Empfängnis

  • In einem anderen Forum gibt es gerade einen Aufruf Geschichten mit dem Thema "Frühlingsgefühle" zu schreiben. Dabei ist dann diese Geschichte heraus gekommen.

    Es hat sich so ergeben, dass sie meine beiden bisher hier veröffentlichten Geschichten verbindet. Die zeitlich richtige Abfolge wäre Aufbruch - Empfängnis - Geburt.

    Aber man kann natürlich auch jede einzeln für sich lesen.

    Empfängnis

    Gedankenverloren stand die junge Frau am Rande des Dschungels und sah auf das Meer hinaus, vom dem sie nur ein kurzer Sandstrand trennte. Sie genoss den leichten Wind, der mit ihren langen, kupferroten Haaren spielte und die drückende Schwüle wenigstens etwas vertrieb. Auch die Nacht hatte die Luft kaum abgekühlt. Ihre helle mit Sommersprossen bedeckte Haut zeugte davon, dass sie ursprünglich weiter aus dem Norden kam. Somit empfand sie die Hitze als noch extremer.

    Trotzdem schien sie auf unbestimmbare Weise eins mit der Insel zu sein, auf der sie sich befand; der Insel, die in alten Zeiten Marustan hieß, heutzutage aber als Maraskan bekannt war.

    „Es ist soweit! Heute!“

    Sie murmelte die Worte nur leise vor sich hin, aber sie erhielt dennoch Antwort.

    „Muss das wirklich sein, Shadischa? Du bist doch noch jung.“

    Auch diese Stimme gehörte zu einer jungen Frau. Beide mochten in etwa im gleichen Alter sein, waren schlank und durchtrainiert. Ihre Bewegungen verrieten eine natürliche Anmut, die vielen adligen Töchtern erst mit viel Aufwand beigebracht werden musste. Aber wo das Haar der einen rot war, hatte das der anderen einen tiefen Schwarzton und auch die Haut verriet, dass sie nicht nur vom Schein der Praiosscheibe gebräunt war, sondern von Natur aus einen dunkleren Ton hatte. Sie gehörte dem Volk der Tulamiden an.

    „Nein, Jushibi! Spürst du das denn nicht?“ Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. „Ich bin soweit!“

    Das „ich“ in ihrem letzten Satz betonte sie nur geringfügig stärker, aber es beendete die Einwände ihrer Geliebten, bevor sie sie überhaupt hervorbringen konnte.

    Wortlos trat die Tulamidin an sie heran und umarmte sie.

    Erst nach einiger Zeit lösten sie sich voneinander.

    „Sie wird etwas ganz besonderes werden!“, sagt Shadischa.

    „Natürlich!“, stimmte Jushibi ihr zu. „Sie ist ja deine Tochter. Aber hast du nicht etwas vergessen?“

    „Was?“

    „Wir sind meilenweit von dem nächsten Dorf entfernt.“ Ein leichter Hauch von Ekel schlich sich in ihre Stimme. „Dazu braucht man einen Mann.“

    „Na, wenn das alles ist...“ Die rothaarige deutete auf das Meer hinaus. „Nehmen wir doch den.“

    Jushibi fuhr herum, konnte aber nicht sofort erkennen, was ihre Freundin meinte. Erst als sie der ausgestreckten Hand der andern folgte, sah sie die Gestalt auf dem Wasser. Sie lag bäuchlings auf einer Schiffsplanke und rührte sich nicht. Sowohl Arme als auch Beine hingen im Wasser.

    Gemächlich trieben die Wellen sie weiter auf den Strand zu.

    „Lass uns ihn holen.“

    Shadischa lief zum Strand hinunter und entledigte sich ihrer ohnehin nur spärlichen Kleidung. Nackt lief sie ins Meer, schwamm mit kräftigen Zügen auf den Schiffbrüchigen zu und dirigierte die schmale Planke ohne größere Probleme zu ihrer wartenden Freundin.

    Ungerührt schaute diese auf den Bewusstlosen hinab.

