[FSK18] Valerias Jugendjahre

  • Als einziges Mädchen ihres Lehrjahrs genoss Valeria das zweifelhafte Privileg, sich allein waschen zu dürfen – da es nur einen gemeinsamen Waschraum für alle gab, machten die Jungs sich vor dem Morgenmahl frisch und sie danach.

    Eines Morgens, nach Abschluss ihrer Körperpflege, fand sie nur noch ihre Stiefel vor – Socken, Brust- und Lendentuch, Haarband und Tunika waren verschwunden, ersetzt durch eine zugegebenermaßen kunstvolle Zeichnung Seiner Spektabilität in hoch erfreutem Zustand.

    Für lange Nachforschungen blieb ihr keine Zeit – der Unterrichtsbeginn stand unmittelbar bevor. Also schlüpfte sie in ihre Stiefel, band ihre Haare in einen Knoten, piekste die Zeichnung mit einer Haarnadel auf und eilte zum Unterricht.

    Wie erwartet erregte ihr Auftreten erhebliches Aufsehen. Sie ignorierte ihre Mitstudenten und nickte dem Lehrmeister zu. »Verzeiht. Meine Kleidung scheint einem Schelmenspruch zum Opfer gefallen zu sein. Ich bin äußerst interessiert zu hören, wann wir diese Spielart der Magie im Lehrplan haben – aber selbstverständlich gilt meine ganze Aufmerksamkeit heute den Grundlagen der Magica Combattiva.«

    »Soso. Und was hast du dort?«

    »Die einzige Spur, die der Schelm hinterlassen hat. Selbstverständlich habe ich das Artefakt nicht berührt. Da ich die Clarobservantia noch nicht gemeistert habe, konnte ich nicht beurteilen, ob es noch weitere Effekte beinhaltet.«

    »Soweit ich weiß, hast du noch keine der Formen gemeistert, also spar dir die gestelzten Sprüche. Zeig mir den Zettel.«

    Valeria streckte die Hand mit der Haarnadel aus. Ihr Lehrmeister ergriff das Papier – und lief rot an. Die Vorderseite seines Gewandes zeigte eine verräterische Beule.

    »Sehr kreativ«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Seeehr kreativ. Nun, ich denke, ich werde dieses Artefakt behalten und untersuchen. Gewiss werden die arkanen Strukturen uns mitteilen, welcher Kobold seine Hand im Spiel hatte. Außerdem gehe ich davon aus, dass deine Kleider bis zum Abendmahl wieder auftauchen werden.«

    Das taten sie. Nachdem Valeria einen ganzen Lehrtag im Rahjaskostüm studiert hatte, fand sie ihre Kleidung in ihrer Kleidertruhe vor.

    Der Streich wurde nicht wiederholt. Sie hatte den Tätern klar gezeigt, dass sie sich durch Nacktheit nicht einschüchtern oder ablenken ließ. Im Gegensatz dazu hatten mehrere ihrer Mitschüler Tadel kassiert, weil sie dem Unterricht nicht aufmerksam genug gefolgt waren.

    »Ich muss euch sicher nicht daran erinnern, dass diese Schule keine Versager duldet«, erklärte der Lehrmeister am nächsten Morgen. »Dafür werden wir unsere Zeit und das Geld eurer Gönner nicht verschwenden. Ich muss euch auch nicht daran erinnern, dass es für euch nur zwei Möglichkeiten gibt, diese Schule zu verlassen – als erfolgreich geprüfte Adepten der Magie oder über den Giftkelch, den man euch anbieten wird, wenn ihr versagt.«

    Falls die Lehrerschaft den Urheber des Streichs gefunden haben sollte, wurde dies zumindest nicht offen verkündet.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Novizin

    Beschwingt von ihrem jüngsten Erfolg eilte Valeria den schmalen Gang entlang. Endlich hatte sie es geschafft, eine neue Zaubermatrix auf Anhieb selbst zu wirken! Nach dem zähen ersten Jahr, in dem es ihr erschienen war, als würde sie gar nichts begreifen, schien das zweite Jahr ihres Noviziats unter einem besseren Stern zu stehen.

    So konnte selbst der Anblick ihres ungeliebten Mitnovizen Feysal ihre Laune nicht trüben.

    »Hey, Valeria, Bannbaladin, dein Freund ich bin, komm mal mit, ich möchte dir etwas zeigen.«

    Sie verspürte nur eine kurze Irritation, dann folgte sie ihrem Freund.

    Feysal führte sie in einen Seitengang, den sie noch nicht kannte, eine schmale Treppe hinauf, und dann zu einer niedrigen Tür mit einem kompliziert erscheinenden System von Riegeln. »Hier entlang. Komm.«

    Er öffnete die Tür und trat hindurch. Valeria folgte ihm und fand sich plötzlich im Freien wieder – tatsächlich, wenn sie genau nach oben schaute, entlang der mehrstöckigen Fassaden, war ein kleiner Fleck Himmel zu erkennen.

    Sie schaute sich um. Der Innenhof war kaum zwei auf zwei Schritt weit. An einer Ecke führte ein kaum einen halben Schritt breiter Durchgang zu einer anscheinend belebteren Passage. Außer der Tür, durch die sie gekommen war, führten zwei weitere Türen ebenerdig auf diesen Hof. Dazu gab es zwei Leitern zu Türen im nächsten Geschoss.

    »Komm von dem Durchgang weg«, sagte Feysal. »Im Novizengewand kannst du nicht auf die Straße gehen – du würdest sofort auffallen.«

    Valeria studierte die Tür, durch die sie gekommen waren. »Wie geht die wieder auf?«

    »Du musst den oberen Riegel zur Hälfte aufziehen, dann den unteren ganz. Dann lässt du oben los, hältst unten fest, und dann kannst du den mittleren Riegel bewegen und die Tür aufziehen. Ganz einfach.«

    »Funktioniert das bei allen Türen nach draußen so?«

    »Natürlich nicht. Jede hat ein anderes Prinzip. Jetzt komm hier rein. Magister Orelian ist derzeit auf Forschungsreise, daher ist seine Kammer frei.«

    Ihr lag die Frage auf der Zunge, was sie hier dann sollte, aber schließlich wollte ihr Freund es so, also musste alles in Ordnung sein.

