Der Mann aus den Wallbergen

  • "Gemeinsam wie ein Schildwall - Einsam wie eine Lanze"

    Er blinzelt… Wie lange hatte er auf den Schriftzug gestarrt? Die Worte kreisten um seine Gedanken… Einsam… Gemeinsam…. Wie lange war er nun allein unterwegs, von seiner Familie getrennt, wann hatte er sich von den Kameraden getrennt? Wie lange ist es her, dass er seine Familie gesehen hatte? Seine Finger streichen noch einmal über den feinen Schriftzug auf der kalten Schwertklinge. Seine Gedanken schweifen langsam wieder ab, in ferne Länder, auf goldene Felder im Morgengrauen, wo er einst stand - ein junger Mann, im Sturm einer neuen Zeit. Mann an Mann im Schildwall, wie ein Bündel Räucherwurst im Kamin seines Oheims, damals in Krähenbrück. Oder verstreut wie Herbstlaub, in den Senken des alten Grunwalds. Gemeinsam… Einsam…

    Ein kalter Windstoß, der ihm kalten Schnee ins Gesicht treibt der sofort schmolz, holt ihn in die Realität zurück. Wie lange sass er schon so? Nun, es war wohl lange genug, dass das Feuer fast verlosch. Er scholt sich innerlich selbst für seine Nachlässigkeit und legte hastig ein paar Zweige und Knüppel nach - dann sah noch mal nachdenklich auf die Klinge, die kalt auf seinen Beinen lag, nur so weit aus der Scheide gezogen dass er die Schriftzeichen im Schein des auflodernden Feuers mit seinen müden Augen sehen konnte.

    Ein Gedanke, der ihn auf seiner Wanderung schon oft verlockt hatte, kam ihm wieder in den Sinn. Würde er hinab in das Tal steigen, die alten Schäfer und Wilderer Pfade der Wallberge verlassen und dort hin gehen, wo er jede Nacht die Herdfeuer glimmen sieht, würde er früher oder später einen Händler finden. Sicher, er müsste länger suchen, er brauchte wahrlich keine schlichte Krämerseele die mit Töpfen, Tigeln und Fetten handelte - er brauchte einen Schmied oder Klingenkäufer - jemand, der sehen konnte, was er gerade sah: Ein Schwert, geschmiedet in den Südlanden, aus importierten Stahl, aus den Ländern im Westen. Ein Schwert der Legion - der dritten Legion - ja, wenn er etwas mehr Ahnung hatte, würde er den Leitspruch auf der Klinge erkennen und den Wert dieses Schwertes. Und er würde es gut bezahlen. Dann könnte er sich einer Karawane, möglicherweise einer der letzten die den engen Pass nach Norden verlässt, anschließen. Die Kronen würden reichen, wieder in echten Betten zu schlafen, nicht auf Reisighaufen. Er könnte wieder einmal baden, nicht sich mit Schnee abreiben, was den penetranten Rauchgeruch nur geringfügig zu mildern vermag und wieder einen Braten geniessen - den er nicht vorher jagen, töten und ausnehmen müsste. Mit echten Gewürzen. Und Wein… Wie gerne hätte er mal wieder einmal Wein getrunken.

    Ihn schauderte plötzlich und es dauerte einen Moment, ehe er realisierte, dass es nicht der Gedanke an den Verkauf seines Schwertes war, sondern das wieder im erlöschen begriffene Feuer. Die Kälte des Windes holte ihn jedoch schnell zurück in die eisige Realität. Nein… “Heute nicht!” presste er aus den Lippen und sah sich um. Auch wenn ihn hier nur die Schneehasen und Füchse, die sein karges Lager beobachteten, hören würden - Er tat dies leise - und schämte sich dennoch seiner Angst und übertriebenen Vorsicht! Er legte dicke Scheite auf, zog seine improvisierte Decke aus Reisig, seinem schweren Mantel und der schlissigen Zeltplane, die schon jede echte Farbe verloren hatte, über sich. Der Schnee würde ihn zusätzlich wärmen. Er lächelte, wie schon vor 20 Jahren, als er diesen Rat das erste mal hörte. Doch Leif, sein Begleiter, der wie er aus den Wallbergen stammte, sollte Recht behalten. Morgen würde er ein Stück nach Norden ziehen, wieder die Karawanen beobachten, die nach Süden ziehen und - wie schon in den 10 Tagen zuvor - Ausschau halten. Nach Karawanen, die die Nordroute nehmen. Doch der morgige Tag sollte anders sein, das hatte er sich vorgenommen.

