Alrik von Tannenstein war wütend. Auf eine Art und Weise, die jedem noch so oberflächlichen Beobachter sofort ins Auge fiel, wenn sie seiner angesichtig wurden. Das Kettenhemd des mittelreichischen Adligen rasselte, auf Grund der Hast seiner Schritte, seine Rechte hatte sich verkrampft um das Langschwert an seiner Seite gelegt und seinen Augen brannten in korgleicher Mordlust. Swafnelm und Borjev schoben jeden noch so kleinen Widerstand in der Vinsalter Taverne beiseite und wurden von den zu Recht empörten Insassen mit missbilligenden Blicken bedacht.
Alrik scherte sich, um seine Gedanke wörtlich und nicht Zwölfe gefällig zum Ausdruck zu bringen, einen Scheiß darum. Die Ehre seiner Familie war auf's Tiefste beleidigt worden. Und noch schlimmer, seinem männlichen Stolz war eine tiefe Wunde zugefügt worden, die nur auf eine erdenkliche Art und Weise gesühnt werden konnte!
Betont schwer schritt er die Treppe hoch, in dem niederen Ansinnen dieser almadischen Kurtisane vielleicht sogar im Voraus das Fürchten zu lehren! Tief in seinem Innern schämte er sich dafür dieses Wiesel, für die frevlerische Tat seine junge Gemahlin zu beobachten, bezahlt hatte, war dies doch weder ein Zeichen dafür, dass er großes Vertrauen in ihre traviagefällige Treue, noch beinhaltete es einen Beweis für gute Manieren. Aber schließlich hatte er ja gesehen, wie ihr geradezu die Augen ausgefallen waren, angesichts der unzähligen, parfümierten und gewaschenen Pfauen die durch die Straßen dieses dekadenten Pfuhls der Verdammnis marschierten. Wahrscheinlich erinnerte sie solches Stutzerpack umso mehr an ihre Heimat, von der sie ihm seit ihrer Hochzeit immer nachgejammert hatte und sich mit nichts zufrieden gab was ihr die natürliche Schönheit des weidener Landes bot. Die Hochzeit!
Innerlich errötete der doch noch sehr junge Ritter, rief sich gewisse Bilder in den Kopf und den Grund weswegen er heute außer Haus gegangen war und seine Frau unbewacht ließ, in seiner Naivität auf den natürlichen Anstand der Horasier und seiner Frau vertrauend. Aber was hatte er denn schon erwarten können, in solch einer lästerlichen Hölle von Verrätern? Sie standen nun vor der Tür. Alrik gab sich keine Mühe leise zu sein. Sein schwerer Stiefel traf auf die Tür und öffnete sie äußerst unsanft. Zu den Niederhöllen mit den Manieren, den Anstand, den Gesetzen, den Kosten für die Tür und den Vorurteilen die er mit einer solchen Handlung förderte! Hier ging es um seine Gemahlin!
Diese befand sich in einer eventuell bequemen Position, die Decke lag auf den Boden und diente so einen knienden Mann, an seiner Nacktheit deutlich ersichtlich dass es sich um einen solchen handelte, als Unterlage. Bevor Alrik eingedrungen war, schien dieser einer, für Philia sehr angenehmen, Tätigkeit nachgegangen zu sein, was an der hauchzarten Rötung ihrer Wangen und dem leichten Schweißfilm deutlich sichtbar wurde. Jedenfalls glaubte Alrik das. Seine Kenntnisse waren auf diesem Gebiet sehr...begrenzt.
Der Mann schreckte hoch und Alrik sah das glatte Gesicht eines jungen, schmalgebauten Mannes, dessen braungebranntes Gesicht an den Wangen ebenfalls leicht gerötet war. Alrik konnte sich denken wovon und sein Hass entflammte in ingegrimmschen Ausmaßen für diesen Verbrecher, diesen Spitzbuben, diesen Hurenbock, Straßenräuber, HORASIER!
,,Das muss ich also vorfinden, wenn ich dich einmal alleine lasse!'', brüllte er so laut, dass jeder der mittelreichischen Sprache Mächtige es nur allzugut verstehen konnte.