    Daran glaubte sie auch noch, als Feysal die hübschen Seidentücher hervorholte und damit erst ihre Handgelenke an zwei Deckenbalken festband und dann ihre gespreizten Beine an den Enden des Bettgestells.

    »Schau mal, was ich hier habe«, sagte er und zog sein Novizengewand über den Kopf. Er trug kein Lendentuch darunter.

    Sie dachte, sie würde ahnen, was nun folgen musste, und gab sich selbst recht, als er ihr Gewand hinaufzog und ihr Lendentuch löste. Doch dann holte er die Reitgerte unter dem Bett hervor, und Valeria überlegte, ob sie selbst für einen guten Freund so weit gehen wollte.

    Danach fragte Feysal jedoch nicht, und als er ausholte, biss sie die Zähne zusammen.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Es kam selten vor, dass der Akademieleiter eine Novizin zu sich bat, also überlegte Valeria, was sie sich hatte zuschulden kommen lassen, während sie in seiner Studierstube auf ihn wartete. Sie wagte nicht, sich umzusehen, also blieb ihr Blick auf die Rücken der drei Bücher auf dem Schränkchen an der gegenüberliegenden Wand gerichtet. Wenn es einen ersten und einen zweiten Band einer »Trilogie der Kontrolle« gab, gab es dann auch einen dritten? Viel interessanter erschien ihr der dritte Titel, »Al-Raschida Nurayan Schah Tulachim«, aber worum ging es in diesem Buch?

    Es juckte sie in den Fingern, einen Blick hinein zu werfen, doch sie traute sich nicht – es schien ihr nicht angeraten, sich gerade jetzt noch mehr Schwierigkeiten aufzuladen.

    Vor der Tür erklangen Schritte, und sie streckte sich. Was auch immer kommt, ich werde es aushalten, sagte sie sich. Immerhin schmerzten auch die Spuren von Feysals Reitgerte nur noch wenig.

    Seine Spektabilität al Jabar trat ein. »Hesinde zum Gruße, Valeria. Setz dich doch.«

    Sie nickte nur.

    Er wartete, bis sie sich auf dem Hocker arrangiert hatte, dann sank er in seinen bequemen Lehnstuhl.

    »Was machen deine Studien? Ich hörte, deine Konzentrationsübungen waren schließlich doch erfolgreich?«

    »Ja – ja, ich glaube, ich habe endlich verstanden, wie es funktioniert.«

    »Du musst geduldig mit dir sein. Wir haben dich sehr spät gefunden, und je älter ein Novize ist, desto schwerer fällt es, diesen Schritt von der Intuition zur Kontrolle zu gehen. Nun – nachdem du es geschafft hast, wird dir der Rest auch gelingen, da bin ich sicher.«

    »Jawohl, Eure Spektabilität.«

    »Nun, ich will dich nicht lange mit solchem Vorgeplänkel auf die Folter spannen. Ich hörte von einem Vorfall mit einem Mitnovizen – Feysal ist sein Name. Ist es richtig, dass er sich dir unsittlich genähert hat? Ich hörte gar von einer Auspeitschung.«

    Valeria schluckte. Was auch immer sie jetzt sagte, würde in irgendeiner Form auch Feysal erreichen, und er würde einen Weg finden, sich an ihr zu rächen.

    »Wir haben uns ein wenig miteinander vergnügt, unter Freunden«, gab sie zu. »Er hat mir, wie er es nannte, den Al’Anfanischen Weg demonstriert. Es ist immer gut, seinen Horizont zu erweitern, sagt ihr doch auch immer, nicht wahr?«

    »Und alles geschah im Einvernehmen? Du musst verstehen, Valeria, dass wir, die Lehrerschaft, für das Wohlergehen unserer Zöglinge verantwortlich sind, bis wir euch am Ende der Lehrzeit euren Gönnern vorstellen.«

    »Ja, Eure Spektabilität. Mir geht es gut, danke.«

    Al Jabar schüttelte den Kopf. »Ich hörte auch, dass er einen Beherrschungszauber auf dich angewandt haben soll, ohne vorher um dein Einverständnis zu bitten. Ist das wahr?«

    »Eure Spektabilität, alles geschah unter Freunden. Ich habe ein eigenes Interesse daran, mich mit Feysal gut zu stellen – sein Gönner ist einer der mächtigsten Granden dieser Stadt, wie wir beide wissen.«

    Valeria wusste auch, dass diese Gönner die Schule finanzierten. Der Akademieleiter war auf ihr Wohlwollen angewiesen. Und immerhin – im Austausch für eine sehr schmerzhafte, aber nichtsdestotrotz auch lustvolle Lektion hatte Feysal ihr einen Weg gezeigt, die Akademie jederzeit zu verlassen, wenn ihr daran lag.

    »Nun gut«, sagte Al Jabar. »Ich sehe, dass du dir der Implikationen deiner Lage durchaus bewusst bist. Ich werde diesbezüglich nicht tiefer in dich dringen. Doch bedenke bitte, dass ich auch bezüglich deines Wohlergehens Rechenschaft ablegen muss. Zögere nicht, mich zu konsultieren, wenn jemand – egal wer – eine Grenze überschreitet, die du nicht zu tolerieren bereit bist.«

    »Ja, Eure Spektabilität.«

    Es war gut zu wissen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen musste. Aber sie war sich noch nicht sicher, wo sie diese Grenze ziehen konnte und wollte.

    »Gibt es noch etwas, was ich für dich tun kann, Kind?«

    Sie wollte schon verneinen, da kam ihr eine Idee. Vielleicht ein wenig verwegen für eine Novizin im zweiten Lehrjahr, aber die Gelegenheit – sein Angebot – war zu günstig.

    »Ja, Eure Spektabilität. Könnt ihr mich lehren, meinen Geist gegen Beherrschung zu stärken?«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

    Einmal editiert, zuletzt von Hinrich (26. September 2018 um 19:59) aus folgendem Grund: ein "auch" zuviel

  • Valeria schob die Tür hinter sich zu und sah sich in dem winzigen Hinterhof um. Keine unerwünschten Zuschauer, sehr gut.

