Da ich hier beim lesen der letzten paar Seiten nichts derartiges gefunden habe, hier meine bescheidene Meinung, oder eher mein educated guess (nicht die absolute Wahrheit) bezüglich der Existenz Gottes. Vornweg, ich bezeichne mich als einen agnostischen Atheisten, denn ich weiß nicht, ob es einen (in diesem Falle (noch) nicht wahrnehmbaren) Gott gibt und ich vermag es nicht, an einen Gott zu glauben oder die Vorstellung, dass es einen geben könnte als rational zu betrachten.
Was ich jedoch vertrete, ist eine naturalistische Betrachtung von Religion, wie sie zuerst vom großen David Hume in seinem Werk "Four Dissertations", genauer gesagt im Aufsatz "The Natural History of Religion" vertreten wurde.
Beginnen möchte ich mit einem Zitat des amerikanischen Militärkaplans William Thomas Cummings, nämlich "There are no atheists in foxholes" ("Es gibt keine Atheisten im Schützengraben"), welches letztlich bedeuten soll, dass sich Menschen in Situationen großer Angst zum Glauben wenden, weil dieser ihnen Linderung von der Angst schenken kann. Obzwar ich diesem Zitat nicht zustimme (siehe die Biographie Jean-Paul Sartres) zeigt das Zitat einen natürlichen Drang des Menschen in meinen Augen ziemlich trefflich auf, den Drang, etwas gegen seine Angst tun zu können. Dieser Drang ist nicht nur psychologisch und neurologisch belegt (ich weiß, wikipedia taugt nicht als Beleg, die Referenzen darin aber schon
), sondern lässt sich auch am eigenen Leib nachempfinden.
Jetzt ist es nun einmal so, dass der Mensch nicht alles kann, im Dunkeln sieht er schlecht, schwimmen kann er auch nicht ewig (und auch nicht länger als ein Hai) und feuerresistent ist er ebensowenig. Da die Kombination "Dunkelheit + Säbelzahntiger" in etwa ebenso gefährlich ist wie die Kombination "offenes Meer + Hai + kaputtes Boot" oder "unkontrolliertes Feuer + brennbare Kleidung" (nämlich brandgefährlich) hat der Mensch den natürlichen Drang, etwas gegen diese Probleme zu machen. Da der Mensch in den Anfängen seiner Werdensgeschichte als rationales Wesen jedoch technologisch zu beschränkt war, um ein effektives Mittel gegen Dunkelheit, offenes Meer oder Feuer zu entwickeln, musste der Mensch auf anderem Wege versuchen, seine Angst zu lindern. Eine naheliegende Annahme ist demnach
"Die Dunkelheit sorgt für Gefahr. Gefahr schadet mir. Was mir schadet ist böse. Die Dunkelheit ist böse."
Diese ziemlich primitive Argumentationskette personifiziert eine Naturgewalt, in der ihr eine moralische Entscheidungsgewalt zugeschrieben wird. Dementsprechend kann der Mensch darauf reagieren, indem er nun einen "Deal mit der Dunkelheit" abschließen kann, dass er der Dunkelheit etwas sehr wertvolles gibt und die Dunkelheit dafür nicht ganz so böse zu ihm ist. Ein solches Verhalten unterstellt Hume dem Menschen in Hinblick auf praktisch alle Naturgewalten, also auch Blitze, Feuer, dem Meer, Erdbeben, Dürre und so weiter. Also allem, wovor der Mensch Angst hat und wovon er hoffen kann, dass es ihn nicht erwischt.
