Auch wenn hier viele Argumente schon genannt wurden, möchte ich als begeisterter Al’Anfa Spieler doch noch ein paar Dinge anmerken, die meiner Meinung nach in der Diskussion etwas zu kurz kamen.
Ich selbst hatte mit DSA 3 angefangen zu spielen, meine erste Regionalbox war «Al’Anfa und der tiefe Süden». Da ich schon immer vom antiken Rom fasziniert war, hatte ich auch sehr schnell Freude an Al’Anfa gefunden. Andere Spieler waren von meiner Begeisterung zu Al’Anfa jedoch recht irritiert. Es dauerte einige Zeit, bis ich verstanden hatte, dass sich die Rolle Al’Anfas in DSA gerade erst sehr stark gewandelt hatte.
Noch heute mache ich häufig die Erfahrung, dass die Einstellung der Spieler gegenüber Al’Anfa oftmals davon abhängt, wann die Spieler mit DSA angefangen haben. Ursprünglich war Al’Anfa der Inbegriff des aventurischen Bösen. Gut vergleichbar mit dem, was später die schwarzen Landen waren. Da es damals das Konzept der Erzdämonen noch nicht gab, hat man in Al’Anfa den Zwölfgötterglauben quasi pervertiert. In DSA 1 war die Verehrung Borons in vielen Städten des Mittlereiches noch verboten. Den Puniner Ritus gab es da noch nicht. Entsprechend düster war es, dass Al’Anfa ausgerechnet von Borongeweihten beherrscht wurde, während der Gott der Sonne und der Gerechtigkeit deutlich weniger Anhänger hatte. Dass man den umstrittenen Totengott, den man bevorzugt im Drogenrausch anbetete, sogar noch zum höchsten Gott erhob, war dann natürlich erst recht Blasphemie. Dazu kam dann noch der Hinweis, dass Al’Anfa seinen Reichtum ausschliesslich der Ausbeutung von Sklaven zu verdanken habe. Mehr Infos zu Al’Anfa gab es damals nicht. Es war eine extreme Reduzierung auf den sehr fraglichen Boronglauben und die Sklaverei. In DSA 2 wurde dann auch erstmals Tar Honak beschrieben: Als machtbesessener Diktator, der gezielt Sklaverei und Piraterie nutzt, um andere Regionen zu destabilisieren. Sein zweitstärkstes Talent war Lügen.
Früher gab es entsprechend auch kaum Abenteuer in Al’Anfa und es war erst recht nicht vorgesehen, einen Helden aus dieser Stadt zu spielen. Aus der Zeit vor DSA 3 kenne ich nur ein Abenteuer aus Al’Anfa, das dann auch nur für sehr hochstufige Helden geeignet war. Dort hatten in Al’Anfa noch Oger gelebt. Für die Spieler hatte das Abenteuer damit begonnen, dass sie einen Granden mit Sklaven gesehen haben und sie die Sklaven selbstverständlich sofort befreit haben…
Ich habe den Eindruck, dass in DAS 1 und 2 Aventurien noch sehr stark in schwarz und weiss aufgeteilt war. Zumindest ab DSA 3 gab es dann schon deutlich mehr Grautöne und wirklich böse waren dann nur noch die Anhänger vom Namenlosen und den Erzdämonen. Ich glaube mit DSA 3 wurde dann auch der Puniner Ritus eingeführt, mit dem Boron aus der Schmuddelecke geholt und im restlichen Aventurien plötzlich salonfähig wurde. Al’Anfa war zwar weiterhin eher düster, aber schon deutlich vielschichtiger. Mit dem aufkommenden Borbaradianern und anderen Dämonenpaktierern schwand langsam die Drohkulisse Al’Anfas. Als sehr borongläubige Nation stellt sich Al’Anfa im Borbaradkrieg dann selbstverständlich auf die Seite des Mittelreiches.
Spätestens mit DSA 4 und 5 wurde dann scheinbar versucht, Al’Anfa näher an die breite Spielermasse heranzuführen. Z.B. wird die Kultur Al’Anfas inzwischen als deutlich «normaler» dargestellt, in den Abenteuern wird die Stadt nicht mehr nur auf die Sklaverei reduziert, es gibt spielbare Archetypen aus Al’Anfa, der Reichtum Al’Anfas basiert nur noch zum Teil auf der Sklaverei usw. Im Spiel wurde der Wandel Al’Anfas dann insbesondere mit dem Wechsel der Herrschenden und der Beteiligung Al’Anfas im Borbaradkrieg erklärt. In nördlicheren Regionen (insbesondere im Horasreich) hat man zwar immer noch eine starke Abneigung gegen Al’Anfa, aber der Ruf ist sicherlich nicht mehr ganz so finster wie vorher.