    Sein letzter Pfeil ragte aus dem Köcher, verlor er diesen müsste er wohl oder übel einen Händler aufsuchen, die Fallenjagd lag ihm nicht und zum fischen war es zu kalt. Brach morgen keine Karawane über den Nordpass auf, würde er auch in den Süden gehen - und einen vollen Winter, 5 oder auch 6 Monate verlieren. Seine Stimmung trübte sich bei dem Gedanken, aber was konnte er ändern? Cuthbert, der alte Wanderer hatte seinen Weg lange vorbestimmt. Fast gab ihm der Gedanke, den er schon so oft hatte, dass er selbst zu einer Art Gebet wurde, ein wenig Hoffnung. Er biss nochmal von dem faden, zähen Kaninchen das er erlegt hatte und starrte in die Nacht. “Gemeinsam wie ein Schildwall - Einsam wie eine Lanze!” - dann schlief er ein...

    ***

    "Und Du bist Dir ganz sicher, dass Du das machen willst?" fragte der Dicke, und lugte zwischen zwei Bissen schief zu seinem Kompagnon hinüber. "Bist Du weich geworden, hat Mitleid bekommen, oder wirst Du einfach nur feige?" frage der Hagere, während er sich auf einem Strohsack ausstreckte. Das Gespann sass an einem Felsüberhang, die Findlinge und das Gestrüpp schützten vor Wind - und Entdeckung. Und gerade letzteres wäre fatal für das Duo gewesen - alleine die Straftaten der letzten drei Tage hätten ausgereicht, sie aufs Schafott zu bringen. Sie gaben ein ungleiches Paar ab. Der Dicke, Egbert getauft, war keine 6 Fuss gross, wog aber um die 220 Pfund. Sein rundes Gesicht hatte ein dümmliches Aussehen, der bubenhafte Mittelscheitel, der ausgescherte Nacken und die kurz rasierten Seiten wirkten deplatziert, der dünne Schnurrbart lies ihn noch grotesker erscheinen. Dennoch war Egbert davon überzeugt, dass er Cuthberts Geschenk an die Mittellande war - und vor allem den Frauen fiel es schwer, dieser Vorstellung zu folgen. Normalerweise zuckten Sie unwillkürlich vor ihm zurück. Und das war gut so...

    All das hinderte Ihn nicht, sich in einer Gemeinschaft aufzuspielen, machte Ihm in der Vergangenheit aber keine Freunde. Ein Grund, warum er mit Jonjon als Weggefährten vorlieb nahm. Jonjon war das Gegenteil von Egbert, mit seinen 6 Fuss und 6 Zoll - er nannte sich gerne einen "Sechsundsechziger" - bei gerade mal 65kg war ein dürrer Hansel. Seine dünnen, langen Haare waren zu einem Zopf gebunden und sein vor Krankheit ausgezehrtes Gesicht zeigte Spuren rücksichtslosen Raubbaus - und einem Hang zur Gewalt. Seine Nase war unzählige Male gebrochen, das Auge trüb und ein Ohr geschlitzt. Wenn er sprach sah man seine abgestorbenen Zähne und hörte ein leises Pfeifen seiner Lunge.

    Auch Egbert hörte dieses Pfeifen, als Jonjon wieder anhub: "Natüüürlich musst Du nicht mit, ich kann das auch wieder alleine machen. Es macht mir ja nichts aus......". Er liess die Worte langsam ausklingen, und obwohl er unter seinem dunklen Kapuzenkragen teilnahmslos wirkte, beobachtete er Egberts Reaktion genau. "Neinnein..." versicherte dieser hastig. "Ich habe nur gedacht...vielleicht haben sie von uns erzählt... und... und dann würde jemand Verdacht schöpfen...". Insgeheim lächelte Jonjon, er hatte Egbert wieder manipuliert. Der Feigling würde alles tun, um nicht alleine zu bleiben. "Auf uns wird kein Verdacht fallen mein Freund!" fuhr er fort und lächelte Egbert aufmunternd zu. Wäre dieser nicht schon wieder mit dem Essen beschäftigt gewesen, wäre ihm der widerlich-süffisante Ausdruck im Lächeln aufgefallen, der soviel sagte wie "und wenn Sie uns fangen, lass ich Dich dafür bluten, kleines, dickes Schweinchen!"

