Karad Arluad

  • Na dann schließe ich mich mal an! Hier sind die ersten Kapitel von dem, was mal ein Buch werden soll. Leider ist mein Elan zur Zeit etwas zum Erliegen gekommen, auch wenn ich weiß, wie es weiter gehen soll, und ich das sehr spannend finde :)

    AUF DER SUCHE NACH KARAD-ALUAD

    Kapitel 1
    Eine weitere Salve der tödlichen Armbrustbolzen bohrte sich durch die Rüstungen der verschwitzten Männer auf den Wehrgängen. Erik, einer der tapferen Verteidiger Alfalans, stand auf dem Wehrgang. Um ihn herum lagen die leblosen, entstellten Körper seiner Freunde. Der Geruch von Schweiß, Teer und Blut drang ihm in die Nase. Dann senkte sich sein Blick. Eine entsetzliche Übelkeit überkam ihn. Da lag Dorian, sein bester Freund. Blut lief ihm aus dem Mund, sein Wappenrock, von einem schwarzen Bolzen durchbohrt, klebte blutgetränkt an seinem toten Leib. Verzweifelt kniete Erik nieder und riss den Bolzen aus dem Bauch. Ein ersticktes Gurgeln gepaart mit einem leisen Blubbern aus Dorians Wunde drangen an Eriks Ohr. Der Anblick, der sich ihm bot, war abscheulich: Er hatte nicht nur den Bolzen herausgezogen. Diese verdammten Schweine benutzten Bolzen mit Widerhaken. Er hielt Dorians Darm aufgespießt an zwei Widerhaken in seiner Hand. Ihm wurde schwarz vor Augen und für einen kurzen Augenblick sank er zusammen. Als er sich wieder erhob, lag er in einer Lache Erbrochenem. Ein fauler Geschmack machte sich in seinem Mund breit und ihn überkam, wie so oft in den letzten Tagen, das Gefühl von Hilflosigkeit und Verzweiflung.
    Seit drei Tagen herrschte nun schon dieser Ausnahmezustand der Belagerung. Vor zwei Monaten waren sie gekommen, tausende der dunklen Krieger. Jedem war bewusst, dass man sie nicht abhalten konnte, aber man konnte sie wenigstens für eine Zeit aufhalten. Doch vor drei Tagen hatten diese Gesänge begonnen. Immer dasselbe monotone An- und Abschwellen gesummter Töne. Dazu verstärkte sich der Bolzenbeschuss und immer öfters kamen kleine Stoßtrupps der Feinde vorgestürmt. Bisher konnten sie all diese Angriffe abwehren, doch während die eigenen Männer immer weiter schwanden, schienen die Ausgeburten der Dunkelheit, welche die Burg belagerten, immer mehr zu werden. Sie schienen ihre Zahl beinahe wöchentlich zu verdoppeln. Keiner wusste, wie lange sie den großen Ansturm noch hinauszögern würden, aber jeder erwartete ihn insgeheim sehnsüchtig, um endlich erlöst zu werden von dieser Tortur.
    Langsam richtete sich Erik wieder auf. Neben ihm fielen wieder Männer von den Wehrgängen. Wut stand in sein Gesicht geschrieben. Er wollte nicht aufgeben, er würde kämpfen; kämpfen für Dorian. Laut brüllte er Flüche zu den Feinden hinüber.
    Da kam wieder ein Stoßtrupp dieser Bastarde. Erik nahm sich einen Bogen und zielte. Er war schon immer ein guter Schütze gewesen. Er schoss. Eine der Kreaturen blieb auf dem Schlachtfeld liegen, er hatte sie erwischt. Er schoss noch einmal. Wieder riss er einen Feind um. Die Wut in seinem Gesicht wich einem unstillbaren Blutdurst. Wieder wollte er die heranstürmenden Truppen verfluchen, doch dieses Mal blieb sein Mund still. Er konnte nicht mehr sprechen. Wie gebannt richteten sich seine Augen auf das Lager, in dem der Gesang nun unerträglich anschwoll. Dann plötzlich wurde ihm kalt, jegliche Wut, jeglicher Blutdurst wichen einer unbeschreiblichen Angst. Alles wurde still, nur noch der Gesang betäubte Eriks Ohren. Der Gesang begann Form anzunehmen. Immer deutlicher bildete er die Laute: \"Al-a-tu-a-ram\"
    Was immer sie bedeuten mochten, Erik wusste, dass sie den Untergang Alfalans ankündigten. Plötzlich war Stille, tödliche Stille. Nichts rührte sich. Dann brach es hervor: ein Monstrum, ein Dämon. Er stieg über dem Lager der Feinde auf, seinen mörderischen, irren Blick auf die Burg gerichtet. Das schwarze Ungeheuer war größer als jeder Drache. Es breitete seine Schattenschwingen aus und gab seinen hornbesetzten Körper frei.
    Dann raste es los.

