Sind Hintergrund und System voneinander abhängig?

  • Hallo zusammen,

    im Thread Science Fiction vs. Mittelalter kam die Diskussion auf ob man wirklich jede Spielwelt mit jedem Regelsatz spielen kann. Ich sehe das ja eher kritisch. Denn schon bei einem Nichtrollenspiel Hintergrund muss meiner Ansicht nach das Regelwerk auch die Tonalität des Hintergrunds unterstützen.

    Der Star Wars Hintergrund mit dem relativ tödlichen System von Cthulhu wird deutlich von den Filmen, Episode 4-6, abweichen.

    Cthulhu mit D20 wurde ja umgesetzt aber auch hier waren die Unterschiede in den Systemen so stark das sie sich auch auf den Hintergrund auswirkten.

    Aber selbst Systeme die sich als universal nutzbar verstehen, etwa Gurps oder Savage Worlds sind eben nicht universell. Sondern es sind Regelbaukästen die dann auf den jeweiligen Hintergrund angepasst werden müssen.

    Gruß Jochen

  • Ich denke nicht, dass man jede Welt mit jeden Regeln spielen kann, aber man kann, erst recht mit etwas Anpassung, viele Welten mit vielen Regeln spielen.

    Am Ende sagen die Regeln meist mehr darüber aus, was für eine Art von Rollenspiel man spielen will (Simulation, schnell, erzählerisch, frei, stärkeres Korsett, improvisiert, kleinteilig, etc.), und die Welt bestimmt eben den Hintergrund und den Kontext der Geschichte. Wobei selbst das ja fließend ist. Ich kann auch in Aventurien lovercraftschen Horror spielen (neuerdings ja sogar "offiziell") und ich könnte theoretisch auch meine Raumschiff-Besatzung auf Mittelerde landen lassen.

    Natürlich gibt es immer wieder bestimmte Bereiche in einer Hintergrundwelt, die schlecht zu manchen Regeln passen. Paradebeispiel war damals für mich MERS, das Mittelerde mit Rolemaster-Regeln verheiratet hat, aber gerade im Bereich Magie eine sehr technokratische Magie geschaffen hat, die nicht zur mystischen Magie Tolkiens gepasst hat.

    Ich habe eine Rollenspiel-Runde, mit der wir aktuell Aventurien nach FATE-Regeln bespielen. Das klappt ausgezeichnet, wobei wir natürlich den Vorteil haben, dass wir die DSA-Regeln so weit kennen, dass wir unsere Charaktere in etwa nach dem ausrichten, was sie eben auch in DSA in ihrer jeweiligen "Erfahrungsstufe" an Fähigkeiten hätten und im Grunde ganz streng entlang der Hintergrundwelt und ihren Beschränkungen spielen, aber eben freiwillig. Auf dem Charakterbogen meines Geweihten steht keine einzige Liturgie und der Elf in der Gruppe hat keine Zaubersprüche vor sich stehen. Wir wissen aber eben, was Helden in etwa können sollten. Die Kämpfe und Konflikte werden mit einer starken Portion Erzählspiel abgehandelt. Das ist logischerweise ein anderes Spielgefühl als das eher simulationistische DSA, aber es erfüllt seinen Zweck, wenn es eben genau das ist, was man haben möchte.

  • Nachdem Rollenspiel ja auch völlig ohne Regeln geht ... kann man auch jede Spielwelt mit jedem Regelsatz spielen. Die Frage ist immer nur wie gut.

    Letztlich sind die Regeln größtenteils eine Krücke, die unperfekte Menschen dazu anleitet, sich möglichst so zu verhalten, dass es zum Hintergrund passt.

    (Ich habe schon bei Forenrollenspielen mitgemacht, die von Leuten erdacht waren, die von Pen&Paper keine Ahnung hatten und einfach nur spielen wollten. War eine nette Idee, aber sobald in irgendeiner Weise PVP ins Spiel kam, versank die Sache im Chaos, weil keine Regel, keine Würfel und kein SL entschieden, wer denn jetzt eigentlich gewonnen hat. Mit sehr reifen und erwachsenen Leuten mag das funktionieren, mit Teenagern ist es katastrophal.)

    Dabei sind dann die Aspekte am liebevollsten ausgearbeitet, die für das Flair des Hintergrunds am Wichtigsten sind. (Ich habe mit anderen Systemen als DSA nur sehr sporadisch gespielt, meine mich aber zu erinnern, dass es Horrorspiele gibt, bei denen regeltechnisch festgelegt ist, wann der Horror einen in den Wahnsinn treibt, und Vampirspiele, in denen man zum moralfreien Monster werden kann, wenn man seine in Punkten geregelte Menschlichkeit verliert.)

    Wenn man ein System zweckentfremden will, muss man natürlich kreativ werden, und die Regeln unter Umständen anders verwenden als sie eigentlich gedacht sind.