Der primitive Mensch opfert also den Naturgewalten wertvolle Dinge aus Angst, indem er zum Beispiel eine Ziege in die Wüste treibt, sodass diese an der Menschen statt verdurstet oder indem er ein Kind ins Meer wirft, sodass das Meer ihm gnädig ist, da es seinen Tribut an leben bekommen hat. Damit die böse Naturgewalt ihm dann auch nicht böse wird, bedankt sich der Mensch, wenn ein Vorhaben gelungen ist. Faktisch ist somit schon ein Gott entstanden, es fehlt nur noch der Name. Solche Vorstellungen zeigen sich besonders gut in frühen polytheistischen Pantheons, wie beispielsweise dem Nordischen, in dem viele Götter Naturgewalten als Aspekt hatten (Oden/Wodanaz-Wind, Thor-Blitz, Surtur-Feuer, Loki-Dunkelheit) oder dem Mayanischen (Chac-Regen/Flut, Huracan-Feuer/Sturm, K'iche'-Tod, Krankheit). Nach und nach wurden diese noch sehr primitiven Gottesvorstellungen (laut Hume) immer konkreter, je weiter sich die Zivilisation entwickelte und je kreativer man mit den Opfern wurde. So konnte eine sesshafte Zivilisation den Göttern sogar Häuser bauen, Drogen verbrennen und Naturalien bringen, was das gnädig stimmen natürlich deutlich einfacher machte. Langsam wurden die Götter also zu Persönlichkeiten mit Charaktereigenschaften (welche über die Kulturen hinweg erstaunlich homogen sind), zum Beispiel wurden Meeresgötter mit Launenhaftigkeit und Donnergötter mit Jähzorn assoziiert.
Liegt nun ein solches polytheistischen Pantheon vor, stehen die Götter natürlich nicht nur miteinander, sondern auch mit den Göttern der bösen Nachbarn im Konflikt, einem ziemlich harten Koflikt. Denn - angenommen man kann die Götter des Nachbar nun wirklich nicht leiden - wenn man Gott x um Hilfe anfleht, die Gebete aber vergeblich sind (und das auf lange Sicht), so kann man es sich wirklich sparen, diesen Gott anzubeten und betet lieber zu dem Gott, der wirklich "klappt". Zu sehen ist das bei vielen Pantheons, in denen Göter einander in einer Funktion ablösen, beide aber Präsent geblieben sind, zum Beispiel bei Tyr und Odin als Gott der Gerechtigkeit und Kronos und Zeus als Göttervater. So sammeln sich immer mehr mehr Aspekte in einer einzigen Gottheit, dessen Persönlichkeit zusammen mit seinen Aufgaben und seinen Ritualen immer komplexer werden. Irgendwann hat man dann einen Gott erschaffen, der all das vollbringt, was die anderen Götter vorher gemeinsam verbringen mussten (siehe die Unität der Götter im Hinduismus) und steht vor dem Problem, den Gott um etwas noch viel schwereres zu bitten, als alles, worum man ihn zuvor gebeten hat. Was daraufhin (bei Erfolg) folgt ist, dass man den Gott noch mehr erhöht, und zwar durch Abstraktion. Dann reicht es nicht mehr, dass der Gott "viel mächtiger als der Mensch" ist, er muss allmächtig sein. Dann reicht es nicht mehr, dass der Gott viel mehr weiß als der Mensch, er muss allwissend sein. Dann reicht es nicht mehr, dass der Gott auf dem höchsten Berg wohnt, er muss in den Wolken wohnen.
So fallen durch Abstraktion sämtliche Begrenzungen des Eingottes weg (siehe Hegels "absoluter Geist") und man ist bei den großen monotheistischen Religionen gelandet.
So viel zur Entstehung der Religionen. Natürlich kann all das von einem göttichen Schöpfer so vorgeplant sein, aber das kann ich weder wissen noch glauben (noch kann mir irgendjemand beweisen, dass dieser Schöpfer genau derjenige ist, der in einem gewissen uralten Buch steht, der aus Spaghetti mit Hackfleisch besteht oder der gerade seine Bahnen am Himmel dreht) und lehne es deshalb ab.
Um die von mir vorgestellte These nun zu verstärken rate ich zu einem Blick in die Mitteleuropäischen Glaubensgemeinschaften. Wer dazu zu faul ist, kann aber auch gern weiterlesen.
