Ein paar Gedanken zu Tharun - Meine Eindrücke und meine Herangehensweise:

  • In diesem Jahr ist es vielleicht so weit, dass ich (nach einem ersten kurzen Ausflug vor 5 Jahren) zum ersten mal Spieler für eine Sandbox-Kampagne mit völlig offenem Ende nach Tharun entführe.

    Das bringt mich dazu die Eindrücke die ich bei der neuen Beschäftigung mit dem Setting gewonnen habe und die Herangehensweise mit der ich mit dem Setting umgehen möchte hier mal zu teilen.

    Erst einmal muss ich sagen, dass ich viele Grundelemente von Tharun schon seit einer Zeit gut finde als an die relativ neuen DSA 4.1 Publikationen noch garnicht zu denken war und ich zum ersten Mal hoch interessiert durch PDFs der originalen Schwertmeister-Box blättern konnte.

    Diese Mischung aus aventurischen Elementen, asiatischen Elementen und Sword & Sorcery hatte es mir sofort angetan.

    Genau wie der harte und herausfordernde Stil und Ton des Settings, der grimmige Götterhimmel, die völlig fremdartige tharunische Sonne und der Aufbau der Welt aus wilden, kaum beschriebenen Inselreichen die aller Phantasie ihren Platz boten herum um den Sitz des Tharuns, eines mystischen Herrschers über eine ganze Welt.

    Da war in mir der Wunsch geboren das mal zu spielen und entsprechend begeistert habe ich Jahre später beim Erscheinen des Bandes "Die Welt der Schwertmeister" zugegriffen.

    Und da will ich trotz der kritischen Punkte die ich gleich auch habe allen die das möglich gemacht und daran mitgearbeitet haben ein großes Dankeschön sagen als Spieler.

    Das ist das was DSA in meinen Augen braucht: mehr Kampagnen-Settings als nur Aventurien, ein Stück mehr "Multiversum" und Leute die das möglich machen.

    Beim weiteren Lesen und Durchstöbern der neuen Bände musste ich aber feststellen, dass viele ihrer Setzungen nicht wirklich geeignet waren für meinen Spielstil.

    Dieses Tharun ist mehr oder weniger so geschrieben, dass es perfekt ist für einen einzigen Plot: für den Plot einer totalen Konfrontation der Spieler mit dieser Welt, für den Ruf zur Revolution gegen die tharunische Ordnung ob im Ausbruch eines Dorfes oder zweier Liebender aus der Gesellschaft oder im Kampf gegen ganze Reiche und Kulte bis hin zum Thron des Tharun selbst.

    Für einen Kampf gegen alles dort, bis hin zu den Göttern: die Kampagnenwelt - dein Feind.

    Wenn man so einen Plot aber nicht spielen will, wird es schwer.

    Eine Gesellschaft so extrem geordnet wie ein buddhistisches Kloster.

    Es geht dabei nicht um das System selbst aus Schwertmeistern, Inselherren, Richtern, Guerai, Azarai, Brigantai, Morguai - das finde ich alles großartig!

    Es geht um die sehr abenteuerunfreundliche Absolutheit und Radikalität mit der viele Eigenheiten tharunischer Kultur auf die Spitze getrieben werden.

    Gasthäuser? Gibt es nicht.

    Reisen durch die Welt? Gibt es nicht.

    "Normale" individuelle Lebensführung oder gar Abenteurerleben? Wird nicht mal als Konzept verstanden.

    Man hat eine Welt und Gesellschaften in dieser Welt die den Helden kaum konstruktiven Zugang bieten.

    Die fast sämtliche normale Plots für Stadtabenteuer und Gesellschaftsabenteuer unmöglich machen, die obendrein weibliche Spieler mit der weitgehenden Entrechtung ihres Geschlechts konfrontieren und die einem Abenteurerleben jenseits von Brigantai-Guerilliakrieg quasi keine Spielräume bieten.