    "Herr der Ringe" ließe sich mit DSA-Regeln vermutlich ganz gut simulieren - indem man alle (Spieler)Charaktere regeltechnisch zu Geweihten macht und/oder ihnen einen Ehrenkodex aufhalst. (Je nach Mächtigkeit)

    Kein Witz: Die Hauptpersonen von "Herr der Ringe" sind einfach die Guten. Aber so richtig. Nachdem Menschen fehlbar sind, und gerade in fiktiven Welten dazu neigen, mal konsequenzlos "die Sau rauslassen" zu wollen ... muss man ihnen enge Grenzen aufzeigen, wenn man das authentische Feeling von Herr der Ringe haben will, wo sich eben alle Protagonisten sehr anständig verhalten.

    Außerdem ließen sich einige der Sachen, die die Hauptpersonen können, am besten mit Liturgien simulieren. (Aragorn heilt durch Handauflegen Leute die fast tot sind, die Hobbits können sich übernatürlich gut verstecken, Eowyn bringt ein eigentlich unsterbliches Wesen um ... nicht ohne ihm vorher zu sagen, wer sie ist, es passt ganz hervorragend, wenn die Regeln ihr vorschreiben, dass sie das tun muss - denn der übliche Ansatz eines auf Effizienz bedachten Spielers wäre wohl, keine Zeit mit Worten zu verschwenden.)

    Zurück zum Thema Hintergrund und System:

    Wenn ich will, dass vor dem Kampf epische Monologe gehalten werden, muss ich das in den Regeln belohnen. Wenn ich will, dass Gefangene nicht mal eben abgestochen werden, weil es so am einfachsten ist, muss ich solches Verhalten abstrafen. Et cetera.

    Letztlich stellen die Regeln quasi die Faktoren der fiktiven Evolution dar, und das Setting dessen Ergebnis.

    Warum ist Mittelerde so anders als die Welt von Game of Thrones? Eigentlich natürlich: Weil die Autoren es so wollten.

    Aber wenn man sich überlegt, welche evolutionären Faktoren dazu geführt haben könnten, dass die Welten so sind wie sie eben sind ... dann kommt man mehr oder minder automatisch auf Regelwerke, mit denen sich die jeweiligen Welten simulieren ließen.

    Denn ein "Naturgesetz" das Spieler dazu veranlasst, auf eine bestimmte Weise zu handeln, würde ja auch die Menschen in der fiktiven Welt entweder dazu veranlassen so zu handeln - oder bevorzugt die übrig zu lassen, die so handeln.

    In Mittelerde gibt es offenbar Instanzen, die prosoziales Verhalten belohnen und antisoziales Verhalten abstrafen (gibt es ja sogar ganz offiziell, allerdings greifen höhere Mächte offiziell nur selten ein.)

    In der Welt von Game of Thrones könnte es sogar Mächte geben, die antisoziales Verhalten belohnen, und prosoziales Verhalten bestrafen, wenn man sich mal anschaut wer so überlebt und wer verfrüht das Zeitliche segnet ... eines steht fest, wenn ich meine aktuelle Spielrunde dazu kriegen wollte, ihre Charaktere so zu spielen wie man sich in Game of Thrones üblicherweise verhält, müsste ich mir schon was einfallen lassen. (Nicht, dass ich die geringste Lust hätte, das zu versuchen, ich bin ja froh, dass die SC alle so zivilisiert sind ... aber WENN ich das erreichen wollte, könnte ich nicht nach DSA Regeln spielen, denn die bieten doch "zu viele" Wege der gewaltfreien Konfliktlösung. Welche in dieser Runde auch garantiert benutzt würden. )

  • Regeln beschränken Handlungsmöglichkeiten. Je neuer eine Welt ist, desto wichtiger sind Regeln:

    Wenn jemand in einer komplett neuen Spielwelt, über die er nichts oder nur sehr wenig weiß, einen Charakter spielt, der zaubern kann, dann brauch er einfach Anhaltspunkte dafür, was der Charakter mit seiner Zauberei alles leisten kann und was nicht, Und ganz gleich, wie diese Regeln beschaffen sind, sie werden ihm immer Grenzen der eigenen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und so Spielbarkeit schaffen.

    Von daher ist die Plausibilität des Settings von den Regeln abhängig, denn die Fähigkeiten = Handlungsmöglichkeiten der Akteure werden ja durch die Regeln definiert.

    Einmal editiert, zuletzt von manbehind (26. Mai 2021 um 19:53)

  • Im Allgemeinen kann man sagen, dass Regeln und Hintergrund von einander unabhängig sind. Es gibt da aber eine Ausnahme: die Magie. Magie ist nämlich oft fest mit dem Hintergrund verbunden und basiert nun einmal nicht auf irgendwelchen Naturgesetzen, weshalb es dafür keine allgemeingültigen Regeln geben kann. Kampf, Fertigkeitseinsatz usw. sind immer vom Hintergrund unabhängig. Da könnte man in der Theorie, die Regeln nehmen die am ehesten zum Spielstil passen. Bei Magie geht dies nicht, da jeder Hintergrund Magie anders beschreibt. Bei SciFi-Rollenspielen sind es die Regeln zur Technologie, die häufig an den Hintergrund gebunden sind. Oft ist es aber da der Fall, dass Regeln für bestimmte Technologien fehlen, weil diese im verwendeten Hintergrund nicht vorkommen.