Das Jagdwild wird zum Jäger
Wir ließen die traurige Szenerie des heimgesuchten Traviatempels hinter uns und ritten gedämpften Mutes weiter, stetig auf der Reichsstraße gen Rahja. Am frühen Nachmittag war es Allondro, der uns auf ine weitläufige Stelle am Waldesrand hinweist, wo er abgeholzte Bäume erblickt hatte - Zeichen, dass wir uns wieder einer menschlichen Ansiedlung näherten.
Unvermittelt hob Donna Rahjadis ihren Kopf und bemerkte: "Ich höre etwas, etwa in dieser Richtung. Jemand hat ein Problem."
Paske setzte sich an die Spitze unserer kleinen Gruppe, Allondro folgte ihm dicht hinterdrein. Je näher wir in den Wald vordrangen - hier war kein Holz geschlagen worden -, desto klarer identifizierten wir die Stimmen zweier Männer. Bewegungen zwischen den Stämmen und dem Unterholz verbargen mehr von dem Geschehen, als sie zeigten. Vor uns öffnete sich eine Lichtung. Im Nu hatte Allondro seinen Bogen bereit und ließ einen Pfeil von der Sehne. "Allondro, schieß!", gellte Rahjadis' Schrei neben mir, als der Pfeil mit einem dumpfen Geräusch irgendwo einschlug.
Ich konnte kaum die Szene erfassen, während das Chaos und der Kampf, der hier tobte, meinen Herzschlag und meinen Atem beschleunigte. Zwei Männer und zwei Hirsche waren in einen tödlichen Kampf verstrickt, der mit waidgerechter Jagd nichts gemein hatte. Die beiden Tiere waren schmutzig, Dreck, Zweige, Laub und Blut hingen in ihrem Fell. Bei einem Hirsch war die Haut an einer Stelle am Kopf abgewetzt. Dort schaute der blanke Knochen hervor. Der andere hatte eine tiefe Verwundung am Hinterlauf, die ihm möglicherweise das Leben gekostet hatte.
Es waren Tiere, die vom Unleben erfüllt waren.
Fast verhedderte ich meine Hand in den Zügeln, so sehr beeilte ich mich, von Marbèso abzusteigen und meine Füße auf die Erde zu stellen. Dies war mehr meine Angelegenheit als das Metier von Jägern wie die zwei Männer oder Allondro!
Ein paar Handgriffe und ich schnürte mein Lederbeutelchen mit geweihter Erde auf und hatte die heilige Liturgie auf meinen Lippen, die das untote Rotwild endlich zur Ruhe betten würde. Doch Boron erhörte mein Gebet nicht. Die Graberde prallte an den untoten Leibern ab, die sich unbeeindruckt weiter ihrer Raserei gegen die beiden Jäger hingaben. Unter Allondros Pfeilen, die er zielsicher wie Uthar in die untoten Kreaturen schoss, ging einer der Hirsche zu Boden und begrub einen der Männer unter sich. Erschrocken zog ich die Luft ein - wie sehr hatte ihn das verletzt? Ich stand am nächsten, Waldboden und der Gestank des überfälligen Todes stoben in meine Richtung. Einer der Zwölfe muss doch auf uns herabgesehen habe, dass ich die Kraft hatte, ihn unter dem Kadaver hervorzuzerren.
Derweil stürmte der andere Hirsch mit gesenktem Geweih auf Donna Rahjadis zu. Sie war dem anderen Mann zu Hilfe gekommen und die Distanz zwischen den spitzen Geweihenden und den beiden Menschen verringerte sich in angsterregender Geschwindigkeit - bis ein Pfeil im Kopf des wilden Untieres seinen Körper im letzten Moment herumriss. Allondros Werk, den Göttern sei gedankt.
Hufgetrappel ließ mich das Schlimmste vermuten - noch mehr untote Tiere? Es war jedoch Paske, der vom Pferderücken aus mit erhobenem Schwert eingriff. Ich zog den Mann, der Peraine-sei-Dank auf seinen eigenen Beinen stehen konnte, weg vom Kampfgeschehen. In der anderen Hand hielt ich immer noch den Lederbeutel.
Herr Boron, höre auf das Flehen Deiner Dienerin! Stehe uns bei mit Deiner Macht und lass mich Dein Werk vollbringen, um die Not und Bedrängnis dieser Menschen zu beenden, in Deinem Namen! Nun, vielleicht war mein Stoßgebet in jenem Augenblick nicht ganz so elaboriert. Der schweigende Herr schenkte mir diesmal Seine Gunst, Die unheilige Kraft verließ die beiden Körper und sie brachen auf dem Boden der Lichtung zusammen, wo sie reglos liegenblieben.