    Sie hatten 2 Tage bei einer Fallenstellerfamilie gewohnt, die sollte ihre Gastfreundschaft nun mit Ihrer Jagdbeute bezahlen - und natürlich mit Ihrem Leben. Egbert hatte sich nützlich gemacht, Jonjon den verletzten Soldaten gemimt, gemeinsam haben sie genug von der Famile erfahren, um sich im Tal als Pelzhändler ausgeben zu können und die Beute zu verjubeln, ohne dass wer Verdacht schöpft. Der Plan war einfach gestrickt, wie es auch Jonjon war. Konsequenzen interessierten ihn nur, wenn sie ihn betrafen und voraus geplant wurde selten. Diesmal sollte es recht schnell gehen, beim Fallen stellen wollten sie den Sohn der Familie fangen, knebeln und nahe der Hütte fesseln. Dann bricht Egbert ihm das Bein, nimmt ihn den Knebel ab und wenn die Eltern kommen um dem schreienden Balg zu helfen, würde Egbert sie mit der Axt erschlagen. Er ertappte sich bei einem glucksenden Kichern, beim Gedanken daran, dass der feiste Egbert, wie er genannt wurde, eine zweihändige Axt führt - weil ihm zu allem anderen die Koordination fehlt. Bei der Axt reicht es aus, irgendwie zu treffen, das Gewicht macht den Rest. "Fast wie bei uns, der Dicke macht den Rest!" entfuhr es ihm. Egbert hob kurz den Kopf "Waff?" fragte er. "Schluck erstmal runter und dann - KAU gefälligst und schling nicht wie ein Schwein... Ach... Egal... Nein, es ist nichts, hab nur gegrübelt...". Der Schnee lässt nach, morgen legen wir uns auf die Lauer!

    ***

    "Aufsteeeehn!" - Das eine Wort, aus Wolfs Mutters Mund, machte deutlich klar "Raus aus den Federn, oder es geht ohne Frühstück in den Wald!" Wolf blinzelte, etwas Licht drang durch den Rauchabzug, es mochte schon 8 oder 9 Uhr morgens sein. Mutter hatte ihn wieder länger schlafen lassen. Wolf würde an die 12 Jahre alt sein, genau sagen konnte man es nicht, er war ein Findelkind, eine Kriegswaise, die Marai und Ihr Mann vor vielen Jahren aufgenommen hatten. Aber es scherte auch niemanden, es war "ihr Wolf" - so war es immer, so sollte es auch bleiben. Wolf hatte sich mittlerweile an die Bettkante gesetzt und blinzelte schläfrig ins halbdunkle. Seine Schwester Sita war auch schon auf, und schien Mutter unten zur Hand zu gehen. Er streckte sich nochmal und stieg dann die Treppe nach unten hinab. In der Mitte des einzigen Hauptraums der Hütte war die Feuerstelle aus gestampften Lehm und Sandstein, ein grosser Topf stand auf dem Feuer und an den Wänden stapelten sich Tiegel und Töpfe mit Vorräten, während in den Ecken grosse Truhen mit Alltagskram standen. Er setzte sich an den Tisch und begann zu frühstücken, Haferbrei mit Obst, wie jeden Tag. Während er gedankenverloren auf einem Apfel kaute, kam Ihm ein Gedanke. "Mutter? Meinst Du Vater hat das ernst gemeint? Ich meine..." -er schluckte hastig herunter, als er Marais strafenden Blick sah- "...ich meine, wenn ich mit meinen Fallen etwas fange, bekomme ich dann wirklich ein eigenes Messer? Ein richtiges, grosses, wie Vater es hat?" - Seine Augen leuchteten beim Gedanken an die ein Fuss lange Klinge des Messers, dass Olgard jeden Tag am Gürtel trug. Es war mehr als ein Werkzeug, es war ein Zeichen, dieser Junge kann für sich sorgen, er ist alt genug um zu jagen, sein Wort hat Gewicht. "Natürlich..." meinte Marai, und legte den Kopf etwas schief - "Hat Olgard Dich je belogen?".