    Kapitel 2
    \"Gepriesen sei Enodwa, unsere Beschützerin! Herrin, wir beten zu dir in Zeiten der Not. Dunkelheit bedroht das Land. Wir sind ein friedliches Volk, was sollen wir tun? Hilf uns, so du kannst! Oh, Enodwa, Heilige...\"
    In der prachtvollen Kathedrale zu Enod, der Hauptstadt Eltriens, des nördlichen Königreichs, hielt der weise Hochgeweihte Eboreus Anderberg die heilige Mondenmesse zu Ehren der Göttin Enodwa und des Gottkaisers Laran Togmus, auch \"der Friedenskaiser\" genannt. Die Kathedrale war bis auf wenige Plätze, die zu Ehren der verstorbenen Kaiser, unbesetzt bleiben mussten, gefüllt. Andächtig saßen die Bürger Enods in der rituellen Sitzhaltung, die Beine angewinkelt, nur mit den Fußspitzen den Boden berührend in ihren Bänken und lauschten den heiligen Worten. Jeder wusste von den beunruhigenden Nachrichten, die von der Grenze im Norden gebracht wurde: Im Norden sammelten sich Truppen, die bald schon den Volrig überqueren und ihren schrecklichen Feldzug gegen sie beginnen könnten. Doch heute wollte keiner daran denken, und dass Eboreus dies nun ansprach, riss sie aus ihrer Traumwelt, in die sie sich für heute zurückgezogen hatten. Die Bedrohung schien so weit und die Feierlichkeiten und der Ruhetag waren so nah. Doch Eboreus Worte hatten die gewünschte Wirkung: Die Bürger beteten umso emsiger, da ihnen bewusst wurde, wie sehr die Gefahr aus dem Norden auch ihr Leben hier im Herzen des Landes bedrohte.
    Laran Togmus saß in der selben Haltung weit über dem Bürgersaal auf seiner Empore. Er war ein großer, charismatischer, aber sehr streng anmutender Mann, noch sehr jung für einen Kaiser und das Feuer des Eifers loderte für gewöhnlich in seinen Augen. Nun hatte er die Augen jedoch fest geschlossen und schien in eine Art Trance verfallen zu sein. Plötzlich schreckte er auf. Seine Augen suchten verzweifelt in der Luft, als fürchteten sie einen Gedanken festzuhalten.
    Weit unter ihm im Bürgersaal merkten die Menschen nichts von alledem und hörten weiter den Worten Eboreus. Doch Eboreus schien die Bewegung über ihm zu spüren, denn seine Worte wurden kürzer, abgehackter, ungewählter. Immer wieder wanderte sein Blick beunruhigt nach oben zum Kaiser.
    \"Und nun gehet und erfüllt die Wünsche der Göttin! Geht!\"

    Die Leute standen langsam auf. Die Messe war ungewöhnlich kurz gewesen. Manche blickten sich irritiert an, andere verließen achselzuckend die Kathedrale, andere begannen zu tuscheln. Tolar, einer der ortsansässigen Schuhmacher, machte sich gemeinsam mit seinen Freunden auf den Heimweg. Gedankenversunken lief er neben den anderen her. Sie diskutierten über die Messe. Was konnte der Grund für den plötzlichen Abbruch gewesen sein? Hatte die Messe der Göttin nicht gefallen und sie hatte sie beenden lassen? War etwas mit dem Kaiser? Manche wollten gesehen haben, wie er kurz vor Ende der Messe die Kathedrale verlassen hatte. Andere meinten, Eboreus habe so besorgt geguckt, da er einen Dämon gefunden habe, den er auszutreiben gedenke. Die Älteren erinnerten sich noch, wie er zuletzt vor bald fünfzig Jahren den großen Dämon Bra`adon bekämpft hatte, weil er eine der Heiligenstaturen auf dem alten Marktplatz in Besitz genommen und geschändet hatte. Doch kamen solche Wesen bis in die Kathedrale der Enodwa? Eboreus hatte von schlechten Zeiten geredet, waren sie so schlecht?
    Tolar wusste es nicht. Er wollte es auch nicht wissen. Ändern würde er es so oder so nicht können. Doch er war beunruhigt. Er hatte Angst. Wenn so große und mächtige Herrscher, wie Eboreus und Kaiser Laran, in Hektik gerieten, was musste dann erst der \"kleine Mann\" zu befürchten haben?


