[FSK18] Valerias Jugendjahre

  • Valeria fühlte sich müde und ausgelaugt und wenig für den Tag gewappnet. Sie würde an diesem Tag keine Zauber demonstrieren und keine Duelle bestreiten können.

    Genau dies hatte Magister Al’Baloth aber für diesen Tag für seine Schüler vorgesehen. Er erwartete sie im Labor.

    »Immerhin habt ihr ein ganzes Wochenende zum Ausruhen hinter euch. Ideale Voraussetzungen für ein Duell, nicht wahr?«

    Zulaiman nickte eifrig, schielte dann aber unsicher zu Valeria hinüber. Sie war nicht als einfache Gegnerin bekannt. Von ihren vorangegangenen Bemühungen, die eigene astrale Kraft zu verbrauchen, wusste er ja nichts.

    »Na kommt – ich will etwas sehen!«

    Zulaiman bereitete eine Feuerlanze vor – natürlich auf schwächster Stufe, schließlich ging es nur um eine Übung.

    Valeria hätte dies mit einem magischen Schild kontern können – darin hatte sie dank Feysal Übung. Sie entschied sich dagegen, sprang auf Zulaiman zu, schlug seinen ausgestreckten Arm nach oben und lenkte den magischen Spruch damit gegen die Decke, und dann zwang sie ihn mit einer Beinschere zu Boden.

    »Gib auf«, sagte sie und setzte den Nackenbrecher an.

    Zulaiman resignierte.

    »So hatte ich das eigentlich nicht gedacht«, sagte Magister Al’Baloth mit einem Schmunzeln.

    Valeria ließ Zulaiman los und stand auf. »Ich wollte zwei Dinge demonstrieren, Magister. Erstens, dass es für einen Magier fatal sein kann, die Möglichkeit konventioneller Attacken zu ignorieren, gerade bei einem Kampf auf derart engem Raum. Zweitens, dass es für einen Magier sehr wichtig sein kann, auch konventionelle Künste zu beherrschen, zumal wenn die astralen Kräfte nahezu verbraucht sind, wie es bei mir heute der Fall ist.«

    Gerade jetzt erschien der Akademieleiter im Eingang des Labors.

    »Einen Augenblick«, sagte Al’Baloth in dessen Richtung und wandte sich wieder an Valeria. »Wieso ist deine Kraft nahezu verbraucht? Hast du so viel geübt?«

    »Nein, Magister«, sagte Valeria. »Ich habe nicht geübt, sondern praktisch angewendet. Wie Ihr wisst, verbringe ich die Wochenenden außerhalb der Akademie. Auf meinem Rückweg heute bemerkte ich Verfolger. Ich habe Magie eingesetzt, um sie abzuschütteln und damit unser Geheimnis zu schützen.«

    »Du weißt, dass das nicht erlaubt ist.«

    »Ja, Magister. Ich hielt es trotzdem für besser, im Nachhinein um Entschuldigung für erfolgreiches Zaubern zu bitten als dafür, den Zugang zur Akademie verraten zu haben.«

    »Du bist cleverer, als gut für dich ist«, sagte Al’Baloth.

    »Sie ist gut«, warf Sarim al Jabar ein. »Ich wollte wissen, ob sie auf ihrem Heimweg verfolgt wird – aufgrund gewisser Vorkommnisse – und hatte daher selbst einen Aufpasser ausgeschickt, einen sehr erfahrenen Späher aus unseren Reihen. Er war nicht in der Lage, ihr zu folgen. Sag mir, Valeria, wie hast du es gemacht?«

    »Ich habe erst den Ignorantia Ungesehn eingesetzt, und dann die Magie mit einem verstärkten Aurarcania Deleatur verborgen, Eure Spektabilität.«

    Der Akademieleiter lächelte. »Du hast den Zauber verstärkt, obwohl wir euch dies noch nicht gelehrt haben. Muss ich überprüfen, ob in unserer Bibliothek etwas fehlt?«

    »Natürlich nicht, Eure Spektabilität. Als ich zuletzt nachgesehen habe, waren alle relevanten Werke an ihrem Platz.«

    »Aber nachgesehen hast du.«

    »Natürlich, Eure Spektabilität. Die entsprechenden Sicherungen sind doch zweifellos ein Teil unserer Prüfungen, oder etwa nicht?«

    Zulaiman schnappte nach Luft.

    Al’Baloth brach in Gelächter aus.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Studiosa prima

    »Wappne dich«, war Magister Al‘Baloths einzige Vorwarnung, als Valerie eintrat. Er stand hinter dem Schreibtisch seiner Studierstube, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

    Valeria wirkte eilig einen Psychostabilis, dann einen Gardianum, und blieb auch für den Fall eines mundanen Angriffs wachsam. Immerhin lag da ein scharfes Messer auf seiner Schreibunterlage.

    Sie war so bereit, wie sie es nur sein konnte - aber sie war die Schülerin und er der Meister.

    »Imperavi Animus«, rief er mit fester Stimme. Dann sah er sie streng an. »Das war alles, was du kannst? Zieh dich aus.«

    Valeria konnte nur gehorchen. Dieser Mann war nicht ihr Freund, dem sie gefallen wollte. Daher musste sein Befehl ihr auch nicht gefallen, doch sie wand sich aus ihren Kleidern, so schnell sie konnte.

    Der Magister nahm sich Zeit, ihren Körper zu studieren. Was er sah, gefiel ihm offensichtlich sehr, denn seine Robe bekam eine Beule. Hatte er heute auf sein Lendentuch verzichtet?

    »Dreh dich um und bück dich.«

    Sie tat wie geheißen.

    »Hmmja.« Er ging um sie herum, dann hörte sie ein feines Rauschen und spürte ein schmerzhaftes Klatschen auf ihrem Po. »Au!«

    »Schweig!« herrschte er sie an und schlug erneut zu.

    Sie blieb stumm – konnte nicht anders – und ertrug seine wenig zärtliche Behandlung mit Tränen in den Augen.

    »Stell dich wieder gerade hin«, keuchte er schließlich.

    Das tat sie.

    Er zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück und deutete vor sich. »Nimm das Messer.«

    Sie nahm das Messer.

    Er sah ihr in die Augen. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen.

    »Schneide die Pulsader an deinem linken Handgelenk auf.«

    Valeria war unfähig, das Entsetzen zu sich durchdringen zu lassen. Durch einen Tränenschleier hindurch sah sie sich selbst die Klinge durch ihr Handgelenk ziehen und das Blut hervor spritzen.

    Der Magister nickte.

    »Merke dir gut, was dir geschehen kann, wenn du zu schwach bist. Nun heile deine Wunde magisch.«

    Sie starrte ihn nur an, ruderte hilflos mit der Hand in der Luft und spürte, wie das Leben sie mit jedem Herzschlag weiter verließ. Sie wollte schreien, doch sie konnte – durfte – nicht.

    »Was ist los? Sprich!«

    Ihre Zunge löste sich. »Diesen Zauber habe ich noch nicht gelernt, Magister.«

    »Oh, bei allen Niederhöllen!«

    Er eilte um den Tisch herum, legte eine Hand um ihr verletztes Handgelenk und sprach »Balsamsalabunde«.

    Der Schmerz ließ sofort nach, und die Blutung stoppte.

    Valeria fühlte sich sehr schwach, doch der immer noch geltende Befehl zu stehen hinderte sie daran, auf der Stelle zusammenzubrechen.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Meister Rafid ibn Melekh empfing Valeria mit einem freundlichen Lächeln. »Guten Morgen, Valeria.«

    Valeria knickste und drehte sich einmal um ihre Achse. »Guten Morgen, Meister. Ist es so besser?«

    In der Vorwoche hatte ibn Melekh sich zum ersten Mal über ihr wenig gepflegtes Äußeres beklagt. Davor war es nie ein Problem gewesen – für einfache Hausarbeiten genügte ein schlichter und robuster Kittel. Diesmal hatte sie zwei Tageseinnahmen aus dem Bordell für ein feines Kleid ausgegeben.

    »Du siehst umwerfend aus.« Sein Gesicht umwölkte sich. »Ich wollte nicht, dass du dich in Schulden stürzt. Etwas Einfacheres hätte es auch getan.«

    »Ich habe keine Schulden.« Sie wies an sich herab. »Selbst erarbeitet.«

    »Dann ist es gut. In dieser Stadt muss man sehr darauf achten, bei wem man Schulden hat. Aber wem sage ich das?«

    Valeria verstand nicht, was er damit meinte, kam aber auch nicht zum Nachfragen.

