für mich, dass Tijakon ihr ein getreuer Diener war, mit dem ich mich niemals einlassen würde.