Für ein vielfältiges Aventurien

  • "In DSA spielt man eben einen Helden." Das sagte mir damals ein guter Freund, nachdem ich - von DSA noch völlig unbefleckt - das DSA-Computerspiel Drakensang gespielt hatte und mich über die fehlenden Möglichkeiten der "bösen" oder wenigstens halbbösen Lösungsmöglichkeiten beschwert hatte.

    Mittlerweile habe ich einige eigenen Erfahrungen im Bereich DSA (und damit nat. P&P) gesammelt. Mir macht es persönlich tierisch Spaß, gerade die üblen Aspekte zu bespielen. Von der Armut in den Städten, den Nöten und dem Aberglaube auf dem Land, dem Gefälle zwischen Adel und Nicht-Adel, dem überirdischen Respekt vor Geweihten und ihren Entscheidungen, egal ob sie nun wirklich richtig sind oder nicht, fehlende Beschuldigtenrechte im Strafprozess, Vorurteile gegenüber Ethnien, Rassen und was einem noch so einfällt. Es ist für mich viel spannender, wenn meinem Helden aufgrund von Vorurteilen des Gegenübers oder aufgrund eigener Vorurteile verschiedene Lösungswege versperrt werden. Nein, der Bettler kommt nicht auf den Hofball. Pech für dich, wenn du deine Heilung nicht bezahlen kannst. Stirbst du halt.

    Anders als im echten Leben, kann ich mir im Rollenspiel genau aussuchen, in welche Richtung es gehen soll. Arroganter Adeliger, gepeinigter Sklave, aufgeklärter Bürger, abergläubischer Bauer. Alles problemlos möglich.

    Trotzdem ist es natürlich so, dass es für offizielle Abenteuer immer eine gewisse Grundheldenhaltung geben muss, da man sonst schlichtweg den Plot verpasst.

    Ich persönlich finde es da schöner, wenn es auch für "böse Gruppen" entsprechende Anreize gibt.

    Viele Grüße,

    Colo

    P.S.: Ist es wirklich sinnvoll, sich über Seiten um die Wortwahl beim Ausdruck eigener Gefühle durch einen User zu diskutieren und sich darüber so aufzuregen? Macht den Thread nicht gerade lesenswerter.

  • Zitat von Aristeas

    Im Rollenspiel habe ich eine gänzlich andere Haltung. Hier möchte ich, was ich im realen Leben nicht möchte, nämlich Benachteiligung, Verfolgung, Intoleranz und all die anderen schlimmen Dinge und davon reichlich.

    Ein interessantes Thema, nicht zuletzt auch deswegen, weil es eins ist, wo DSA ja (zumindest bei einigen deiner Punkte) klar Stellung bezogen hat; während das meines Wissens bei, sagen, wir, DnD nicht der Fall war: Problemstellungen wie Gleichberechtigung (oder der Mangel daran), Homosexualität (und dessen Anfeindung), Rassismus (wenn es nicht gerade gegen "böse" Rassen ging) etc. wurden dort zuverlässig umschifft. (Disclaimer: Das gilt für die Werke, die mir geläufig sind - dass WotC in den letzten Jahren auch auf diesen Zug aufgesprungen ist, kann ich nicht ausschließen).

    Und wenn ich mir ansehe, was für unglaubliche Wellen diese Thematik schlägt (man werfe nur einen Blick in die WdV-Threads), scheint "Mut zur Lücke" hier die bessere Entscheidung gewesen zu sein: So kann dann jede Spielgruppe solche Themen handhaben wie sie will, und keiner fühlt sich irgendwie von den Setzungen des Settings angegriffen.

    Nichtsdestotrotz, zu deinen Punkten:

    • körperliche Züchtigung von Schutzbefohlenen: Sollte klar sein; hier glaube ich auch nicht, dass jemand Probleme damit hat, dass das existiert - ausgespielt wird das in der Regel ohnehin nicht angesichts des Alters der SCs.
    • Rechtssicherheit: Die wird, denke ich, auch nicht so kontrovers sein. Zumal mangelnde Rechtssicherheit ja nicht als gesellschaftlich propagierte Norm gilt, sondern nur als Aspekt des umfassenden Staatsversagens.
    • Abwesenheit von Demokratie und Meinungsfreiheit: Hier hat sich DSA selber ganz eindeutig negativ positioniert, als sie an verschiedenen Stellen betont haben, dass das Konzept der Volksherrschaft außer bei Nandus-Anhängern (oder war es doch Aves?) in Aventurien übel beleumundet ist und Spieler hier ihre modernen Sensibilitäten doch zumindest am Spieltisch hinter sich lassen sollen. Für Atheismus gilt übrigens das gleiche.
    • Sklaverei: Die existiert ganz objektiv - wobei allerdings festgehalten werden muss, dass der Staat, der auf Sklaverei aufbaut, lange Zeit das einzige (menschliche) Reich des Bösen in Aventurien war; und die anderen Kulturen, die Unfreiheit kennen (Novadis, Tulamiden, Bornland), mindestens mal als rückständig gelten.

