Intersystem - Mobbing - oder "Mein W20 hat mehr Seiten als deiner!"

  • Servus,

    mir fiel hier, beim Lesen, auf, wie gesittet Diskussionen zugehen. Das finde ich auch sehr positiv, aber mir ist, seit ich vor ca. 3 Jahren wieder ins Rollenspiel eingestiegen bin, aufgefallen, dass es regelrechte Glaubenskriege gibt.

    Mein bester Freund und ich veralbern uns auch permanent (er liebt WH40k, ich WH Fantasy). Ich ziehe in mit seinem faschistoiden Imperium auf, er lästert über meine Knuffel-Orks (hab uralte HeroQuest Orks...).

    Aber ich habe es nun in Foren schon erlebt, dass wahre Diskussionen über einzig wahre Rollenspiel losbrachen.

    Mag sein, dass ich zu alt bin, aber ich verstehe das nicht - dass man Spielwelten nach Gusto diskutiert, dass dem einen das Reik zu düster ist, der nächste findet die vergessenen Reiche zu bunt - OK. Aber das System ist doch nur ein Grundgerüst.

    Es ist ein wenig so, als wenn man sagt "Nee, den Film gucke ich nicht, der wurde mit Canon statt Panasonic Kameras gefilmt!" - der Spielleiter, die Spieler und das Abenteuer machen den Reiz. Wir haben im Urlaub ein superspassiges Abenteuer im WH Universum auf Basis von HeroQuest(!) gespielt.

    Viele, die jetzt auf FB und Co unterwegs sind, werden sagen "Jo, und? Ist nichts Neues!" - aber für mich war das erschreckend (umso positiver, dass es hier so harmonisch zugeht).

    Ich mein, ich mag DSA nicht, bin ich ehrlich, mein Hirn weigerte sich, eine Welt glaubhaft zu finden, in der Wallenstein, Winnetou, Julius Cäsar, Ötzi, Leif Erikson, Jonflip Susa, D´Artagnan und Richard Löwenherz auf derselben Zeitschiene und teilweise Tür an Tür existieren. Dazu die reim dich oder ich friss dich Zauber aus der ersten Edition, und mein Trauma ward geboren. Aber das ist eben mein Ding und ich weiß auch rational, dass DSA heute ggf. was ganz anderes ist!
    Aber ich werd mich doch nicht hinsetzen und einem DSA Spieler ungefragt sein Spiel sezieren, an dem er Spass hat? Und wenn jemand sagt "Mensch, willst nicht doch mal mitspielen?" - dann werde ich wahrscheinlich auch ja sagen.

    Ist die Hobbyszene toxischer geworden oder bin ich dünnhäutiger / harmoniebedürftiger als Anno 1995?

    "So war das halt im Mittelalter - dagegen hilft kein Mittel... Alter!"

    - Die Abrafaxe

  • "Fanatiker lassen sich schon aus Überzeugung nicht überzeugen" (Uhlenbruck).

    Auch auf dem Orkenspalter gibt es eine Giftkueche, in die Threads gesteckt werden, in welchen sich die Gemueter zusehr aufgeheizt haben. Neue Beiträge erscheinen erst, nachdem die Moderation diese freigibt. Zum Glueck muss dies nicht häufig geschehen.

    Nicht nur die Hobbyszene hat sich seit 1995 geändert und generell scheint der zwischenmenschliche Ton, nicht zuletzt durch Internetanonymität und soziale Netzwerke, rauer geworden zu sein.

    Das gesagt, glaube ich nicht, dass es im Lauf der Zeit weniger noch mehr Zeloten in der Welt gibt, egal welcher Ueberzeugung. Doch hört man Zeloten heute einfach häufiger als 1995. Schliesslich sind diese hochmotiviert und bereit ihre Zeit dazu aufzuwenden, um ueber gefuehlte Abweichungen im Internet mit Fremden zu streiten. Dabei ist es wohl egal, ob es um Huehnerzucht, Sportschuhe, Zahnpasta, Pen & Paper, oder die europäische Banen-Richtlinie geht.

    Hier auf dem Orkenspalter ist es zum Glueck recht ruhig, gefuehlt scheint hier tatsächlich der Altersdurchschnitt höher zu liegen, wohl auch daher, weil Foren kaum noch von juengeren Generationen frequentiert werden. Dabei haben wir wohl noch nicht den Punkt der Altersstarrsinn erreicht. Daher haben wir den optimalen Lebenspunkt erreicht, in dem wir die Hitzigkeit, den Sturm und Drang der Jugend hinter uns liessen und die Demenz des Alters noch nicht erreicht haben.

