Varnheim – noch immer fröstelte es Eichward wenn er an diesen rauen Ort dachte, vielmehr ein düsteres Fischernest nördlich von Thorwal, bei Schnee und Eis nur über einen rutschigen Küstenpfad zu erreichen. Die Reise dorthin war schon unangenehm und ein Pferd hatten er und seine drei Begleiter – Gesinde des Hetmanns, halbwegs kampftauglich – schon an die winterlichen Wegverhältnisse verloren, als sie endlich das Gasthaus am Ende des langen, derzeit überaus verwaisten Holzstegs erreicht hatten, der sich im trüben Einerlei aus Dunst und Schneeregen irgendwo da draußen im Golf von Prem verlor.
Rustikal und typisch thorwalsch, war wenigstens die Unterkunft halbwegs passabel. Doch der Varnheimer Holzfisch, den er sich am Abend hatte auftischen lassen, hatte seine Gedärme gefühlt auf links gedreht – viel zu salzig und trocken, da half auch kein Wasser mehr gegen und der örtliche Schnaps sowieso nicht. Nach einer frustrierenden Nacht setzte er sich an das einzige Fenster in der Nähe des rauchig-warmen Kamins und starrte hinaus auf das Schneegestöber, das für neue weiße Pracht sorgte, aber den Blick auf den Steg hinaus kaum möglich machte.
Wieder einmal dachte er an seinen Auftrag. Was in der Götter Namen sollte er ausgerechnet hier? Warum erwartete die Hetfrau just in Varnheim die Lösung für ihre Probleme, eine Gruppe Streiter zusammenzustellen, um in das Orkland zu reisen? Eichward versuchte, seine Gedanken niederzuschreiben, doch es gelang ihm nicht. Wieder war da dieser absonderliche Geruch von Varnheimer Holzfisch, der in der kleinen Küche des Gasthauses hergestellt wurde und der Magier musste sich schnäuzen. War er nun auch noch erkältet? Oder einfach allergisch auf zu viel Fischgeruch mit Salz- und Rauchodeur?
So verging ein erster Tag, gefolgt von einem zweiten. Doch tatsächlich, am dritten Nachmittag in diesem trostlosen Nest, legte ein kleines Handelsschiff am Ende des Stegs an! Eichward warf sich seinen warmen Reisemantel über, griff nach seinem Zauberstab und trat hinaus in die Kälte, die jedoch warm genug war, um den Schnee ein weiteres Mal schmelzen zu lassen. Nicht Winter, nicht Frühling – irgendetwas dazwischen. Deprimierend – wie auch die Gestalten, die nach und nach das Schiff verließen. Doch dann!
Eine Thorwaler Kriegerin kam als erstes auf ihn zu, hochgewachsen und kräftig, wie so viele, die er in den vergangenen Jahren kennengelernt hatte. Rotblonde Haare lugten unter ihrer Mütze hervor, die sie gegen den Wind tief in die Augen gezogen hatte. Hinter ihr tauchte ein Mann in Lederrüstung auf, über die er einen warmen Mantel geworfen hatte, den er nun mit einer Hand vor der Brust zuhielt. Sofort fiel dem kundigen Eichward die sonderbare Waffe auf, die der Mann mit sich führte: Eine Zweililie. Vielleicht war mit den beiden etwas anzufangen!
Er gebot ihnen mit einer Geste Einhalt und wartete dann kurz ab, bis die beiden anderen zu ihnen aufgeschlossen hatten, die nun ebenfalls das Schiff verließen und auf den Magier zu stapften. Einer von ihnen, ebenfalls hoch aufgeschossen und in einen Pelzmantel gehüllt, wie man ihn am ehesten im fernen Bornland trug, führte ein edles Pferd an Land. Er trug ein Langschwert und hob den Blick mit einer adeligen Hochmütigkeit, die Eichward aus seiner Heimat und dem Leben bei Hofe nur zu bekannt vorkam. Neben den Schwertkämpfer schob sich eine weitere Person, unschwer als Elf zu erkennen. Dazu musste der Magier nicht einmal genau hinschauen und auf die Ohren achten, sondern alleine die schlanke, hoch gewachsene Statur und ihre sanften Bewegungen, dazu noch der prägnant geschwungene Bogen über der rechten Schulter, verrieten ihm, mit wem er es hier zu tun hatte: Ein Spitzohr, ausgerechnet!
„Die Zwölfe zum Gruße! Mein Name ist Eichward Ludewich von Dachsenstein, Adeptus Maior ODL. Im Namen der Hetfrau Garhelt heiße ich euch in Thorwal willkommen. So tretet näher, auf ein Wort im Gasthaus!“
So begann es also, das Abenteuer – denn tatsächlich willigten die vier ein, ihn nach Thorwal zu begleiten und den Worten der Hetfrau Gehör zu schenken. Woher hatte sie das gewusst? Nun jedenfalls würden ihn die Kriegerin Freya Ragnarsdottir aus Prem, der angehende Draconiter Borgward Tannhauser, der bornische Adelige Grimyan von Drakensteen und der Firungeweihte Wlad von Winterhall – ein Elf von Stand, wie sonderbar! – auf der Rückreise Gesellschaft leisten. Er und die Hetfrau hätten es schlimmer treffen können, wie er zähneknirschend feststellen musste, als er sein Pferd am nächsten Tag abermals auf den Küstenpfad lenkte, diesmal gen Süden.
Wo sollte das nur alles hinführen?