    Auch Abenteuer mit "politischer" Dimension können wenig Tiefe gewinnen in einer Welt wo nicht wirklich grundverschiedene Fraktionen da sind (wie Zwölfgöttergläubiges Mittelreich vs. Borbaradianer vs. Pardona vs. Al'Anfa) die durch Intrige oder Krieg aufeinandertreffen könnten.

    Und zu den Bereichen die mir am allerwichtigsten sind gab es am wenigsten Material und Anregungen: exotische und gefährliche Wildnis, exotische und gefährliche Fauna und Monstrositäten, ein differenziertes Bild uralter Geheimnisse, dunkle Mächte und sinistre Akteure, Wege in die schrecklichen Ruinen untergegangener Zivilisation, Gewölbe in die Tiefe der Erde, Kreaturen die die Helden bekämpfen können, bedrohliche, fremde Rassen ...

    All das was ich als Abenteueransätze und Plotbausteine für klassisches Abenteuerspiel sehe, diese Dinge die in Welten wie Aventurien (DSA) oder Faerun ((A)D&D) in so großem und üppigem Reichtum vorhanden sind aus dem sich jeder seins aussuchen kann, mit denen sieht es in den Tharun-Bänden verhältnismäßig dünn aus - sehr dünn.

    Und ich habe gemerkt, das ist so nicht wirklich das Tharun, das ich spielen will.

    Denn ich suche keine Welt als Gegner meiner Spieler und möchte keinen Plot spielen Freiheitskämpfer vs. klösterlich geordnete Mehrheitsgesellschaft.

    Ich suche eine Welt voller exotischer, harter Herausforderungen, Freiheiten und Wunder, düsterer Geheimnisse und abenteuerlicher Perspektiven abseits festgefügten aventurischen Metaplots für meine Helden.

    Ich wünsche mir für meine Spieler einen konstruktiven Erstkontakt mit einer ganz fremden Kultur.

    Ich möchte sie unter den Farben der tharunischen Sonne durch gigantische, fremdartige Natur nach dem Vorbild längst vergangener erdgeschichtlicher Epochen führen, vielleicht an der Seite tharunischer Waffenbrüder.

    Ich möchte Kreaturen vorzeitlicher als Dinosaurier die in der Sonne liegen und Tatzelwürmer die an den Ufern wilder Flüsse kämpfen.

    Ich möchte dass die Helden eintauchen können in das Wimmeln exotischer Städte, ich möchte dass sie in dunklen Tunneln Eingänge in Reiche cthuluider Wesenheiten entdecken können, ich möchte dass sie ernsthaft darüber nachdenken zu Arkan'Zin oder Shin-Xirit zu beten und das mögliche weibliche Mitspieler dabei genauso viel Spaß haben ...

    Kurz: ich werde mit viel Sword & Sorcery und mit Inspirationen aus Rakshazar und mehreren AD&D-Kampagnenwelten meine eigene Interpretation von Tharun kreieren für meine Kampagne in der die Tharun-Bände vom Uhrwerk-Verlag nur den halben Hintergrund und den Rahmen liefern.

    Ich nenne es vielleicht "Tharun - Welt der Abenteuer" oder "Tharun - High Adventure" und es wird ein grimmiger, faszierender und reichhaltiger Abenteuerspielplatz für aventurische Helden die noch Helden sein wollen. ;)

    Mein Punkt dabei an die Autoren der offiziellen Tharun-Bände ist aber folgender:

    Bei allem tiefen und großen Respekt vor eurer tollen, kreativen Arbeit, muss ich sagen dass euer Setting in meinen Augen zu sehr einer Plotrichtung und einem Spielstil auf den Leib geschneidert ist.

    Ich habe das selbst als Meister auch schon gemacht und etwa ein Steam-Magotechnik-Setting entworfen das wunderbar für Polizei-, Geheimdienst-, Politik-, Mafia- und Kriegsabenteuer funktioniert, aber für wenig anderes.