    »Ich habe eine Aufgabe für dich«, sagte ibn Melekh. »Du hast ja kein Problem damit, allein durch Fasar zu laufen, oder?«

    »Nein.« Valeria wusste, dass die Stadt gefährlich war, und dass sie manche Gassen meiden sollte, aber sie war zuversichtlich, mit der Bedrohung durch Räuber oder Sklavenfänger umgehen zu können. Schließlich war sie auch mit einem Jaguar zurechtgekommen. »Kein Problem, Meister.«

    »Gut. Ich habe eine Nachricht für den Hjaldinger, die nicht in falsche Hände geraten darf. Daher kann ich sie auch nicht aufschreiben. Du musst sie auswendig lernen und bitte wörtlich wiedergeben. Schaffst du das?«

    »Kein Problem, Meister. Ich muss nur wissen, wie ich den Hjaldinger finden soll.«

    In Wahrheit hatte sie durchaus eine Idee, wo ihre Zielperson sich vermutlich aufhielt und wie sie ihn unbeschadet erreichen konnte. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie ein Protokoll einhalten musste, damit er die Nachricht als authentisch akzeptierte. Diesbezüglich waren Fasarer manchmal eigen.

    »Das kann ich dir sagen – du fragst einfach den Haimamud Selim. Den findest du doch wieder?«

    »Natürlich.« Den alten Mann hatte sie schon mehrfach auf Botengängen besucht. Dabei hatte sie von Anfang an den Verdacht gehabt, dass es nicht um einen Krug Wein oder ein paar Laibe Brot ging. Jetzt wusste sie, dass sie sich dort bekannt gemacht hatte, damit sie bei anderer Gelegenheit – an diesem Tag – als authorisiert galt.

    Wenn Meister ibn Melekh aber solchen Aufwand für die Geheimhaltung betrieb, konnte die Nachricht nicht ganz unwichtig sein, und der Botengang nicht ganz ungefährlich. Dass er al Jabar nicht um einen fertig ausgebildeten Magier gebeten hatte, alarmierte Valeria.

    »Hör mir jetzt gut zu…«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Im Al’Suq, dem Basarbezirk, fühlte Valerie sich relativ sicher, und das aus drei Gründen. Erstens galt der Basar als neutrales Gebiet, das keiner der Granden allein zu beherrschen suchte. Zweitens war sie nicht so dumm, eine dicke Geldkatze spazieren zu tragen. Drittens trug sie die grau-goldene Schärpe, die jedem Eingeweihten verriet, dass sie unter dem Schutz der Marktwachen stand.

    Hinzu kam ihr natürliches Selbstbewusstsein und dazu die Gewissheit, über einige Möglichkeiten zu verfügen, die dem gewöhnlichen Fasarer nicht zur Verfügung standen. Nein, sie war sicher – was sollte schon geschehen?

    Mit dieser Frage beschäftigte sie sich noch immer, als sie sich dem Winkel näherte, den der Haimamud Selim bevorzugte.

    Erstaunlicherweise war sein Platz nicht von einer Schar von Kindern umlagert, die alle einer seiner kostenlos dargebotenen einfachen Geschichten lauschten. Sie erkannte nur seine zusammengesunkene Gestalt in dem markanten bunten Umhang und den alten Stecken, ohne den er nirgends hin ging.

    Da stimmt doch etwas nicht, dachte sie.

    Sie beschleunigte ihren Schritt. Der alte Mann regte sich nicht.

    Kurz bevor Valeria ihn erreichte, erspähte sie die rostroten Flecken auf seinem Umhang. War er verletzt? Musste sie schon so bald zum ersten Mal den frisch gelernten Heilzauber anwenden?

    Musste sie nicht. Golgari, der Totenvogel, hatte den Geschichtenerzähler bereits geholt. Seine Kehle war durchtrennt, das Blut eingetrocknet – und in seinem Mund steckte der abgeschnittene Kopf eines Vogels.

    Sie fühlte sich unwohl, wich zurück und zur Seite – da zischte ein Armbrustbolzen dicht an ihrem Ohr vorbei.

    Valeria überlegte nicht – Sand und Dreck spritzten unter ihren Sohlen auf, als sie vorwärts sprang.

    Den Ignorantia brauche ich gar nicht zu versuchen, überlegte sie. Da hat es jemand gezielt auf mich abgesehen, der lässt sich nicht so leicht täuschen.

    Zwischen den Ständen des gut besuchten Basars war es aussichtslos, schnell rennen zu wollen – andererseits brauchte sie nicht darauf zu hoffen, in der Menschenmenge geschützt zu sein. Fasarer Meuchler erwischten ihr Ziel normalerweise.

    Sie entschied sich für eine magische Rüstung und strich über ihre Brust. »Armatrutz.«

    Und nun war es höchste Zeit, diesen gastlichen Platz zu verlassen. Nur wohin? Unverrichteter Dinge zu Meister ibn Melekh zurückzukehren schien ihr unangebracht – wenn wegen der Nachricht, die sie brachte, schon ein Mensch gestorben und ein Anschlag auf ihr Leben verübt worden war, dann konnte jede Verzögerung weitere Opfer kosten. Protokoll hin oder her, sie musste den Hjaldinger selbst finden.

    Dabei sollte sie ihre Verfolger nicht zum Ziel führen – sie musste zuerst sicher sein, diese abgeschüttelt zu haben.

    Ja klar, Valeria, sagte sie sich mit einer gehörigen Portion Ironie. Du kennst dich darin aus, ausgebildete Meuchler abzuschütteln – in der Stadt, in der sie sich bestens auskennen.

    Der Rückzug in die Akademie könnte ihr helfen – erstens wäre es auch für einen Meuchler nicht leicht, hineinzufinden, zweitens würden sich auch Fasarer Meuchler nicht ohne Weiteres mit der Hausakademie der Fasarer Granden anlegen – oh nein, das würde einen Krieg auslösen! – und drittens wären sie nicht in der Lage vorherzusagen, wo Valeria wieder auftauchen würde.

    Wirklich?

    Nein.

    Wenn es darum ging, die Nachricht zu stoppen, brauchten sie keinen Krieg. Sie mussten nur warten, bis ihr Opfer wieder auftauchte. Was, wenn sie über die Akademie und ihre geheimen Ausgänge Bescheid wussten? Valeria konnte das nicht ausschließen – die Täter wussten ohnehin viel zu viel über ihren geheimen Auftrag und die Mission, mehr als sie selbst, schien ihr.

    Dann mache ich es eben ganz anders, überlegte sie, und bewegte sich auf den Burj al’Funduq zu, den sechzehnstöckigen Herbergsturm, wechselte dabei aber immer wieder die Richtung zwischen den Läden, Teestuben, Werkstätten, Garküchen und Lagerhäusern.

    Kurz bevor sie den Turm erreichte, bog sie noch einmal ab und drückte sich in eine der engen Gassen, die man auch im Basarbezirk besser nicht betrat. Allerdings tat sie dies auch nicht mit dem Ziel, die Gasse zu durchqueren oder dort zu verweilen, sondern um unmittelbar zu beginnen, eine der Gebäudefassaden zu erklettern.

    Das Lagerhaus hatte nur drei Geschosse und ein Flachdach. Sie hatte sich kaum über die Dachkante nach oben geschwungen, da spürte sie ein kräftiges Klopfen zwischen den Schulterblättern.

    Sie wandte sich um und sah eine vermummte Gestalt mit Armbrust in der Hand auf dem Nachbardach, die sich gerade nicht bewegte – die sich vermutlich noch wunderte, warum der zweifellos vergiftete Bolzen nicht durchgedrungen war.

    Du Bastard, dachte sie, streckte eine Hand aus und murmelte »Ignifaxius Flammenstrahl«.

    Die Kleidung ging sofort in Flammen auf, und der Mensch darin schrie. Valeria verspürte eine gewisse Befriedigung und keinerlei Gewissensbisse dafür, verbotenerweise gezaubert zu haben. So etwas blühte einem Meuchler, der sich mit einer Magiebegabten anlegte. Doch aus den Augenwinkeln erkannte sie noch mehr Bewegung auf weiteren Dächern. Mindestens drei weitere Schützen legten gerade auf sie an.

    Ihre magische Kraft könnte sie hier im Nu verpulvern, ohne eine endgültige Lösung zu erreichen. Bei so vielen Gegnern erschien es ihr aber doch besser, ihre Kräfte für einen echten Notfall aufzusparen.