,,Dich im Bette mit einem anderen Mann, dich ihm hingebend als seist Du eine gemeine Kurtisane! Ich sollte...!''
,,Euch gefälligst bei eurer Frau entschuldigen, Ihr elender Narr!'', sagte der Stutzer der sich, nachdem er sich erhoben und Philia die Decke gereicht hatte, damit diese ihre Blöße schamhaft bedecken konnte, vor Alrik aufbaute, die Hände in die Hüften stützte und den Blick seiner braunen Augen missbilligend auf ihn richtete. Alrik hasste ihn aus vollsten Herzen. Die Art wie sich dieser Verführer vor ihm, einen bewaffneten Ritter und seiner Schläger aufbaute und ihn vollkommen selbstbewusst meinte IHN, den gehörnten Gemahl zurechtweisen zu können! Er hasste die spitze Nase, das schmale Kinn, den schmalen aber nicht dürren Körperbau des Mannes und die spärliche Behaarung die bis auf den Kopf wo sich ein dichter Wald an schwarzen, kurzen Haaren an diesen schmiegten und die ganze selbstbewusste Art, wie er sich präsentierte. Er wollte ihn schlagen, aber irgendwas hielt ihn noch zurück. Vielleicht lag es daran, dass sein Vertrauen in sich selbst, trotz der intensiven Ausbildung an der balihoher Akademie bis heute nicht sonderlich ausgeprägt war, dass er sich in dieser ganzen Umgebung und in seinem Auftreten dumm und plump vorkam und er sich die ganze Hochzeitsreise über schon sehr verängstigt fühlte. Dass er dabei seinen Pflichten als liebender Gemahl, mehr schlecht als recht nachkam, machte die ganze Situation umso schlimmer. Dabei war ihm persönlich klar, dass er sie vom ganzen Herzen liebte und er ihr jeden noch so kleinen Wunsch erfüllen wollte und...
Dann rümpfte der Horasier wieder die Nase und Alriks Zorn entbrannte erneut.
,,Wie könnt ihr es wa...!'', begann er.
,,Nein wie könnt IHR es wagen?'', gab der Horasier mit Nachdruck zurück, und drückte seinen rechten Zeigefinger auf Alriks Wappen, was diesen, mehr der symbolischen, denn der tatsächlichen Kraft dahinter einen kleinen Schritt zurückweichen ließ, womit er seiner Göttin, seinem Stand, seiner Familie und sich wohl kaum Ehre machte. Der Horasier rümpfte noch einmal die Nase, schüttelte den Kopf und legte plötzlich kameradschaftlich seinen Arm um Alriks Schulter, was dieser nur auf Grund seiner plötzlich eintretenden Verblüffung nicht mit einem Schlag ins Gesicht beantwortete. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass der bisher namenlose Verführer seiner Frau, ein Kettchen mit einem Rubin in seiner Mitte trug. Ihm blieb jedoch keinerlei Zeit darüber nachzudenken, da dieser nun eine väterliche Miene aufsetzte, die ihm deutlich gewichtiger und weiser erschienen ließ und wohl zeigen sollte dass nur der legendäre Rohal der Weise an die Lebenserfahrung dieses Mannes heranreichen konnte.
,,Nun, nun mein Freund'', begann er und Alrik fiel erst jetzt auf wie flüssig er seine Heimatsprache beherrschte und nur der markante Akzent ihn als Einheimischen auswies , ,,ich kann Euch zu Recht verstehen, schließlich scheint die Situation auf den ersten Blick ersichtlich. Jedoch möchte ich zur Ehrverteidigung eurer Frau sagen, dass der gesamte Verlauf unseres Gesprächs sich nur um Euch und eure durchaus liebenswerte Persönlichkeit drehte...und um die delikate Situation in der Ihr Euch befindet'', fügte der Horasier deutlich leiser hinzu, was Alrik erröten und seinen geistigen Widerstand gegen die Art dieses "Kerls" wie Schnee im Tsa dahinschmelzen ließ. Sie hatte es ihm also erzählt! Er fühlte sich verletzt, verraten, hintergangen, zutiefst entehrt aber am meisten schämte er sich unsagbar.