    Aber so ein kommerziell veröffentlichtes Setting dem tut in meinen Augen eine große Reichhaltigkeit gut, als großer und heterogener Steinbruch der Subsettings, Möglichkeiten und Ideen in dem sich verschiedene Spielerinteressen wiederfinden.

    Da sollte es darum gehen was Gruppen und Charaktere verschiedener Spielstile tun können, was sich ihnen an reichhaltigen Möglichkeiten bietet und weniger darum was sie alles nicht tun können bis hin zu dem Punkt: "Gasthäuser, Abenteurer, Aufträge, fast alle herkömmlichen Plots und Plotelemente? So etwas existiert hier nicht! Ihr werdet mit niemandem normal kommunizieren können ohne wegen unerlaubten Umherreisens Zirraku geopfert zu werden!"

    Ich weiß, es gibt viele Spieler denen es sicherlich genauso gefällt wie es ist, aber es gibt sicher auch viele Leute die durch die Bücher blättern und ähnliches denken wie ich.

    Wenn Ulisses Tharun mal neu auflegt - was ich hoffe! - denkt an mehr Möglichkeiten für mehr Spielertypen.

    Denkt an die die aus Aventurien kommen um exotische Städte und Wildnislande zu besuchen, um sich Ruhm und Ehre und Reichtum oder gar einen kleinen Stadtstaat zu erkämpfen und sie in einer einigermaßen normalen Gesellschaft genießen zu können, um Monstern und bösartigen, fremden Wesen zu begegnen, um Rakshasa und Tatzelwurm ringen zu sehen, um zu tharunischen Göttern zu konvertieren und um auf Riesenkäfern, Skorpionen und Dinosauriern zu reiten (auch als Frau).

    Denn so eine Tharun-Globule wäre die perfekte Ergänzung, das perfekte minimal-metaplotverbundene zeitlose Abenteuer-Refugium neben dem kleinteilig simulierten Aventurien.

    2 Mal editiert, zuletzt von BardDM (1. April 2018 um 21:14)

  • Ich kann mich deiner Meinung nur voll und ganz anschließen. da unsere damalige Heldengruppe es schon bis nach Tharun geschafft hatte habe ich die "praktische" Erfahrung. Tharun ist herrlich. Es ist wild,abenteuerlich,geährlich,ein Traum....jedenfalls am Anfang. Je mehr du über ihre Bewohner und ihre "Politik" erlebst um so mehr wird Tharun zu einem "Korsett" für deinen Helden.

    Uns fehlte damals die Erfahrung um uns unseren eigenen Handlungsfreiraum zu schaffen.


    Ich werde jedenfalls Tharun im Auge behalten ;)

    Schöne Ostertage

  • Danke Dir für Deinen Beitrag, das spiegelt in der Tat genau meinen ersten Eindruck wieder, den ich von dem System habe. "Wo kommt denn meine herumreisende Abenteuertruppe unter, wenn es keine Gasthäuser gibt?" Das gesamte Setting bietet sich wirklich nicht für die klassische D&D / DSA - Abenteuerschiene an.

    Nachdem ich noch ein wenig in "Wege nach Tharun" geblättert habe, ist mir allerdings auch der Gedanke gekommen, dass es sich schon für spannende Szenarien eigenen könnte, wenn man die Welt und ihre Gesetze vollkommen akzeptiert und sich ihnen unterwirft. Innerhalb dieses sehr starren Korsetts können auch reizvolle Geschichten gesponnen werden, allerdings nur, wenn man "Helden" hat, die vollkommen innerhalb dieser Welt agieren, und damit auch von vorneherein einen Status und eine Position innerhalb der Hierarchien dort haben. Z.B.:

    -- Eine Gesandschaft aus Richter, Masha und zwei Guerais, die von dem eigenen Herrscher zu einem benachbarten Reich geschickt werden, um dort politische Beziehungen zu knüpfen / Handelsverträge zu unterschreiben / die Töchter zu verheiraten. Wobei sich dort bereits eine Gesandschaft eines verfeindeten Herrscherhauses aufhält, die ebenfalls die Gunst des Inselherren erringen will, inklusive Intrigen, Duellen und anderen Machtspielchen, um in Konkurrenz zu den anderen Gesandten das beste Ergebnis für den eigenen Herrscher herauszuholen.