    Er beobachtete Kaiser Laran schon seit einigen Momenten. Der große, junge Mann schritt beunruhigt in seinem Zimmer auf und ab. Hin und wieder strich er das schulterlange, schwarze Haar aus der Schweiß besetzten Stirn. Sein Arbeitszimmer war ordentlich, aber schmucklos eingerichtet. An den Wänden hingen Wandteppiche, die seine Vorfahren in verschiedenen, meist Schlacht-, Szenen darstellten. Hinter dem steinernen, grauen Schreibtisch standen zwei schlichte, hölzerne Stühle, leicht gepolstert. Die Bodenplatten waren, solange die Menschen denken und schreiben konnten, aus weißen Marmorplatten, an denen nun auch bereits der Zahn der Zeit genagt hatte. In der Ecke neben dem großen Eingangsportal schließlich die auf Wunsch des Kaisers aus dem Ahnensaal hergebrachte Prunkrüstung seines Großvaters Horlach Togmus, der seiner Zeit die Arlé im Westen unterwarf, und so zum größten Kaiser dieses Reichs aufstieg. Golden glitzerte ihr Brustharnisch im untergehenden, roten Sonnenlicht, welches sich auf wundersame Weise in den Diamanten, die ihn schmückten, spiegelte.
    Leise, aber deutlich vernehmbar räusperte Eboreus Anderberg sich. Der alte, gebildete Geweihte hatte sich sofort nach der Messe aufgemacht und war dem Gottkaiser gefolgt.
    \"Euer göttliche Majestät, darf man eintreten?\"
    \"Man nicht, aber Ihr dürft, Eboreus! Eure Messe war besonders mitreißend heute.\"
    \"Mich braucht Ihr nicht zu täuschen suchen, Laran. Was war geschehen? Ihr ward unkonzentriert.\"
    Mit einem gequälten Lächeln ließ Kaiser Laran sich in seinen Stuhl fallen. \"Setzt Euch!\" Er deutete auf den anderen Stuhl und Eboreus beeilte sich seiner Aufforderung angemessen nachzukommen.
    \"Alfalan ist gefallen! Ich habe es gesehen. Die Truppen der Turachen sind losgezogen, schon lange, und wir haben es nicht gemerkt.\" Die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben schlug er die Hand auf den Tisch. \"Sie waren nicht allein. Ihr wisst, dass ich sie allein nicht fürchten würde. Nein, da war etwas anderes, etwas böses: ein Dämon.\"
    Er blickte auf, dem Geweihten ins Gesicht, in der Hoffnung Etwas zu sehen. Doch da war nichts. Nichts regte sich im Gesicht des Alten. Hatte die Erfahrung aus drei Kaiserzeiten ihn so geprägt, dass er es schon geahnt hatte, oder wollte er sich seine Sorge nicht anmerken lassen?
    \"Ja, ich hatte so etwas befürchtet. Ich wusste nicht, dass die Zeit gekommen ist. Ich bin alt und meine Sehergabe ist schwächer geworden. Es gibt da Etwas, das Ihr erfahren solltet.\"
    Schwerfällig erhob Eboreus sich, ging zur Rüstung des Horlach, baute sich stolz vor ihr auf, spiegelte sich in ihr und begann, sein Spiegelbild betrachtend zu erzählen: \"Es war zur Zeit Eures Ur-Urgroßvaters, Davar, weit vor Eurer und sogar meiner Zeit. Die Herrschaft Eures Hauses war zu dieser Zeit umstritten, es gab viele Familien, die Anspruch auf den Thron erhoben, nachdem Rogar Garven, der letzte seines Kaisergeschlechts gestorben war. Damals entfachte ein grausamer Kampf um die Herrschaft und im niederen Volk machte sich schnell die Sage der Karadim breit. In heutigen Tagen kennen nur noch die Gebildetsten die Sage. Doch in unserem Tempel bleibt sie ein wichtiger Bestandteil, damit niemals wieder eine solche Plage, das Reich befallen kann, wie sie es damals tat. Die Fürsten kämpften untereinander um den Kaisertitel, doch einer unter ihnen, der finstere Herzog Derold Harlkort, bediente sich der dunklen Kräfte Al`atuars, eines grausamen Dämonen mit unbeschreiblichen Kräften. Dieser überzog das Land mit Finsternis und Tod und nur Eure Vorfahren leisteten Widerstand. Doch auch ihre Kräfte schwanden. Euer Ur-Urgroßvater hatte sich zu dieser Zeit mit zwanzig seiner besten Mannen auf die Burg Enod zurückgezogen. Enod war damals die einzige, gebliebene Zufluchtsstätte und viele waren dorthin geflüchtet. So hörte er erstmals von den Karadim, jenen mächtigen Steinen, die die Farben der Drachen tragen. Im Volk erzählte man sich, das Al`atuar nur durch sie besiegt werden könnte. Derjenige, der sie finden sollte, sollte das Land regieren und zu Frieden führen. Doch diese Idee war nicht im Volk geboren, sondern im heiligen Tempel der Enodwa zu Enod. Ein Heiliger unserer Kirche, der bei den meisten in Vergessenheit geraten ist, namens Arlud Ralasen, -damals war er noch Geweihter- hatte einen Traum, in dem die Göttin selbst ihm die Sage erzählte.\"
    Langsam schritt Eboreus zu einem der großen Wandteppiche, der einen schönen Mann zeigte, der Laran sehr ähnelte. Dieser hielt triumphierend einen roten Edelstein in die Luft. Auf der anderen Seite des Bilds sah man eine widerlich entstellte Gestalt, die sich in Staub aufzulösen schien.
    \"Habt Ihr Euch nie gefragt, was dieses Bild aussagen sollte? Davar folgte dem Ruf und zog aus die Karadim zu finden. Jeder Karad, so hieß es, müsse in ein magisches Pentagramm gesteckt werden, welches im alten Tempel der Enodwa tief im Wald der tausend Träume stünde. Doch schon ein Karad konnte die Macht des Dämonen für lange Zeit aufhalten. Man sagt Davar habe damals nur vier gefunden und sei dann gestorben. Al`atuar war verschwunden und niemand nahm sich Davars Queste an, so blieb der Dämon am Leben und regenerierte seine dunklen Kräfte.\"
    \"Das heißt, der letzte Karad könnte dieses Wesen stoppen? Warum habt Ihr mich nicht schon früher darüber aufgeklärt?\"
    \"Es gehört zum Kodex unseres Ordens, dass wir diese Sage nur dort verbreiten, wo sie benötigt wird, denn wir wissen nicht um die Macht dieser Steine. Wer weiß, was sie noch bergen? Wie dem auch sei, Ihr müsst die Suche wieder aufnehmen, Laran!\"
    Eboreus war wieder zum Schreibtisch zurückgekehrt und beugte sich beschwörend über den jungen Gottkaiser. Dieser schien sehr verwirrt und antwortete nicht.
    \"Der letzte Karad müsste nach der alten Sage weit im Nordosten, im Tal der Ewigkeit liegen. Der Weg dorthin wird nicht einfach sein. Aber bei Enodwa, es ist Eure Pflicht. Euer Volk braucht Euch heute dringender denn je.\"
    Zügigen Schrittes wandte Eboreus sich zum Gehen und verließ das Arbeitszimmer. Laran blieb den Kopf auf die Hände gestützt sitzen. Dann stand er behäbig auf und ging erst zum Wandteppich und musterte diesen. Er wischte sich kurz ein paar kleine Schweißperlen aus der Stirn. Schritt für Schritt trugen ihn seine Beine zur Rüstung seines Großvaters. Langsam und zärtlich streichelte er über den Brustpanzer. Seine Hand zitterte und Tränen standen in seinen Augen.
    \"Gottkaiser! Friedenskaiser\" Ein spöttisches Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er atmete einmal tief durch und schlug verzweifelt gegen die prachtvolle Rüstung.