    Was die Unglaubwuerdigkeit Aventuriens anbelangt, so braucht man ein wenig Zeit, um in die "Suspension of disbelief" einzutauchen. Aber es ist ja auch ok, wenn es nichts fuer einen ist. Das Leben ist zu kurz, um ueber den Geschmack von erfundenen Welten zu streiten :sleepy:

  • >>Das Leben ist zu kurz, um ueber den Geschmack von erfundenen Welten zu streiten
    So ist es!

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    - Die Abrafaxe

  • Ist die Hobbyszene toxischer geworden oder bin ich dünnhäutiger / harmoniebedürftiger als Anno 1995?

    Interessante Frage.

    Allgemein beobachte ich im Internet eine Tendenz hin zu irrationalem, geiferndem Hass und Morddrohungen gegen Leute, die halt mal eine abweichende Meinung geäußert haben ...

    Aber in der Hobbyszene ... :/

    Hier ist es jedenfalls ganz friedlich. Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass irgendjemand sich wegen unterschiedlichem Geschmack in Spielsystemen gegenseitig die Köppe einhaut.

    Die mit den Morddrohungen sind meistens welche, die überzogene politische Forderungen stellen, für deren Erfüllung in die Grundrechte anderer eingegriffen werden müsste. Was dann zu Gegenwehr führt, die mit Fanatismus niederzuknüppeln versucht wird.

    Meist sind da ganz handfeste Eigeninteressen im Spiel, die Ideologie ist nur eine Ausrede. Insofern kann ich mir erbitterte Kriege zwischen Anhängern unterschiedlicher Rollenspielsysteme kaum vorstellen.

    (Überhaupt, unterschiedliche Systeme? Ich kann mich ja eine ganze Weile darüber streiten, wie man DSA richtig spielen sollte, aber was juckt es mich, wenn jemand was anderes spielt? )

  • Naja, das Thema Systemmobbing war ja schon bei Dork Tower aktuell und wurde mehrmals auf die Schippe genommen...

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    - Die Abrafaxe

  • Ist die Hobbyszene toxischer geworden oder bin ich dünnhäutiger / harmoniebedürftiger als Anno 1995?

    Weder noch.

    Du hast nur neuerdings durch das Internet viel mehr Zugang zu der Toxität erlangt und die Toxität hat durch das Internet ebenfalls ein einfaches Sprachrohr gefunden.

    Es liegt in der Natur des Menschen richtig liegen zu wollen und die eigene Entscheidung unter anderem durch die Abwertung der Alternativen zu bekräftigen.

    Zum Glück nimmt das im Bereich Tabletop RPG noch recht harmlose Maße an. Man vergleiche nur einmal damit, was im Fußball so abläuft.

  • Hallo Lapis,

    Du meinst, das Internet ermöglicht es, auf Idioten zu treffen, die man früher verpasst hätte?

    Ich stimme Dir zu, Recht haben ist ein Drang. Wofür mir das Verständnis fehlt, sowohl ethisch als auch sachlich, ist der Bedarf andere kleinzureden.

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    - Die Abrafaxe

  • Ich schätze mal, dass es seit 1995 einfach mehr Leute geworden sind, die das Internet durchstreifen - da ist automatisch auch mehr geschrei dabei.

    Auch glaube ich haben wir auf sehr breiter Front das Diskutieren verlernt. Toleranz wird gepredigt, die Pflicht dazu steht sogar oft als Vorgabe in den Forenregeln. Aber Toleranz gegenüber anderen Meinungen ist dabei tatsächlich nicht gemeint fürchte ich.

    Und wenn ich so in meine Rollenspiel-Runden schaue sind es halt oft die Besserwisser in der Gruppe (so wie ich), die sich überhaupt zusätzlich noch in den Foren bewegen ;)

    Along the shore the cloud waves break,
    The twin suns sink behind the lake,
    The shadows lengthen
    In Carcosa.

  • Toleranz wird gepredigt, die Pflicht dazu steht sogar oft als Vorgabe in den Forenregeln. Aber Toleranz gegenüber anderen Meinungen ist dabei tatsächlich nicht gemeint fürchte ich.