    Da ihr magischer Schild nicht viel länger halten würde, kletterte sie lieber schnell wieder hinunter.

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    Einmal editiert, zuletzt von Hinrich (19. Oktober 2018 um 19:13) aus folgendem Grund: Tippfehler.

  • Schon mehrere Minuten hatte niemand mehr auf Valeria geschossen, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie noch Verfolger hatte. Der Al’Suq lag hinter ihr, und Sarjabansarai vor ihr, das Viertel der Karawansereien und Kontore, der angeseheneren Händler und Handwerker, und das Viertel eines wichtigen Zugangs zu ihrer Akademie.

    Hier kannte sie sich recht gut aus. Nun zahlte es sich aus, dass sie sich nie strikt an die Regeln gehalten hatte, dass sie immer wieder die Akademie verlassen hatte, um sich außerhalb umzusehen.

    Außerdem waren die Wege und Gassen in diesem Viertel breiter, dienten sie doch als Zugang für Lieferfahrzeuge aller Art. Damit hatte sie jetzt endlich Platz für die Aktion Flinke Füße – sie nahm die Beine in die Hand und rannte.

    Sie bog um eine Ecke, und die beiden Gestalten im Kapuzencape vor ihr gefielen ihr überhaupt nicht. Valeria warf sich herum und trat den Rückzug an – nur um zwei weitere Kapuzengestalten hinter sich zu finden. Sie saß in der Falle.

    Klingen blitzten in den Händen der Meuchler.

    Vier Gegner würde sie niemals schaffen. Sie würde auch keine Fassade mehr erklettern können, bevor die erste Klinge sie erreichte. Sie würde vielleicht noch einen oder zwei der Meuchler mitnehmen können, aber das war dann auch das Letzte, was ihr blieb. Sie konzentrierte sich.

    Als die beiden Personen vor ihr unerwartet zusammenbrachen wie von einem gewaltigen Schlag getroffen, warf sie sich herum und richtete ihre eigene vorbereitete Flammenlanze gegen den dritten Gegner. Dieser brach brennend und schreiend zusammen.

    Ein Kapuzencape mit Dolch war noch übrig. Dieser Meuchler schien einen Moment lang seine Chancen abzuwägen – einen Moment zu lang. Sie attackierte ihn direkt, schlug die grünlich schimmernde Klinge zur Seite, warf ihn zu Boden und setzte den Nackenbrecher an.

    Erst danach fand sie Zeit, darüber nachzudenken, wie ihre Chancen im Nahkampf gegen einen ausgebildeten, erfahrenen Meuchler wohl stehen mochten, und kam zu dem Ergebnis, dass sie hätte verlieren müssen.

    Eine Befragung ihres Opfers würde ebenso erfolglos sein. Sie wirkte einen Blick in die Gedanken und fragte beiläufig, »Na, wer schickt dich?«

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    Einmal editiert, zuletzt von Hinrich (19. Oktober 2018 um 19:14) aus folgendem Grund: Tippfehler

  • »Was machst du hier?« fragte der Verschleierte, der ihr zwei Gegner abgenommen hatte. »Hast du nicht heute Besendienst?«

    Valeria lächelte. »Ich bin noch beim Fegen für den Meister. Danke, dass Ihr mich dabei unterstützt habt – der Dreck ist mir ein wenig über den Kopf gewachsen.«

    Sarim al Jabar nickte. »Das schien mir auch so. Es erscheint mir ungewöhnlich, dass einer meiner Schülerinnen derartige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ich bin nicht einverstanden mit dieser Entwicklung. Geht es dir gut?«

    »Ich denke schon. Jedenfalls muss ich schnell weiter. Es gibt zu viele von diesen Drecksjungs.« Es knackte unter ihrem Griff, als das Genick des Meuchlers nachgab.

    »Wirst du allein klarkommen?«

    »Ich muss. Ich möchte Euch oder die Schule da nicht mit hineinziehen – jedenfalls nicht mehr als jetzt schon.«

    »Aber du hast schon viel Kraft verbraucht.« Er holte ein Glasfläschchen hervor. »Nimm dies.«

    Valeria nahm das Fläschchen. »Was ist es?«

    »Sag du es mir.«

    Sie zog den Korken heraus und roch daran. »Kairan?«

    »Auch. Es wird dir neue Kraft schenken.«

    »Danke.« Sie fragte nicht nach dem Preis. Alles in Fasar hatte einen Preis, aber im Moment konnte sie nicht wählerisch sein. Mit einem langen Schluck leerte sie das Fläschchen und gab es zurück. »Nun muss ich aber wirklich los.«

    »Achte gut auf dich. Viel Glück.«

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  • Valeria, die Schülerin, hatte ausgedient. Sie würde in ihrem auffälligen, feinen Kleid keine zehn Minuten weit kommen. Es war Zeit, ihre Aufgabe jemand anderem zu übertragen.

    Einen kurzen Besuch in einem nahen Lagerhaus später war das feine Kleid – ohnehin schon etwas mitgenommen von ihrer Flucht – verschwunden. Brust- und Lendentuch mussten ebenfalls weichen. Sie trug jetzt eine radschagefällige, halbdurchsichtige und weite Hose, dazu eine Weste, die ebenfalls nur wenig der Fantasie überließ, und eine schmale Schärpe in den Farben der Shanja.

    Wo Valeria scheitern musste, mochte Fiorella vielleicht weiterkommen. Immerhin zahlte Lahileh regelmäßig Beiträge für ihre Mädchen, also durfte Fiorella sich auch dem Schutz dieser Farben anvertrauen.

    Ein wenig Schminke ließ ihr Gesicht schmaler wirken, und ein Turban verbarg ihre blonden Haare. Auf den ersten Blick würde man sie nicht wiedererkennen – und einen zweiten Blick würden auch ihre Verfolger nicht bemühen, solange ihr Ignorantia sie schützte. Gegen magische Entdeckung hatte sie sich ebenfalls gewappnet.

    Tatsächlich erreichte sie unbehelligt das Unterfeld, den Stadtteil der Fremden und Zugereisten. Als Freudenmädchen in tulamidischer Kleidung hätte sie hier zweifellos Aufsehen erregt, doch die Blicke der Leute glitten über sie hinweg.

    Zweimal sah sie Personen in dunklen Kapuzen auf der Straße – einer der Meuchler lief so nah an ihr vorbei, dass sie nur den Arm hätte ausstrecken müssen. Auch zwei Abgänger der Al’Achami schienen auf der Suche nach jemandem zu sein.

    Ein Hauch von Rauschkraut in der Luft verriet ihr die Nähe zu ihrem nächsten Ziel. In den Burdsch Annaun ging man, um zu rauchen und zu vergessen und sein Geld loszuwerden. Oder um jemanden zu treffen.

    Muskelbepackte Männer mit Knüppeln oder Messern sortierten die Menge in jene, die eintreten durften und jene, die besser weitergehen sollten. Fiorella schlüpfte einfach unbeachtet an ihnen vorbei.

    Die nächste Hürde war eine geschlossene Tür mit einem bewaffneten Wächter davor. Damit erreichte ihr Zauber das Ende seiner Nützlichkeit, denn das Öffnen der Tür würde der Mann bemerken und damit auch ihre Anwesenheit.

    Sie ließ ihren Zauber fallen und lächelte den Wächter an. Dieser versuchte zwar, seinen grimmigen Blick aufrecht zu erhalten, schaffte es aber nicht völlig, ihre weiblichen Formen zu ignorieren.

    »Der Haimamud Selim ist tot«, sagte sie anstelle einer Begrüßung. »Er kann mich nicht mehr legitimieren, aber ich habe eine Nachricht für den Hjaldinger. Lass mich ein.«

    »Da könnte ja jeder kommen«, grummelte der Wächter. »Verzieh dich.«

    »Ich werde nicht gehen, bevor ich die Nachricht überbracht habe. Heute sind schon zu viele Menschen gestorben.«

    »Willst du mir drohen?«

    Sie öffnete ihre Weste. »Ich bin unbewaffnet. Sag mir, wozu brauchst du eigentlich zwei Knüppel?«

    Der Wächter hatte einen Holzknüppel an seiner Seite hängen. Valeria stupste die andere Knüppelform an, die ihr entgegen ragte, so weit es der leichte Stoff seines Beinkleids zuließ. »Ich will weder dir noch deinem Herrn ein Leid zufügen. Wie kann ich dir dies beweisen?«

    Die Tür schwang auf. Ein Hüne mit weißblonden Zöpfen und ebensolchem Schnauzbart legte dem Wächter eine Hand auf die Schulter. »Ist gut, Muriq. Ich rede mit ihr.«

    Muriq schien ein wenig enttäuscht.