    Sie zog den etwas zu weiten Kittel zusammen und verknotete den Riemen um ihre Taille. Ashanya würde den Kittel erst morgen vermissen, wenn sie bis dahin nicht zurückgekehrt war. Leider hatte die Wäscherin eine deutlich rundlichere Figur, aber ein schlecht sitzender Wäscherinnenkittel war hundertmal besser als ein passender Novizenkittel für einen Ausflug durch die Gassen Fasars.

    Es wurde Zeit, die Gegend rund um die Akademie und die lokalen Gebräuche kennenzulernen. Falls sie irgendwann einmal unfreiwillig die Akademie verlassen musste, wollte sie nicht unvorbereitet sein.

    Wenn es in dieser Stadt nur ein wenig so zuging wie in Mirham, dann sollte sie keine größeren Probleme bekommen.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Valeria stoppte, als einer der drei Männer vor ihr auf sie zeigte. »He, du!«

    Sie deutete eine Verneigung an. »Ja, Herr?«

    Er schaukelte mit den Hüften. »Du siehst gut aus. Wie wäre es mit uns beiden? Oder uns vieren, höhö?«

    »Ich verstehe nicht, Herr«, log sie. Sie erriet sehr wohl, was er wollte, und sie war nicht bereit, sich an diese drei herzuschenken.

    »Du bist wirklich eine Süße. Eine Zechine von jedem von uns, ja?«

    »Eine Zechine?« Das entsprach zwei Oreal ihrer Heimat, ein kleines Vermögen!

    Die drei Männer holten jeweils eine Münze hervor. »Na komm, hier hast du. Nun zieh schon deinen Kittel hoch.«

    Sie war viel zu verdattert, um abzulehnen. Zugleich fühlte sie sich zu ihrem eigenen Erstaunen mehr aufgeregt als verängstigt. Bevor sie richtig begriff, wie ihr geschah, war schon alles vorüber – und sie war um eine leicht unangenehme Erfahrung und drei Zechinen reicher. Immerhin schmerzte ihr Schritt nicht allzu sehr – sie hatte ein raueres Erlebnis befürchtet.

    Ich werde von nun an aufmerksamer sein, wer in meiner Nähe ist, beschloss sie und drückte sich in die Schatten einer anderen schmalen Gasse. Von dort beobachtete sie, was rundum vorging.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Der Junge war vielleicht halb so alt wie sie, aber er hatte ein Messer. »Gib mir die Münzen, los!«

    Valeria erwog ihre Optionen. Sie konnte versuchen, wegzulaufen, aber sie kannte sich noch nicht gut aus und würde sich unweigerlich verirren – oder sie würde genau ihren Fluchtweg zurück gehen müssen und genau dem gleichen Jungen erneut in die Arme laufen. Außerdem fand sie es unangenehm, barfuß rennen zu müssen.

    Sie konnte ihn verzaubern. Sie traute sich zu, die Matrix im ersten Versuch sauber hinzubekommen, und danach wäre das Messer kein Problem mehr. Damit würde sie sich jedoch offenbaren, und wenn sie den Jungen nicht tötete, würde die Geschichte sich schnell verbreiten.

    Blieb noch eine dritte Option. »Nichts da. Gib mir deine.«

    Der Junge wedelte mit dem Messer. »Ich stech dich ab.«

    Ihre Handkante schoss vor und prellte dem Jungen das Messer aus der Hand. Dann ergriff sie sein Handgelenk, zog ihn über ihr vorgestelltes Bein und warf ihn zu Boden, drehte ihm den Arm auf den Rücken, kniete sich in sein Kreuz und zog dann sein Kinn nach oben. »Was sagtest du eben?«

    »Aua!«

    Sie lockerte ihren Griff nur ein wenig. Sofort versuchte er, sich zu befreien, und sie erhöhte den Zug wieder. »Keine Spielchen«, sagte sie. »Ich lasse dich gehen, mitsamt deinem Messer und einer ganzen Zechine, aber dann arbeitest du für mich und gibst mir Informationen, klar?«

    »Eine Zechine, wirklich?«

    Sie ließ sein Kinn los und warf eine Münze vor ihn hin. »Hier, für dich, Kleiner. Erzähl mir was. Wer hat hier im Viertel das Sagen, wer sind seine Schläger, wer arbeitet noch für ihn? Und wo kriegt man spezielle Waren?«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Ein Tröpfchen Öl auf den Scharnieren tut jeder Tür gut, fand Valeria, und schützt die Nachtruhe der Nachbarn. Die Tür zu ihrem Ziel schwang geräuschlos weit genug auf, dass sie hindurchschlüpfen konnte, und hinter ihr wieder zu.

    Ihr Herz tat einen kleinen Hüpfer, als sie im Schein des Öllämpchens das Objekt ihres Begehrens erblickte. Der Meister hatte es tatsächlich liegenlassen und nicht auf seine Reise mitgenommen!

    Worum ging es nun also im »Al-Raschida Nurayan Schah Tulachim«, in Brabaci auch »Die Sieben Wahrheiten des menschlichen Geistes«?

    Ein paar Hinweise zum Umgang mit Beherrschungsmagie mochten ungemein nützlich sein.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Schon wieder Feysal, dachte Valeria, als der Novize sie einige Wochen später auf dem Weg vom Speisesaal abfing.

    »Was willst du?« fragte sie.

    Der junge Mann grinste. »Dich. Ich muss mich noch für deine Fürsprache bedanken. Es hat dir also gefallen damals? Wie wäre es mit einer kleinen Auffrischung, nun, da Seine Spektabilität auf Reisen ist?«

    »Warum erst jetzt?«

    Feysal schüttelte den Kopf. »Er hat mir klar und deutlich gesagt, dass er mir kein Wort glaubt. Er sagte, er will nicht noch einmal Striemen sehen. Also musste ich warten – bis er zurück ist, sind die Spuren verschwunden. Na, wie ist es? Bannbaladin, dein Freund ich bin.«

    Wieder verspürte sie eine kurze Irritation. Wieso hatte sie eigentlich eben noch angenommen, sie müsste einen Psychostabilis wirken, in Gegenwart ihres besten Freundes?

    Dennoch gab es etwas an seinem Vorschlag, das ihr nicht passte. Warum sollte sie ihrem Freund nur folgen? Das ging doch besser!