    -- Als Expedition eines mächtigen Herrschers, der es sich in den Kopf gesetzt hat, eine wilde Insel zu befrieden und zu besiedeln. Schauplatz ist eine völlig fremde und geheimnisvolle Insel voller unbekannter Gefahren, und es muss ein Brückenkopf etabliert, eine erste Siedlung gegründet, und unter den (gewaltsam) hierhergebrachten Bauern Ordnung geschaffen werden. Gleichzeitig muss die Siedlung gegen Monster aus dem Umland verteidigt, die Geheimnisse der Insel gelüftet und die wilden Tiere gezähmt werden. Das bietet sich als setting für eine ganze Kampagne für verschiedenste Charaktere an, ohne auf die "feste Heldengruppe" zurückzugreifen.

    -- Politik-/ Detektivabenteuer: Als Untergebene eines Herrschers muss man einen Bauernaufstand niederschlagen, und die revolutionäre Verbreitung eines freiheitspropagierenden Textes verhindern. Dabei wird immer mehr klar, dass die Bauern von Brigantai aufgestachelt werden, die aber von anderen Adligen innerhalb des eigenen Herrscherhauses unterstützt werden, die auf die Art und Weise die Schwäche des bestehenden Herrschers demonstrieren, und den dadurch absetzen wollen. Wie man -- selbst wenn man die Identität der Bösewichte kennt -- an die herankommt und überführt (weil man ja selbst in der Hierarchie weit unter denen steht), ist dann fast schon ein eigenes Abenteuer.

    Fazit: Man muss sich schon ein wenig aus dem Fenster lehnen, und jeglichen Wunsch nach "Freiheit" und Selbstbestimmung aufgeben, dann gehen auch Abenteuer in Tharun. Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus reizvoll sein kann, in so einem Setting Charaktere zu führen. Aber für meine aventurische Heldengruppe wäre das erst mal eher nichts, glaube ich.

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    Einmal editiert, zuletzt von Yelemiz (8. April 2018 um 09:52)

  • Yelemiz :

    Das sind ohne Zweifel gute Plots die du ausführst und ich vermute mal sie entsprechen recht genau dem was sich die engagierten Verantwortlichen hinter der Neuauflage Tharuns so vorgestellt haben unter Abenteuermöglichkeiten für angepasste Tharuner in ihrem Setting.

    Gewissermaßen als kleiner Bruder des Rebellions-Plots.

    Es sind aber natürlich auch Plots in denen die Charaktere und Spieler in einem enormen Korsett aus Befehl&Gehorsam und den ganzen Tagesablauf prägenden Verpflichtungen und Konventionen stecken, das man so mögen muss ...

    Meine Spieler haben gerade die Wahl ob sie in der nächsten Kampagne mit aventurischen Charakteren in meine Version von Tharun oder in eine andere Globule, die von mir kreierten "Domänen der Dunkelheit" verschlagen werden wollen.

    (Die Domänen wären eine Art aventurische Entsprechung des Ravenloft-Settings aus (A)D&D.)

    Sollten die Spieler sich für Tharun entscheiden, werde ich hier mal ausführen was ich mit der Welt und dem Setting mache für meine Kampagne. ;)

  • BardDM

    Kurz der Vollständigkeit halber: Hast du den Abenteuerband Schwerter & Giganten gelesen? Denn da wird eigentlich gezeigt, wie man etliche der genannten Punkte abmildern kann.