    Valeria schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln und hauchte »Warte auf mich.«

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  • Der Hjaldinger sagte kein Wort, bis er die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte. Der kleine Raum hatte keine Fenster, nur ein großer Gwen Petryl erfüllte ihn mit grünem Licht und riss einen quadratischen Tisch mit Spielfiguren und zwei Stühle aus der Finsternis.

    »Nimm Platz«, sagte der Hjaldinger. »Darf ich dir einen Tee anbieten?«

    »Gern, danke.« Sie setzte sich aufrecht hin.

    Der Hjaldinger holte eine Kanne und zwei Tassen von einer Anrichte neben die Tür. »Spielst du Weiße und Rote Kamele?«

    Valeria nahm ihm eine Tasse ab und hielt diese hoch, bis er eingeschenkt hatte. »Danke. Nein, ich hatte bisher keine Zeit und Gelegenheit, dieses Spiel zu lernen.«

    »Keine Zeit, soso. Womit verbringst du denn deine Zeit?«

    Sie hatte beschlossen, offen zu sein. Der Hjaldinger schätzte es nicht, wenn man seine Zeit verschwendete, hieß es in den Gassen. »Ich studiere die Kunst der Magie. Einen Tag in der Woche erfreue ich die Kunden des Tausendundzweiten Rauschs, und einen weiteren Tag schwinge ich den Besen für Meister ibn Melekh.«

    »Du fegst den Tempel aus?« Ihr Gastgeber wirkte amüsiert.

    »Ich fege und höre zu«, sagte sie. »Niemand beachtet eine einfache Frau mit einem Besen.«

    Er zog die Augenbrauen hoch. »Du bist klüger, als gut für dich ist.«

    »Im Gegenteil. In dieser Stadt kann man nicht klug genug sein, wenn man überleben will. Der Haimamud Selim war leider nicht klug genug.«

    »Was genau ist mit ihm geschehen?«

    »Er saß an seinem üblichen Platz. Seine Kehle wurde durchgeschnitten. Danach hat ihm jemand den Kopf eines Vogels in den Mund gesteckt.«

    »Bei den Niederhöllen!« Der Hjaldinger ballte eine Faust.

    »Die Täter haben ihn überwacht. Ein Armbrustbolzen hat mich knapp verfehlt.«

    Er sah alarmiert auf. »Wurdest du verfolgt?«

    »Anfangs ja. Ich musste drei der Verfolger töten. Danach habe ich diese Verkleidung gewählt und wurde nicht mehr behelligt.«

    »Nun, zugegeben, du siehst gerade nicht wie eine Studentin der Magie aus.«

    »Ich sehe aus wie eine Dienerin der Radscha«, sagte Valeria selbstbewusst. Ihre Weste stand noch immer offen, bot dem Hjaldinger einen guten Blick auf ihre Brüste. Er bemühte sich, dies zu ignorieren, und sie tat, als hätte sie es selbst nicht bemerkt. »Ich bin gut darin.«

    »Wie heißt du?«

    »Gerade jetzt bin ich Fiorella. Ich bin Valeria Fiorella Margarita Marquez, und ich habe eine Nachricht für dich. Willst du sie jetzt hören?«

    Er seufzte. »Ich hatte gehofft, diesen Moment noch ein wenig hinauszuzögern. Wenn du deine Nachricht überbracht hast, gibt es keinen Grund mehr für dich zu bleiben.«

    »Oh doch«, sagte sie leise. »Es gibt drei gute Gründe.«

    »Welche?«

    »Dein Tee ist sehr gut.«

    »Danke.« Er sah sie an und wartete.

    »Du könntest mich das Kamelspiel lehren.«

    Jetzt lächelte er. »Was noch?«

    »Ich habe die Farben der Shanja angelegt und auf dem Weg hierher Radschas Schutz genossen. Ich sollte der schönen Göttin ein angemessenes Opfer bringen.« Und es konnte nie schaden, sich mit dem Hjaldinger gut zu stellen.

    Zum ersten Mal erkannte sie eine Chance, auf eigenen Wunsch ihren Körper zu benutzen, um etwas zu bekommen, das sie wollte – und nicht, weil ein Mann es von ihr verlangte. Wenn sie schon einen Körper hatte, den die Männer begehrten und benutzten, dann wollte auch sie ihn benutzen, dann wollte sie entscheiden, wann und wofür dieser Körper benutzt wurde.

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  • »Macht es Spaß?« fragte der Hjaldinger. Sein rechter Zeigefinger umkreiste Valerias rechten Nippel. Sie lag in seinem Arm und genoss – sie war kurz davor, zu schnurren.

    »Immer«, sagte sie. »Das bin ich Radscha schuldig. Es wäre nicht recht, Liebe ohne Freude zu praktizieren.«

    »Auch wenn dein – Freier häßlich ist?«

    Das traf auf den Hjaldinger wohl kaum zu. »Die Menschen können nichts für ihr Aussehen«, sagte sie. »Auch einem missgestalteten Freier kann ich Freude schenken. Es ist weniger angenehm, wenn der Freier schlechte Manieren hat oder gar boshaft oder brutal ist. Doch auch damit habe ich gelernt umzugehen.«

    »Ah. Nun, eigentlich wollte ich fragen, ob dein Studium dir Spaß macht. Kommst du einigermaßen zurecht, auch wenn dir zwei Tage in der Woche fehlen?«

    »Nein.«

    »Nein?«

    »Nein. Es reicht nicht, einigermaßen zurecht zu kommen. Ich muss besser sein als alle anderen zusammen, sonst machen sie mich fertig.«

    »Und das schaffst du?«

    »Ich bin auf einem guten Weg. Ich kann mich wehren.«

    »Wie gegen deine Verfolger?«

    »So ähnlich. Die konnten nicht zaubern.« Sie zupfte an seinem Gemächt. »Was machst du jetzt mit meiner Nachricht?«

    Sie hatte ihre auswendig gelernte Nachricht wortgetreu aufgesagt. Er war hinausgegangen. Sie hatte bei einer weiteren Tasse Tee gewartet, bis er zurückgekehrt war und sie in sein Schlafgemach geführt hatte.

    »Ich habe Maßnahmen ergriffen, um meine Interessen zu schützen«, sagte er vage.

    »Was sind deine Interessen?« fragte sie unschuldig. »Außer meinen Nippeln?«

    Der Hjaldinger lachte. »Lass es mich so ausdrücken – ich habe ein Interesse daran, dass gewisse Machtstrukturen in Fasar erhalten bleiben. Wenn eine Fraktion versucht, diese Machtbalance zu kippen, muss sie in die Schranken gewiesen werden. Damit hattest du ja vor deiner Ankunft hier schon recht geschickt begonnen. Es spielt mir in die Hände, wenn diese Fraktion befürchten muss, sich mit der Al’Achami angelegt zu haben. Und nun frag bitte nicht weiter.«

    Valeria erkannte, dass sie eine Grenze erreicht hatte, die sie nicht überschreiten sollte. Stattdessen zeigte sie auf einen Helm mit stattlichen Flügeln auf einem Gestell in der Zimmerecke. »Kannst du damit fliegen?«

    Er lachte wieder. »Oh nein. Dieser Helm ist das Geschenk eines Freundes. Er meinte, es sei manchmal nützlich, Klischees zu betonen. Dazu gehört auch das große Schwert, das in den engen Gassen vollkommen nutzlos ist – und dazu gehört, dass ich meine Haare zu Zöpfen flechte.«

    Sie drehte sich zu ihm herum und strich über seine muskulöse Brust. »Und dazu läufst du mit einem geölten, blanken Oberkörper herum?«

    »Ha, nein, ich bevorzuge eine stabile Rüstung, gegen Armbrustbolzen oder vergiftete Dolche, die sich hinterrücks in mich bohren.«

    »So. Nun, mir scheint, du bist gerade in Stimmung, dich hinterrücks in mich zu bohren. Na?«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Meister Rafiq ibn Melekh empfing Valeria mit offenen Armen. »Den Zwölfen sei dank, du bist zurück. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Du hattest hoffentlich keine Probleme?«

    »Nur ein kleines«, sagte sie. »Der Haimamud Selim konnte mir nichts mehr sagen. Ich musste den Hjaldinger selbst finden.«

    »Er war schon tot? Aber dann…« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und hielt sie auf Armlänge vor sich. »Konntest du die Nachricht überbringen?«

    »Natürlich. Der Hjaldinger hat weitere Maßnahmen ergriffen.«

    »Gut – was meinst du mit weiteren Maßnahmen?«

    »Ich musste schon vorher einige Verfolger nachhaltig entmutigen.« Sie hob seine Hände von ihren Schultern. »Ich muss jetzt gehen. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Examinatio, und ich habe noch viel zu lernen.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Candidata

    Valeria hechtete zur Seite, bevor die Feuerlanzen ihrer Gegner sie ernsthaft rösten konnten. Dreimal nacheinander hatte sie ihren Gardianum Zauberschild vergeigt, und nun wurde es gefährlich.