    Wolf sah seine Mutter an, sie war noch bald 40 und das Leben im Wald hatte seine Spuren hinterlassen, aber doch war Sie immer noch lebendig und voller Tatendrang. Er hatte sie immer wieder gefragt, ob Sie denn in die Stadt ziehen würde, wenn er vielleicht mal einen Schatz finden würde. Aber sie hatte es immer verneint, sie möchte im Wald begraben werden - aber bis dahin ist noch lange Zeit, schob sie immer nach! "Nein, nie..." entgegnete Wolf. Stapfende Schritte näherten sich, die Tür ging auf und so schnell das Sonnenlicht in die Hütte fiel, so schnell verebbte es auch wieder, als Olgard in die Tür trat. Er war nahezu 7 Fuss gross, wog an die 190 Pfund und hatte einen Bart wie ein Bär. Er schloss die Tür, legte seinen schweren Wollmantel ab und grinste breit. "Der Schnee hat nachgelassen, Wolf, Du darfst heute los, nach deinen Fallen schauen!". Wolf verschluckte sich an seinem Brei, dass er husten musste. "Wirklich? Ich darf? Wann? Jetzt gleich?" Olgard sah in belustigt an "Nun, wenn Du deine Mutter überzeugen kannst, nicht aufessen zu müssen..." - er stupste Marai an. Wolf nahm diese Verschwörung gar nicht wahr und sah seine Mutter mit den Augen eines neugeborenen Kaninchens an - so jedenfalls schien es seiner Schwester Sita, die die Szene von ihrem Fensterplatz mit dem Webstuhl aus beobachtet hat! "Ja komm..." lachte Marai, Du verschluckst Dich ja sonst eh nur wieder...". Wolf sprang auf und sprang die Leiter hoch um seine Sachen zu holen. Alles lag schon bereit, der Mantel, die Schneeschuhe, der Beutel für die Beute und natürlich sein Knüppel, gegen räudige Hunde. Er übersprang jede zweite Sprosse, drückte Marai, winkte Sita, gab Olgard hastig die Hand und grabschte sich noch einen Brotkanten eher er zur Tür hinaus huschte. "Heute - heute ist mein Tag, heute habe ich etwas in meinen Fallen!" Und so verschwand er im Wald.

    ***

    Etwas war heute anders, als er aufstand. Die wenigen Vögel sangen nicht, es war totenstill. Sein Bauch rumorte, er zwang sich weg zu hören. Zu oft hatten ihn seine Eingeweide vor Gefahren gewarnt, die nie eintrafen. "Ich werde alt..." sagte er zu sich selbst - der Schneehase, der ihn über eine kleine Schneewehe beäugte ließ ein Ohr sinken, als wolle er die Aussage wohlwollend in Frage stellen! Er packte sein kleines Bündel aus Decken, Werkzeugen und der Plane und zurrte es auf das aus Weiden gebaute "A", das ihm als Kraxe diente, dann schob er das Schwert in das Bündel und warf es sich mit einem Riemen über die Schulter. Beide Riemen wären bequemer gewesen, aber in diesem Gelände auch ein Risiko, er musste schnell und mit einer Hand frei kommen, wenn er den Halt verlor! Den Bogen und seinen letzten Pfeil mit der Breiten Eisenspitze in der Hand begann er den Weg ins Tal anzutreten. Die Höhle, die ihm die letzte Woche als Unterschlupf diente zog sich durch eine steile Felswand, auf deren Grat er nun entlangzog. Obwohl nicht länger als eine halbe Meile, brauchte er gut eine Stunde, bis er am Fuss der Wand ankam und wieder sicher gehen konnte. Plötzlich zerriss ein Schrei, gefolgt von einem Schmerzensgeheul die Stille. Sein Puls begann unvermittelt zu pochen, er setzte sich in Bewegung.

    ***

    Aus. Vorbei. Er war den Tränen nahe. Ein Messer? Ein Holzscheit würde er bekommen. Und das Gelächter aller anderen Fallensteller! Alle Fallen waren leer gewesen - bis auf die letzte Falle. Die ersten Tränen kullerten ihm über die Wange, er schluckte. Er hatte sich solche Mühe gegeben, im alten Hohlweg hatte er oft Fuchsspuren gesehen! Seine besten Fallen hatte er aufgebaut, sich für die Köder Fleisch vom Abendmal aufgehoben, vom Mund gespart., ja sogar Speck. Er hätte mit leeren Fallen leben können, der Winter war milde, die Tiere gingen nicht auf alle Köder, das hätte er ertragen können. Aber das - das war gemein! Er blickte auf die Falle und den schwarz-weissen Pelz. Zuerst hatte er gehofft, einen Dachs gefangen zu haben, aber nein.