    Kapitel 3
    \"Al-a-tu-a-ram! Al-a-tu-a-ram !\" Das gehörnte Monster grinste sie mit seinem blutverschmierten Maul an. Kleinere Fleischstücke, die Reste ihres geliebten Bruders, hingen, von dem dämonischen Atem verseucht, aus den Mundwinkeln der Bestie. Langsam und siegesgewiss breitete sie erneut ihre ledrigen Flügel im roten Licht der untergehenden Sonne aus. \"Keine Sorge\" die tiefe, böse Stimme ließ ihre Glieder erzittern \"dein Bruder ist nicht tot! Er lebt! Er lebt in mir!\" Die dämonische Fratze verzog die entstellten Gesichtszüge zu einem abscheulichen Lächeln offensichtlich erfreut über die Qualen, die es ihr zufügte. Langsam, zum Beweis seiner sadistischen Worte begann das Wesen mit einer seiner scharfen Klauen, sich die Bauchdecke aufzuschlitzen. Leid, Tod, Wehmut und unendliche Qualen ewiger Folter warfen Elya in angstvolle Dunkelheit. Sie ging auf die Knie, ein Schmerz blitzte tief in ihrem Herzen. Sie schrie.
    Übelkeit und das ungute Gefühl, wie man es nur nach einem furchterregenden Alptraum hat, hatten sie aus dem Schlaf gerissen. Draußen war es noch dunkel. Elya stand langsam auf und tastete sich im Licht des aufgehenden Mondes immer noch benommen zur Türe. Die frische Luft verwehte den Nebel um ihre Gedanken und langsam kam die Erinnerung an den Traum zurück.
    \"Erik!\" Leise, kaum vernehmbar kam ihr der Name ihres Bruders über die Lippen. Wieso hatte sie das gesagt? Hatte sie von Erik geträumt? Es war ein grässlicher Traum von einem Monster. Was konnte Erik damit zu tun haben? Sie setzte sich auf die kleine hölzerne Bank neben dem Winterholzstapel vor dem Haus und lauschte dem kalten, jungen Morgenwind. Vielleicht konnte sie seinen Gesang verstehen und hören, was er von Erik erzählte. Häufig saß sie des nachts draußen und träumte von ihrem großen Bruder und seinem abenteuerlichen Leben auf Anfalan. Wie oft hatte der Wind ihr die wundervollsten Heldentaten Eriks zugeflüstert? Und wie oft hatte sie geträumt, selbst einmal auf den Wehrgängen Anfalans zu stehen und den Blick über den Damar und die Berge schweifen zu lassen. Jeden Moment bereit einen Angriff der heidnischen Stämme des Nordens oder der Zwerge aus dem östlichen Gebirge abzufangen und das heilige Reich Eltriens zu schützen. Sie war niemals von hier fortgekommen. Als damals ihr Vater gestorben war, zog Erik aus um in Anfalan dem Vater seinen letzten Willen zu erfüllen und ihrer Mutter und ihr das Bisschen Sold zu schicken. Sie aber musste der Mutter helfen. Das Leben fernab der großen Städte war hart und langweilig. Und der Mutter ging es seit Monaten schlecht. Sie hustete und spuckte gelegentlich kleinere Brocken Blut. Elya kannte sich mit den Kräutern dieser Gegend gut aus, doch vermochten ihre Kenntnisse nicht, der Mutter zu helfen.
    Die junge Frau warf ihr braunes Haar in den Nacken, atmete einen letzten Zug der morgenfrischen Waldluft und stand langsam auf. Das Licht der aufgehenden Sonne färbte den Wald in ein blutiges Rot. Für einen kurzen Moment formten die Silhouetten der Bäume ein grässliches Bild. Sie konnte es nicht erklären, aber das Bild ängstigte sie. Ein kühler Windhauch wehte ihr das Haar ins Gesicht, und als sie es wegstrich, lag der Wald, wie jeden Morgen, vor ihrem Antlitz und erwachte langsam. Verwirrt blickte Elya noch einmal zu den dunklen Bäumen hinüber und lächelte dann.
    Ein Husten riss sie aus ihren Gedanken. Ein röchelndes, ersticktes Husten! Erschrocken sprang Elya auf. Ihre Mutter! Sie hätte nicht solange trödeln sollen. Warum war sie nicht, wie jeden Morgen, Wasser aus dem nahen Bach holen gegangen und war dann sofort zur Mutter zurückgekehrt. Sorgenvoll stieß sie Türe zum kleinen Wohn- und Schlafraum auf. Die Mutter lag mit weit aufgerissenen, toten Augen auf ihrer Strohmatte. Ihre Brust und ihr Kinn waren von kleinen Schleimflecken bespritzt und ein kleiner, bereits getrockneter Blutfluss lief aus ihrem rechten Nasenloch und vermischte sich dort mit dem gelben Schleim. Als Elya die Hütte betrat, richtete ihre Mutter sich langsam zu ihr auf. Sie schien sie nicht mehr zu erkennen und starrte sie weiterhin aus ihren vereisten Augen an.
    „Erik?“ Ein ängstliches Lächeln zierte für einen kurzen Augenblick ihre geschwollenen und aufgeplatzten Lippen. „Erik, mein Sohn!“
    „Nein, Mama! Ich bin`s. Elya!“ Verzweifelt und ungläubig blickte das junge Mädchen zu ihrer Mutter. „Warte ich hole dir Wasser und wasche dich. Bleib liegen, Mama!“
    „Meine Tochter,“ Ihre Mutter erkannte sie. Erleichtert atmete Elya durch. Sie musste ihrer Mutter helfen. „bleib bei mir, kleine Prinzessin! Du kannst mir heute nicht mehr helfen.“ Eine Träne glänzte im Licht der aufgehenden Sonne kurz in ihrem Auge auf und lief dann, wie Tauwasser von den Bäumen in den ersten Frühlingssonnenstrahlen, aus den regungslosen Augen die Wange hinunter und tropfte dann auf ihren kleinen Schal, den sie, trotz der benötigten Wärme für den verschleimten Hals, im Schlaf wieder von sich geworfen hatte.
    „Erik...“ Erneut überkam sie ein starker Hustenkrampf und ihr Gesicht verzog sich schmerzverzerrt. Liebevoll ergriff Elya ihre Hand. „Erik ist...Nein!“ Schluchzend, den Blick nun starr zur Decke gerichtet, glitt ihre Hand aus dem losen Griff ihrer Tochter und die kleine, rötliche Luftblase, die sich aus einem ihrer Nasenlöcher gebildet hatte, verlor langsam ihre Form und zog sich kraftlos wieder zurück.

