Gedanken zu Tijakon
Meinem Diarium vertraue ich es an. Es ist verschwiegen.
Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich mich einst in einen Mann - einen Priester Borons vielleicht, oder einen Angehörigen irgendeines Ordens der Kirche des Schweigenden - verlieben würde, der klug ist und weitsichtig. Der viel nachdenkt und seine Worte und Taten reflektiert und gut schweigen kann. Er wäre zärtlich und liebevoll, wenn wir unter uns sind, hatte ich mir ausgemalt, ohne mir dessen bewusst zu sein. In seiner schlichten, schwarzen Robe würde er mit seiner ruhigen Selbstbewusstheit eine stattliche Erscheinung abgeben.
Als erstes liebte ich einen Schwarzmagier - einen Beherrschungsmagier, Totensezierer, Freidenker. Es war eine schmerzhafte Liebe, die ich viel zu wenig ausleben konnte - die Umstände waren schwierig im Dschungel Meridianas und ich erlaubte mir nicht vollends, ihn zu lieben. Doch ich liebte ihn sehr und er ist schon seit Jahren tot.
Was schreibe ich hier? Ich muss mich dafür nicht mehr vor meiner Beichtmutter rechtfertigen. Ihre Buße damals fand ich sowieso lächerlich, ich selbst bin schon immer meine härteste Kritikerin.
Und Mhanach, ich vermisse dich schmerzlich. Immer noch. Bedauern um die verpassten Gelegenheiten für unsere Zweisamkeit mischt sich in meine stille Sehnsucht, doch ich weiß, dass mein Herr Boron mir dies nachsieht.
Nun reise ich wieder mit einem Mann, der mich an mein geheimes Bild eines Liebsten gemahnt. Seine Selbstsicherheit zieht mich an, ich leugne es nicht. Er ist schweigsam und bedacht im Einsatz seiner Worte. Wenn er eine Bemerkung macht, zeugt sie von seiner scharfen Beobachtungsgabe und Urteilskraft. Seine Augen sind dunkel - nicht ganz so dunkel wie die von Mhanach es waren - und ich könnte mich in ihnen versenken, wenn ich meinen Blick länger auf ihnen verweilen ließe, als es schicklich und unverfänglich ist - nicht nur in meiner Rolle als Reisegefährtin, sondern vor allem in meiner Rolle als Nekromantin.
Denn Totenbeschwörerinnen müssen nicht frigide sein - und mein Herz schlug schneller, meine Haut kribbelte erwartungsvoll und ein warmes Flackern regte sich in meinem Bauch, als ich das erste Mal einen langen Blick Tijakons auf mir bemerkte. Kaum, dass ich ihn erwiderte, wandte er rasch seine Augen ab. Einmal sah er nachdenklich auf meine Hände und ich berührte ihn kurz darauf, wie zufällig, am Arm. Er schauderte und zog sich zurück und er wirkte auf mich etwas verwirrt. Ihm war meine Berührung unangenehm gewesen und ich gewann den Eindruck, dass es meine Wärme gewesen ist, die ihn erschauern ließ.
So kam ich zu dem Schluss, dass ich ihn nicht auf eine allzu menschliche Weise würde bekehren können. Noch dazu bin ich keine Verführerin, der dies leicht gefällen wäre. Ein wenig schade ist es jedoch schon.
Doch wie sagt der Volksmund: Aller guten Dinge sind drei und mein nächstes Verliebtsein wird gewiss glücklicher sein... nun, ich bin nicht abergläubisch. Es wird geschehen, wie es Boron für mich vorhergesehen hat.