    Gerade, dass es keine politische Ebene mit Kriegs- oder Intrigenplots gibt, ohne gleich die Weltenordnung an sich anzugreifen, halte ich für einen Fehlschluss. Im Gegenteil ist das sogar die Art von Plot, die ich innerhalb der tharunischen Ordnung am ehesten sehen würde: Der Bauernsohn will Guerai werden, der Schwertmeister will Richter werden, der Shin-Makar möchte Marakai werden, der Marakai Archipelar und alle haben Rivalen, die sie auf diesen Posten nicht sehen wollen und die man entweder mittels Intrigen oder mit offener Kriegsführung aus dem Weg räumen kann. Dabei mögen die ideologischen Grenzen nicht ganz so deutlich wie Mittelreich versus Schwarze Lande sein, aber man kann noch immer den relativ milden Inselherrscher gegen den despotischen unterstützen und dabei unter der Hand Deals mit Brigantai aushandeln.

    Was Frauen angeht, gibt es im Wege nach Tharun ebenfalls 5 Seiten rein zum Thema "weibliche Charaktere". Klar, man kann nicht gedankenlos an jedes Charakterkonzept "Und das ist übrigens eine Frau" rantackern und erwarten, dass der Charakter damit funktioniert. Aber es gibt eben doch diverse Möglichkeiten, Frauen zu spielen und dennoch Einfluss aufs Spiel zu nehmen - als Ehefrau oder Dienerin im Stillen, als karmal begabte Nanurta-Priesterin, als gesellschaftlich hochangesehene Masha, als kriegerische Brigantai, als Mann verkleidet in beliebiger Rolle oder auch komplett gleichgestellt in Ilshi Vailen oder zumindest auf chauvinistische Weise verehrt in Lania.

    Natürlich kann man kritisieren, dass eine Welt nur bestimmte Plots fördert - insbesondere, wenn das nicht die Plots sind, die man selbst spielen möchte. Ich find's auch doof, dass seit Borbarads Fluch die Zahl der Raumschiffe in Aventurien bedenklich abgenommen hat und ich somit meinen Weltraumerkundungsplot wohl doch eher nach Star Wars verfrachten muss. Aber ich denke, dass zum einen eine gewisse Spezialisierung einem Setting durchaus gut tut und zum anderen man innerhalb der Spezialisierung mehr spielen kann, als du hier vermutest.

    Jeder Mensch ein Magier!
    Avatar by Tacimur

  • Ich find's auch doof, dass seit Borbarads Fluch die Zahl der Raumschiffe in Aventurien bedenklich abgenommen hat und ich somit meinen Weltraumerkundungsplot wohl doch eher nach Star Wars verfrachten muss.

    Öööhm, falls da jetzt ein Funken Ernst drin steckt... probier mal einen Ausflug mit nach DSA transferiertem AD&D Spelljammer.Wir hatten da großen Spaß..:thumbsup:

  • Ich find's auch doof, dass seit Borbarads Fluch die Zahl der Raumschiffe in Aventurien bedenklich abgenommen hat und ich somit meinen Weltraumerkundungsplot wohl doch eher nach Star Wars verfrachten muss.

    Öööhm, falls da jetzt ein Funken Ernst drin steckt... probier mal einen Ausflug mit nach DSA transferiertem AD&D Spelljammer.Wir hatten da großen Spaß..:thumbsup:

    Tut es nicht, aber dennoch danke für den Tipp!

    Jeder Mensch ein Magier!
    Avatar by Tacimur

  • Cifer :

    Nein, die jüngst erschienene Abenteuer-Anthologie ist tatsächlich der einzige Band den ich noch nicht kenne.

    Natürlich hat das offizielle Tharun so wie es ausgearbeitet wurde seine Fans, die im Spiel mit der offiziell gesetzten tharunischen Gesellschaft genau die Plots erleben und gestalten können die sie mögen.

    Und das freut mich natürlich.

    Aber der Hinweis darauf, dass man mit den offiziellen Setzungen zur tharunischen Kultur so wie sie sind einen extrem engen Weg gewählt hat für ein Setting das riesiges Potential in viele Richtungen hätte, der ist trotzdem objektiv berechtigt.