    »Du willst ein wenig Spaß haben? Dann komm, und wir machen es mal so richtig.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

    Einmal editiert, zuletzt von Hinrich (1. Oktober 2018 um 10:53)

  • Feysal verzog das Gesicht, als er sich im Speisesaal auf der Bank ihr gegenüber niederließ.

    »Tut es noch weh?« flüsterte sie.

    Er nickte langsam.

    »Das sollte es«, sagte sie. »Du sollst dabei immer an mich denken. Und daran, wie gute Freunde auf die gegenseitigen Wünsche und Vorlieben eingehen.«

    Selindian grinste vom anderen Ende des Tischs herüber. »Hey, Feysal. Kommst du nicht mehr zum gemeinsamen Waschen? Machst du’s jetzt mit Valeria gemeinsam?«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Wieder wartete Valeria in Sarim al Jabars Studierstube, und wieder wagte sie nicht, sich in seiner Abwesenheit umzusehen. Diesmal fiel ihr dies jedoch leichter, denn sie wusste, was sich auf dem Regal hinter ihr befand, und sie wusste, was in den Büchern vor ihr stand, auch wenn sie noch nicht jedes Detail verstanden hatte.

    Der Akademieleiter trat ein und nickte ihr zu. »Setz dich, Valeria.«

    Sie nahm auf dem Hocker Platz, und er in seinem Lehnstuhl.

    »So, Valeria«, begann er. »Du machst Fortschritte, hörte ich.«

    »Ja, Euer Spektabilität.«

    »Die Contramagia liegt dir nicht so?«

    »Doch, durchaus. Aber ihr Nutzen ist begrenzt – solange der Opponent keine Magie wirkt, bleibt die Antimagie wirkungslos. Ihre Anwender sind zur Passivität verdammt. Wenn ich jemanden wirksam schützen soll, muss ich aktiv eingreifen können.«

    »Ah, deshalb die Combattiva. Dein Argument ist schlüssig. Und wie passt die Clarobservantia hierzu?«

    »Ich möchte Zauber erkennen können, bevor sie mich treffen. Oder um die Wirkung auf ein Opfer besser beurteilen zu können. Oder um eine Falle erkennen zu können.«

    »Auch das ist schlüssig. Aber übernimmst du dich nicht? Solltest du deine Studien nicht fokussieren? Als Studiosus kannst du deine Fertigkeiten immer noch ergänzen.«

    »Wie Eure Spektabilität selbst mehrfach sagtet, bin ich spät dran. Ich möchte eine breite Grundlage schaffen, bevor ich zu alt dafür bin.«

    Und bevor ich von der Schule fliege, dachte Valeria, falls es dazu kommen sollte – beziehungsweise bevor ich mich verdrücke, um den Kelch zu vermeiden. Ich muss den Wert meines Wissens früh maximieren.

    »Bislang fühle ich mich nicht überfordert«, ergänzte sie schnell. »Ich schaue mir neue Zauber erst an, wenn ich mir sicher bin, die anderen weiter einüben zu können – wenn ich die grundlegende Matrix stabil wirken kann.«

    »Sehr gut. Wenn das so ist, habe ich vielleicht ein paar Vorschläge, wie du deinen Studienplan sinnvoll ergänzen kannst. Auch wenn wir es normalerweise bei Novizen nicht begrüßen, wenn sie allzu weit vorauseilen.« Er lehnte sich zurück und stieß dabei gegen den Bücherstapel hinter sich. »Oder wenn Novizen sich eigenmächtig Zugang zu Wissen verschaffen, das eigentlich noch nicht für ihre Augen bestimmt ist.«

    »Eure Spektabilität, ich –«

    Er winkte ab. »Schon gut. Neugier ist keine schlechte Eigenschaft für Forschende. Ich gebe dir aber einen Rat, junge Frau. Es ist nicht gut, Menschen zu hintergehen, die einem grundsätzlich offen und ehrlich begegnen. Manchmal ist es besser, einfach um Erlaubnis zu bitten.«

    »Jawohl, Eure Spektabilität. Darf ich eine Bitte äußern?«

    Sarim al Jabar lächelte. »Natürlich. Was wünschst du?«

    »Ich würde gern einen Blick in das oberste Buch auf dem Stapel hinter euch werfen. Und vielleicht könntet ihr mir einen Rat geben, wie ich Gedankenschutz erlernen kann?«

    Daraufhin brach der Akademieleiter in schallendes Gelächter aus.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Valeria hatte schon so lange nichts mehr von ihrem Informanten gehört, dass sie begann, sich Sorgen zu machen. Nacheinander suchte sie verschiedene Orte auf, an denen sie sich mit ihm zuvor getroffen hatte.

    Schließlich erspähte sie in einer schmalen und düsteren Gasse einen nackten Fuß, dazu ein schmutziges Bein, das ihr bekannt vorkam. Sie sah sich um, bevor sie die Gasse betrat.

    »Kleiner?«

    Keine Antwort. Sie beugte sich hinunter. Im tiefen Schatten erkannte sie sein Gesicht – leere Augenhöhlen gähnten ihr entgegen, und jemand hatte dem kleinen Jungen den abgehackten Kopf eines Vogels in den Mund gestopft.

    Sie spürte den Brechreiz in sich aufsteigen, sie hörte aber auch feste Schritte nahe dem Eingang der Gasse.

    Kotzen kann ich auch später, entschied sie, und steckte ihre Finger in eine Fuge der Hauswand vor ihr. Ihre Zehen suchten Halt in Kniehöhe, und dann zog sie sich Schritt für Schritt nach oben.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Die Passage zum geheimen Eingang der Akademie war frei, also eilte Valeria hinein. Doch als sie den kleinen Hinterhof erreichte, hörte sie über sich ein Schaben.

    Feysal stand am oberen Ende der einen Leiter und grinste. Auf der obersten Sprosse der anderen Leiter erkannte sie Matham und Hadjin.

    »Los«, sagte Feysal nur.

    An den ersten Armbewegungen erkannte Valeria den Ansatz zu Feuerlanzen – das war kein Streich mehr, Feysal und seine Kumpane wollten sie töten!

    Ihr blieb keine Zeit für lange Konzentrationsübungen. Der Zauber musste sofort stehen. Sie schwang beide Hände über ihren Kopf und wirkte mit all ihrer Kraft die Formel für eine Schutzkuppel.