    Auch schon in den 90gern war es so, dass Rollenspielende ja eigentlich recht weltoffene Personen sind, sich Gedanken machen über andere Weltanschauungen, versuchen sich in andere Menschen hinein zu versetzen, für oder gegen Sichtweisen argumentieren, die sie selbst gar nicht haben (wie Vorteile der Sklaverei) und so weiter. Also man könnte sagen, sie sind tolerante Wesen <3 - aber nur bis man ihr Lieblingssystem kritisiert:!: ;)

    I ♡ Yakuban.

  • Wofür mir das Verständnis fehlt, sowohl ethisch als auch sachlich, ist der Bedarf andere kleinzureden.

    Die Psychologie dahinter scheint mir eigentlich recht simpel:

    Man möchte die richtige Entscheidung getroffen haben. Denn wenn das andere besser wäre, dann hätte man ja seine Zeit verschwendet. Das würde viele negative Gefühle auslösen. Unter anderem spüren Menschen ja fast schon physische Schmerzen, wenn sie Unrecht haben. Es ist also eine gesunde Mischung aus Stammesdenken, "sunk cost fallacy" und dem Bedürfnis Schmerz zu vermeiden.

    Also wird das andere kleingeredet, um die eigene Entscheidung zu bestärken.

    Der gleiche Mechanismus findet sich eigentlich überall. Egal, ob Bayern vs Dortmund, Porsche vs. Ferrari, D&D vs DSA, Addidas vs. Nike oder was es sonst noch so alles gibt.

    Je investierter eine Person in eine dieser Sachen ist, desto stärker wird die Neigung die Alternativen kleinzureden.

  • Ja, gut, das sehe ich in gewissen Rahmen ein. In der Schiene ist dann auch das Verteidigen mit Zähnen und Klauen, weil man viel Geld ausgegeben hat, und sich die Fehlinvestition nicht eingestehen will, verortet.

    "So war das halt im Mittelalter - dagegen hilft kein Mittel... Alter!"

    - Die Abrafaxe

  • Ja, gut, das sehe ich in gewissen Rahmen ein. In der Schiene ist dann auch das Verteidigen mit Zähnen und Klauen, weil man viel Geld ausgegeben hat, und sich die Fehlinvestition nicht eingestehen will, verortet.

    Als allgemeines menschliches Phänomen ist mir das begreiflich. Wenn man seine gesamten Ersparnisse in einen Porsche investiert hat, darf der Ferrari nicht besser sein. Und wenn man einer Entscheidung Körperteile geopfert hat (Korgeweihter werden oder Namenlosengeweihter werden, was ist besser?) dann kann man davon natürlich niemals abrücken, und wird die Entscheidung umso erbitterter verteidigen, je mehr einem insgeheim selbst aufgeht, dass das eigentlich eine blöde Idee war.

    Nur ... SO teuer ist Rollenspielkram nun doch auch wieder nicht. :/

    Soll ja sogar Leute geben, die mehrere Systeme spielen.

  • Wofür mir das Verständnis fehlt, sowohl ethisch als auch sachlich, ist der Bedarf andere kleinzureden.

    Das auch. Mir fehlt auch zusätzlich auch Muße und Interesse, über etwas zu diskutieren, dass mir recht egal ist. Wenn andere Spaß mit etwas haben, ist das schön für sie. Wenn mir etwas nicht zusagt, aus welchen Gründen auch immer, beschäftige ich mich nicht damit.

  • Nur ... SO teuer ist Rollenspielkram nun doch auch wieder nicht. :/

    Soll ja sogar Leute geben, die mehrere Systeme spielen.

    Der Mechanismus ist ja auch nicht der gleiche, sondern nur ein ähnlicher.

    Wobei die investierte Lebenszeit ja auch einen unschätzbaren Wert hat.

  • Wobei die investierte Lebenszeit ja auch einen unschätzbaren Wert hat.

    Schon, aber die ist ja nicht verschwendet, außer man hätte tatsächlich überhaupt keinen Spaß gehabt. :/

    Wie gesagt, die Sunk Cost Fallacy an sich kenn ich, ich kann mir nur nicht ausmalen, wie man sie auf's Rollenspiel beziehen kann.

    Gibt es da tatsächlich in den sozialen Medien regelrechte Schlachten in denen Leute die jahrelang DSA oder D&D gespielt haben, und eigentlich keinen Spaß hatten, ihr System mit Zähnen und Klauen gegen die Gegenseite verteidigen?

    Kuriose Vorstellung.

    Nee, also das kann ich mir irgendwie alles nicht vorstellen. Ich glaube es wohl erst, wenn ich es selber mal sehe. (Hoffentlich nie.)