White Wolf und Neonazi-Vorwürfe

  • Klar hätte man im 90er "Unsere Welt, aber düsterer!"-Stil verbleiben können. Und dann müsste ich mich fragen: Wie viel düsterer denn noch?

    Naja, vielleicht ist es dieser Ansatz, der mich eher abschreckt. Ich finde es eher verstörend, wenn es zu nah an der Realität ist und eine gewisse "wir sind eh alle im Arsch"-Mentalität verbreitet. Es liegt genug im wirklichen Leben im Argen, das muss ich glaube ich nicht auch noch 1:1 am Spieltisch haben. Ein bisschen Distanz ist mir da echt lieber, stelle ich fest.

  • Das Problem haben einige alte Systeme. Setting modernisieren oder eher archivieren? Den Kampf hat Shadowrun schon geführt und hat dabei ordentlich Federn lassen müssen. Die Entscheidung Vampire auf einer aktuellen Zeitlinie zu halten finde ich erstmal nicht verkehrt. Die aktuelle Zeitlinie ist halt nur ganz schön kacke. ;)

    Man hätte sicher auch 90er konservieren können, aber gerade für jüngere Spieler könnte das auch sehr befremdlich wirken.

  • Zweitens muss ich sagen, dass ich den "Ripped from the headlines"-Stil sehr gut verstehen kann. Klar hätte man im 90er "Unsere Welt, aber düsterer!"-Stil verbleiben können.

    Das verstehe ich grundsätzlich. Aber ich glaube nicht, dass ich wirklich verstanden werde. ;)

    Selbst wenn man das Nineties-Argument mal außen vor lässt: Die Architektur der WoD wurde exakt beschrieben. Düstere, gotische Gebäude. Hohe Türme. Gargylen überall. Die Leute sind alle rumgelaufen wie auf ner Beerdigung. Es war eine Gothic-Punk-Horror-Welt in der die "Düsternis" wortwörtlich zu nehmen war und nicht ausschließlich eine Umschreibung negativer Ereignisse (also "schlimme Zeiten"). Die "Darkness" galt auch optisch und kulturell, im modischen und popkulturellen Sinne. Die WoD war aufgrund der Beschreibungen für mich immer wie ein völlig gestörtes geistiges Kind von Tim Burton, Quentin Tarantino und Len Wiseman.


    Nun spielen wir in unserer, realen Welt. Und da laufen höchstens mal zum WGT in Leipzig die Leute so rum, wie sie in den alten WoD-Büchern beschrieben werden. Und es hören auch nicht alle Menschen heftige Beats und leben in Häusern mit Wasserspeiern und tausend gotischen Türmchen.


    Die Düsternis der V5, das ist die soziale Kälte, die wahnsinnige Politik, die Umweltzerstörung und die Fragmentierung gesellschaftlicher Verhältnisse (also auch der vampirischen Gesellschaften). Verstehe ich vollkommen, wieso man das gemacht hat! Muss ich aber nicht gut finden, vor allem wenn ich plötzlich bestehende Chroniken mit der neuen Edition nicht weiterführen kann, da ich quasi gezwungen bin, die Spielwelt zu wechseln.

    Fragt euch doch mal, von der spielerischen oder spielleiterischen Seite, wie ihr teils langjährige Chroniken plötzlich an die neuen Verhältnisse anpassen könnt? Wie erklärt sich der Settingchange innerweltlich, wenn die Camarilla plötzlich ein Exklusivclub ist bzw. nicht mehr den Anspruch einer "Universalpartei" hat, die die Fäden in den Händen hält? Wieso sehen Gebäude plötzlich anders aus? Wieso rennen Leute anders herum?

