Rondraio di Leonclé hatte ein Problem.
Es war kaum größer als ein aufgerichteter Schoßhund, hatte Augen von der Farbe von Strandpalmen, blonde, lange Haare, trug ein dünnes Nachthemdchen und beobachtete ihn aus neugierigen Augen, während eine Kaiserin Amenepuppe sich an sie lehnte. Das kleine Mündchen war geschlossen und der selbsternannte König der Diebe hoffte, dass das auch weiterhin so bleiben würde.
Er selber hatte im Grunde auch nur wenig Zeit um darüber nachzusinnen, da seine geübten Finger sich mit der ganz passablen Mechanik einer Vitrine auseinandersetzen mussten. Im Grunde stellte es für diesen von phexgesegneten Prachtkerl kein Problem dar, doch war ihm die Anwesenheit des, mit den Beinen wippenden und frech vor sich hin summenden, Mädchens ein wenig unangenehm, sodass seine überragende Konzentration ein klein wenig ins Schleudern geriet und der Dietrich abbrach. Er fluchte, tat dies jedoch aus Rücksicht auf das kleine unschuldige Wesen hinter ihm, lautlos.
,,Seid Ihr ein Diiiiieb?''
,,Aber nein natürlich nicht meine Kleine'', Rondraio wandte sich maskiert seiner Zuschauerin zu und lächelte hinter dem Stoff seiner Maske. Sie rümpfte derweil verächtlich die Nase.
,,Verarschen kann ich mich selber'', sagte das scheinbar achtjährige Prinzesschen mit der Selbstverständlichkeit einer eben solchen, wirkte aufgrund ihrer nahezu bornländischen Ausdrucksweise, gar nicht mehr so unschuldig, wozu auch das listige Funkeln in ihren Augen und das angedeutete Lächeln um ihre Lippen beitrug. Rondraio schwor sich diese kleine Rotznase nicht noch einmal so laienhaft zu unterschätzen.
Ironischerweise stellte sie die einzige Hürde zwischen ihm und seiner Beute dar. Überhaupt war dieser Einbruch im Grunde eine Beleidigung seiner überragenden Fähigkeiten und das in allen Punkten, ob es nun die Wachen oder andere Sicherheitsvorkehrungen betraf. Trotzdem hatte er seinen Stolz begraben und den Auftrag angenommen, da es Rechnungen zu bezahlen und Lyssia ein Geschenk zu ihrem Jahrestag zu besorgen galt. Dass er das zum größten Teil deshalb tat um seine Chancen bei ihr zu erhöhen, sie dies wusste und mit feinsten Spott zu quittieren wusste, machte sie umso anziehender für ihn, was das Geschenk zu einer wahrhaftigen Herzensangelegenheit machte. Und wenn seine Bemühungen scheitern sollten, hatte er ihr wenigstens eine Freude bereitet.
So rührend diese Gedankengänge auch sein mochten, es änderte nichts an der Tatsache, dass es immer noch eine gewisse Angelegenheit zu klären galt und er einem Löwen und seiner Beute nicht ganz unähnlich, sich nun überlegen musste, wie er sich aus dieser Affäre ziehen konnte. Derweil drückte das Mädchen, Amene in selbstverständlicher Göttlichkeit an ihre Brust, musterte ihn mit der Kinder eigenen Respektlosigkeit vor älteren und jedenfalls visionären Persönlichkeiten, unverhohlenen, um dann wieder zum sprechen anzusetzen.
,,Ihr wollt den Affenkopf stellen oooooder?'', sagte sie im lieblichen Tonfall einer schlangenleibigen Sirene, deren Speiseplan ausnahmsweise etwas Abwechslung erfahren sollte. Rondraios taktisches Geschick überzeugte ihm, die Karten offen auf den Tisch zu legen und das Spiel der angehenden Tyrannin mitzuspielen.
,,Ja das habe ich tatsächlich, Du hast mich wirklich ertappt. Bei Hesinde, Du bist ziemlich schlau'', sagte er in einem Tonfall der ihm schon oft Speis und Bettstatt verschafft hatte.
,,Ich weiß'', antwortete seine liebreizende Gesprächspartnerin in einem solch selbstgefälligen Art, die den treuen Diener des Phex sich dabei ertappen ließ, dass sie ihm von irgendwoher bekannt kam und sie das eine oder andere Mal schon gehört zu haben.
,,Mutter sagt, ich ähnle Großmutter sehr.’’
,,Sie muss wahrlich ein Goldstück sein, wenn Du dich mit ihr im direkten Vergleich zu messen vermagst.’’
