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Als einziges Mädchen ihres Lehrjahrs genoss Valeria das zweifelhafte Privileg, sich allein waschen zu dürfen – da es nur einen gemeinsamen Waschraum für alle gab, machten die Jungs sich vor dem Morgenmahl frisch und sie danach.
Eines Morgens, nach Abschluss ihrer Körperpflege, fand sie nur noch ihre Stiefel vor – Socken, Brust- und Lendentuch, Haarband und Tunika waren verschwunden, ersetzt durch eine zugegebenermaßen kunstvolle Zeichnung Seiner Spektabilität in hoch erfreutem Zustand.
Für lange Nachforschungen blieb ihr keine Zeit – der Unterrichtsbeginn stand unmittelbar bevor. Also schlüpfte sie in ihre Stiefel, band ihre Haare in einen Knoten, piekste die Zeichnung mit einer Haarnadel auf und eilte zum Unterricht.
Wie erwartet erregte ihr Auftreten erhebliches Aufsehen. Sie ignorierte ihre Mitstudenten und nickte dem Lehrmeister zu. »Verzeiht. Meine Kleidung scheint einem Schelmenspruch zum Opfer gefallen zu sein. Ich bin äußerst interessiert zu hören, wann wir diese Spielart der Magie im Lehrplan haben – aber selbstverständlich gilt meine ganze Aufmerksamkeit heute den Grundlagen der Magica Combattiva.«
»Soso. Und was hast du dort?«
»Die einzige Spur, die der Schelm hinterlassen hat. Selbstverständlich habe ich das Artefakt nicht berührt. Da ich die Clarobservantia noch nicht gemeistert habe, konnte ich nicht beurteilen, ob es noch weitere Effekte beinhaltet.«
»Soweit ich weiß, hast du noch keine der Formen gemeistert, also spar dir die gestelzten Sprüche. Zeig mir den Zettel.«
Valeria streckte die Hand mit der Haarnadel aus. Ihr Lehrmeister ergriff das Papier – und lief rot an. Die Vorderseite seines Gewandes zeigte eine verräterische Beule.
»Sehr kreativ«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Seeehr kreativ. Nun, ich denke, ich werde dieses Artefakt behalten und untersuchen. Gewiss werden die arkanen Strukturen uns mitteilen, welcher Kobold seine Hand im Spiel hatte. Außerdem gehe ich davon aus, dass deine Kleider bis zum Abendmahl wieder auftauchen werden.«
Das taten sie. Nachdem Valeria einen ganzen Lehrtag im Rahjaskostüm studiert hatte, fand sie ihre Kleidung in ihrer Kleidertruhe vor.
Der Streich wurde nicht wiederholt. Sie hatte den Tätern klar gezeigt, dass sie sich durch Nacktheit nicht einschüchtern oder ablenken ließ. Im Gegensatz dazu hatten mehrere ihrer Mitschüler Tadel kassiert, weil sie dem Unterricht nicht aufmerksam genug gefolgt waren.
»Ich muss euch sicher nicht daran erinnern, dass diese Schule keine Versager duldet«, erklärte der Lehrmeister am nächsten Morgen. »Dafür werden wir unsere Zeit und das Geld eurer Gönner nicht verschwenden. Ich muss euch auch nicht daran erinnern, dass es für euch nur zwei Möglichkeiten gibt, diese Schule zu verlassen – als erfolgreich geprüfte Adepten der Magie oder über den Giftkelch, den man euch anbieten wird, wenn ihr versagt.«
Falls die Lehrerschaft den Urheber des Streichs gefunden haben sollte, wurde dies zumindest nicht offen verkündet.