    Kapitel 4
    Mit zehn seiner besten Mannen war Laran, der Kaiser des heiligen Reiches Eltriens, vor drei Tagen losgeritten auf der Reichsstraße gen Osten. Schnell hatten sie die geschäftigen Felder Enods hinter sich gelassen und waren in den Wald von Iruvor gekommen. Seit langer Zeit schon diente Iruvor den Kaiserfamilien als Jagdgebiet und Laran erinnerte sich gerne an die vielen frohen Tage, die er einst hier erlebt hatte. Drei seiner getreuen Gefährten, die heute an seiner Seite ritten, hatten ihn schon damals begleitet. Da war Norlon, ein stämmiger, hünenhafter Mann mit einem vollen schwarzen Bart und stets struppigen, wilden Haar. Er war schon seit frühen Kindestagen, als die beiden in der Obhut der selben Amme erzogen wurden, Larans Freund und Weggefährte gewesen. Istimar, die junge, ehrgeizige Magierin, die vor einigen Jahren aus Untertrutzing von einer der kaiserlichen Magieakademien an seinen Hof gekommen war. Sie war Jahrgangsbeste gewesen und wurde Laran mit besten Empfehlungen von seinem Freund und Magierkanzler, Estephano von Ebenbirk, ans Herz gelegt. Auch heute saß sie, wie sooft zuvor, stolz und aufrecht, ihr blondes Haar zu einem straffen Zopf gebunden, auf dem weißen Schimmel an Larans Seite. Schließlich war da noch Astandur. Ein hochelfischer Fährtenleser, den Laran, aufgrund seiner übernatürlichen Fähigkeiten, bei keinem Ausritt in die Wildnis missen wollte. Das hellblonde, nahezu weiße Haar fiel ihm bis weit über die Schulterblätter und lag unmittelbar auf seiner leichten Lederrüstung auf. Laran hatte auf diese drei nicht verzichten wollen, als er losgeritten war. Die anderen waren seine sieben besten Ritter, die er in diesen Zeiten noch entbehren konnte.
    Er hatte Eboreus die Regierungsvollmacht in seiner Abwesenheit übertragen. Seine Heere hatte er, nach gründlicher Besprechung mit seinem Kriegsrat, gen Norden geschickt, um die Horden des bösen möglichst lange zu verwirren und aufzuhalten. Auf Eboreus Rat hin war jedem der drei Oberfeldherren der kaiserliche Befehl erteilt worden, offene Schlachten zu vermeiden. Laran und Eboreus wussten um ihre Lage und um die Stärke ihrer Gegner. Dennoch drängte es Laran zu höchster Eile, wollte er sein Reich noch rechtzeitig retten. Seit sie Enods Stadttore passiert hatten, waren sie im vollen Galopp geritten. Drei Tage lang gönnten sie weder den Pferden, noch sich selbst eine längere Pause und drei Tage lang hatten sie nicht mehr länger als unbedingt nötig geschlafen. Auch der Wald konnte ihre Pferde nicht verlangsamen.
    Es war noch vor Sonnenuntergang, als der kleine Trupp an den Ufern eines kleinen Sees ankam. Laran hatte bemerkt, wie erschöpft seine Gefährten waren, und er wusste, dass ein weiterer Tag ohne Rast hinderlich werden würde, wenn sie in wenigen Tagen vollkommen erschöpft und mit entkräfteten Pferden in die wilderen Gebiete der Baronie Alvien vorstoßen würden. Gebieterisch hob er seine Hand und zügelte seinen schwarzen Rappen, Leylun. Sofort hielten die anderen Pferde an.
    „Wir werden heute nacht hier rasten. Lasst eure Pferde am See etwas trinken und ruht euch selbst aus, nachdem wir das Lager aufgeschlagen haben. Wir werden die Kräfte brauchen können.“

