Bekehrung zum Borbaradianismus

  • Moin,

    Ich bespiele gerade mit meiner Gruppe die gesamte Ostküste Aventuriens von Blutige See über Der Unersättliche bis zum Finale Bahamuths Ruf.
    Da wir ansonsten nur DSA5 und eigene Abenteuer spielen ist das unser erster Kontakt zu Heptarchen und Borbaradianismus, und ich als Spielleiter habe die ehrenvolle Aufgabe diese stimmig dar zu stellen.

    Der wichtigste Berührungspunkt ist dabei natürlich Xeraan und Mendena, und ich denke auch ich bekomme das hin, da es da ja wirklich mehr um Geld als um Glaube und wirkliche Bekehrung geht soweit ich das verstanden habe.

    Doch nun haben meine Helden in der Stadt aus der Tiefe Khyrene die Seelenpfänderin kennengelernt. Eine Piratin die versucht die Besatzung eines geenterten Schiffes gewaltlos zum Borbarad Kult zu bekehren. Und hier meine Frage: Wie sieht so etwas aus?

    Fällt man direkt mit der Tür ins Haus? "Wie wäre es mit einen Minderpackt mit Amazeroth um ein selbstbestimmtes Leben ohne das Joch der Götter zu führen?"

    Oder ist das allgemein und mystisch gehalten? "Eure Götter haben euch belogen und ich kenne die wahrheit. Schließt euch den Lehren Borbarads an und werdet selbst mächtig."

    Bei der zweiten Variante würde ja jeder sofort fragen was als Gegenleistung verlangt wird. Was sagt man dann darauf? Deine Seel, Zeit in unserem Kult, Geld, Loyalität? Das klingt ja alles schon weniger frei uns selbstbestimmt. Argumente gegen den Kult gibt es ja auch zu genüge: "Naja, Dämonen sind schon nicht so gut, und Borbarad hat ja auch irgendwie gegen die Götter verloren". Oder ist das so ne Sache, dass eh nur Machthungrige und quasi schon vorher "Böse" anfällig für diese Lehren sind?


    Tl;dr: Wie sieht ein Bekehrungsversuch eines Borbaradianers an einer Person aus, die nicht eh schon mit einem Fuß in den Niederhöllen steht?

    Schon mal Danke für die Antworten :)

  • Bekehrung ist komplex und langwierig. Dieser Prozess muss meist über mehrere Gespräche feinsinnig gesteuert werden, damit es nicht nur bei einfachem Breitschlagen oder Einschüchtern bleibt. Es liegt also am Einzelfall, aber einige Grobstrukturen müssten quasi immer vorkommen.

    • an desolate Existenz anknüpfen: verarmt, keine soziale Mobilität, der eigenen Ständegesellschaft und ihrer Willkür ausgeliefert
    • mythische und geschichtliche Gefährlichkeit der Götter aufweisen: Vernichtung aller Menschen außerhalb von Thalami Sora und Priesterkaiser, sinnlose Verluste durch andere Glaubenskriege zwischen Kulten und Religionen
    • Anführerkritik:die Mächtigen stehen nie in der ersten Reihe und riskieren ihren Hals, obwohl es doch angeblich wichtig ist
    • Borbarad ist kein Eroberer, sondern ein Befreier:ungerechtes System niederreißen, da Reformen unmöglich sind
    • Borbarad will Chancengleichheit und Ermächtigung für alle: jeder Mensch ein_e Magier_in!
    • an die Möglichkeiten einer eingeschworenen Gemeinschaft mit gemeinsamen Zielen appelieren: gerade Seeleute wissen, dass ein außerordentlicher Zusammenhalt nötig ist, aber auch beachtliches erreichen kann - nun müssen sie selbst entscheiden, was sie wollen, anstatt eine tyrannische Kapitätin (historisch waren Pirat_innen oft sehr basisdemokratisch)
    • "Wer Wurm bleiben will, darf sich nicht darüber wundern, wenn ihn der Stiefelabsatz der eigenen Herrschaften zerquetscht.
    • "Ihr habt nichts zu verlieren außer euren Ketten!"

    Es gilt immer subtil vor platt. Irgendein Argument greift hoffentlich und von dort aus muss das "Meinungsterritorium" durch gutes argumentieren erweitert werden. Wenn die zu bekehrende Person die Schritte nicht freiwillig mitgeht, ist die Bekehrung gescheitert. Wenn also direkt eine Klinge am Hals ritzt während "Läufst du jetzt über oder bevorzugst du ein kaltes, nasses Grab?" gefragt ist, ist das ein Schrei der Hilfslosigkeit des bekehrenden Charakters.