    „Er stinkt!“

    Shadischa seufzte.

    „Ich werde ihn waschen.“

    Sie kniete sich neben ihn und drehte ihn auf den Rücken. Dann sah sie die Tulamidin an.

    „Siehst du nach ihm? Du kannst das besser als ich.“

    Als sie deren Zögern bemerkte, setzte sie hinzu: „Bitte, Jusha, für mich!“

    „Na gut.“ Brummelnd kniete auch Jushibi sich nieder. „Ich konnte dir noch nie widerstehen, wenn du mich so ansiehst. Hilf mir ihn auszuziehen.“

    Der Mann war bis auf das blonde Haupthaar und die Augenbrauen vollkommen haarlos. Auch in seinem Gesicht zeigte sich kein Härchen. Die Praiosscheibe hatte alle ihr zugänglichen Hautpartien verbrannt – allerdings nicht lebensbedrohlich.

    Äußerlich waren keine Wunden zu sehen und etwaiges Blut hätte das Meerwasser schon längst abgewaschen.

    Mit der Routine einer erfahrenen Heilerin tastete sie ihn ab und murmelte dabei vor sich hin. Eine Angewohnheit, die sie bei dieser Tätigkeit nie ablegen konnte.

    „Jung … vielleicht gerade 20 … keine Knochenbrüche ... gut entwickelte Muskeln ... nicht kräftig, aber zäh ... Gelenke in Ordnung … halb verdurstet … kaum verwunderlich … braucht Wasser … wird überleben ...“

    Sie fuhr durch sein Haar um nach Beulen zu suchen und sprang dann mit einem Aufschrei zurück.

    „Ein Djinn!“ Entsetzt wies sie auf seine spitzen Ohren. „Deshalb hat er keine Haare. Das kam mir gleich so seltsam vor.“

    Shadischa hatte sich inzwischen wieder angezogen.

    „Kein Djinn.“, sagte sie. „Ein Elf. Nein, kein reiner, aber elfisches Blut. In meiner alten Heimat gibt es sie.“

    Unwillkürlich legte sie wieder eine Hand auf ihren Bauch.

    „Sie wird wirklich etwas besonderes werden.“

    „Eher nicht.“ Jushibi sprach ganz in dem geschäftsmäßigen Ton einer Heilerin. Mit ihm konnte sie ihre Zufriedenheit verbergen.

    „Wenn es wirklich ein Mensch ist, ist er in der nächsten Zeit zu nichts mehr fähig.“ Sie ließ eine kleine Pause. „Dazu schon gar nicht. Mit dem Praiosbrand wird jede Berührung schmerzen. Ich schätze so drei oder vier Tage wird es dauern.“

    „NEIN!“

    Selbst erschrocken von der Heftigkeit ihres Ausbruchs zuckte Shadischa zusammen. Dann brach sie übergangslos in Tränen aus.

    „Es muss heute sein. In drei Tagen ist es zu spät. Versteh doch! Es ist ein Zeichen! Die Göttin hat ihn zu mir geschickt.“

    Sie spürte, wie die Beine unter ihr nachgaben und sank zu Boden.

    „Kannst du ihn heilen, Juscha? Bitte!“

    Die Tränen spülten die letzten Reste von Juschibis Eifersucht hinfort.

    „So die Göttin will! Aber nicht hier. Wir müssen ihn zum See bringen.“ Sie lächelte ihre Freundin an und rümpfte dann die Nase. „Er stinkt wirklich.“

    Als Jasango Elfenohr aufwachte, erwartete er wieder nur die endlose Weite des Meeres zu sehen. Er wusste nicht, seit wie vielen Tagen er auf See trieb, denn er verlor in unregelmäßigen Abständen das Bewusstsein, aber es mussten schon einige sein.

