Charaktertiefe und Optimierung hat für mich nix miteinander zu tun. Genausowenig wie Powergaming und "Gutes Rollenspiel". Das eine schließt das andere nicht aus und es sind beide Kombinationen möglich.
Problematisch wird es vor allem dann, wenn der Spieler vor die Wahl gestellt wird zwischen einer sehr vorteilhaften Option, die nicht zum Charakter passt, und einer nachteiligen Option, die jedoch deutlich eher ingame vom Charakter zu ergreifen wäre bzw. zu diesem passt. Wird hier immer und ausschließlich auf den regeltechnischen Vorteil geachtet, verkommt der Charakter zur Fassade für das Ziel der Optimierung, meist verbunden mit dem Wunsch, besser als die SCs der Mitspieler oder ganz allgemein besser zu sein. Der Gedanke des Rollenspiels, der Darstellung eines Wesens mit Persönlichkeit, eigenen Wünschen, Ängsten und Zielen, tritt in den Hintergrund zugunsten eines auf Sieg und Konkurrenz ausgelegten Spielverständnisses. Wobei eine Ausprägung des PG auch darin bestehen kann, von Beginn an, den Charakter so zu erstellen, dass ihm zahlreiche Formen der rein regeltechnischen Optimierung gelegen kommen.
Grundlegend spricht jedoch nichts gegen eine Spielweise, die auch vorteilhaftes Verhalten berücksichtigt. Ein Krieger muss nicht mit KL 14 und KK 8 erstellt werden oder der Magier mit KL 8 und KK 14, um charaktergerechtes Rollenspiel zu ermöglichen. Ganz im Gegenteil ist eine umgekehrte Wahl sogar durchaus für die meisten Charaktere dieser Professionen sogar durchaus stimmig, obwohl zugleich regeltechnisch vorteilhaft.
Persönlich achte ich zumeist auf beides, regeltechnischen Vorteil und charaktergerechtes Spiel, wobei im Zweifel das zweite Kriterium schwerer wiegt. Dann wird der Krieger auch mal mit KK 14 oder 15 erstellt und gezielt für Sonderfertigkeiten wie "Schildkampf II" trainiert, auch bevor der Charakter 10000 AP stark ist. Andererseits sind Nachteile wie z.B. "Prinzipientreue" auch auszuspielen, ohne immer von der SL darauf gestoßen zu werden und ohne immer bis in das letzte Detail den Nachteil für den eigenen Vorteil interpretieren zu müssen. Der Krieger kämpft eben auch dann noch ehrenhaft, wenn dies keinen Vorteil bringt und der Nachteil "Mildtätigkeit" erweicht das Herz des Charakters auch dann zu Spenden an die Armen, wenn er eigentlich für die tolle neue Rüstung spart. Wobei dann kein schlechtes Rollenspiel sein muss, wenn dieser Krieger den finanziellen Verlust, den die Spenden zwangsweise darstellen, zu kompensieren versucht, wenn er sich beim nächsten Gelage etwas zurückhält. Außerdem gehört imho dazu, zumindest spezielle Erfahrungen auch umzusetzen. So mag vielleicht der Wunsch des Kriegers sein, das nächste garether Turnier zu gewinnen, aber zwei Monate in der Wüste führen schlicht nicht ausschließlich zu neuen Kenntnissen in der Kampfkunst.
Anders ausgerückt ist Powergaming weniger eine Frage konkreter Entscheidungen für oder gegen regeltechnisch vorteilhafte Optionen, sondern der Beweggründe für oder gegen diese Entscheidungen. Wobei die Bewertung, was konkret Powergaming ausmache bzw. wann die Grenze zum Powergaming überschritten ist, sich auch immer aus einem mitunter sehr komplexen und teils indirekten Spiel innerhalb der Gruppe ergibt, die sich zudem keinesfalls immer einig sein muss.
Daher kann z.B. auch eine Gruppe, die sich über das vermeintliche Powergaming eines Mitspielers beschwert, sich selbst des Powergamings befleißigen, eben indem sie die Entscheidungsfreiheit ihres Mitspielers zwecks gezielter Bescheidung der Fähigkeiten dessen SCs und damit Kontrolle über das Niveau der Möglichkeiten in der Gruppe, in Folge des Machtverhältnisses in der Gruppe, bestimmen. Klassische Beispiele, wie solche Einschränkungen formuliert und vordergründig gerechtfertigt werden, sind eine Beschwerde über die Steigerung des Talentes "Schwerter" über 14, weil eben alle anderen SCs der Gruppe noch mit ihrem Waffentalent auf 10 herumlaufen, oder der Klage über einen Ritter, der nach drei Monaten in der Wildnis das Talent "Wildnisleben" auf 4 steigern möchte, weil er damit im Bereich des Jägers der Gruppe "wildern" würde.