    Ebenso wie der Hinweis darauf, dass man ein Setting für sehr viele Spieler unattraktiv macht, wenn man in ihm einen überwiegenden Großteil klassischer (!) PnP-Plots und Abenteuergenres verunmöglicht und weibliche Spieler vor sehr lückenarme Setzungen flächendeckender Frauenentrechtung stellt.

    Diese Hinweise sind ja in überhaupt garkeiner Weise mit dem Wunsch zu vergleichen Raumschiffe in Aventurien zu wollen.

    (Aber ich sag dir was, Spelljammer ist eine sehr gute Empfehlung von Tharex , wie überhaupt das Multiversum der AD&D-Kampagnenwelten ein Paradebeispiel dafür ist wie viel Spaß das machen kann Dinge möglich zu machen anstatt unmöglich.)

    Wie dem auch sei, Tharun bietet in meinen Augen so viel Schönes, so viele gute Setzungen und so viel Potential, dass ich es gerne umarbeite für meine Runde wenn die Spieler dort hin wollen.

    Und auch da ist Vielfalt ja nur ein Gewinn, wenn mal andere Ideen vorgestellt werden was man mit Tharun machen kann.

  • Gasthäuser? Gibt es nicht.

    Und? Gab es bis etwa 1400 rum im Großteil Europas auch nicht. Reisende übernachteten in den Scheunen von Bauern, deren Wohnstuben, in Dörfern, Klöstern, oder bei lokalen Herrschern. Vor dieser Problematik waren auch Könige nicht gefeit. Das fahrende Volk besaß daher auch Wohnwagen und nicht nur eine Rabattkarte von Airbnb.

    Ich betrachte die Abwesenheit von Gasthäusern nicht wirklich als ein Problem von Abenteurern. Für eine dramaturgische Verdichtung von Geschichten hat es sogar eher Vorteile, wenn es keine Gasthäuser gibt. Ärgerlich ist der Mangel an Gasthäusern vielmehr für nicht dramaturgisch zentrale Reisende. Also NSCs.

    Den ausgeprägten Sexismus hingegen sehe ich definitiv als ein großes Problem an. Das ist in dieser Form absolut nicht zeitgemäß und eine fiktive Welt kann sich da auch nicht damit rausreden das sie ist wie sie ist, weil sie eben nicht so ist wie sie ist. Sie ist wie der Autor sie geschrieben hat und zwar genau so. Wenn der Autor eine sexistische Welt erschafft, dann ist das ausgesprochen sexistisch von ihm. Außer eben dieser Sexismus ist spezifisch relevant für die Geschichten, zentral für die gewünschte Dramaturgie und durch vollwertige Optionen spielerseitig ausbalanciert.

    Das ist hier aber eigentlich nicht der Fall. Weder das eine, noch das andere. Dienerin und Ehefrau sind absolut keine ebenbürtigen Rollen in diesem Kontext und Brigantai auch nicht. Anstelle einer weitgehend stigmatisierten Rolle darf man also eine noch viel stärker stigmatisierte wählen. Der Abschnitt darüber wie spannend es sein kann Dienerinnen, Eherfrauen oder Geliebte zu spielen ist ein Feigenblatt ohne Zusammenhang mit der eigentlichen Problematik. Spannend kann so einiges sein. Nur gleichberechtigt ist es eben nicht. Dabei geht es überhaupt nicht um juristische Gleichberechtigung, sondern um dramaturgische und genau da verlieren diese Frauenrollen, da sie eben nur Anhängsel sind. Die Ehefrau darf für ihren Mann spionieren, oder ihn beraten und trösten. Die Dienerin darf dienen. Das sind Anhängselrollen mit deutlich reduzierter Gestaltungsfreiheit. Spannend kann es sein, aber fair ist es nicht. Genauso gut könnte man behaupten das Frankreich 1430 weiblichen Spielern angemessene Rollen ermöglichen würde. Schließlich gab es ja Jeanne D'Arc und die trug Plattenrüstung und Schwert und kämpfte für Frankreich. Eine Spielerin könnte also einfach in die Rolle von Jeanne D'Arc schlüpfen und wenn sie damit im Winter 1430 anfängt hat sie sogar noch ein ganzes halbes Jahr Spielzeit ehe ihr Charakter dafür ermordet wird das sie eine Frau ist. Auch das kann dann spannend sein, aber die meisten Spielerinnen die ich kenne würde es wohl eher wütend machen und als Setting ist eben auch nicht ausreichend. Die angebotenen Optionen sind für mich ein klassischer Fall von too little, too late.