Das alles wäre wohl nie passiert worden, wenn seine Erfahrungen in Rahjadingen nicht den Gehalt eines Bechers voller Luft enthalten hätten, sagte er sich selbst. Obwohl es an der Akademie durchaus zum Austeilen, romantischer Küsse und er sich das Wissen über die hohe Kunst der zeitweiligen Befriedigung über einen seiner besonders kundigen Freunde angeignet hatte, war es in seinem Fall nie über gemeinsames beieinander liegen hinausgegangen. Freilich hatte ihm das den Ruf ein zumindest teilweise "reiner" Diener seiner Herrin zu sein eingebracht, jedoch konnte diese auf den ersten Blick sehr schmeichelhafte Titulierung nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sich seine und Philias erste Liebesnacht zu einem Desaster entwickelt hatte, indem sie insgesamt nur stumm nebeneinander gelegen und aneinander an den Händen gehalten hatten. Sein Vater, ein Mann der um die etwas passive Ader seines Sohnes wusste, schlug daraufhin eine kleine Abenteuerreise im Horasreich vor "um den jungen Leuten noch etwas Zeit für sich zu geben und eventuell den Bruder, des Cousins, des Schwagers, seines angeheirateten Vetters dritten Grades zu besuchen..." Gebracht hatte es bisher nichts. Seine Frustration war aufgrund der bisherigen Eindrücke, dem verstärkten Druck auf die baldige Zeugung eines Enkels der den alten Dreckssack zufrieden stellen würde und seiner durch das ungerechte Verhalten seiner Gemahlin gegenüber aufgestauten Wut auf sich selbst, nur umso größer geworden. Alle Besuche in den speziellen Etablissements der Stadt, waren weiterhin erfolglos gewesen und auch der heutige Besuch im Rahjatempel, hatte keinerlei Erfolge verzeichnen lassen.
Alrik fühlte sich plötzlich sehr klein und verunsichert, wollte sich nur noch zu Philia liegen, sie küssen und dann schlafen. Davor wollte er sich aber entschuldigen...vielleicht war es in diesem Fall sogar schicklicher sich einfach umzudrehen und seiner Frau diese Freude zugönnen, vielleicht könnte man dafür ja eine Lösung finden und...
Wie er plötzlich auf das Bett gekommen war und plötzlich die Hand Philias hielt, die ihm aus halb gesenkten Lidern schüchtern entgegen lächelte, konnte er sich nicht erklären. Das aber der Redeschwall des Horasiers nicht aufgehört hatte entsprach wohl der Tatsachen, genau wie der Umstand, dass dieser gerade nun vollständig angezogen vor ihnen stand und sie beide sehr, sehr freundlich anlächelte.
,,So möchte ich Euch einfach den Rat geben euren Gefühlen freien Lauf zu lassen und die Herrin Rahja es einfach machen lassen, da sie sich doch am besten auskennt. Wie ich schon anmerkte so bin nicht ich es, nach dem sich eure bezaubernde Gemahlin sehnt sondern, Ihr und nur IHR allein. Eure Bemühungen, Sorgen und Ängste in Ehren, Herr Tannenstein, aber in dieser Sache brauch man nun wirklich nicht seinen Verstand, wenn Ihr mich fragt.''
Er klatschte in die Hände.
,,So...und ich verabschiede mich also. Meine Verehrung die Herrschaften.''
Er verbeugte sich elegant, lächelte beiden nochmal freundlich zu...
,,Meine Verehrung.''
...und schritt zur Tür, griff im Vorbeigehen nach einem smaragdfarbenen Mantel mit Wieselkragen und einer Brosche aus eben jenem Edelstein und warf sich diesen über, wo ihn Swafnelm und Borjev auf ein geistesabwesendes Zeichen Alriks unter verwunderten Blicken entließen. Sie selbst verließen den Raum dann auf ein weiteres Zeichen deutlich erleichtert, war ihnen die Situation sowieso schon nicht ganz geheuer vorgekommen. Zurück blieben Alrik und Philia. Erstere hatte seinen Arm um ihre bloße Schulter gelegt, Letztere lehnte sich an ihn.