    Die Abschlussprüfungen fanden unter realistischen Bedingungen statt – Schadenszauber wurden mit voller Kraft gewirkt. Wer sich nicht wehren konnte, war ein Versager und verdiente keine Schonung. Die Granden hatten viel Geld in die Ausbildung ihrer Leibmagier gesteckt und wollten Resultate sehen, keine Entschuldigungen.

    Ich brauche eine andere Idee, sagte sie sich, noch geduckt auf den nächsten Zug wartend. Irgendwas Neues, und zwar schnell.

    »Blitz dich find«, rief Zulaiman. Der Zauber war nicht stark genug, drang nicht durch ihre natürliche Resistenz. Matham dagegen bereitete offensichtlich einen Feuerball vor – wenn ihm der schwierige Spruch ausnahmsweise einmal gelang, wäre sie erledigt.

    Womit Hadjin beschäftigt war, konnte sie nicht erkennen. Was auch immer er ausbrütete, es würde weh tun.

    Diesmal reichte ihre Konzentration. Sie zeigte mit den gespreizten Fingern der linken Hand auf die drei jungen Männer und sprach deutlich »Desintegratus Pulverstaub«.

    Die ihr zugewandte Seite der Kleider der drei zerfiel zu feinstem Staub. So ihres Haltes beraubt, fielen auch die rückwärtigen Teile zu Boden, und ihre Gegner standen im Freien.

    Zulaiman und Hadjin hatten es sehr eilig, ihre Blöße zu bedecken, nur Matham ließ sich von seiner plötzlichen Nacktheit nicht ablenken.

    Zu schade, dachte Valeria, aber ich kann nicht zulassen, dass du deine Formel abschließt.

    Sie zog einen Wurfstern unter ihrer Gürteltasche hervor und warf. Eine Spitze des Sterns bohrte sich in Mathams Unterarm. Der Candidatus schrie auf und vergaß seinen Zauberspruch.

    Nun endlich fand sie die Ruhe, den Zauberschild noch einmal zu versuchen, und diesmal klappte der Spruch.

    Endlich fand sie sich ausreichend gewappnet, sich den dreien offen zu stellen. Sie richtete sich auf, streckte sich, schlug mit der rechten Faust in ihre linke Handfläche und sagte laut »Paralysis starr wie Stein«.

    Hadjin rührte sich nicht mehr.

    Matham sank langsam zu Boden, ebenfalls nicht mehr zur Gegenwehr fähig. Kein Wunder, hatte sie den Wurfstern doch sorgfältig mit einem Betäubungsmittel eingeschmiert.

    Zulaiman fasste sich ein Herz, nahm die Hände aus seinem Schritt und schleuderte ihr eine weitere magische Feuerlanze entgegen – die an ihrem Schild verpuffte.

    Damit war er noch nicht am Ende. Er warf sich vorwärts und in seine Gegnerin hinein.

    Valeria fiel hart auf den Rücken, empfing Zulaiman mit ihren Sohlen und stieß diese nach oben. Er flog in hohem Bogen über sie hinweg und landete mit einem dumpfen »Uff« an der rückwärtigen Wand.

    Ein Gong ertönte – die Prüfungsrunde war offiziell beendet.

    »Herzlichen Glückwunsch«, sagte Magister Al’Baloth. »Die Combattiva scheint dir zu liegen – und den Desintegratus hast du wirklich kreativ angewandt.«

    Magister Orelian beugte sich gerade über Matham. »Sieht nach Gift aus.«

    Valeria nickte. »Ich habe Essenz der Boronsschlinge verwendet – wirkt schnell, schadet aber nicht. Er wird ganz normal aufwachen.«

    »So. Dann möchtest du wohl, dass ich dir die Alchimieprüfung damit auch als Erfolg anrechne, oder wie?«

    Sie schenkte ihm einen Augenaufschlag mit leichtem Schmollmund. »Aber Magister Orelian, wie könnte ich auf eine solche Idee kommen?«

    Er lachte. »Nun geh schon.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Stolz hielt Valeria den schlichten Holzstab in ihrer Hand. Ihr erstes eigenes magisches Werk!

    »Der Stab kann dir in vieler Hinsicht gute Dienste leisten«, sagte Magister Al’Baloth. »Er ist Stütze beim Wandern, lotet das Wasser aus, das du durchwaten willst, hält dir lästige Bettler vom Leib, verlängert die Reichweite deines Armes – ist dein Licht in der Dunkelheit, dein Schwert im Kampf, dein Halt beim Klettern, dein Fokus beim Zaubern. Gib nur gut auf ihn acht.«

    »Oh, das werde ich, ganz sicher«, sagte sie. »So bald ich kann, werde ich die nächsten Rituale ausführen.«

    »Lass dir Zeit. Die Stabzauber brauchen Ruhe und Geduld. Erst einmal hast du diesen Teil deiner Examinatio bestanden. Konzentriere dich nun auf die nächsten Prüfungen.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • »Eine letzte Frage«, sagte Magister Al’Baloth und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Welche Art der Magie kommt üblicherweise ganz ohne den Zufluss von Astralenergie aus?«

    Seine Kollegen neben ihm musterten die vor ihnen stehende Candidata ebenso aufmerksam wie Al’Baloth selbst.

    Valeria stutzte – Magie ohne astrale Kraft? Aber dann kam ihr die Erleuchtung. »Abgesehen von der Blutmagie ist es die Alchimie, als Form der Ritualmagie, die sich primär auf die Kraft der verwendeten Materialien stützt. Solange man die gewünschte Zielmatrix nicht aufgrund von Ersetzungen stabilisieren muss oder die Potenz der Zielsubstanz erhöhen will, kommt man gänzlich ohne eigene Kraft aus.«

    Der Magister wollte bereits zufrieden nicken, doch Valeria war noch nicht fertig.

    »Eine weitere theoretische Ausnahme besteht dann, wenn man die Alchimie in einer abträglichen Umgebung anwendet, also dort, wo magische Matrizen erschwert zu bilden sind. Auch in diesem Fall kann eine zusätzliche Stütze angebracht sein. Allerdings wird kaum ein Alchimist ohne Not eine solche Umgebung für sein Labor wählen.«

    »Perfekt«, sagte Magister Al’Baloth. »Keine weiteren Fragen. Kollegen?«

    Die übrigen Magister neigten den Kopf.

    Al’Baloth nickte. »Dann stelle ich hiermit das Ende der Examinatio fest. Candidata, bitte warte einen Moment draußen.«

    Valeria nickte, eilte hinaus und atmete dann zweimal tief durch. Bestanden, stellte sie fest. Sie hatte in keiner Prüfung gepatzt, also konnte das Ergebnis nicht anders ausfallen. Oder gab es noch zusätzliche Erwägungen?

    Einen Moment später schwang die Tür auch schon wieder auf.

    »Komm herein«, ertönte Magister Al’Baloths Stimme.

    Sie streckte sich, strich ihren Umhang glatt und trat ein. Diesmal nahm sie sich die Zeit, den Prüfungssaal zu studieren – den langen Tisch, hinter dem die Magister in ihren gepolsterten Lehnsesseln saßen, den Teppich davor, an zentraler Stelle von vielen Prüflingen platt getreten, die Banner in den Farben der Granden an den Wänden, die geschickte indirekte Beleuchtung aus beinahe weißen Gwen Petryl-Kristallen, und dann auch die Papierbögen, Tintenfedern und Tintenfäßchen für die Notizen der Magister.