    Nun zu den kritischeren Fragen:

    • Rassismus: Hierzu hat DSA sich bemerkenswert bedeckt gehalten - was ich den diversen Redaktionen aber auch andererseits nicht wirklich ankreiden kann, da Rassismus eher zu den weniger prominenten Themen bei der Rezeption des Mittelalters gehört (was auch kein allzugroßes Wunder ist, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Gemeine weder Fremde kannte noch groß Ahnung von ihnen hatte). Dennoch denke ich, dass Rassismus (und zwar nicht nur gegen Orks und Goblins, oder selbst Elfen oder Zwerge) durchaus einen Platz in einer vormodernen Gesellschaft hat, auch wenn Eugenik und Rassenlehre noch nicht erfunden wurden - mir kann ja auch niemand erzählen, dass der bei der Eroberung Amerikas (und später des atlantischen Sklavenhandels) vom Himmel gefallen ist bzw. sich erst in deren Verlauf herausgebildet hat. In DSA äußert sich das dann als "Vorurteile gegen..." und dürfte auch durchaus seinen Platz haben, wenn ein Alanfaner Waldmenschen als halbe TIere wahrnimmt (üble Vorurteile) oder ein Thorwaler schwächliche Tulamiden nicht für voll nimmt (milde Vorurteile). Aber: In einer Welt voller Nichtmenschen dürfte innermenschlicher Rassismus deutlich schwächer ausgeprägt sein.
    • Homophobie: Das ist eines der Themen, wo DSA Stellung klassisch Stellung bezogen wurde - aber wo man es auch durchaus berechtigt harmlos halten kann: Adelige und anderweitig Privilegierte müssen zwar Stammhalter produzieren, haben dafür aber auch grundsätzlich viel mehr Narrenfreiheit als das gemeine Volk - ähnlich würde ich Homosexualität unter Abenteurern oder prominenten NSCs ebenfalls handhaben. Dazu kommt, dass es Homophobie in Aventurien jedenfalls eher nicht als gesamtgesellschaftliches Phänomen zu geben scheint. Was so weit passt - die alten Griechen kamen auch ohne klar; und selbst in Ein Lied von Feuer und Eis sucht man ausgeprägte Homophobie vergebens (auch wenn es natürlich teilweise unpraktisch ist, weil Renly ja auch einen Erben gebraucht hätte). Dass allerdings Abweichungen von der Norm (und Homosexualität ist nun mal eine solche) auch Ausgrenzungen zur Folge haben kann, ist denke ich durchaus plausbel zu begründen, und in extrem konservativen Gegenden, wo man es mehr mit Travia und weniger mit Rahja hält, wäre auch nicht unpassend - man muss in Aventurien halt nur nicht zwangsläufig Lynch- oder sonstige Justiz deswegen befürchten. Aber ansonsten gilt dasselbe wie oben: In einer Welt mit Hexen, Elfen und Zauberern gibt es auch so genügend "Andere", dass Homosexuelle durchaus mit minimaler Aufmerksamkeit davonkommen. PS: Da du das Bornland angebracht hattest: In der alten Enzyklopädia Aventurica von 1989 wird bei Thesia von Ilmenstein explizit erwähnt, dass ihre Feinde es ihr nachsagen würden, dass sie "dem eigenen Geschlecht zugeneigt" sei - vor 30 Jahren zumindest war die inneraventurische Setzung also anscheinend trotzdem, dass es nicht *unbedingt* einen absoluten Freifahrtschein dafür gab.
    • Gleichberechtigung: Das ist eines der anderen großen Themen in DSA, wo massiv Stellung bezogen wurde; und die irritiert mich im Gegensatz zum vorangegangenen Punkt durchaus - und sei es nur, weil die reichlich ahistorisch und vor allem reichlich unplausibel ist: Selbst wenn der aventurische Dimorphismus nicht so ausgeprägt ist wie der irdische (sonst dürften Frauen direkt mal einige KK-Punkte abgeben) macht es nun mal einen Unterschied, wenn der Herr Graf ungeschützten Sex mit Liebhaberinnen hat und Bastarde produziert, oder ob seine Frau es tut, und daraus ergibt sich alles andere. Auch interessant ist, dass das Mittelreich 1000 Jahre lang quasi salisches Erbrecht hatte, aber trotzdem auf magische Weise in jeder anderen Hinsicht vorbildlich gleichberechtigt geblieben ist. Andererseits ist das nun mal ein Thema, bei dem man alleine schon im Hinblick auf die Spielerschaft mehr Spielraum gewährt. Dass es allerdings keine Gleichberechtigung bei den üblichen Verdächtigen gilt (Novadis, Aranier, Tulamiden, Andergaster), gehört nun mal ebenfalls zu den Setzungen von DSA.