    Drei Lanzen aus Feuer und Licht bohrten sich in ihren Schild, fraßen seine Schutzwirkung auf, und der überschüssige Teil ihrer Kraft verbrannte ihren Körper.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Kühle Feuchtigkeit auf ihrer Stirn war ihr erstes Gefühl.

    Ich lebe noch, schloss Valeria, und öffnete die Lider.

    Die Deckenbalken über ihr weckten unangenehme Erinnerungen. Sie fühlte Schwindel und schloss die Augen wieder.

    »Es ist gut«, sagte die Stimme eines älteren Mannes. »Du bist in meiner Kammer. Ich bin Magister Orelian, und du musst Valeria sein.«

    Sie atmete tief durch. Sollte sie keine Schmerzen verspüren?

    »Erinnerst du dich an irgend etwas?«

    »Feuerlanzen«, wisperte sie.

    »Ja, so sahst du auch aus. Golgari war schon auf dem Weg, um dich zu holen. Ich habe sofort einen Heilzauber begonnen. Wenn ich nicht vorzeitig von meiner Reise zurückgekehrt wäre – ach.«

    Valeria hörte ein Klopfen.

    »Lissa, bist du es? Herein«, sagte er.

    Sie hörte zwei Personen. Die junge Frau kannte sie nicht, aber den Akademieleiter erkannte sie an seiner Maske sofort.

    »Was ist hier passiert? Wie geht es ihr?« fragte al Jabar.

    »Jemand hat eine Feuerlanze auf sie gerichtet«, sagte der Magister. »Zum Glück nicht stark genug, aber sie sah furchtbar aus. Mein Balsamsalabunde hat das Schlimmste gerichtet.«

    »Ich habe einen Heiltrank mitgebracht«, sagte al Jabar. »Hier.«

    Der Magister nahm das Fläschen, zog den Stöpsel, und hielt es an ihre Lippen. Kurz darauf spürte sie die belebende Kraft des magischen Tranks.

    »Geht es wieder?« fragte er

    »Es ist besser«, sagte Valeria. »Danke.«

    »Konntest du dich nicht rechtzeitig wehren?« fragte al Jabar.

    »Ich habe einen Gardianum gewirkt, aber gegen drei Feuerlanzen reichte der Schild nicht.«

    »Gleich drei?« stieß Orelian hervor. »Das ist unmöglich!«

    »Sie verfügt über sehr viel Kraft«, sagte der Akademieleiter. »Mehr als gewöhnlich, sicher genug, um die Kraft zweier Schüler zu kontern. Wer war es, Valeria?«

    »Feysal war es, und Matham und Hadjin. Aber Feysal gab den Befehl.«

    »So. Lissa, bitte finde Magister Al’Baloth und ersuche ihn, zu mir zu kommen. Es ist sehr dringend.«

    »Ja, Eure Spektabilität.« Lissa eilte davon.

    Der Akademieleiter schien in Gedanken versunken, so schreckte Valeria zusammen, als er sie ansprach. »Valeria.«

    »Ja, Eure Spektabilität.«

    »Valeria, bist du dir bewusst, dass du dich unerlaubt außerhalb der Akademie aufgehalten hast?«

    »Ja, Eure Spektabilität, das war mir klar.«

    »Dir ist auch klar, dass ein solches Verhalten schwerwiegende Konsequenzen haben kann?«

    »Ja, Eure Spektabilität.« War das schon die Ankündigung des Giftkelches? Aber wozu hatte er dann gerade erst einen Heiltrank spendiert? Oder – welch furchtbarer Gedanke – war das schon das Gift gewesen?

    »Warum hast du es dann getan?«

    »Zuerst war es Feysal, der mir den Ausgang gezeigt hat, Eure Spektabilität. Er hatte Magister Orelians Kammer gewählt, um mir den Al’Anfanischen Weg zu demonstrieren. Ihr hattet mich damals darauf angesprochen, daher war ich davon ausgegangen, ihr wüsstet dies – das ist nicht als Entschuldigung gemeint. Ich habe danach mehrfach diesen Weg gewählt, um die Akademie zu verlassen und meine Kenntnisse über Fasar zu vertiefen. Erstens als Teil meiner Zweitstudien, um zu lernen, wie ich mich unerkannt unter das normale Volk mischen kann, und zweitens – nun, ich musste immer damit rechnen, mich durch einen Streich meiner Mitschüler überraschend im öffentlichen Stadtgebiet wiederzufinden – und für diesen Fall wollte ich sicher sein, mich zurechtfinden zu können, damit ich ohne fremde Hilfe zurückkehren kann.«

    »Mehrfach, sagst du?«

    »Ja, Eure Spektabilität. Alle zwei oder drei Wochen.« Nun berichtete sie von ihren ersten Einnahmen, von ihrem Informanten, von dessen plötzlichem Tod – aber nicht alles, was sie zuvor erfahren hatte. Ohnehin war al Jabar über die Granden zweifellos bestens informiert.

    Sarim al Jabar wandte sich zu Magister Orelian um. »Wir haben hier eine schwere Sicherheitspanne, Meister Orelian. Offensichtlich sind die magischen Fallen an dieser Hintertür nicht mehr aktiv. Möglicherweise ist dieser Zugang kompromittiert, und damit auch eure Wohnung. Ich muss Euch ersuchen, ein anderes Quartier zu wählen. Diesen Zugang werden wir versiegeln.«

    »Ja, natürlich. Ich werde zunächst in die Akademie ziehen. Sobald Lissa zurückgekehrt ist, werde ich diese Kammer räumen. Mein Reisegepäck ist ja ohnehin noch nicht ausgepackt.«

    »Vielen Dank. Nun zu dir, junge Frau.« Der Akademieleiter fixierte Valeria. »Du hast deine Ausflüge sehr klug begründet, auch wenn ich eher glauben würde, dass sie deiner Neugier geschuldet sind. Ich werde sie also deinen Zweitstudien zuschreiben. Dennoch kann dies nicht ungeahndet bleiben. Wir werden diesen Teil deiner Ausbildung auch formell in deinem Lehrplan fixieren, so wie du ihn dir ausgesucht hast. Du wirst einen Tag der Woche für Meister ibn Melekh arbeiten – zweifellos wirst du dort lernen, wie man einen Hof wahrhaft gründlich ausfegt – und praiostags bei Lahileh hospitieren. Vor allem Letzteres soll dir eine Lehre sein.«

    Magister Al’Baloths Ankunft entband Valeria von der Notwendigkeit einer Antwort. Al Jabar nahm den Experten für Kampf- und Schutzmagie zur Seite, um mit ihm über die Sicherheitspanne und die Notwendigkeit der Versiegelung dieses Zugangs zu sprechen.