    "Ein Stinktier? Das ist heute wirklich nicht Dein Tag, Junge!" - Die hämische Stimme mit dem leisen Pfeifen riss ihn aus seinen Gedanken, er fuhr herum - und sah die beiden Wanderer, die Olgard in der vergangenen Woche beherbergt hatte, nachdem sie sich im Schneesturm verlaufen haben!". Er sah sie verwirrt an "Was macht ihr hier... was... ach... egal, das ist der miserabelste Tag meines Lebens..." Er konnte nur hoffen, dass die alte Vera die Drüsen dieses Misttieres für ihre Tränke abkaufen würde, damit wenigstens das Gelächter etwas kleiner bleibt. Er hielt die beiden haselnussgrossen Bällchen immer noch in seiner Faust, die er gerade aus dem Leib des Tieres gelöst hatte, aber die Reaktion der beiden riss ihn aus seinen Gedanken. "Bürschchen, dein Tag wird noch viel, viel schlimmer" zischte der Hagere, und griff nach ihm. Wolf wusste nicht was hier aus welchem Grund geschah, aber eines wurde ihm schlagartig klar - es war nicht gut und er musste weg! Er schlug, biss und trat um sich - plötzlich sah er dem Hageren direkt ins Gesicht. "Dumm, dass dein Alter so vertrauensselig war, das wird er heute teuer bezahlen. Du wirst es erleben, ehe wir euch alle aufknüpfen". In Wolf stieg eine Wut auf, die er noch nie zuvor gespürt hatte, er holte aus und traf den Hageren ins Gesicht, etwas öliges quoll aus seiner Faust - die Stinktierblase war geplatzt und der beißende, stinkende Inhalt dem Hageren in die Augen gespritzt! Der ließ ihn fallen und heulte wie besessen auf - Wolf nutzte das und begann den Hang hinauf zu krabbeln. Egbert stand ratlos da, er war es nicht gewohnt, Entscheidungen zu fällen. "Egbert, du feiste Sau, geh ihm ihm nach, hol ihn zurück, Verdammt, meine Augen". Jonjon übergab sich, während Egbert an ihm vorbei Wolf nachstieg. "So war das nicht geplant..." schoss es Jonjon durch den Kopf - und er ahnte nicht, wie sehr er damit Recht behalten würde!

    ***

    Das Bild das sich ihm bot, war grotesk. Ein Junge, nicht älter als 12, kletterte rutschend und unglaublich langsam den Hang hoch, ein dickes Etwas mit einer Axt setzte ihm nach. Im aufgewühlten Schnee saß eine hagere Gestalt, und rieb sich fluchend und vor Schmerz heulend das Gesicht mit Schnee ab. Der Dicke musste die anderen beiden überfallen haben, also stand es wohl 3 zu 1, wobei das Kind und der Hagere keine großen Chancen gegen den Koloss mit der Axt haben durften. Er wägte kurz ab, was er tun sollte, als er sah, wie der Dicke die Axt von der Schulter riss und ansetzte den Fuß des Jungen, der nun grauenvoll nahe an seinem Verfolger war, zu zerschmettern. Er ließ sein Bündel den Hohlweg hinunter rutschen und hob den Bogen, zielte für einen Moment und löste die Sehne. Egbert grinste wie von Sinnen. Gewalt gefiel ihm, und am besten Gewalt wo er keine Gegenwehr riskieren musste. Und was machte es schon, wenn er den Fuß den Balgs hier zerschmettern würde, wenn er zu laut schrie, könnte er ihm auch ein paar Zähne einschlagen, das half immer. Also, bei Alten, Schwachen und Frauen, denn Egbert war nicht nur brutal - er war auch feige.

    Während er zum Hieb ausholte, wunderte er sich noch, dass seine Axt diesmal so ein seltsames Schwirren von sich gab. Dies sollte der letzte konzentrierte und bewusste Gedanke sein, den sein stets unterfordertes Gehirn formulieren konnte, denn in diesem Moment drang der Pfeil des Unbekannten von links in seinen kurzen Hals ein, riss durch das Schlingern eine zwei Zoll breite Wunde, durchtrennte Luft und Speiseröhre und fuhr mit einem schmatzenden, klatschenden Geräusch wieder aus seiner rechten Halsschwarte aus. Dass ihm die herabfallende Axt noch den Knöchel brach, merkte er schon nicht mehr.