    Damit der NSC gut rüberkommt, empfehle ich, dass diverse arme Schlucker_innen aus der gefangenen Mannschaft an verschiedenen Stellen ihrer Rede(n) Khyrene erst widerwillig zustimmen und dann schrittweise überzeugter werden. Ich halte den Borbaradianismus auch am überzeugendsten, wenn er eine politische Kritik der Stände und Religion ist. Wenn er sich direkt als hierarchische Ersatzreligion präsentiert, die im Prinzip nur einen Personalwechsel in der Hegemonie des Kosmos und der Welt will, verspielt die Bewegung ihre stärksten Argumente. Borbarad darf also nicht als Gottkaiser dargestellt werden, sondern als das Genie, das die Schieflage erkennt, die Geknechteten zur Revolution anleiten will - er hilft den Menschen sich selbst zu befreien. Und erst hier, und nicht zuvor, kommt das Ritual mit dem Glasgötzen ins Spiel. Borbarad hat einen "Trick"* gefunden, die nach Madas Heldinnentat geizig aus der Welt gestohlene Magie wieder allen zur Verfügung zu stellen. Nichts besonderes, denk lieber darüber nach, was du alles tun, erreichen, besitzen können wirst.

    Sollten kenntnisreiche SC die Seele als Preis einbringen, sollte Khyrene deren Existenz in Frage stellen. Eine Seele hat noch niemand gemessen, gewogen oder gezählt. Die Sterblichen haben nur dieses eine Leben und danach wartet das Nichts auf sie. Die Lehre vom Leben nach Tod und der Entlohnung für gläubig-höriges Duckmäusertum ist nur ein Trick der Kirchen, die Massen gefügig zu machen. Der Adel hält sie arm, die Kulte halten sie dumm. Alternativ kann sie die Gottheiten als Seelen fressende Monstren kosmischen Ausmaßes beschreiben - eine nimmer endende Qual für jede Närrin, deren Seele von den geifernden Mäulern der ewig Hungrigen zerrissen, zerkaut und verschlungen wird.

    Mensch, ich liebe den Borbaradianismus!

    Ich hoffe, das hilft weiter. Es wird bestimmt eine schöne Spielszene. :)


    *the twelve gods hate him

    2 Mal editiert, zuletzt von SanktJohanna (23. März 2019 um 20:53)

  • Die goldenen Regeln des Seelendiebstahls:

    -Verschweige die Nachteile

    Wo es keine Nachteile gibt, gibt es auch kein Zögern. Viel mehr sollte man sich auf die Vorteile beziehen und wie sehr der Gegenüber diese Vorteile in seiner momentanen Situation gebrauchen kann.

    -Betone die Vorteile

    Der Borbaradianer predigt seit jeher, "jeder Mensch ein Magier" und so ist es auch. Der Mensch erhält Magie und damit Macht. Vorallem jenseits dieser lächerlichen Grenzen der Magiergilden, die nur zum Zweck haben, die wahre Freiheit und Macht des einzelnen zu beschränken. Angst ist ihr Motiv, deswegen zwingen und unterjochen sie den einzelnen, damit er sich nicht über die Schwachen erheben kann!

    -Finde die Motivation

    Jeder Aventurier hat seine Schwächen und Wünsche, genau da setzt der kluge Bekehrer an. Sucht er Gold oder Macht, das lässt sich einrichten. Wichtige Positionen gilt es zu besetzen und diese sind natürgemäß mit Gold verbunden. Ein größeres Schiff? Viele Frauen/Männer? Kein Problem, die Welt liegt dir sowieso bald zu Füßen.
    -Erschaffe eine Motivation

    Wenn alle Stricke reißen und der Gegenüber wunschlos glücklich zu sein scheint, zeige ihm auf, dass er klein und unwichtig ist. Lass ihn in einer aussichtslosen Gefahr sein und biete ihm im rechten Moment die Lösung für sein Problem an. Borbarad ist hilfbereit zu all Jenen die ihm folgen. Er sorgt sich und hilft in seinen Möglichkeiten... und diese sind nuneinmal unermesslich.
    -Lass sie die Gewinner sein

    Borbarad wird zweifels ohne der Gewinner sein, auch wenn man loyal dem Mittelreich gegenübersteht, so gibt es doch noch Familie und Freunde, die man nur ungerne verlieren würde aufgrund einer sinnlosen Schlacht. Wenn man allerdings in der richtigen Position auf der richtigen Seite stehen würde, kann man seine Liebsten beschützen.

    -bagatelisiere

    Zeige deinem Gegenüber, dass er der Richtige und Wichtige ist und nicht du. Wenn du doch nur so gut helfen könntest wie dieser Held. Wenn dein Gegenüber nur diese Kräfte hätte, die du bereits hast, welche Auswirkungen das wohl nur hätte.

  • Bekehrung ist immer ein längerer Prozess. Man fällt nie mit der Tür ins Haus. Vielleicht erstmal mit dem ein oder anderen Geheimnis locken. "Wusstest du, dass die Götter auch nicht fehlbar sind?" Dann vielleicht den ein oder anderen Gefallen tun. "Hier, ich gebe dir etwas das deine Probleme erstmal löst. Denn du bist etwas Besonderes." Und dann vielleicht auch noch einen kleinen Gefallen erbeten. "Alles was du tun musst, ist diesen kleinen Brief übergeben. Der Herr wird es dir danken und dir sicher noch ein paar Geheimnisse des Kosmos verraten."