    Man ist quasi gezwungen, komplett neue Chroniken zu starten, wenn man die laufenden Geschichten nicht ad absurdum führen möchte. Neue Chroniken, die eine komplett neue Ästhetik bekommen. Bei Requiem hat man damals einen klaren Schnitt gemacht und gesagt: Das ist NICHT mehr die alte WoD, sondern eine völlig andere Welt. Macht man jetzt auch, wenngleich die Anleihen an die alte WoD natürlich noch viel viel größer sind. Aber es ist - laut Aussage von White Wolf selbst - nicht mehr die alte WoD, sondern eine neue, die "One World of Darkness". Und die ist nichts anderes, als unsere reale Welt.

    Die cWoD (und auch die Welt der CofD) war ein düsterer Spiegel. Nun ist sie genau das nicht mehr. Anstatt die optische Ästhetik einer Grufti-Welt weiterzuführen (was die V20 mit ihrem Stand von 2011/2012 macht und damit beweist, dass es möglich ist), lässt die V5 die alte Ästhetik der ursprünglichen Fantasywelt außen vor.

    Ich möchte gerne weiterhin in der Fantasywelt, die unserer sehr ähnlich ist, spielen.
    Und nicht in unserer Realität, in die Fantasiewesen gesetzt werden.

    Die aktuelle Zeitlinie ist halt nur ganz schön kacke.

    Noch ein wichtiger Aspekt. Die potentielle "Weltflucht", im positiven Sinne, wird deutlich erschwert, wenn man die Sachen, die man in den News erlebt, auch noch im Spiel um die Ohren bekommt. Und dazu auch noch ermutigt wird, seitens der Macher. :cry:
    Es ist nicht so, als ob ich sauer wäre, auf White Wolf und die getroffenen Entscheidungen.
    Ich bin nur wahnsinnig enttäuscht, wie viel kreatives Potential auf der Strecke geblieben ist, indem man es sich dergestalt einfach gemacht hat.

    - nicht mehr im Forum aktiv -

    Einmal editiert, zuletzt von Thorus84 (30. Juli 2018 um 00:29)

  • Man hätte sicher auch 90er konservieren können, aber gerade für jüngere Spieler könnte das auch sehr befremdlich wirken.

    Definitiv. Ich spiele gerade in einer Werwolfrunde, die in der damaligen "Jetzt-Zeit" angefangen hat, aber aufgrund der Textchat-Form und eher seltenen Spielterminen noch immer 2007 feststeckt.

    "Ich google das mal auf meinem Smartphone!"-"Das erste iPhone ist vor drei Monaten rausgekommen. Bist du sicher, dass dein Charakter aus dem afrikanischen Busch sowas hat?"


    Klar hätte man im 90er "Unsere Welt, aber düsterer!"-Stil verbleiben können. Und dann müsste ich mich fragen: Wie viel düsterer denn noch?

    Naja, vielleicht ist es dieser Ansatz, der mich eher abschreckt. Ich finde es eher verstörend, wenn es zu nah an der Realität ist und eine gewisse "wir sind eh alle im Arsch"-Mentalität verbreitet. Es liegt genug im wirklichen Leben im Argen, das muss ich glaube ich nicht auch noch 1:1 am Spieltisch haben. Ein bisschen Distanz ist mir da echt lieber, stelle ich fest.

    Das ist natürlich völlig legitim, "persönlicher Horror" hat viele Gesichter. Nur frage ich mich, ob bei den mundaneren Teilen des Horrors nicht früher eigentlich etwas sehr ähnliches rausgekommen sein müsste wie heute auch - nur halt mit der Fiktion, dass alles nur Fiktion ist und nur in der WoD sich der Assamit in Dresden umschauen darf, dass er nicht außerplanmäßig ein paar Glatzen auf den Speiseplan setzen muss.

