Der Mann nahm Platz. Sein Gesicht verriet Anspannung und Neugier. Ohne sich nach irgend etwas zu erkundigen, erzählte Yanna ihm was er zu tun haben würde. Seine Zweifel wischte sie mit den Lebensmitteln und zwei Silbertalern fort. In Ermangelung von Alternativen nahm er das Geld an.
Yanna verabschiedete sich mit einer Ortsbeschreibung und ging ohne ihr Bier angerührt zu haben. Hastig griff ihr Söldner nach dem Krug und stürzte den Inhalt in seine Kehle. Ein drittes Bier versüßte ihm den Gedanken an seinen neuen Beruf.
Der späte Nachmittag ging bereits in den Abend über. Leomar wartete seit geraumer Zeit an dem genannten Treffpunkt. Seine Nervosität wuchs stetig. In seinem langen Leben hatte er fast ausschließlich als Schlepper gearbeitet. Dazwischen tat er irgend etwas auf irgend einem Schiff um gelegentlich in andere Städte zu kommen. So sah er wenigstens etwas von der Welt. Vermutlich sogar mehr als die meisten anderen Menschen. Schon früh hatte er sich damit angefreundet jeden Morgen erneut um Arbeit betteln zu müssen. Seine längste Anstellung hatte er auf einer einmastigen Kogge gehabt. Das Schiffe hatte zwei Wochen auf eine Sandbank fest gesessen.
Vierzig Götterläufe hatte er stets Arbeit gehabt und nie hungern müssen. Selbst während der Winter nicht. Darauf war Leomar stolz. Noch mehr als auf die Häfen die er bisher gesehen hatte. Jetzt aber, mit zunehmenden Alter, dem schwächelnden Rücken und den schwindenden Muskeln, wurde es zusehends schwerer eine Anstellung zu bekommen. Nun war es also so weit mit ihm gekommen, dass er alles nahm was sich ihm bot. Schweren Herzens verabschiedete er sich von seinen Prinzipien.
„Efferd mit euch.“ Wie aus dem Nichts tauchte Yanna aus einer Seitenstraße auf.
Leomar tat viel um seinen Schrecken zu verbergen. „Swafnir mit euch.“
Yanna hatte ihr sonst so freizügiges Äußeres unter einem dunklen Umhang verborgen. „Ihr seid tatsächlich erschienen.“
Leomar war ein wenig enttäuscht, dass man ihm so wenig Vertrauen entgegen brachte. „Ich bin meinem Arbeitgeber treu.“
„Gut. Zum Geschäftlichen. Ihr erhaltet wie versprochen, nachdem ihr den Auftrag beendet habt, noch einen weiteren Silber. Was ihr zu tun habt wisst ihr.“
„Ich wäre euch dankbar wenn ihr es für mich noch einmal in Kurzform wiederholen würdet.“
„Also gut.“ Geduldig wiederholte Yanna was Leomar zu tun hatte und wann.
Die abendliche Kühle kroch ihm in seine mageren Glieder. Um so glücklicher war er als Yanna ihm den Umhang reichte. „Den werdet ihr brauchen.“ Einen kurzen Moment genoss er die warme Wolle, dann machte er sich pflichtbewusst ans Werk.
Nicht weit abseits von einer Hauptstraße hockte Leomar auf dem sandigen Boden einer kleinen Straße. Den Umhang hatte er sich dicht um den Körper gewickelt und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Yanna hatte ihm aufgetragen so zu warten. Und er hatte nichts dagegen. Schließlich half der Umhang gut gegen die Kälte, die immer in ihm aufkam wenn er müde wurde. Vermutlich war es egal wo er sich befand. Sobald er müde wurde fing er an zu frieren. Höchst wahrscheinlich würde er sogar in den Tulamidenlanden oder direkt an einem Herdfeuer frieren.
Leomar schmunzelte über sich selbst. Mit einem Gähnen wendete er seinen Blick wieder auf die Straße. Noch waren die Nachtwächter nicht durch die Straßen gegangen. Also war der neue Tag noch nicht angebrochen. Leomar wurde ungeduldig. Endlich fand er zwischen den letzten Nachtschwärmern was er suchte.
Wieder von Nervosität befallen, beobachtete er das junge Mädchen. Da sie nicht alleine auf der Straße war, nahm er unbeholfen die Verfolgung auf, in der Hoffnung dass sich der richtige Moment noch ergeben würde. Den Blick nahm er immer nur kurz von der Straße. Seinen Körper drückte er in jede Nische und hinter jeden Vorsprung.
Schnell merkte das Mädchen, dass es verfolgt wurde. Alle paar Schritte sah sie sich um und sah jedes Mal eine gebückte Gestalt, die mit dem Rücken an einer Hauswand gelehnt den Boden anstarrte. In ihrer Panik beging sie den Fehler auf den Yanna spekuliert hatte und den Leomar jetzt nutzte.
Anstatt einen der Passanten anzusprechen und um Hilfe zu bitten, verließ sie die breite Straße. Der Weg den sie wählte war dunkel durch die dicht stehenden Häuser. Leomar beeilte sich ihr zu folgen und aufzuschließen.
Ebenso wie das Herz des Mädchens, schlug seines bis zum Hals und das Blut rauschte in seinen Ohren. Ein letztes Mal quälte er sich über seine Moralvorstellungen hinweg. Der ängstliche Blick des Mädchens machte es ihm nicht leicht. Immer wieder sagte er sich, dass er ihr nur einen Schrecken einjagen sollte. Er würde ihr nicht weh tun, sie nicht einmal berühren.
Noch immer war ihm nicht klar warum er das eigentlich tat. Abgesehen vom Geld. Es ging ihn aber auch nichts an.
