Ein Erlebnis eines Zauberlehrlings

  •                                Ein Tag im Leben eines Zauberlehrlings


    Langsam kam er zurück aus dem tiefen Meer der Bewusstlosigkeit und versuchte die Starre, die sich in ihm ausgebreitet hatte abzuschütteln. Er setzte sich auf und öffnete die Augen. Am liebsten hätte er sie gleich wieder geschlossen, denn die Zerstörung, die ihm sich bot, war schlimmer als er schon befürchtet hatte. Er konnte sich noch dunkel daran erinnern, dass er einen Ignispaero versucht hatte, und irgend etwas war außer Kontrolle geraten. Schuldbewusst betrachtete er das Bild der Verwüstung - auf dem Labortisch aus andergastischer Eiche lagen Stücke aus verbogenen und geschmolzenen Metall, die einstmals alchimistische Gerätschaften waren und über die Splitter von zerbrochenen Glasbehältern rann ihr ehemaliger Inhalt und vermischte sich - teilweise mit lautem Zischen - zu einer buntschillernden Flüssigkeit. Der Tisch selbst schien nur ein wenig angesengt zu sein und die eichenen Truhen zeigten ebenfalls keine sichtbaren Schäden. Anklagend betrachtete Toronir das Chaos auf dem Labortisch, er würde es seinem Gevatter berichten müssen, dieser hatte sicherlich ohnedies die Störung des magischen Netzes bemerkt, aber zuvor würde Toronir versuchen das Labor in seinen Urzustand zu bringen.

    Da fiel ihm die kostbare Glasvitrine mit der geliebten Porzellansammlung seines Gevatters ein. Widerwillig drehte er sich um. Doch die Vitrine schien seltsamer Weise vollkommen unbeschädigt zu sein. Langsam ging er näher und bemerkte erleichtert, daß auch bei näherem Hinsehen kein Schaden festzustellen war. Gegen das Verbot seines Gevatters streckte er seine Hand aus, um über das Glas der Vitrine zu streichen, doch er stieß auf Widerstand; eine unsichtbare Barriere, langsam glitten seine Fingerspitzen über sie, während er sich konzentrierte. Eine magische Wand, vermutlich ein "Fortifex" - erstaunlich.

    Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. In der Tür stand eine dunkle Gestalt und winkte ihn mit einer befehlenden Geste zu sich. Wie ein geprügelter Hund schlich er zur Tür, er würde die nächste Zeit sicher nicht genießen.

    "Toronir, welchen materiellen Wert schätzt du, hat dein kleines Kunststück vernichtet? Die Zeit, welche die erneute Durchführung meiner Experimente benötigen wird, lass unberücksichtigt, denn du wirst die Freude haben mir bei ihnen zu helfen." Unerwartet ruhig hatte die Stimme gesprochen, doch Toronir hatte den stählernen Unterton vernommen und begann kleinlaut eine Bestandsliste aus dem Gedächtnis zu erstellen und die einzelnen Gegenstände zu bewerten. Während dieser Aufzählung erhellte ein fast unmerkliches Lächeln die Mine seines Meisters, doch seine Stimme war die gleiche als er meinte: "Dein Gedächtnis ist noch immer ungeübt. Du hast die Phiole Hexenspeichel und die blauen Kristalle der Trauer vergessen, und den Unauer Schwefel hatte ich heute morgen entfernt. Ich glaube du solltest es heute abend trainieren - statt am Abendbrot teilzunehmen." "Ja, Gevatter!" "Bitte komme pünktlich zu deinem Unterricht. Ich möchte nicht, daß dein Lehrer sich beleidigt fühlt. Nachdem du hier weggeräumt hast!" "Ja, Gevatter."

    Als sein Gevatter den Raum verließ, wandte sich Toronir wieder dem Chaos zu. Er war froh so ungeschoren davonzukommen, auch wenn er sich auf das heutige Abendbrot besonders gefreut hatte. Es gab ein scharfes Reisgericht mit Hirsebrot, das Leibgericht des heutigen Gastes, und dieser war es der Toronir zum Abendessen zog. Ein Tulamide ungefähr im selben Alter wie sein Gevatter mit langem weißen Bart und stechenden Augen, der sich jedes Mal über die Tischsitten des Lieblichen Feldes beschwerte, aber selbst mit den Fingern aß, statt dass er das silberne Tafelbesteck verwendete. Aber Geschichten konnte er erzählen, Toronir konnte sich noch gut an das letzte Mal erinnern als vor seinen geistigen Auge das Leben am Hofe des Sultans entstand: weise Herrscher, kühne Krieger und reizvolle Haremsdamen. Er seufzte tief. Vielleicht könnte er seinen Gevatter erweichen und beim Abendmahl die Speißen auftragen, hatte Rondragon, der Leibdiener seines Gevatters, heute nicht seinen freien Tag. Diese Aussicht liess Toronir mit neuer Energie die Aufräumarbeiten beenden, sodass er gerade noch rechtzeitig eine knappe Stunde später beim hiesigen Hesindegeweihten im Tempel war. Heraldik – welch erbaulicher Stoff, die Farbkombinationen waren ja ganz nett, aber dass er sich merken sollte welcher hinterwältlerische Kleinadelige aus Nostria oder Andergast welche Variation der Salzarele oder Steineiche verwendete war einfach viel verlangt. Warum musste in Bohmed ausgerechnet ein Geweihter mit Vorfahren aus Nostria Dienst tun? Und nun ging auch noch das mitgebrachte Schreibpapier zu Ende.

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    "Genieße die Veränderung, denn sie wird schöner als du es dir vorstellen kannst." (unbekannte TSA-Geweihte)