    Die junge Novizin blieb mit ihren Gedanken allein.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Meister ibn Melekh war der Haushofmeister des Fasarer Feqz-Tempels. Bei ihm erfuhr Valeria nicht nur alles über den Umgang mit Besen und Kehrschaufel, sondern auch eine Menge über die Stadt und ihre Machtstruktur. Zusammen mit den Informationen ihrer verstorbenen Quelle bekam sie eine Ahnung, wie die Stadt »tickte« und wie gefährlich es für eine Anfängerin wie sie war, sich einzumischen. Selbst allzu aufmerksames Zuhören konnte ernste Schwierigkeiten bedeuten – wie ernst, hatte sie bei ihrem jungen Informanten gesehen. Dem Haushofmeister hörte sie allerdings sehr aufmerksam zu.

    Auch bei Lahileh sabu Fervez würde sie sicher durch unauffälliges Zuhören immens viel Neues über die Stadt erfahren können – dass ihr Hospiziat derart unangenehm ausfallen würde, hatte sie allerdings nicht erwartet. Die Dame leitete nämlich das berühmte Bordell »Der Tausendundzweite Rausch« und erwartete von Valeria ernsthaft, sich an den radschagefälligen Dienstleistungen zu beteiligen!

    »Wenn dir das wie eine Strafe vorkommt, hast du möglicherweise Recht«, sagte Lahileh zu Valeria beim Antrittsbesuch in ihrer plüschig eingerichteten Schreibstube. »Und natürlich kannst du deinen Lehrmeister bitten, sich eine andere Strafe für dich auszudenken. Ich würde dir jedoch sehr empfehlen, deinen Einsatz im Dienst der Schönen Göttin nicht als Strafe zu empfinden, sondern als besondere Gunst – zumal sie dich doch gerade dafür besonders gesegnet zu haben scheint. Und nun zieh dich aus, ich will sehen, ob mein Eindruck stimmt.«

    Valeria tat wie geheißen. Nacktheit machte ihr nichts aus – dachte sie. Doch Lahileh wollte es genau wissen.

    »Komm her und halt still.«

    Die Bordellchefin betastete ihre Brüste, knetete ihr die Hinterbacken und befühlte dann auch noch ihren Schritt.

    »Halt still, hatte ich gesagt.«

    Valeria spürte einen Finger in ihrer Vagina und dann ein Kribbeln. »Du bist nicht mehr unberührt, richtig? Und wirst schön schnell feucht. Das ist gut, das macht es leichter.«

    Der Finger drang tiefer ein, dann ein zweiter. Valeria fühlte sich wie Ware auf dem Mirhamer Viehmarkt – so war es nicht mehr angenehm. Doch sie dachte an die Alternativen – den Kelch, wenn sie ihren Lehrmeister enttäuschte, oder die eilige Flucht aus Fasar. Nein, Letzteres würde ihr kaum gelingen, und wo sollte sie dann hin, wie ihr Brot verdienen? Als Freudenmädchen woanders zu arbeiten wäre wohl kaum besser. Nein, sie musste stark sein, musste die Erniedrigungen ertragen. Sie würde es überleben, und eines Tages wäre sie stark genug, über ihren Körper selbst zu bestimmen.

    Valeria fügte sich in ihr Schicksal und sah sich in ihrem Urteil über das männliche Geschlecht ein weiteres Mal gestärkt. Sie musste sich allerdings eingestehen – in der Tat hatte sie sich diesen Teil ihres Lehrplans selbst eingebrockt.

    »Noch ziemlich eng. Das wird den Freiern gefallen. Du wirst erfolgreich sein, wenn du dich ein wenig einsetzt.« Lahileh zog ihre Finger zurück und gab Valeria noch einen Klaps auf den Po. »Setz dich. Was meinst du?«

    Valeria setzte sich auf das weiche Sofa an der Wand und sah zur Bordellchefin auf. »Ich werde es schon aushalten.«

    »Es aushalten?« brauste Lahileh auf und hielt Valeria einen ausgestreckten, noch feuchten Zeigefinger unter die Nase. »Jetzt hör mir mal gut zu, Kindchen. Keines meiner Mädchen ist hier, um es einfach nur auszuhalten. Wir sind ein Haus mit einem Ruf und kein Hort für Straßendirnen. Wir kümmern uns um die Bedürfnisse unserer Kunden. Und wir sorgen für uns selbst.«

    Ihre Stimme wurde sanfter. »Niemand hat etwas davon, wenn du da unten wund bist. Das macht dir keine Freude, und das macht den meisten Freiern auch keine Freude. Aber wenn du die Kerle ermutigst, kann es unangenehm werden. Damit das nicht passiert, musst du den Vorgang steuern. Auch wenn dein Freier glaubt, er wäre der Meister und du die Dienerin – es passiert in der Regel nur das, was du willst und sobald du es willst. Das wirst du hier lernen, so Radscha uns gnädig ist. Und wenn du dich gut machst, werde ich dich nur meinen besten Kunden anbieten.«

    Valeria nickte. »Ich werde lernen.«

    Wenn Lahileh recht behielt, dann würde ihre Arbeit im Bordell weit weniger rau zugehen als auf der Straße.

    Ich werde lernen, dachte sie, wie ich die Männer kontrollieren kann. Auch das ist ein Aspekt von Macht, und darüber muss ich alles wissen.

    Feysal sah sie nicht wieder, und auch seine beiden Kumpane Matham und Hadjin nur noch selten. Von einem ihrer Freier erfuhr sie später einmal, dass der Fürst ben Farsid sich von einem vielversprechenden jungen Talent getrennt hatte, und dass diese Trennung mehrere Tage und Nächte gedauert haben sollte.