Erschrocken davon wie weit er mit seinen Gedanken abgetrieben war, schüttelte er energisch den Kopf.
Die Straße war weit hinter ihm und in der Gasse wurde es so dunkel, dass Leomar das Mädchen kaum noch erkennen konnte. Jetzt musste er handeln. Er beschleunigte seine Schritte und atmete übertrieben schwer.
Ohne sich umzusehen beschleunigte auch das Mädchen seine Schritte.
Leomar begann zu laufen.
Unter einem panischen Aufschrei tat das Mädchen es ihm gleich. Leomar folgte ihr noch einige Schritte und ließ sie dann entkommen. Er selbst sah zu, dass er schleunigst verschwand. Nur nicht erwischt werden.
Einige Straßen entfernt, gefühlt frei von jeder Gefahr erwischt zu werden, stellte Leomar erstaunt fest wie leicht und frei er sich fühlte. Im Nachhinein empfand er sein Handeln als gar nicht so bösartig. Die Streiche die sie einander in der Kindheit gespielt hatten, waren garstiger gewesen. Wohl deshalb empfand er die selbe diebische Freude wie zu Kinderzeiten.
Leomar sagte Yanna zu in der folgenden Nacht den selben Auftrag noch einmal zu verrichten.
Die Arbeit die Robertét auf der Baustelle verrichten konnte, würde ihn noch über diesen Tag retten. Dann aber musste er sich etwas Neues suchen. Er haderte schwer mit sich selbst wohin es ihn als nächstes ziehen sollte.
Nur zu gerne hätte er als Almaryon weiter gemacht. Doch ihm fehlten noch einige Details ohne die seine Rolle einfach nicht vollständig war.
Er fühlte sich nicht wohl in unvollständigen Rolle. Und wenn er sich nicht wohl fühlte konnte er nicht richtig in die Rolle eintauchen. Aber ohne richtig in die Rolle eingetaucht zu sein, konnte er sie nicht glaubhaft verkörpern.
Nein, Almaryon war keine gute Idee, befand Robertét. Andererseits: Er brauchte sehr bald mehr Informationen aus der Bevölkerung. Was er bisher gehört hatte war so wage, dass es sich höchst wahrscheinlich um ein paar Hirngespinste und Fantasien handelte. Von Yanna erwartete er nicht viel und von Karon wollte er nicht übertrumpft werden. Über den wollte er ja auch noch Nachforschungen anstellen.
Robertét seufzte. Anstellungen als Tagelöhner waren einfach zu unflexibel und zeitraubend. So kam er einfach nicht vorwärts. In den Abendstunden verabschiedete er sich von Praian.
Das kleine Säckchen Silber wog nicht schwer in seiner Hand. Zusammen mit dem was noch in seinem Geldbeutel lag, konnte er seine Unterkunft noch knapp eine Woche bezahlen. Vorausgesetzt er musste kein Geld für Lebensmittel ausgeben.
Für die Weizenernte war es Mitte Peraine noch zu früh. Auch Heu wurde derzeit nicht geschnitten. Anstellungen als Hirte würden seine Situation kaum verbessern. Beruf um Beruf strich Robertét von seiner Liste. Zu einsam, zu anstrengend, zu wenig Sold.
Er entschied sich, während er behutsam Ritter, Pferde, Lanzen und Könige aus einem Stück Holz befreite, kurze Zeit auf Yannas Art zu leben. Nur bis er alles zusammen hatte was er brauchte um wieder Almaryon der Jüngere zu sein.
Leomar hatte sich, wie zu erwarten, auch an sein zweites Versprechen gehalten und sich erneut mit Yanna getroffen. Dieses Mal sollte er in der Nähe einer Schankstube warten. Wieder lieh sie ihm den dunklen Umhang.
Das er heute betrunkene erschrecken sollte, sagte ihm weit mehr zu. Es würde sicherlich nicht so leicht sein, wie einem ängstlichen Mädchen einen Schrecken ein zu jagen aber es kam ihm, weshalb auch immer, lustiger vor.
Ständig verließen Gäste zu zweit, zu dritt das Schankhaus vor dem Yanna ihm zu warten geheißen hatte. Niemand schien alleine nach Hause gehen zu wollen. Erst spät in der Nacht trat jemand alleine durch die Tür. Leomars Glieder waren bereits steif gefroren.
Endlich ein mögliches Opfer und dann so etwas. Der Mann war jung, hatte doppelt so breite Schultern wie Leomar, kein erkennbares Gramm Fett am Körper und Hände mit denen er Leomar ohne Mühe zerquetschen konnte.
Ängstlich sah Leomar zu Yanna, die auf der anderen Seite wartete. Sie nickte.
Da er seine Auftraggeberin nicht enttäuschen wollte, blieb ihm keine andere Wahl. Er folgte dem Wandschrank eine Weile. Viel Mühe musste er sich dabei nicht geben. Im ruhigen Gewerkehoop überholte Leomar ihn, indem er eine Seitenstraße nutzte.
Dort wo sie wieder auf die Straße mit seinem Opfer traf, wartete er, verborgen hinter einem Baum.
Leomar wartete bis zum letzten Moment. Dann sprang er dem Wandschrank mit ausgebreiteten Armen vor die Füße.
Keine Reaktion.
Leomar starrte ihm fest in die Augen.
Noch immer keine Reaktion.
Leomars Herz raste. Er begann zu knurren. Er holte das Geräusch aus den tiefsten Tiefen seines Bauches.
Die Augen des Wandschranks weiteten sich.
Leomar fasste Mut. Er beendete sein knurren mit einem kehligen Laut der erstaunliche Ähnlichkeit mit den letzten Sekunden eines Schlachtviehs hatte.
Der Wandschrank schluckte.