    »Candidata Valeria Fiorella Margarita Marquez«, begann der Magister. »Als Vorsitzender deiner Prüfungskommission habe ich die Ehre und Freude, dir den erfolgreichen Abschluss deiner Examinatio mitzuteilen. Als dein Lehrer bin ich zudem stolz, dass du mit Abstand das beste Prüfungsergebnis deines Jahrgangs geschafft hast. Wir alle haben danach mit Wohlwollen festgestellt, dass es sich sogar um das beste Ergebnis der letzten Dekaden handelt. Unser Urteil lautet daher – Exzellent mit besonderen Empfehlungen des Kollegiums. Herzlichen Glückwunsch, Adepta Valeria Marquez.«

    Al’Baloth umarmte sie mit ungewohnter Herzlichkeit. Danach wurde sie von Magister zu Magister weitergereicht, mit vielen Küßchen, Umarmungen, Schulterklopfen und Händeschütteln.

    Erst später, während der Feier am Abend, sickerte das Gesagte zu ihr durch. »Exzellent mit besonderen Empfehlungen« – ein solches Ergebnis an einer Gildenakademie, im Siegel dauerhaft verankert, würde ihr Tür und Tor zu einer steilen akademischen Karriere öffnen. Als Ergebnis einer Akademie, deren bloße Existenz schon ein Geheimnis war und die ihre Siegel verbarg, war es eine schöne persönliche Erinnerung.

    Außerdem war es ein gutes Zeichen. Ob sie sich nun offiziell Magierin nennen durfte oder nur im Geheimen, sie hatte es trotz aller Erschwernisse gepackt. Wie hieß es schließlich? »Wenn du es in Fasar zu etwas bringst, dann schaffst du es überall.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Dienstzeit

    Am Morgen nach der Feier wurde Valeria ins Studierzimmer des Akademieleiters gerufen. Sie sah der kommenden Begegnung mit gemischten Gefühlen entgegen, denn im Lauf der Nacht war ihr klar geworden, dass man sie nicht in die Freiheit entlassen würde. Ihre Mitstudenten hatten kaum ein anderes Thema gehabt als den Dienstantritt bei ihrem Sahib, bei dem Granden, aus dessen Familie sie kamen und der ihr Studium finanziert hatte.

    Irgendjemand musste auch Valerias Studium finanziert haben. Sie hatte kein Indiz, wer dies war, aber Sarim al Jabar hatte einmal zugegeben, dass er bezüglich ihres Wohlergehens Rechenschaft ablegen musste, und sie nahm nunmehr an, dass es sich dabei um ihren Geldgeber handelte.

    Sie hatte zeitweise den Versuch erwogen, sich freizukaufen. Aber sie glaubte nicht, dass ihr Gönner sich darauf einlassen würde – dieser hatte genug Geld, brauchte aber eine Magierin. Warum sollte er sich also auf einen solchen Handel einlassen?

    Irgendwie würde sie auch die nächsten fünf Jahre überstehen – und dann wäre sie wirklich frei.

    Valeria traf beinahe zeitgleich mit Sarim al Jabar am Eingang zu dessen Räumlichkeiten ein und trat nach ihm ein. Ihren Stab stellte sie neben der Tür ab.

    Eine auf den ersten Blick unscheinbare Gestalt wartete bereits im Studierzimmer. Diese erhob sich, begrüßte Valeria mit Handkuß und einer tiefen Verbeugung und stellte sich vor als »Komtur Efferdin Lerchenzell«. An seiner Hüfte war der fein gearbeitete Griffkorb eines Stutzerdegens zu sehen. Dieser Geck sollte ihr Auftraggeber sein?

    Entsprechend ihrer guten Erziehung erwiderte Valeria seine Begrüßung, überließ aber Sarim die Vorstellung. Auf dessen Schreibtisch lag ein größeres Kleiderbündel und ein zierliches Florett. Jedoch kein Magierflorett, was Valeria zu einem flüchtigen Stirnrunzeln veranlaßte.

    Die Spektabilität folgte ihrem Blick. »Es ist alles in Ordnung so. Ich werde euch gleich allein lassen, damit ihr euch kennenlernen könnt. Zuvor darf ich dir noch meine Glückwünsche zu deinem exzellenten Abschluss aussprechen und dir viel Erfolg auf deinem weiteren Weg wünschen. Du wirst es sicher zu etwas bringen.«

    Valeria knickste artig. »Ich danke Euch für Eure Unterstützung.«

    »Es ist gut, dass du uns verlässt«, sagte er mit einem Schmunzeln. »Eine Schülerin, die sich selbst und dazu auch noch ihre Magie verbergen kann, ist mir auf Dauer zu anstrengend.«

    »Ich habe hier viel gelernt«, gab sie zurück. »Aber nur, weil ich mich selbst darum gekümmert habe.«

    »Jaja. Ich nehme an, meine Bibliothek ist noch vollständig?«

    Sie schenkte ihm ein wissendes Lächeln. »Sie war es, als ich das letzte Mal nachgesehen habe.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • »Was ich dir jetzt erzähle«, begann Efferdin, nachdem die Tür sich hinter dem Hausherrn geschlossen hatte, »muss geheim bleiben. Ich werde von nun an dein Vorgesetzter sein. Unser gemeinsamer Gönner hat mich beauftragt, eine Reihe heikler Untersuchungen durchzuführen, und dafür benötige ich deine besonderen Fähigkeiten. Im Gegenzug werde ich dich in allerlei praktischen Fertigkeiten ausbilden, Fechten, Reiten, Klettern und dergleichen.«

    »Darf ich wenigstens grob erfahren, worum es geht?« fragte Valeria.

    »Natürlich. Du musst sogar im Bilde sein, damit du weißt, worauf es ankommt. Wir sollen eine Art Innenrevision für ein großes Handelshaus durchführen, um sicherzustellen, daß regionale Angestellte nicht zu sehr in die eigene Tasche wirtschaften. Es hat wohl in letzter Zeit Unregelmäßigkeiten gegeben. Dabei sollst du aber unerkannt bleiben. Unser Auftraggeber möchte seine ehrlichen Mitarbeiter nicht durch einen magischen Investigator vor den Kopf stoßen. Daher wirst du die kommenden Jahre auch niemals als Magierin auftreten – nicht während unserer Untersuchungen und nicht davor oder danach. Ich nehme an, die entsprechenden Passagen des Codex Albyricus sind dir bekannt?«

    »Ja, natürlich.«

    »Dann sind dir auch die Konsequenzen klar. Wenn du vor Dritten zauberst, ohne als Magierin erkennbar zu sein, dann hast du großen Ärger am Hals.«

    Valeria zeigte auf den Schreibtisch. »Dafür die Kleider?«

    »Genau. Ich habe dir eine Auswahl praktischer Reisekleidung mitgebracht, damit wir gleich nach der einleitenden Erklärung aufbrechen können. Dafür ist auch die Waffe – weil Reisen in dieser Welt im Allgemeinen und im Rahmen unserer Aufgabe im Besonderen nicht ungefährlich sind. Ein Magierflorett kommt natürlich nicht in Frage – da könntest du auch gleich in vollem Ornat auftreten. Also hat mein Chef – unser Auftraggeber – für dich eine Ausnahmegenehmigung erwirkt, eine leichte Stichwaffe zu tragen. Mit möglichst wenig Eisen natürlich.«

    »Eine Ausnahmegenehmigung für eine Magierin, die es gar nicht geben darf?« entdeckte Valeria sofort die logische Lücke. »Wie geht das?«

    »Unser Auftraggeber hat gute Beziehungen. Nach deiner Dienstzeit kannst du deine Situation legalisieren lassen und dein Siegel bekommen – und dann kannst du die Genehmigung anwenden.«

    Efferdin zeigte auf sie. »Das soll ein Zeichen guten Willens sein – wir sind an deinem Wohlergehen über diese fünf Jahre hinaus interessiert. Nun, wie lange brauchst du zum Umziehen und Packen?«

    Valeria zog sich bereits ihre Robe über den Kopf. »Ich muss nicht packen.«

    Efferdin sah nicht weg, während sie sich umzog. »Sicher? Keine Erinnerungsstücke?«

    »Es gibt hier nichts mehr, das mich hält. Keine Freunde, keine Freude, keine Freiheit. Nur Männer, die mich benutzt haben.«

    Zum Wechseln der Stiefel setzte sie sich hin. »Ich bin gleich soweit. Wir können los.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Efferdin und Valeria reisten weit und schnell, und doch bekam die Adeptin nur wenig von der Geographie mit – entweder musste sie sich auf ihre Reitlektionen konzentrieren, oder in einer Kutsche ein wenig Schlaf nachholen, oder schnell zwischendurch ein paar Zauber üben, oder sich lästige Verfolger vom Hals halten, oder das Fechten zu Pferd lernen, oder ihre Rolle für die nächste Station lernen. Mal als Streunerin, mal als Rahjadienerin, mal als trockene Sekretärin, mal als treue Ehefrau, als Spielerin – die Rollen, die sie spielte, waren kaum zählbar.