Ich werde wohl schwerlich der einzige sein, dem das spärliche Auftreten von unter 50-jährigen, gesunden Besuchern in allwöchentlichen Messfeiern aufgefallen ist. Stattdessen kann ich beobachten, wie sich ebendiese Zielgruppe lediglich in Situationen der Ohnmacht (und somit der Angst) oder der kulturellen Tradition (was ich hier ausklammern möchte, da es nichts mit Gläubigkeit sondern mit Konvention zu tun hat) in die Kirche begibt, nämlich bei Beerdigungen, bei denen ebendieser Gruppe von Menschen bewusst wird, dass sie keine Macht über den Tod haben uns sich ob des erlittenen Verlustes in das nicht nachweisbare Versprechen eines Lebens nach dem Tod flüchten um nicht in eine Existenz- oder Sinnkrise gestürzt zu werden, wie sie im atheistischen Existenzialismus diagnostiziert wird. Unter den regelmäßigen Kirchgängern befinden sich jedoch vor allem (nicht auschließlich) diejenigen Menschen, welche vor einem Problem stehen, welches sie nicht lösen können, beispielsweise der Tod und die damit konfrontierte Gruppe der Alten und Kranken, welche einen nicht insignifikaten Kreis der Kirchgänger ausmachen und diejenigen, welche sich aufgrund seelsorgerischer Tätigkeiten (welche ich befürworte und unterstütze und den Kirchen dafür meinen Dank ausspreche) an einen Priester oder Seelsorger als Beichtvater oder Berater wenden.
Bei einem Blick über den großen Teich fällt mir hingegen die große Anzahl an Menschen mit unzureichender Bildung auf, welche sich stark für den Glauben einsetzen und ihr Leben nach kirchlichen Maximen ausrichten und kirchliche Veranstaltungen besuchen.
Um all das zusammenzufassen, möchte ich hier Werner Heisenberg zitieren:
"Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott."
Was ich damit sagen will ist Folgendes: Religion endet immer dort, wo die Wissenschaft aufhört. Je weiter der Mensch die Welt erforscht und nutzt, desto abstrakter wird die Religion und desto weiter wird sie in den Hintergrund gedrängt. Sie ist eine Erklärung für das Ungewisse, das was wir nicht kontrollieren können, das Fremde. Und ebendas ist eine der grundlegenden Ängste des Menschen. Sie ist, wie Karl Marx es trefflich ausgedrückt hat, das "Opium des Volkes", da sie den Menschen die Angst und somit das Leid nimmt und Linderung verschafft.
Schlussbemerkung:
Obwohl es klar geworden sein sollte, ist all das, was ich hier geschrieben habe nur ein educated guess; es ist weder nachgemessen, noch auf sontige Art bewiesen, dafür aber hoffentlich verständlich und logisch erklärt. Wem meine Erklärung nicht ausreicht, der möge gern einen Blick in die Schrift Humes hineinwerfen, welche in englischer Sprache hier (auf der Website der Universität von New Jersey) zu finden ist. Fürderhin halte ich Religionen für eine durchaus hilfreiche Erfindung der Menschheit ("Wenn es Gott nicht gäbe, so müsste man ihn erfinden." - Voltaire), ebenso wie ich Schmerzmittel für eine durchaus hilfreiche Erfindung der Menschheit halte und finde die Resultate, die karitative kirchliche Verbände vor allem hinsichtlich Sterbehilfe, Trost und Seelsorge liefern bewundernswert und anstrebenswert und wünsche jedem Menschen, dass er ohne Angst haben zu müssen Leben kann. Wenn die Religion dabei helfen kann, sei sie mir als Mittel mehr als Recht, solange sie dafür kein weiteres Leid verursacht.
Nach diesem Tribut an die postmoderne Internetkultur möchte ich mich noch für die Zitatflut rechtfertigen und so ich genötigt werde entschuldigen, bin ich doch der Meinung, dass ein jedes dieser Zitate die Inhalte deutlich pointierter und eloqueter zu vermitteln vermag als ich dazu in der Lage bin und mich für eventuelle Rückfagen offen halten. Sämtliche Rechtschreib- , Zeichensetzungs- und Grammatikfehler sind natürlich mit voller Intention enstanden und zählen deshalb als aktualisierender Sprachgebrauch (und somit zur Kunst).