    Die Männer hatten das Lager in der Nähe des kleinen Sees aufgeschlagen. Jeder eine Stunde Nachtwache, hatte Laran angeordnet. Astandur hatte er ausgesandt im nahen Wald nach Fährten möglicher Wildherden zu suchen, damit einer nächtlichen Überraschung vorgebeugt sei. Astandur war noch immer nicht zurückgekehrt. Die Hände über das wärmende, kraftspendende Feuer haltend saß Laran zwischen den Gefährten und blickte besorgt zum Waldrand. Was hielt den Freund so lange auf? Eine mögliche Fährte? Auch Norlon schien beunruhigt. Er schaute immer häufiger verunsichert in die Runde und ließ den Blick kurz auf seinem Freund und Kaiser ruhen. Die anderen schienen noch nichts gemerkt zu haben. Laran wollte sie nicht verunsichern. Astandur war ein erfahrener Mann; der Beste dieses Reiches. Ihm würde schon nichts passieren. Erneut wanderte Norlons Blick mit denen Larans zum Waldrand. Vielleicht, so dachte er, wäre es an der Zeit, Astandur suchen zu gehen. Entschlossen stand er auf. Er wusste, dass er so den Kampf der Gefühle tief in Laran soeben entschieden hatte. Nun musste der Kaiser auch handeln. Für einen kurzen Augenblick schaute dieser ihn verwirrt an, dann schien er seine Gedanken gesammelt zu haben, strich sich noch einmal eine kleine Haarsträhne aus der Stirne und erhob sich dann ebenfalls.
    „Nicht bewegen! Setzt euch wieder hin!“ Kaum mehr als ein Flüstern war es, was da zwischen den beiden kleinen Zelten nahe des Feuers zu hören war. Wie aus Reflex, gehorchten die beiden, selbst der sonst so gebieterische Laran, der warnenden und eindringlichen Stimme. Sie blickten sich zu der Stelle um, von der sie das Flüstern vernommen zu haben meinten. Nichts! Auch die anderen am Feuer blickten jetzt irritiert von ihren Gesprächen auf. Laran drehte sich wieder zu seinen Leuten um. Da saß Astandur, mitten zwischen ihnen.
    „Keine großen Bewegungen mehr!“ warnte der Elf immer noch im flüsternden Ton. „Es sind Räuber in der Nähe. Viele Räuber!“
    Erstaunt, ungläubig und gleichzeitig verängstigt durch sein plötzliches, unbemerktes Erscheinen stierten die anderen ihn an.
    „Wie viele?“ Beinahe amüsiert von den dummen Gesichtern der anderen, versuchte Laran die Lage selbst zu ersehen. Er hatte sich nicht so verblüffen lassen von dem Elfen. Er kannte seine Fähigkeiten doch bereits zu gut.
    „Dreiundzwanzig! Einige mit Armbrüsten, allesamt mit Schwertern und Kettenhemden! Das sind keine normalen Räuber, wenn ihr mich fragt. Da lauert uns jemand auf.“
    Eine leichte Unruhe entflammte zwischen den Leuten des Kaisers. Einige der Ritter legten besorgt ihre Hand auf den Schwertknauf, andere blickten, wie kleine Kinder in einem philosophischen Disput, verständnislos zwischen dem Kaiser und Astandur hin und her, als erwarteten sie, dass der Kaiser ihnen helfen könnte.
    „Die mit den Schwertern sollen nur her kommen,“ Olgorn, einer der Ritter, hatte das Wort ergriffen. „aber Armbrüste sind dämonisches Werkzeug gegen das unsere Waffen und Rüstungen nicht wirken können. Wir werden in dem unheiligen Feuer erbarmungslos allesamt verrecken.“
    „Nur ruhig mein Freund!“ Istimar, die Magierin, hatte die ganze Zeit schweigsam, fast teilnahmslos, ins Feuer gestarrt. Nun aber konnte sie ein weiteres Mal beweisen, wie wichtig sie sein konnte. „Wir werden uns jetzt außerhalb der Zelte schlafen legen. Das Feuer löschen wir. So bieten wir ihnen kein Ziel. Haltet eure Waffen bereit!“