    Auch Efferdin spielte verschiedene Rollen – die des Reit- und Fechtlehrers, des Reisegefährten, des strengen Anführers, des väterlichen Freundes, des tröstenden Helfers – war aber unerbittlich, wenn es um ihre Mission ging. Die Adeptin hatte zu funktionieren, ohne zu fragen oder zu zögern. Gnadenlos nutzte er ihren Körper als Ablenkung oder Köder, forderte den Einsatz ihrer rahjagefälligen Talente wie selbstverständlich ein, gestattete ihr kein Mitspracherecht. Zumal dies eine Tätigkeit war, in der sie ohne weitere Ausbildung schnelle Erfolge erzielen konnte.

    Was Valeria ihm zugute halten konnte – er nahm dies niemals für sich selbst in Anspruch. Umgekehrt war sie hart zu ihm und manchmal zu sich selbst und gab sich ihm nicht freiwillig hin, auch wenn sie sich ohne Zögern vor ihm aus- und umzog.

    Als Gegenleistung – das betonte er immer wieder – wäre sie am Ende ihrer Dienstzeit wirklich frei, inklusive eines vollwertigen Siegels, mit dem sie in Magierkreisen anerkannt würde.

    Sein Versprechen war ehrlich gemeint, wie sie bei günstiger Gelegenheit mit einem Blick in seine Gedanken feststellen konnte – das einzige Mal, da sie ihre Talente heimlich bei ihm einsetzte. Ansonsten bat er sie allenfalls um einen Heilzauber – einmal, nach einer besonders intensiven Fechtstunde, musste sie damit schnell sein.

    Über die Geschehnisse der folgenden fünf Jahre gäbe es viel zu berichten, doch Valeria hatte sich zu strengstem Stillschweigen verpflichtet – zumindest was die Ziele ihrer Mission anging. So müssen gewisse Details – Namen, Orte, Zeiten – unaufgezeichnet bleiben.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Efferdin und Valeria saßen allein an dem langen Kneipentisch und genossen den einfachen, aber wohlschmeckenden Eintopf, von dem andere Reisende in den letzten drei Orten auf ihrem Weg schon geschwärmt hatten.

    »Lecker«, sagte Efferdin und schöpfte einen weiteren Löffel aus seiner Schale. »Wir sollten öfter hier entlang reisen.«

    Valeria kaute auf einem Stückchen Rübe herum. Eine feine Dame würde nicht mit vollem Mund sprechen, aber hier und jetzt spielte sie Efferdins angeheuerte Wächterin, und solche Leute würden ihren Chef nicht wegen eines Bissens Rübe die Antwort schuldig bleiben. »Gern, jederzeit.«

    Efferdin hob den Löffel an, pausierte dann aber. »Ich frage mich nur, warum wir die einzigen Gäste sind.«

    »Vielleicht ist an den wilden Geschichten von den Räubern was dran?« Valeria schob sich einen vollen Löffel in den Mund.

    »Aber doch nicht hier, an der Reichsstraße.« Ihr Meister schüttelte den Kopf. »Andererseits – wenn der Weg efferdwärts nicht mehr sicher ist, müssen wir vielleicht einen Umweg machen. Ich frage nachher mal den Wirt.«

    Die Adeptin sah sich kurz um – die Schankmaid war gerade nach hinten verschwunden, und den Wirt vermutete sie in der Küche – beugte sich vor und flüsterte, »Sollten wir uns nicht um die Räuber kümmern?«

    »Das ist Sache des Vogtes, nicht unsere. Nicht unsere Mission.«

    »Wenn der Handel gefährdet ist, erfreut das unseren Sponsor gewiss nicht«, beharrte Valeria. »Wir könnten den Vogt ein wenig unterstützen – ohne das an die große Glocke zu hängen, natürlich.«

    »Natürlich.« Efferdin ließ den Löffel in die Schale sinken. »Lass mich erstmal ein paar Erkundigungen einholen. Heute Abend passiert ohnehin nichts mehr.«

    Damit war er im Irrtum. Das zeigte sich in dem Moment, als die Tür des Gasthauses geöffnet wurde und sechs Männer in Wappenröcken und mit gezogenen Kurzschwertern eintraten. Einer der Bewaffneten zeigte auf den einzigen besetzten Tisch und erklärte: »Das sind sie.«

    Valeria brauchte Efferdins Gedanken nicht zu lesen, um zu erkennen, dass er die Lage ernst einschätzte. Dies war eine Falle – nur von wem gestellt?

    Wenn man sie erst einmal entwaffnet und getrennt hatte, würde eine Befreiung schwer werden. So weit durfte es nicht kommen.

    Valeria erhob sich langsam, drückte ihr Kreuz ein wenig durch, um ihre Brüste besser zur Geltung zu bringen, und lächelte den Sprecher an, während sie mit langsamen Schritten vor den Tisch trat. »Hallo, Süßer. Was hat dich so lange aufgehalten?«

    Der Gardist schaute sie verwirrt an. Verwirrt schienen auch seine Begleiter zu sein. Hatte ihr Anführer etwas mit dieser Frau?

    Sie schwang die Hüfte, setzte einen Schmollmund auf, schob das Kurzschwert des Sprechers beiseite – wogegen er keinen ernsthaften Widerstand leistete – schmiegte ihren Oberkörper gegen seinen und legte ihm beide Arme um den Hals. Ihre halb geöffneten Lippen näherten sich nun seinem Mund.

    »Bha’iza dha feyra«, hauchte sie ihm entgegen, wobei sie mit Zeige- und Mittelfinger ihrer Hände auf vier seiner Kameraden zeigte. Dann rammte sie ihm das Knie in den kaum geschützten Schritt, ergriff einen Arm und warf ihn zu Boden.

    Vier Gardisten fuchtelten orientierungslos mit ihren Kurzschwertern herum. Nur einer war noch zu koordiniertem Handeln fähig. Dieser tat das einzig Vernünftige – er wandte sich zur Tür. Bevor er die Gaststube verlassen konnte, nagelte Efferdins Wurfdolch allerdings seine Hand an den Türrahmen.

    Der erfahrene Kämpfer hatte keine Mühe, die übrigen Gardisten zu entwaffnen.

    Valeria hielt dem Anführer der Garde die Spitze ihres Floretts an den Hals. »Nein«, flötete sie, und ihr Opfer ließ resigniert den Griff seiner Waffe los.

    Sie wartete geduldig ab, bis Efferdin alle Waffen eingesammelt hatte. Dann beugte sie sich zu dem Anführer hinab. »Na dann erzähl mal. Wer schickt euch, und warum?«

    Die kleine Pause hatte ihr genügt, einen Blick in die Gedanken zu wirken. Das Bild des Vogtes blitzte in seinen Gedanken auf, dann aber auch das eines bärtigen Finsterlings. »Komm schon – wir wissen doch sowieso längst, dass der Vogt mit den Räubern gemeinsame Sache macht. Erleichtere dein Gewissen und hilf uns, dann wird dein Landesherr sicher gnädig mit euch sein.«

    Der Gardist redete bereitwillig, und solange ihr Zauber noch wirkte, konnte Valeria feststellen, dass er brav bei der Wahrheit blieb.

    Sie konnte auch erkennen, dass er keinen Verdacht hatte, irgendetwas wäre nicht mit rechten Dingen zugegangen. Das war gut – Efferdin hätte nicht gewünscht, dass jemand sie als Adeptin erkannte, und für sie selbst wäre es noch unvorteilhafter gewesen.

    »Ich glaube, wir sollten dem Vogt jetzt einen Besuch abstatten«, sagte sie schließlich.

    Efferdin nickte. »Gleich morgen früh.«

    »Nein. Jetzt. Komm mit, und ich erkläre dir, wie ich mir das denke.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Der Vogt wohnte in einem eigenen Haus in der befestigten Wehranlage, die man in dieser Gegend stolz »Burg« nannte. Valeria hatte auf ihren Reisen schon richtige trutzige Burgen gesehen und war wenig beeindruckt.

    Trotzdem konnte man nicht einfach durch das Tor spazieren. Es war fest verschlossen – weil es Nacht war, und weil die meisten Gardisten des Vogtes unterwegs waren, um ein fremdes Pärchen aufzugabeln, das in dieser Gegend unbekannt war, keine Fürsprecher finden würde, das nicht so bald vermisst werden würde, und das man demzufolge nach einer angemessenen Zeitspanne des Weichkochens im Kerker als Sündenbock für allerlei Unbill präsentieren konnte, bevor man sie öffentlichkeitswirksam hinrichtete.