    Thorus84

    Selbst wenn man das Nineties-Argument mal außen vor lässt: Die Architektur der WoD wurde exakt beschrieben. Düstere, gotische Gebäude. Hohe Türme. Gargylen überall. Die Leute sind alle rumgelaufen wie auf ner Beerdigung. Es war eine Gothic-Punk-Horror-Welt in der die "Düsternis" wortwörtlich zu nehmen war und nicht ausschließlich eine Umschreibung negativer Ereignisse (also "schlimme Zeiten"). Die "Darkness" galt auch optisch und kulturell, im modischen und popkulturellen Sinne. Die WoD war aufgrund der Beschreibungen für mich immer wie ein völlig gestörtes geistiges Kind von Tim Burton, Quentin Tarantino und Len Wiseman.

    Gut, das muss ich sagen habe ich deutlich anders gelesen – für mich war der Gothic-Punk-Aspekt eher in dem Gefühl des Settings als in einer tatsächlich alles überspannenden Optik und Architektur (die wurde übrigens auch eher in Revised erwähnt, in V20 ging es bereits eher um eine moderne Neuinterpretation, wo auch ein modernes Vorstadtanwesen als Sinnbild für ein gotisches Schloss stehen kann).

    Im Gegenteil fühlt es sich für mich an, als würde V5 eher mehr Wert auf diesen modischen Aspekt legen, wie man im Preview lesen konnte, auch wenn er auf Vampire eingeschränkt wird. Allerdings glaube ich auch nicht, dass die von dir gewünschte Stimmung tatsächlich nicht mehr mit V5 kompatibel sein wird.

    Fragt euch doch mal, von der spielerischen oder spielleiterischen Seite, wie ihr teils langjährige Chroniken plötzlich an die neuen Verhältnisse anpassen könnt? Wie erklärt sich der Settingchange innerweltlich, wenn die Camarilla plötzlich ein Exklusivclub ist bzw. nicht mehr den Anspruch einer "Universalpartei" hat, die die Fäden in den Händen hält? Wieso sehen Gebäude plötzlich anders aus? Wieso rennen Leute anders herum?

    Die Fragen betreffen zwei unterschiedliche Themen, die man nicht durcheinanderwerfen sollte - das erste: Warum kein Gothic Punk als universeller Stil mehr? Darauf würde ich antworten: Wieso soll der nicht mehr existieren, wenn du ihn haben willst? Die Stimmung einer Chronik wurde schon immer von SL und Spielern entworfen. Und klar, ein gewisser Touch war natürlich immer dabei, aber solange man das nicht bis zur Karikatur übersteigert hat, würde ich es nicht so sehen, dass das nicht mehr reinpasst.

    Die Umbrüche im Setting, was Camarilla und Konsorten angeht, werden eigentlich relativ klar erklärt. Mit Ausnahme des Gehenna-Bandes und seines direkten Umfelds ist da meines Wissens nichts geretcont worden - wenn du theoretisch eine Gruppe von Revised in V5 hineinspielen möchtest, kannst du das tun und direkt miterleben, wie die Camarilla von ihrem Alleinvertretungsanspruch hin zu der Ansicht kommt, man müsste um zu überleben sich vom schnell von den Jägern gefassten und ausgequetschten Abschaum abkapseln. Meines Wissens wurde genau für den Setting-Übergang hin zu V5 Beckett's Jyhad Diary veröffentlicht.

    Alternativüberlegung: Wie sahen das wohl die DSA-Spieler, die gerade eine Tobrienrunde am Laufen hatten, als der unfreundliche Herr B. anklopfte?

    Jeder Mensch ein Magier!
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    Einmal editiert, zuletzt von Cifer (30. Juli 2018 um 00:52)

  • Nachtrag: Ich hab mittlerweile das GRW-PDF und darin wird sich doch sehr deutlich und sinnvoll geäußert. U.a. findet sich dort:

    Dazu kommt noch ein kompletter Abschnitt über emotionale Sicherheit im Spiel. Insofern bin ich schon sehr zufrieden mit dem Ergebnis, auch wenn der Weg nicht der glücklichste war.

    Jeder Mensch ein Magier!
    Avatar by Tacimur

    Einmal editiert, zuletzt von Cifer (3. August 2018 um 09:45)