    Summa summarum ist es allerdings auch eine Sache der Spieler, und was für ein Setting sie wollen. Ich persönlich fände zB mehr ASOIAF nicht schlecht, andere wollen es maximal tolerant - und beiden Gruppen gleichzeitig kann DSA nicht gerecht werden (wobei das Drama um WdV allerdings den Eindruck erweckt, dass die zweite Gruppe wesentlich mehr Wirbel veranstaltet).

    Umgekehrt mögen andere Spieler ein Faible für erotisches Rollenspiel haben, während ich mir das Ausspielen sexueller Handlungen ganz grundsätzlich schenken würde (denn, wie jemand in einem anderen Thread gesagt hat: "Rollenspiel beim Sex - supi; Sex im Rollenspiel - ne lass ma"). Für Vergewaltigungen zwischen unbeteiligten NSCs gilt dasselbe - Beschreibungen brauche ich nicht wirklich (ich erinnere mich daran, wie ich mal vor über 15 Jahren in einer DnD-Runde in einer planare Stadt gekommen bin, und der Meister - ein ziemlich unreifer Depp - meinte, die besonders grenzwertige Natur der Stadt dadurch dokumentieren zu müssen, indem er plastisch beschrieb, wie vor aller Leute Augen ein extremst ausgestatteter Dämon eine Frau zu Tode vergewaltigte).

    Vergewaltigungen, die die SCs selbst in Mitleidenschaft ziehen (wenn sie von einem NSC ausgehen und ganz besonders wenn sie von einem anderen SC ausgehen), sollte man sich schon im eigenen Interesse in einer Runde grundsätzlich sparen. Das ist eine Sache, bei der ich mir sehr gut vorstellen kann, dass sie auch ganz ohne negative Vorerfahrungen der beteiligten Spieler das Zusammenspiel nachhaltig vergiftet oder völlig sprengt.

  • Ich kann der Diskussion nicht mehr folgen und würde daher nochmal meine Frage aus meinem Posting wiederholen, ob jemandem hier Abenteuer einfallen, deren Kern ein Dilemma verschiedener Wertvorstellungen ist.

    Selbst erdachte, d.h. von mir oder meinen Mitspielern/-innen erfundene Abenteuer, welche solche Themen behandeln oder diese sogar als zentrale Kernelemente nutzen, kenne ich einige. Offizielle Abenteuer fallen mir jedoch leider kaum ein. Allgemein folgen viele offizielle Abenteuer häufig einem sehr ähnlichem Aufbau, mit stets wiederkehrenden Elementen. Zudem erschienen mir die zuletzt erworbenen offiziellen Abenteuer durchgehend eher kindlich. Sicherlich ist dies unter anderem einer geforderten Zugänglichkeit für eine möglichst breite Schicht an Spielern und beschränkenden Platzvorgaben geschuldet, doch bevorzugen wir daher schon seit einiger Zeit eigene Abenteuer oder abgewandelte, ggf. auch ganz deutlich veränderte und ergänzte offizielle Abenteuer.

    körperliche Züchtigung von Schutzbefohlenen: Sollte klar sein; hier glaube ich auch nicht, dass jemand Probleme damit hat, dass das existiert - ausgespielt wird das in der Regel ohnehin nicht angesichts des Alters der SCs.

    Richtig ist zwar, dass die meisten SCs keine Kinder mehr sind und selbst keine Kinder haben, jedoch leben sie in einer Welt, in welcher immer wieder Kinder und deren Eltern vorkommen. In einem der zuletzt in meiner Runde gespielten Abenteuer waren u.a. einige Kinder zu retten. Während einige Eltern ihre Kinder glücklich und erleichtert in die Arme schlossen, reagierten andere Eltern eher verhalten und ein Vater reagierte auf das Erscheinen einer verloren geglaubten Tochter sogar mit einer schallenden Ohrfeige, da er ich Sorgen gemacht hatte, nun bei Fremden in der Schuld stand, ihm über längere Zeit eine wichtige Arbeitskraft fehlte, sie sich unerlaubt davongeschlichen hatte usw.

    Gleichberechtigung: Das ist eines der anderen großen Themen in DSA, wo massiv Stellung bezogen wurde; und die irritiert mich im Gegensatz zum vorangegangenen Punkt durchaus - und sei es nur, weil die reichlich ahistorisch und vor allem reichlich unplausibel ist: Selbst wenn der aventurische Dimorphismus nicht so ausgeprägt ist wie der irdische (sonst dürften Frauen direkt mal einige KK-Punkte abgeben) macht es nun mal einen Unterschied, wenn der Herr Graf ungeschützten Sex mit Liebhaberinnen hat und Bastarde produziert, oder ob seine Frau es tut, und daraus ergibt sich alles andere.

    Korrekt, auch in Aventurien sind Männer und Frauen noch immer unterschiedlich genug, um zumindest in bestimmten Bereichen eine diesen Unterschieden Rechnung tragende unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen. Wobei ich nicht einmal davon ausgehe, dass diese Vereinheitlichung, noch dazu in dieser politischen Dimension, Ziel seit DSA 1 ist, sondern einiges rückwirkend hineininterpretiert wird, da die gerade opportun erscheint.