    Valeria hatte andere Vorstellungen von ihrer Zukunft. Sie hatte zwar kein Interesse daran, dem Herrn der Rache zu dienen, aber sie war auch nicht bereit, einem Vogt derartiges Missverhalten durchgehen zu lassen. Diese Lehre hatte sie in Fasar gelernt – wenn jemand in dieser Form an der etablierten Ordnung rüttelte, gab es Tote.

    Für Efferdin galt noch der gleiche Grund, aus dem er auch der Räuber-Geschichte hatte nachgehen wollen – diese Handelsroute war wichtig genug, sie von Unterbrechungen zu befreien. Allein hätte er nicht in Erwägung gezogen, sich einer möglichen Übermacht zu stellen, aber nun hatte er ja eine Adeptin der Kampfmagie bei sich. So hatte er sich jedenfalls ausgedrückt.

    Valeria sah es genauso. Allein hätte sie nicht in Erwägung gezogen, sich einer möglichen Übermacht zu stellen, aber sie hatte ja einen erfahrenen Kämpfer bei sich. Wenn dann Feqz oder Phex, der Gott des Handels und der einzige Mann, dem sie wirklich traute, auf ihrer Seite stand, konnte nicht viel schiefgehen.

    Allerdings galt das nur in dieser einen Nacht, in der die meisten Gardisten der Vogtes unterwegs waren, und in der ebendieser Vogt noch ahnungslos auf deren Rückkehr wartete.

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  • Valeria hatte erklärt, das Überklettern des Walls wäre überhaupt kein Problem. Sie hatte in Fasar so viele Mauern bezwungen, da war so eine fünf Schritt hohe Palisade aus stabilen Holzstämmen doch ein Spaziergang. Dabei hatte sie jedoch noch nichts von dem kräftigen Regen geahnt, der ungefähr gleichzeitig mit ihrem Eintreffen an der Befestigung einsetzte.

    Als sie nun vor dem glitschig nassen, finsteren Holz stand, beschloss sie doch, ein wenig zu mogeln. Ein konzentrierter Gedanke verwandelte ihren schlichten Magierstab in ein Seil, das sich dann aus ihrer Hand nach oben streckte und die Spitze eines Stamms umschlang. Nun konnte sie sich einfach hinaufziehen.

    Bevor sie die Spitze überkletterte, sah sie sich nach Wachen im Burghof um. Sie sah keine – vermutlich bevorzugten die Gardisten ein trockenes Plätzchen. Was sollte auch schließlich passieren? Die Räuber waren ja mit dem Vogt verbündet.

    Sie konnte sich also über die unangenehm spitzen Stämme schwingen, sich an ihrem Seil nach innen herablassen und – nun wieder mit Stab – über den Burghof bis zum Tor laufen, ohne von irgendjemandem belästigt zu werden.

    Hier hatte sie beabsichtigt, einfach den Riegel der Mannpforte zu öffnen und Efferdin hereinzulassen. Warum sollte er klettern, wenn es so doch viel einfacher ging?

    Ganz so einfach war es doch nicht. Sie zog kurz an dem Riegel und stellte fest, dass er kaum nachgab. Der Grund war ein stabiles Vorhängeschloss.

    »Was ist los?« flüsterte Efferdin von draußen.

    »Verschlossen«, flüsterte sie zurück. »Warte.«

    Der Zauberspruch zum Öffnen von Schlössern gehörte nicht zu ihren Favoriten, war aber auch nicht kompliziert. Sie legte ihre Hand über das Schlüsselloch und konzentrierte sich. »Foramen Foraminor.«

    Ihre Hand zitterte vom kalten Regenwasser. Es gelang ihr nicht, die Matrix zu stabilisieren.

    »Klappt nicht«, flüsterte sie. »Ich hole den Schlüssel.«

    »Warte, nein.«

    Efferdin war draußen, er konnte sie also nicht aufhalten.

    Valeria fühlte Zuversicht in ihre Mission, während sie auf das Wachhaus zu schritt. Dabei studierte sie weiter aufmerksam die Umgebung und hielt sich in den Schatten des Walls. So erreichte sie unentdeckt die halboffene Tür zur Wachstube.

    Durch den Türspalt sah sie einen Schlüssel passender Größe mit einem großen Schlüsselring. Dieser hing an einem Haken direkt neben der Tür – dort, wo man am ehesten einen Schlüssel für das Tor aufhängen würde, und nicht für den Schatzkeller. Das erschien ihr plausibel.

    Ihr fielen drei, nein, theoretisch vier Möglichkeiten ein.

    Sie konnte einfach hineinspazieren, ihren Charme spielen lassen, und schon wäre sie eine Gefangene. Diese Option sagte ihr am Wenigsten zu.

    Sie konnte einen Ignorantia wirken, einfach hineinspazieren und darauf hoffen, dass man sie tatsächlich ignorieren würde. Diese Option verwarf sie – der Spruch wirkte nur dort gut, wo viele Menschen ein und aus gingen.

    Sie konnte versuchen, den Schlüsselring mit Magie zu ihr heraus schweben zu lassen. Diesen Spruch beherrschte sie jedoch nicht sonderlich gut, und daher stellte sie die Option zurück.

    Sie konnte versuchen, die Wachen magisch zu beherrschen oder zu versteinern, was ihr jedoch nicht lag. Außerdem hatte sie diese Variante mit Efferdin diskutiert und beschlossen, dass ihre Chancen zu schlecht standen.

    Valeria entschied sich für eine fünfte Möglichkeit. Sie konnte sich unsichtbar machen und einfach hineingehen und den Schlüssel holen. Dieser Zauber hatte nur einen Haken – er wirkte nicht auf ihre Kleider.

    Sie legte also ihren Stab und den Waffengurt ab und begann, sich zu entkleiden. Zuerst die nasse Jacke, dann das Hemd, dann das Brusttuch, danach die Stiefel, die Beinkleider, und zum Schluss das Lendentuch. Noch während sie es fallen ließ, konzentrierte sie sich auf die arkane Matrix.

    Im Türspalt erschien eine Hand mit einer Öllampe, darüber ein Gesicht. »Holla, was haben wir denn hier?«

    Die Matrix verwehte. Momentan erschreckt starrte Valeria den Gardisten an.

    Dann besann sie sich, stemmte die Hände in die Hüften und lächelte den Mann an. »Hallo, Süßer.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Zwei der Gardisten zerrten Valeria unsanft in das Schlafzimmer des Vogts, jeweils ihre Oberarme umklammernd. Ein dritter Wachmann trug ihre Sachen.

    Der Vogt war wach. Er saß im Morgenmantel in einem Stuhl neben seinem Bett, einen dreiarmigen Kerzenleuchter neben sich, und starrte ihr ungeniert auf die Brüste und in den Schritt.

    »Was haben wir denn hier?« zitierte er ungewollt den Gardisten, der Valeria entdeckt hatte. »Wie kommt die Frau hier herein?«

    »Wir haben sie vor der Wachstube in diesem Aufzug entdeckt«, erklärte der Wachmann an ihrem rechten Oberarm. »Sie muss verrückt sein, sich einfach auszuziehen.«

    »Ist das so?« fragte der Vogt und zeigte auf Valeria. »Bist du verrückt?«

    »Nein«, antwortete sie und bog ihr Kreuz ein wenig mehr durch, um ihre regennass glänzenden Brüste zu betonen. »Die Sachen waren nach der Kletterei im Regen durchgeweicht. Ich wollte mir nicht den Rotz holen. Nachdem mich die ganze Zeit niemand gesehen hatte, dachte ich, deine Wachen würden sich gar nicht mehr raustrauen.«

    Der Vogt warf seinen Leuten einen strengen Blick zu. »So – ihr wart gar nicht draußen unterwegs? Darüber reden wir noch. Jetzt aber auf eure Posten, und zwar schnell!« Er leckte sich die Lippen. »Ich denke, mit dieser hier komme ich auch allein klar.«

    Er wartete ungeduldig, bis seine Leute den Befehl befolgt hatten. »Du bist also über den Wall geklettert? Warum?«

    »Na, am Tor hat doch keiner aufgemacht, und ich wollte rein – ins Trockene. Du siehst ja, ich bin ganz nass.«

    Dabei strich sie sich mit einer Hand über die Brust und steckte die andere in ihren Schritt. Diese Hand leckte sie ab und sagte dann: »Überall.«

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