    Es war eine lange, schlaflose und ermüdende Nacht gewesen. Keiner wagte es ein Auge zuzudrücken und jeder wartete gespannt, die Hand am Schwertgriff auf den Angriff. Doch nichts dergleichen passierte. Langsam kündigten die ersten nebeligen Lichter der Morgendämmerung den Sonnenaufgang an. Bald stünden sie im hellen Licht der Sonne, den Bolzen hilflos ausgeliefert.
    „Also gut, wenn wir den Vorteil und Schutz der Dunkelheit noch nutzen wollen, dann sollten wir das jetzt tun!“ Norlon hatte schon die ganze Nacht nervös und angespannt neben Laran gelegen und schien nun endgültig die Geduld zu verlieren. Wie konnten die anderen nur so ruhig auf ihren Untergang warten?
    „Ja, wahrscheinlich hat er Recht. Wir sollten selbst zum Angriff übergehen, solange wir noch können.“ Istimar blickte Laran fordernd an. Dieser zuckte einmal kurz erlaubend mit den Schultern, schien aber nicht zu wissen, wie man einen Angriff aufbauen hätte können. Schnell deutete die Magierin Astandur und Norlon ihr zu folgen und verschwand im Dunkel. Laran lächelte. Es war gar nicht immer der stolze Königssohn, der einer Geschichte ihre Melodie gab. Es waren die vielen anderen: Die weisen Helden, wie Istimar, der übermächtige Elf, wie Astandur, und nicht zuletzt der ewig treue Freund an der Seite des Königssohns. Die anderen blickten ihn verwirrt an. Warum hatte er die drei ziehen lassen? Was konnten diese drei schon bewirken? Hätte man nicht lieber geschlossen attackieren sollen?
    Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Noch bevor einer der Ritter sein Wort hatte erheben können, erstarrten ihre Gesichter, den Blick auf den Waldrand gerichtet. Eine gewaltige Feuerkugel erhellte für einen kurzen Augenblick ein paar große, alte Bäume und schoss dann in die Äste einer Eiche, auf denen noch kurz die schreiende Silhouette eines Mannes zu erkennen war. Aufregung und Verwirrung entflammten in den Reihen der Wegelagerer. Für einen Moment meinten sie in der Mitte der Kugel die Gestalt einer Frau gesehen zu haben. Doch so schnell wie sie gekommen war, verschwanden Frau und Feuerkugel wieder und lediglich das schmerzerfüllte Geschrei ihres Opfers und der schwache Lichtschein seines brennenden Gewandes zeugten noch von ihrem Angriff. Ratlos und verängstigt saßen die Männer noch in ihren Verstecken am Waldrand, als bereits an einer vollkommen anderen Stelle des Waldrandes erneut eine Flammenkugel aufleuchtete und ihr orange-rotes Verderben auf zwei der Banditen schleuderte.
    „Stürmt das Lager!“ Die Stimme ihres Anführers war deutlich zu vernehmen. In seiner Überraschung musste er schnell handeln. Sofort stürmten die Räuber los. Larans Männer waren bereit. Sie hatten bereits bei dem ersten Feuerball ihre Schwerter fester umfasst und waren nun aufgesprungen dem Angriff der Wegelagerer zu begegnen. Laute Kriegsschreie der Angreifer erfüllten den Wald. Doch bevor sie ihre Feinde erreichten stürzten weitere der Räuber von Pfeilen und Feuerspeeren getroffen zu Boden. Norlon stürmte mit lautem Kriegsgebrüll, das sogar die unheiligen Ausrufe der ketzerischen Feinde übertönte, aus dem Wald und stiftete zusätzliche Verwirrung unter ihnen. Es war ein kurzer Kampf. Larans Männer töteten jeden einzelnen Strauchdieb mit Leichtigkeit und ohne eigene Verluste. Nur den Anführer ließen sie am Leben.