    Es erschien ihr daher nicht ratsam, die Aufmerksamkeit dieses Granden in irgendeiner Weise auf sich zu lenken.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Studiosa secunda

    Valeria hatte gehofft, mit dem Aufstieg von der Novizin zur Studiosa mehr freie Zeit zu haben. Diese Hoffnung verpuffte innerhalb der ersten Tage. Zu den profanen Lehrfächern wie Alchimie oder Magietheorie, den alten Sprachen und Schriften und den körperlichen Ertüchtigungen sowie ihren bisherigen Lehrgängen zu Zaubersprüchen der Contramagia, der Combattiva und der Clarobservantia kamen Seminare in Zauberzeichen, Kraftlinienmagie, Magiekontrolle, Elementarismus und Sphärologie, Kampf-Arbeitskreise, magische Duelle unter erschwerten Bedingungen sowie Spezialfächer, Tutorien und Vertiefungen aller Art.

    Darüberhinaus galt es, Assistenz- und Botendienste für die Magister zu leisten, Hausarbeiten anzufertigen, Bücher und Schriftrollen zu kopieren, vertretungsweise Elevenklassen zu lehren, Körperpflege, die eigene Kleidung zu flicken, die täglichen Notizen zu ordnen, gelegentlich etwas zu essen – und ihre Dienste bei Meister ibn Melekh und bei Lahileh wurden ihr auch nicht erlassen.

    Letzteres war Valerie nicht gänzlich unrecht, denn aufgrund dieser Dienste genoss sie das einzigartige Privileg, die Akademie regelmäßig verlassen zu dürfen. Ein Privileg, das ihr nicht wenig Neid ihrer Jahrgangskollegen einbrachte, zumal diese nicht ahnten, womit sie sich dieses Privileg verdiente. Der Preis war allerdings hoch – als »Fiorella« war sie bei den Kunden des »Tausendundzweiten Rauschs« gefragt, und diejenigen Kunden, die sich eine so teure und rare Liebesdienerin leisten konnten, waren nicht immer die ansehnlichsten.

    Ansehnlich waren dagegen die Preise, die Lahileh von den Kunden kassierte, und ansehnlich waren auch die Anteile, die Lahileh einbehielt – die für sich selbst ebenso wie die, welche sie an die Shanja Rashanja abzuführen hatte. Rein monetär blieb für Valerie nicht allzu viel übrig, und es wurde erwartet, dass sie die Werkzeuge der Verführung – ob Schleier, Lederriemen oder Reitgerten – selbst erwarb. Wäre sie darauf angewiesen gewesen, vom Rest des Geldes zu leben, hätte sie sich wohl früher oder später in Schulden gestürzt. Dies jedoch vermied sie konsequent.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • »Wie könnte ich dich überzeugen, die Meine zu werden?« seufzte »Hamib«. Der kahlköpfige Mann hieß eigentlich Zordan Kesht und lebte von Hehlerei und Sklavenhandel.

    »Tsss«, machte »Fiorella«, legte ihm einen Finger auf die Lippen und sah ihm tief in die Augen. »Sei nicht so egoistisch. Meine Kunst soll niemals nur einem allein gehören.«

    Dabei gelang ihr endlich auch der Blick in die Gedanken. Der Zeitpunkt war ideal – die Wirkungsdauer der üblichen Schutzzauber, falls sein Hofmagus einen solchen gewirkt haben sollte, war lange abgelaufen, Artefakte trug er nicht, und bis sie ihn entließ, wären auch jegliche magisch nachweisbaren Spuren ihres Eingriffs lange verflogen. Immerhin war diese Art der Anwendung von Magie streng verboten, ganz abgesehen davon, dass Schüler der Akademie außerhalb der Schule sowieso nicht zaubern durften. Sie durfte sich eben nicht erwischen lassen.

    Ihr Finger strich langsam seine Kehle und dann seine Brust hinab. Woran dachte ihr Freier denn gerade?

    Er dachte an vier kräftige Männer mit unnatürlich großer Männlichkeit, die eine junge blonde Frau durch die Hintertür eines Gebäudes in Freie zogen, um sich erst an der Frau zu vergnügen und sie dann einem kahlköpfigen fünften Mann mit einer häßlichen mehrschwänzigen Peitsche zu präsentieren.

    Beinahe stockte ihr Fingerspiel, als sie erst sich selbst, dann das Bordell und dann ihren Kunden erkannte. Doch sie setzte die Bewegung fort in Richtung Bauchnabel.

    Wann sollte das andere Spiel denn beginnen? Darüber gaben die Gedankenbilder keinen Aufschluss. Stattdessen holte der Gedanken-Hamib mit der Peitsche aus.

    Ja, er war bereit – der Zuschlag sollte bald erfolgen.

    Wie komme ich jetzt aus dieser Nummer raus, überlegte Valeria.

    »Dieser Egoismus muss bestraft werden«, sagte sie und griff mit scharfen Fingernägeln zu.

    Hamib keuchte auf.

    »Du rührst dich nicht von der Stelle«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich muss meine Werkzeuge holen.«

    Auch ohne die Gedankenbilder hätte sie seine überraschte Vorfreude erkannt – gleich wieder leicht eingetrübt von seinen Gedanken an die zu erwartende Unterbrechung.

    Valeria stand auf. Mit wiegenden Hüften schritt sie zur Tür, drehte sich um und wedelte mit dem Finger. »Bleib genau dort.«

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!

  • Lahileh sah Valeria mit einem irritierten Lächeln an. Es war nicht üblich, dass ihre Dienstleisterinnen außerhalb der Stuben im Radschaskostüm herumliefen.

    »Fesseln und Peitschen«, sagte Valeria. »Ach, wer hat eigentlich heute Wache an der Hintertür?«

    »Alrikh, warum?«

    »Ach, nichts. Nur – ich möchte nicht im Weg sein, wenn mein Freier seinen Besuch zu einem privaten Treffen umgestaltet, und er scheint auf jemanden zu warten. Er war nicht so ganz bei der Sache.«

    »Bei deiner Behandlung? Egal, nein – so was möchte ich hier nicht haben. Wir haben schließlich einen Ruf.« Die Bordellchefin winkte. »Ahmed, komm her. Schicke drei Leute nach hinten, um Alrikh abzulösen. Sag Alrikh, ich brauche ihn hier.«

    Lahileh nickte Valeria zu. »Hol deine Sachen und sieh zu, dass dein Freier an nichts anderes mehr denkt als an deine Behandlung, Fiorella. Du hast auch einen Ruf zu verlieren.«

    »Natürlich.«

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  • »Fiorella« sorgte dafür, dass ihr Freier den fehlenden Besuch seines Entführertrupps nicht bedauern musste – für dieses Mal. Für diese eine Nacht hatte er »seine« Fiorella tatsächlich nur für sich allein. Die Nacht wurde sehr lang, und als sie »Hamib« verließ, war er nicht mehr in der Lage, auf seinen eigenen Beinen zu stehen.