Er war sehr froh, dass das Tuch und die Maske sein Gesicht bedeckten und er so seine amüsiert funkelnden Augen und das schelmische Lächeln um seine Lippen vor dem misstrauisch zusammengekniffenen Inquisitorenblick des Mädchens verbergen konnte. Dieses taktierte ihn noch gut eine Weile, rümpfte dann aber die Nase und begann die Haare ihrer Puppe zu streicheln.
,,Ich kann Euch helfen, an den Schlüssel zu kommen’’, sagte sie wie beiläufig, drehte sich wie zum Tanze im Kreis, hielt die Puppe von sich gestreckt.
,,Achja?’’, kam es von Rondraio, an dem es nun selbst lag, sie misstrauisch zu beäugen.
,,Ja’’, antwortete sie selbstverständlich.
,,Und ,wenn mir die Frage erlaubt ist und ich ja auch nicht dein gutes Herz ins Frage stellen möchte, was hast Du davon?’’
Ihre Unterlippe schob sich leicht nach vorne, die Puppe war an ihre Brust gedrückt, während sie sich leicht hin und her wog. Rondraio erwog kurz instinktiv einen Schritt zurückzuweichen, schalt sich jedoch einen schreckhaften Narren und besann sich auf seine Männlichkeit und hielt also mit der Standhaftigkeit eines wahrhaftigen aventurischen Reckens seine Position.
,,Ich find den hässlich. Und Mutter und Vater auch, nur wollen sie ihn nicht wegwerfen, weil sich das nicht schickt, aber wir wären alle so froh, wenn irgendwas geschähe. damit wir ihn nicht mehr sehen müssen.
So.’’
Der Gedanke über einen Hintermann von der Familie des Mädchens angeheuert worden zu sein, um ihr eigenes Eigentum zu entwenden, belustigte Rondraio genau so sehr, wie er seinen, nennen wir ihn mal eigentümlich, Stolz verletzte nur Teil einer nicht einmal besonders raffinierten Intrige zu sein. Doch als wahrhaftiger Diener des listigen Fuchses war er aber in erster Linie Geschäftsmann (obwohl dies natürlich von den „ehrlichen“ Vertretern der Zunft dementiert wurde, genau wie von ihren „missratenen, nicht existierenden“ Geschwistern, die wieder rum jegliche Verwandtschaft mit den „überfressenen Pfeffersäcken“ ablehnten, aber genug davon. Schließlich soll dies ja kein Disput über Religions- und Gesellschaftspolitik sein, sondern eine Episode aus der Sicht unseres liebenswerten Protagonisten sein, nicht wahr? ) und als solcher war er in der Lage seine persönlichen Gefühle und Ideale, für eine angemessene Summe, zumindest Zeitweise zu untergraben. Also riss er. Wie man so schön zu sagen pflegte, sich am Riemen.
,,Das ist wirklich nur zu verständlich mein Schatz.’’
,,Nennt Ihr mich noch mal so, schreie ich!“
,,Verzeih.’’
Sie machte ein Geräusch, welches ihm eindeutig signalisierte, dass ihre Majestät ihm noch einmal Gnade vor Recht gewährte.
,,Ich danke dir vielmals, aber um auf den eigentlichen Kern unseres höchst erquicklichen Gesprächs zurückzukommen: Wie kannst Du mir helfen an den Schlüssel zu kommen?’’, wagte der Dieb, der so eine gewisse Ahnung hatte.
,,Ich habe ihn selber dabei’’, antwortete das Mädchen, mit der Feierlichkeit einer Prophetin und zog den sprichwörtlichen Schlüssel zum Ziel, aus irgendeiner Stelle des Hemdchens hervor und schwang ihn wie der sechste Gezeichnete das Schwert Siebenstreich mit enormer Geschicklichkeit hin und her. Irgendwie hatte er es doch kommen sehen.
,,Das ist wirklich wunderbar, aber Du verzeihst mir doch wenn ich die Vermutung äußere, dass deine unschätzbare Hilfe nicht umsonst ist, stimmt’s?’’
,,Natürlich.’’
,,Hmmm.’’
,,Macht mich zur Diebin!“
Wohl mindestens einmal im Leben traf einen der Hammer, welcher übrigens den Namen „Überraschung“ trägt, dessen Schläge auf Grund der Wucht, mit der sie ausgeführt werden in der Lage sind, die Gesichtszüge seiner Opfer ins Unkenntliche zu verzerren und sie in einem Zustand vollkommener Fassungslosigkeit, der rauen Wirklichkeit überließ.
,,Wie belieben?’’
Dementsprechend intellektuell fielen die meisten Antworten dann auch aus.
