stebehil :
Natürlich mussten sich Rollenspiele entwickeln.
Das was Gary Gygax oder Ulrich Kiesow in den Anfangstagen von D&D und DSA mal aufs Papier gebracht haben, das wäre heute selbst Gruppen auf der Suche nach einem absoluten Minimalsystem fast immer zu wenig.
Und dann in den 70ern, 80ern und auch noch 90ern musste man ausprobieren und wachsen, trial and error.
PnP-RPG musste heranreifen, seine Möglichkeiten und Spielstile entdecken und sehen welche Regelmechanismen für all das jeweils am besten funktionieren.
Da stimme ich ohne weiteres zu, dass es von den 1970ern bis zur Jahrtausendwende sehr kontinuierliche Veränderungen, Editionswechsel und auch Experimente gebraucht hat.
Aber ich bin der Meinung spätestens mit Systemen wie D&D 3.5/D20 oder DSA 4.1 und durchaus auch schon mit AD&D 2nd Edition in seiner finalen Endform da hatte man einen Punkt erreicht wo das Genre und seine Möglichkeiten entdeckt und definiert waren und man hatte Handwerkszeug für SLs und Spieler geschaffen, das in der Form die Bedürfnisse von Rollenspielgruppen auf Jahrzehnte erfüllen konnte und noch kann.
Und das sind die Systeme wo ich sage: sie werden nur nicht mehr nachgedruckt, aber sie veralten nicht.
Zumindest nicht zu den Lebzeiten der Spieler die in den 1970er und 1980er Jahren oder noch früher geboren worden sind.
Natürlich kann es heute trotzdem noch gute Gründe für neue Editionen geben.
D&D 5 brauchte es weil es das gefloppte D&D 4 gab und man schlecht wieder 3.5 aufnehmen konnte.
DSA 5 brauchte es weil DSA 4.1 zwar ein edles Filetstück ist, aber gleichzeitig auch ein schwerer Brocken mit einer simulationistischen Komplexität und Kopliziertheit die mit dem Anspruch ein Massensystem (im positiven Sinne!) zu sein nicht mehr zusammenging.
Und natürlich gibt es auch Ursachen die eher auf Seiten der Verlage liegen.
Ja, die Spieler kaufen die neuen Editionen, wenn sie kein völliger Schuss in den Ofen sind, aber vor allem auch deshalb weil nichts anderes mehr in den Regalen steht und Neueinsteiger eben fast immer zuerst auf das aktuelle System treffen.
Aber die treibende Kraft ist dabei oft eher der Verlag oder das kreative Team die sich mit neuen Editionen bessere Umsätze und Gewinne versprechen oder sich einfach als neue Entwickler- und Entscheidergeneration kreativ verwirklichen wollen von 0 auf.
Das ist ja alles auch noch verständlich.
Nur eine Sache vor der ich dann tatsächlich warne ist seiner Marke untreu zu werden.
Das ist meistens ein Rezept fürs Desaster und in jedem Fall etwas mit dem man viele Kunden verprellt und vielen Fans von Systemen und Settings vor den Kopf stößt.
D&D 4 ist ein Paradebeispiel dafür.
Du hast z.B. geschrieben von Computerspielen die Spielstile im PnP verändern.
Und da bin ich ganz klar der Meinung etablierte Systeme sollten nicht jedem Lüftchen des Zeitgeistes hinterherlaufen und darüber vergessen was sie sind und was sie erfolgreich macht, sondern sie sollten ihre Alleinstellungsmerkale und ihre Markenidentität hochhalten.
Von meinem persönlichen Spielstil und Geschmack aus betrachtet war der ganze Einfluss den 3D-Videospiele/MMOs etc. ab der Jahrtauswende auf den Kunststil und sogar die Regelmechanismen von D&D genommen haben ein sehr negativer.
Ich sage dazu: Schuster bleib bei deinen Leisten und veröffentliche ggfs neue, ganz andere Produkte, die einen ganz anderen Stil und "spirit" haben unter einem neuen Namen.
Klassisches PnP wird sich nicht durch Selbstaufgabe und Nachahmung gegen Computerspiele durchsetzen, sondern indem man offensiv klar macht, dass man hier ein fundamental anderes Produkt anbietet.
Man könnte ja auch argumentieren, dass Spieler die ihre Kampagne beschränkt in den oberfächlichen, comichaft-überzeichneten, sterilen, geruchslosen, sinnesarmen Schablonen eines mittelmäßigen MMOs verbringen, dann erst recht lieber das digitale Original spielen.
Während Spieler die am Spieltisch die würzige Sommerluft gerochen und den Wind in den Bäumen an der alten Lichtung rauschen gehört und auf ihrer Haut gespürt haben, die das Unterholz unter den gewaltigen Füßen des nur schemenhaft erkennbaren Ogers knacken gehört und Blut und Rauch geschmeckt haben als die magischen Geschosse blitzend durch den Sommerabend rasten, während diese Spieler nur zu genau wissen was nur Pen&Paper bieten kann.
Was ich sage ist, dass viele gute Systeme aus den letzten 20 Jahren und von heute problemlos über Jahrzehnte lebensfähig waren und sind als Regelwerke.
Und wenn das mit den jetzigen Systemen erreicht würde, wenn man ihnen die Zeit gibt noch weit über die reichhaltige Fülle von AD&D 2e, D&D 3.5e und DSA 4.1 hinaus zu wachsen und wenn man sich bemüht z.B. ein erweitertes und vertieftes D&D 5 Regelwerk wieder zur lingua franca dutzender Verlage und Abieter von Kampagnenwelten zu machen, dann wäre das sehr, sehr gut für uns alle.
Ich hoffe die Verlage bauen auf auf dem was sie jetzt haben und unterstützen und verfeinern und vertiefen ihre gegenwärtigen Editionen über deutlich längere Zeiträume als bisher.
Diese Beständigkeit und Universalität sehe ich gerade zusammen mit Crowdfunding als die Infrastruktur für ein neues goldenes Zeitalter des Pen&Paper-RPG.