,,Verzeihst Du mir?'', brachte Alrik kleinlaut, wie ein Schulbube vor der gestrengen Hesindegeweihten schüchtern hervor. Philia lächelte lediglich, umarmte ihren "Bären", streichelte seine Haare, summte die Melodie eines ihrer Lieblingslieder und murmelte dazwischen unverhohlen liebevoll die Worte "mein großer, dummer Bär". Irgendwas lösten diese Worte in ihm aus. Plötzlich begann er zu brummen. Philia stutzte und blickte ihn mit fragend erhobener Augenbraue an. Er selber zwinkerte, ließ eine weiteres Grollen aus der Tiefe seiner Stimmbänder erschallen, drückte sie sanft auf's Bett erhob sich um sich gleich zu ihr runterzubeugen und ihr brummend in den Bauchnabel zu pusten. Sie begann sich zu winden, zu prusten um schlussendlich lauthals zu lachen, trommelte verspielt auf seinen Rücken und befahl ihm aufzuhören, wobei sie natürlich das Gegenteil meinte, gluckste lachte, prustete dabei unaufhörlich weiter bis ihr anscheinend bald die Luft ausging. Alriks Herz machte dabei einen Sprung! Ja dies war die Frau, die er unter den Augen Rondras geheiratet hatte, die er liebte und verehrte, auf Knien anbetete und...
Plötzlich fiel ihm etwas ein. Die Kette und der Umhang waren...
Urplötzlich stieß ihn die aufspringende Philia um, was die Kolision mit den Boden auf Grund der harten Beschaffenheit des Holzes und der Tatsache dass er immer noch sein Kettenhemd trug etwas schmerzhaft gestaltete und setzte sich rittlings auf ihn. Ihr Haltung, ihr Lächeln und ihr Blick deuteten eindeutig daraufhin, dass sich genau in diesem Moment etwas in ihren gewohnten Alltag grundlegend ändern würde. Ihm kam da so eine bestimmte Idee und die Röte schoss ihm ins Gesicht. Bevor er etwas sagen konnte, legten sich ihre Lippen auf die seinen, stellten den Anfang von etwas Großartigen, Wundervollen dar und ließen die entwendeten Besitztümer auf den Wichtigkeitsgehalt eines Dreckstarrenden Kupferstücks schrumpfen.
*
Rondraio di Leonclé, nach eigenen Angaben König der Diebe von Vinsalt und größter Liebhaber von hier bis zur Grenze des Barbarenlandes, aus dem dieser Holzkopf und seine Schläger wohl herstammten, prüfte, mit rechtschaffener Zufriedenheit eines schwer arbeitenden Mannes, die Qualität des Kragens seiner neusten Errungenschaft. Mit Wehmut dachte er an die Braut, die mit ihren verborgenen Temperament sein Interesse erweckt hatte und mit der die heutige Nacht wohl ein wahrhaftig alveranisches Ereignis geworden wäre, wenn dieser Tropf nicht scheinbar von dem anstehenden Intermezzo erfahren hätte. Wahrscheinlich hatte er den Wirt dafür bezahlt sie ein wenig im Auge zu behalten. Er verfluchte sich für diesen Anfängerfehler und bog auch gleich in der nächsten Gasse ab, um sich bei seinem Herrn für die Geistesgegenwart, seine schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen, zu bedanken. Der Mantel würde wohl ein angemessenes Opfer für ihn darstellen, auch wenn es für Rondraio selbst eventuell bedeuten würde etwas kürzer treten zu müssen, wenn die Kette nicht einmal halb soviel wert war, wie er vermutete. Er trat aus der Gasse hinaus und sah eine in Leder gekleidete und zwei Schwerter tragende Dame, selbstbewusst und ohne viel Aufmerksamkeit auf ihn zu verschwenden an ihn vorbeischreiten. Er selber blickte ihr jedoch mit unverhohlenem Interesse hinterher, rückte sich den breitkrempigen Hut zurecht, strich sich nochmal die Kleidung glatt und folgte ihr unauffällig.
Phex hatte bestimmt dafür Verständnis, dass das Opfer seines Dieners noch etwas warten musste und der Dienst an seine Schwester nun deutlich Vorrang hatte!
Ganz bestimmt.