,,Macht-mich-zur-Diebin!“, wiederholte das Mädchen langsam und sehr betont, energisch das Kinn vorgeschoben, den Schlüssel ,wie ein Drache der das liebste Stück seines Hortes bewacht, mit der kleinen Hand fest umschlossen. Der hesindegefällige Verstand hätte es wohl von ihm verlangt, ein paar der berühmten Fragen Rohals an diese bestimmt niederhöllische Kreatur zu stellen (von denen „warum ich?“, wohl die Gewichtigste dargestellt hätte) , einfach auf die kindliche Naivität dieses Mädchens zu vertrauen, ihr das blaue vom Himmel zu versprechen und sich dann geschwind wie Phex selbst abzuzweigen. Jedoch breitete sich zwei erdrückende Empfindungen, in seinem Innern aus, die zu ignorieren für das Sterbliche Dasein ein Ding der Unmöglichkeit darstellte. Erstens, vermeinte er den Atem Satinavs in seinem Nacken zu spüren, was einfach gesagt bedeutete, dass er seinem Gefühl nach keine Zeit mehr hatte um dieses anregende Gespräch weiter fortzusetzen, zweitens war da noch etwas, was man wohl eine göttliche Eingebung nannte. Zwar hörte Rondraio keine alveranischen Gesänge, jedoch manifestierte sich in ihm nahe der Herzgegend, ein heftiger Schmerz, was der sehr vitale Meisterdieb als SEHR eindeutiges Zeichen zu deuten vermeinen glaubte.
,,In Ordnung ich tu’s!’’
,,Schwört Ihr’s?’’
,,Ich schwöre es!’’
,,Bei euren Namen und den Phex’s?’’
Die Kleine war wirklich nicht auf den Kopf gefallen.
,,Ich schwöre es bei meinem Namen und den meines Herrn, dass ich, Rondraio di Leonclé…’’
Hatte er völlig den Verstand verloren, ihr seinen Namen zu nennen?
,,…und den des Herrn Phex, dass ich dich bei unserer nächsten Begegnung zu einer vortrefflichen Diebin machen werde, von der die Stadt noch, ähm, sehr lange sprechen wird!“
,,Gut.’’
Auf nackten Füßchen, trippelte das Mädchen auf den Dieb zu, der sich instinktiv vorgebeugt hatte und drückte ihm den Schlüssel in die Hand.
,,Bis dann.’’
Sprach’s, zog plötzlich das Tuch runter, drückte dem verdutzt dreinblickenden Fassadenkletterer einen höchst erwachsenen Kuss auf die Wange und verschwand ohne ihn auch nur noch eines Blickes mehr zu würdigen aus dem Raum, die bedauernswerte Kaiserin hinter sich her schleifend. Verblüfft und demaskiert starrte er erst auf die Tür, dann auf den Schlüssel, wieder zur Tür, erneut zum Schlüssel und dann zur Vitrine.
*
Der Affenschädel war tatsächlich sehr hässlich.
Nachdem er einige Zeit mit sich gekämpft hatte, legte Rondraio zur Sicherheit noch gut die Hälfte seiner, inzwischen wieder sehr prallen Barschaft dem Opfer bei, wie als fürchtete er das abscheuliche Schmuckstück eines Tages anstelle seines Nachttopfes wieder zu finden. Sein Blick blieb an der goldenen Fuchsstatue heften, deren rubinfarbene Augen starr seinem Blick standhielten. Rondraio fragte sich nicht was sich sein Herr und Meister wohl dabei gedacht hatte, ihm als seinen bescheidensten seiner Diener ein solches Versprechen abzuringen. Das wäre zu mühselig gewesen, schließlich waren die Pfade des Grauen unergründlich.
Außerdem…
Eine Hand hielt den Knaben an der Schulter fest, stoppte seinen Weg und ließ ihn Zeuge davon werden, wie seine Familie in der breiten Menschenmasse verschwand.
…hatte alles seinen Preis.
Er hätte nur zu gerne gewusst, wie viel Zeit ihm bis dahin noch blieb. Eine kleine Weile blieb er noch stehen, genoss die Stille und das Wissen, die Anwesenheit seines Herrn zu spüren. Dann verbeugte sich der Meisterdieb elegant, den Kopf respektvoll geneigt, all seinen Respekt und seine Liebe für den Alveranier und die Prinzipien für die er stand, in diese Geste legend. Dann richtete er sich wieder auf, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, ein fröhliches Liedchen pfeifend, das Bild einer sehr anziehenden Dame im Kopf. Hätte sein Blick nur einen winzigen Augenblick zuvor, noch am physischen Abbilds Phex verharrt, hätte ihm wohl die schlechte Luft im Altarraum, die Illusion einer zwinkernden Fuchsstatue in seinen Kopf gezaubert.