    So ließ Valeria ihn zurück.

    Sie wollte sich eigentlich nur noch umziehen, in die Akademie zurück und dort auf ihr Bett fallen, doch Lahileh fing die Studiosa ab.

    »Deine Ahnung hat dich nicht getrogen«, sagte sie. »Vier seiner Leute kamen noch gestern Nacht. Ahmeds Leute haben sie weggeschickt.«

    »Und Alrikh?«

    »Muss dich nicht mehr interessieren.« Die Bordellbesitzerin machte ein grimmiges Gesicht. »Er ist nicht mehr nützlich.«

    Valeria nickte vorsichtig in Richtung der Schlafräume und machte ein fragendes Gesicht.

    »Er wird dich nicht mehr belästigen. Sei unbesorgt. Du musst nicht jedes Mal einen Überfall befürchten, wenn du über die Straße gehst.«

    »Muss ich wohl«, widersprach Valeria und machte ein ernstes Gesicht. »Wir sind schließlich in Fasar.«

    Lahileh zog eine Augenbraue hoch.

    Valeria verzog keine Miene.

    Einen Moment schwiegen sie sich so an, dann lachte die Bordellmutter laut auf.

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  • Lahileh hatte es nicht gesagt, aber gedacht – die Shanja würde Kesht ihr Missfallen mitteilen. Kesht war nicht stark genug, um sich mit der Granden anzulegen, also würde er sein Begehren zügeln müssen.

    Der Konflikt bestärkte Valeria in ihrem Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit, und der Weg dahin war klar – Macht. Wer in einer solchen Umgebung die Kontrolle über sein Leben erlangen wollte, musste besser sein als die anderen.

    Zunächst musste sie trotz ihres Schlafdefizits einen weiteren Schultag überstehen – sobald sie ihre Akademie erreichte.

    Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. Sie sah nicht hin, aber sie war sich sicher – jemand folgte ihr.

    Den Zugang zur Akademie preis zu geben, kam nicht in Frage. Das war eine gute Gelegenheit, einen neuen Trick zu probieren. Sie bog um eine Ecke und konzentrierte sich.

    Der Zauber Ignorantia Ungesehn war relativ neu in ihrem Repertoire. Sie hatte sich systematisch und ausführlich damit beschäftigt und war zuversichtlich, die Matrix spätestens in einem zweiten Versuch stabilisieren zu können.

    Sie sammelte sich, berührte Augen und Ohren und murmelte die Formel. Der Spruch gelang auf Anhieb. Nun würden ihre Verfolger Mühe haben, ihr zu folgen, zumal wenn sie in ihre Route noch einige Umwege aufnahm.

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  • Valeria musste sich zusammenreißen, um keine verräterische Bewegung zu machen, als ihr ein Pärchen in den Adeptenroben der Al’Achami entgegenkam – der anderen Fasarer Akademie.

    Die beiden schienen aber mehr daran interessiert, ein Örtchen für ungestörte Übungen in Sexualmagie zu finden – ein Steckenpferd ihres Akademieleiters – als nach Schülern einer aus ihrer Sicht ohnehin unbedeutenden Privatakademie zu suchen. Doch kaum war Valeria ein paar Schritte an ihnen vorbei, erklärte die junge Adeptin ihrem Begleiter, ihn mit einem Oculus untersuchen zu wollen.

    Wenn ihr Spruch gelang, würde sie nicht nur die Magie ihres Begleiters, sondern auch Valeria und ihren gewirkten Spruch erkennen.

    Nach wie vor war es ihr eigentlich verboten, außerhalb der Akademie zu zaubern. Einen Zauber zu wirken, um die Geheimnisse der Akademie zu schützen, würde man ihr durchgehen lassen, sich dabei von der »Konkurrenz« erwischen zu lassen aber gewiss nicht.

    Sie musste sich und ihre Magie verbergen. Auch dafür gab es einen Spruch, den sie ebenfalls bereits gelernt hatte. Das Problem war nur, dass es regulär zweimal so lange dauerte, ihren Zauber zu wirken wie den Hellsichtzauber der Adeptin.

    Sie würde versuchen müssen, den Zauber in der halben Zeit zu wirken. Das nannte sich »spontane Modifikation« und war eine Technik für fortgeschrittene Magier. Entsprechende Seminare wurden im letzten Lehrjahr gehalten, und die entsprechenden Lehrbücher standen den Studiosi des ersten Jahres auch noch nicht zur Verfügung.

    Beides war kein Grund für Valeria gewesen, diese Technik zurückzustellen, im Gegenteil. Die Möglichkeiten einer spontanen Modifikation konnten ihr einen Vorteil gegenüber ihren Studienkollegen verschaffen, also hatte sie sich Zugang zu diesem Wissen verschafft – ohne al Jabar mit dieser Lappalie zu behelligen.

    Das Problem war nur, dass ihr Zauber auf Anhieb klappen musste. Dies wiederum ließ sich durch den Einsatz zusätzlicher Kraft unterstützen, und davon hatte sie immer noch etwas übrig.

    Sie legte sich eine Hand auf die Stirn und ließ ihre Kraft fließen.

    Valeria spürte den vertrauten Abfluss der Kraft, der einen erfolgreichen Zaubervorgang verriet, und ging mit ruhigem Schritt weiter.

    Da von dem Pärchen hinter ihr kein überraschter Aufschrei kam, war ihr Plan aufgegangen.

    Dennoch bog sie noch einige Male ab und sah sich nach Verfolgern um, bevor sie den geheimen Zugang der Akademie aufsuchte.

    Egal, was die Frage ist - Schokolade ist die Antwort!