    Das ganze kombiniert mit Zweifel und vielen Wiederholungen und irgendwann hat man die Leute da, wo man sie haben will und kann dann den Leuten eine unverbindliche Option stellen "Du kannst diesen Pakt mit Amazeroth eingehen und endlich selbst das Zepter in die Hand nehmen oder du nimmst lieber die blaue Pille und wirst weiterhin unwissenden Auges in das Verderben rennen. Deine Entscheidung!"

  • Okay, super danke.
    Borbaradianismus auch als politische Ausrichtung dar zu stellen ist eine fantastische Idee. Der freiheitsliebender Thorwaler hat eh so seine Schwierigkeiten mit dem Mittelreich und anderen Herrschern.

    Und bei dem Alchemisten werde ich mit Geheimnissen des Kosmos sicher auch erstes Interesse wecken können :evil:.
    Das alles langsam auf zu ziehen passt mir tatsächlich sehr gut, solche Entwicklungen machen ja den Reiz an einer langen Kampagne aus.

  • Wobei das mit dem Pakt mit Amazeroth so eine Sache ist. So wie ich den Fluff immer verstanden habe, wissen 95 % der Borbaradianer genauso wie Cheffe nicht, daß ein (Minder-)pakt im Spiel ist, insofern würde ich das den Helden auf keinen Fall in irgendeiner Form aufs Brot schmieren.

    Würde ich aber bei Dämonenpakten sowieso nicht. Gerade bei SC sollte man eher Anreize setzen und sie ein bißchen in die richtige Richtung stupsen. Ideal ist es, wenn der Held die Schritte mitgeht und am Ende der Meinung ist, es wäre seine Idee gewesen, diese Dinge zu tun.

    ROMANES EUNT DOMUS !

  • Gerade im bereich der erzämonischen Pakte, ist es meist kein "Handel mit dem Teufel". Es ist eine falsche Entscheidung zur falschen Zeit. Meist ist dem Paktierer erst später bewusst, dass er diesen "Fehler" begangen hat. Durch eine Verkettung von unglücklichen Vorfällen, zieht es den Armen dann immer tiefer in den Kreis der Verdammnis.

    Eines meiner Lieblingsbeispiele ist der Spieler der zu ertrinken droht. Eine sanfte Stimme flüstert ihm ein, dass er nur Luft zu holen braucht und auf Sie (die Stimme) vertrauen soll. Plötzlich ist das trübe Nass, mollig warm und wie von einer liebevollen Hand getragen, schwebt er durch das Wasser hindurch. Wenn er versucht Luft zu holen, füllen sich seine Lungen tatsächlich mit Luft und der erste Schritt in Charyptoroth Arme ist getan.
    Vielleicht offenbart sie sich sogar als "Nymphe" des Gewässers. Auch Erzdämonen haben keine Ausweispflicht!
    Meistens ist ein Pakt keine Verhandlung im eigendlichen Sinne. Warum sollte ein Erzdämon verhandeln wollen? Schießlich können für ihn ja keine 1 1/2 Seelen rausspringen (Schwangerschaften ausgenommen).

    Es wird schlicht der Zugang zu einer besonderen "Fähigkeit" oder "Gabe" gewährt, welche zuerst keinen negativen Beigeschmack aufweist. Je öfter diese Gabe eingesetzt wird, desto deutlicher werden die Konsequenzen. Meist fällt es dem Paktierer erst auf, wenn sich plötzlich sein Arm mit Schuppen überzieht oder plötzlich das Fleisch von der Hand abfault...

  • Es hängt natürlich von den Helden ab. Macht ködert viele, mag aber auch einen Beigeschmack haben. Was bei einigen Helden auch greifen mag, gerade, wenn sie mit dem Status Quo unzufrieden sind:

    "Eure Götter haben euch belogen und ich kenne die Wahrheit. Schließt euch den Lehren Borbarads an und werdet selbst frei."

    Beispiele dafür, daß die Götter nicht uneingeschränkt 'gut' sind, lassen sich leicht finden und auch weltliche Mißstände kann man anbringen. Wenn die Helden dem 'System' kritisch gegenüberstehen, kann man einige gute Punkte machen, denn es ist nicht alles Gold in den großen Reichen. Borbarad ist hier die Heilsgestalt. Seine Mittel waren hart, aber seine Ziele waren gerecht. Hier kann man gerne den bekannten amerikanischen Narrativ bedienen: 'Wir beurteilen dich nach dem, was du leistest, nicht danach, wer oder wie reich deine Eltern waren.' Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen und Selbstbestimmung sind für viele menschen in einer Standesgesellschaft erstrebenswert, vielleicht auch für die SCs ?

    ROMANES EUNT DOMUS !