    Der Sturm war zu plötzlich gekommen um natürlichen Ursprungs zu sein und er hatte den kleinen Küstensegler weit auf die offene See hinausgetrieben, bevor er ihn dann doch zerstört hatte. Seine ganze sumugegebene Kraft hatte nur dazu ausgereicht eine kleine Sturmfreie Zone um ihn selbst herum zu schaffen. Das hatte ihm das Leben gerettet. Vielleicht hatte es aber auch nur seine Qualen verlängert.

    Das gleißende Licht der Praiosscheibe auf dem Meer war unbarmherzig und selbst die sonst so vertrauten und geliebten Wogen Efferds waren zum Feind geworden. So viel Wasser und doch nichts zu trinken.

    Kein Wunder, dass er halluzinierte. Er weigerte sich die Augen zu öffnen und versuchte die Reste des wirren Traumes festzuhalten, die noch in seinem Gedächtnis nachhallten.

    Es ging dabei um zwei fast halbschrittgroße Spinnen mit aufgerichtetem Giftstachel, eine glutäugige Tulamidin, die über ihn gebeugt unverständliche Worte murmelte und eine rothaarige Nymphe, die ihn in einen See lockte und die in einem wilden, ekstatischen Ritt den Inhalt seiner Levtansbälle forderte – und das nicht nur einmal.

    Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte die Bilder nicht halten. Langsam drangen die Geräusche der realen Welt zu ihm durch. Er hörte das Zwitschern von Vögeln, das Rascheln von Blättern und auch die Praiosscheibe schien nicht mehr so grell wie in den letzten Tagen.

    Als sein träges Gehirn diese Informationen endlich verarbeitet hatte, riss er die Augen auf.

    Er befand sich am Ufer eines kleinen Sees auf weiches Moos gebettet. Seine Tunika lag neben ihm. Die Schatten von riesigen Bäumen fielen auf ihn herab. Er war allein.

    Seltsamerweise fühlte er sich ausgeruht, ja fast schon beschwingt. Von dem schrecklichen Durst der letzten Tage war nichts mehr zu spüren.

    Er musste sich im Delirium hierher geschleppt haben, oder doch nicht?

    Er spürte Schmerzen, die nicht von seinen Tagen auf dem Meer kommen konnten. Sein Rücken fühlte sich an, als hätte eine Katze ihre Krallen daran geschärft. War er auf seinem Weg durch den Dschungel an irgendwelchen Ästen hängen geblieben? Oder waren es die Fingernägel einer Frau?

    Worte stahlen sich in seinen Kopf. Sie gehörten zu einem Gesicht mit Sommersprossen.

    „Du wirst eine unvergessliche Nacht erleben, an die du dich nicht erinnern kannst.“

    Als er nach seiner Tunika griff, sah er im Lichtspiel der Blätter etwas rot schimmern – ein Haar mit der Farbe von Kupfer. Sorgsam steckte er es ein. Also war sein Traum doch nicht nur ein Traum gewesen. Es gab seine Nymphe wirklich.

    Wut wallte in ihm auf. Sie hätte ihn wenigstens fragen können anstatt ihn einfach so als Zuchtbulle zu verwenden. Gewaltsam zwang er sich zur Ruhe.

    Er lehnte sich an einen Baum und streckte seine Sinne aus auf eine Art, wie es nur ein Kundiger verstehen konnte. Er spürte die Kraft Sumus. Sie war stark. Stärker noch als an dem Ort an dem er aufgewachsen war. Und vor allem war sie wie er. Sie war ruhig und tief wie der See und doch quirlig wie das Wasser des Baches.

    Er spürte das Leben um sich herum, das Wachsen der Bäume, das Summen der Insekten, das Balzen der Vögel, spürte die Fische im Wasser, hörte die Schreie der Makaken, das Rascheln der Mäuse im Unterholz.

    Noch war er zu unruhig.

    Er musste gehen, aber er würde zurückkehren.

    Vielleicht würde er dann seinen Sohn sehen.

    Vielleicht würde er dann bleiben.

    Erst war ärgerlich gewesen, aber jetzt wusste er, dass es gut so war.

    Es war Frühling!

    Es war Paarungszeit!

    Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, und nicht für das, was ihr versteht.