  • Ein kleiner Tipp, auch für zukünftige Autoren:
    Präsentiere die Kapitel lieber in kleinen Häppchen auch wenn du sie alle schon fertig hast. das erhöht die Spannung und niemand fühlt sich beim Anblick der Textmassen erschlagen. 8)

    Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse alles, was du sagst. (Matthias Claudius)

  • Hoi, ich hab mir das ganze mal durchgelsen, mir tuen jetzt die Augen weh, ich muss mal meinen Monitor neu einstellen, aber ich schweife ab.
    Ich muss sagen, dass mir die Geschichte insgesamt gut gefällt.
    Aber mach ich mal mit konsturktiver Kritik weiter.

    Im ersten Kampitel hast du gesagt, dass die Burg seit 3 Tagen belagert wird, aber später sagtst du, dass sich ihre Zahl jede Woche zu verdoppeln scheint, dass ist wiedersprüchlich.

    Die Ereignisse in der Geschichte überstürzen sich, man lernt jedes Kampitel mehrere wichtige Personen und Orte kennen, nebenhandlungen werden garnicht beschrieben, das passt mehr zu einer Kurzgeschichte als zu einem Ausgewachsenem Roman, aber vieleicht ist das ja beabsichtigt.

    Die dreit übermächtigen Helden aus dem letztem Kapitel, ich schätze mal die sterben noch, denn sonst geht dem rest der Geschichte die Spannung verloren. (imho)

    So, dass wars ertmal, ich hoffe, du rappelst dich nochmal auf, und schenkst uns weitere Kapitel dieser Geschichte, denn Lesenswert ist sie auf jeden!

    Das Wohl!

  • \"Seit drei Tagen herrschte nun schon dieser Ausnahmezustand der Belagerung. Vor zwei Monaten waren sie gekommen, tausende der dunklen Krieger.\"

    Danke erstmal für die konstruktive Kritik und das Lob! Also die Belagerung, ich hatte gehofft, dass das klar wird, dauert bereits 2 Monate, aber das Beschwören des Dämons und diehäufigeren Übergriffe erst 3 Tage.
    Der Rest ist beabsichtigt, weil ich eine Steigerung ins Buch bringen wollte. Ob die drei sterben, verrate ich hier mal nicht, aber sie werden auf jeden Fall nicht so übermächtig die Geschichte beeinflussen, wie du zu Recht befürchten kannst.

    DANKE!