Auch in DSA 5 mag Al’Anfa immer noch mehr Platz für dunklere Grautöne bieten, als viele nördlicheren Kulturen. Dennoch ist es heute moralisch deutlich näher an diesen Kulturen als früher. Insbesondere darf man nicht vergessen, dass Al’Anfaner allgemein sehr göttergläubig sind und der Boronglaube aventurienweit spätestens seit DSA 3 ja grundsätzlich positiv ist. Zwar hat Rahja einen höheren Stellenwert als Travia, Phex ist beliebter als Praios und es dürfte deutlich mehr Kor- als Rondrageweihte geben. Unter den Herrschenden der Stadt hat Praios nur wenige Anhänger, dafür sind die meisten jedoch sehr borongläubig. Der al’anfaner Boron Ritus mag im Norden als ketzerisch angesehen werden, Boron selbst scheint sich aus der Diskussion jedoch rauszuhalten: Immerhin beschenkt er seine al’anfanischen Geweihten mit derselben Menge Karmaenergie, wie die Geweihten nach Puniner Ritus. Bis zum Einmarsch Oderins war der faktische Herrscher Al’Anfas das Oberhaupt der al’anfanischen Boronkirche und damit einer der mächtigsten Geweihten Aventuriens. Und somit gibt es in Al’Anfa auch null Toleranz gegen Borbaradianer und andere Paktierer.
Der ausgeprägte Götterglaube in Al’Anfa führt nicht zuletzt auch dazu, dass auch Sklaven in den neueren DSA-Editionen gewisse Rechte haben. Zumindest ein göttergefälliger Grande würde niemals zulassen, dass Sklaven vergewaltigt oder gefoltert werden – was in der realen Welt bei den meisten Sklaven zum traurigen Alltag dazu gehörte. Aber natürlich sind längst nicht alle Granden götterfürchtig und auch in Al’Anfa gibt es sehr viel Leid. Wie genau die Sklaverei ausgespielt wird, obliegt somit den Spielgruppen selbst.
Zur Eingangsfrage:
Granden und Fana innerhalb des al’anfanischen Imperiums werden Al’Anfa tendenziell sehr positiv sehen. Abenteurer, die schon länger in Al’Anfa leben, vermutlich auch – sonst wären sie wahrscheinlich schon wieder weitergezogen. In allen anderen Regionen Aventuriens dürfte Al’Anfa nur sehr wenige Fürsprecher finden. Wer eine gewisse Söldnermentalität hat, also Aufträge eher nach Belohnung denn nach Überzeugung auswählt, dürfte jedoch keine Berührungsägste mit Al’Anfa haben.
Ich verstehe in dieser Diskussion jedoch nicht, was genau die Sklaverei damit zu tun hat. Ich gehe mal davon aus (bzw. will es schwer hoffen!), dass jeder Spieler im realen Leben Sklaverei nichts Positives abgewinnen kann. Allerdings sind auch Raub, Brandschatzen und Plündern Verbrechen – trotzdem kann man sehr lustige Spielrunden in Thorwal erleben. Allgemein sind sehr viele Handlungen typischer Helden(?)-Gruppen nach irdischen Standards moralisch sehr verwerflich: Sei es Einbruch, Diebstahl, Bestechung von Gardisten, (Waffen-)Gewalt oder andere Missachtungen von aventurischen Gesetzen. Ich kenne jedoch niemanden, der sich jemals daran gestört hätte.
Für die allermeisten Spieler dürfte es selbstverständlich sein, im realen Leben eine andere Weltsicht zu haben, als sein DSA-Charakter. Genau das macht doch den Reiz von Rollenspielen aus. Natürlich kann jeder auch in DSA seine Charaktere genau so ausleben, wie auch seine Weltanschauung im richtigen Leben ist! Wer im richtigen Leben Sklaverei verachtet, muss ja nie einen Charakter spielen, der irgendwas Positives an Al’Anfa sieht. Ist man im richtigen Leben Vegetarier, muss ja auch der DSA-Charakter kein Fleisch essen. Wenn man im richtigen Leben Krieg und Gewalt ablehnt, braucht man bei DSA ja keine Kampftalente oder Kampfzauber steigern.
So lange man Freude daran hat, ist das ja alles wunderbar! Allerdings würde sowas das Spiel teils stark einschränken. Hätten meine Charaktere dieselben Überzeugungen wie ich als Spieler, wären die meisten offiziellen Abenteuer für mich nicht spielbar.
Ohne Städte wie Al’Anfa fände ich DSA jedenfalls sehr langweilig. Gerade Al’Anfa bietet sehr viel Raum, den Charakteren auch Grautöne zu verleihen, ohne gleich in die Kreise der Verdammnis abzudriften. Ob es aber in Al’Anfa Sklaven gibt und ob Sklaverei moralisch jetzt noch verwerflicher als Leibeigenschaft ist oder beides ähnlich verwerflich ist, macht für mich als Spieler jetzt nun wirklich keinen Unterschied.