    Jonjon hatte sich mittlerweile leidlich von dem Stinktieröl befreit und blickte auf, als er ein Gurgeln und dumpfes Aufschlagen hörte. Er sah sein Schweinchen ungelenk den Hang herabrutschen, eine Blutspur nach sich ziehend. Ihm wurden schlagartig zwei Dinge klar: Der Mann in Grau, der auf dem Hohlweg stand hatte Egbert getötet - und wenn es für diese Geschichte noch einen guten Ausgang geben sollte, musste er sterben! Er ging auf Ihn zu und lächelte süffisant … "Grüss euch, habt Dank für eure Hil..." weiter kam er nicht, der Junge schrie aus Leibeskräften vom Hang herb: "Er gehört zu ihm, bitte, glaubt ihm nicht - tötet ihn!". Er pfiff durch die Zähne. Bälger... Konnte er noch nie leiden... Zu seiner Überraschung liess der Mann in grau seinen Bogen sinken, legte ihn ab und rutschte den Hohlweg hinab zu ihm.

    Sein Gesicht nahm wieder dieses widerliche, höhnische Grinsen an. Aus seinem braunen Mantel, der mal einem Mönch gehört hatte, zog er ein schartiges Hiebmesser hervor. Eine dumme Idee, so einfach auf mich zuzugehen - er beschleunigte seine Schritte und war fast am Rand des Hohlwegs angekommen, als sich der Graue bückte. Das Bündel... das war doch eben nicht da? Gehörte es Schweinchen? Er wurde von einem leisen, schlurfenden Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Zwei Dinge wurden ihm gewahr: Er war immer noch im Trab, auf den Störenfried, der sein Schweinchen getötet hatte, zu... - ...und der Mann in Grau hatte ein Schwert aus dem Bündel gezogen. Schwerter sind teuer, und dieses schien gepflegt zu sein. Und wer sein Schwert pflegt, der kann in der Regel damit umgehen. "Neinneinneinnein-nein-nein!" entfuhr es ihm. Das lief nicht so wie er es geplant hatte!

    "DOCH" zischte der Mann in Grau und hob das Schwert. Die Haltung erschien Jonjon seltsam, verkehrt und verdreht. Normalerweise hielten Männer mit Schwert es erhoben, zum Schlag bereit. Der Grau hielt den Griff auf Gesichtshöhe, den Griff neben seinem Ohr, die Spitze auf Jonjon gerichtet. Das gab ihm Auftrieb, der Kerl tat nur so, als ob er damit umgehen könnte… "Ein Aufschneider... DU BIST EIN AUFSCHNEIDER" zischte er und fasste neuen Mut. Aus dem Trab heraus schnellte er vor, hob sein Hiebmesser und schlug über den Kopf, mit beiden Händen zu. Der Hieb hätte einen Helm spalten können und den Kopf des Grauen 3x. Doch der war weg. Der Graue trat zur Seite, nur ein kurzer Wechsel seines rechten Fußes - das Schwert klappt zur Seite, legt sich auf den linken Arm und die linke Schulter - klirrend sausst das Hiebmesser Jonjons die Breitseite der Klinge entlang gen Erde, er versucht abzubremsen - da kommt Bewegung in den Grauen, er führt die Klinge in einer 45° Drehung hinter sich - Jonjon erschaudert, DASS war die Ausgangsstellung die er kannte - der Graue führt die Bewegung weiter, das Schwert beschleunigt - Jonjon versucht seinen Hieb zu bremsen, das Messer zur Verteidigung hoch zu reissen - der Hieb kam von rechts oben und traf Jonjon in die Rippen - Knochen splittern schmatzend, die Klinge durchtrennt das Fleisch und bahnt sich ihren Weg zur Lunge - Jonjon wankt und sinkt auf die Knie. Er spürt eine Wärme im Gesicht und öffnet die Augen. Er hört die trockene, emotionslose Stimme des Grauen, zum ersten mal: "Ja, ein AufSCHNEIDER, Du hast Recht... Nicht mehr und nicht weniger!".

    Es war das letzte was er höhrte, als seine Lunge mit einem letzten Pfeifen kollabierte und er im eigenen Blut ertrank.


    "Hast Du ein Zuhause?", meinte der Fremde, nachdem er seine Klinge gereinigt hatte. Wolf nickte...

    "So war das halt im Mittelalter - dagegen hilft kein Mittel... Alter!"

    - Die Abrafaxe

    Einmal editiert, zuletzt von Grimmbold1976 (1. September 2022 um 09:22)