    Dabei ist es gar nicht so schwer das Maß an Ausnahmen ausreichend zu steigern, um echte Alternativen zu bieten. Viele Autoren treten dabei allerdings in die Falle Bezüge in der realen Geschichte zu suchen und dabei auf gefälschte und erfundene Geschichte hereinzufallen. So wissen wir gerade über Ausnahmepersönlichkeiten früherer Epochen oft nur sehr wenig, weil sie schlicht getilgt wurden, sofern man überhaupt je Aufzeichnungen angefertigt hat. Viele Behauptungen früherer Historiker werden gerade erst in unserer Zeit hinterfragt, wo die erste Generation an Wissenschaftlern die Forschung übernimmt, die nicht mehr indirekt vom Nationalismus und Imperialismus vergiftet ist. Auch stehen uns heute bessere Techniken zur Verfügung und so entpuppt sich dann auf einmal das Skelett aus einem der bekanntesten Kriegergräber der Wikingerzeit als das einer Frau und keineswegs als das eines Mannes. Warum dachte man vorher das es ein Mann gewesen sein müsse? Nun, das hat man sich eben einfach so ausgedacht, basierend auf den Vorurteilen die man mitbrachte. Was sollte es auch sonst sein? Es war schließlich ein Kriegergrab. Nun wissen wir das es entweder das Grab einer Kriegerin war, oder aber das einer Herrscherin. In dem Fall wären die Waffen und Rüstungsteile potentiell symbolische Objekte, als Symbole von Macht und Herrschaft, Ansehen und Reichtum. Wäre das so viel schlechter? Eigentlich nicht. Und hey, vielleicht war sie beides, Herrscherin und Kriegerin. Historischer Realismus ist oft ein sehr dünnes Eis und die meisten die sich auf ihn berufen sind wahlweise Narren, oder Lügner. Narren, wenn sie glauben das es so etwas in der Form wie sie es glauben tatsächlich gäbe und Lügner, wenn sie solche Konzepte und Phrasen nur benutzen um ein mehr oder minder autokratisches Phantasiekonstrukt auf die Geschichte anzuwenden, um damit Macht und Strukturen in der Gegenwart zu legitimieren.

    Auch die Japanische Gesellschaft, die Keltische, oder die Germanische, sind so wie wir sie kennen zu einem guten Teil Propaganda und mindestens genauso viel Erfindung. Der Anteil belegbarer Wahrheit ist oft erstaunlich gering und auch wenn wir in den meisten Filmen und Serien solche Charaktere vergeblich suchen, so hat es sie doch gegeben. Es gab sogar weibliche Samurai. Kämpfende weibliche Samurai die weit mehr waren als irgendjemandes Ehefrau oder Dienerin. Ach ja, lesbische Frauen der Kriegerkaste gab es auch. Schwule Männer übrigens ebenso. Die Geschichte steht da als Vorlage also niemandem im Weg. Wer eine fiktive Welt sexistischer macht als sie es unbedingt sein muss um ihren Inhalt zu tragen, der trägt selbst die volle Verantwortung dafür und sollte lieber seine Gründe dafür besser untermauern, als halbgare Ausnahmen wie Dienerin, Sklavin, Ehefrau, Hure, Nonne und dergleichen anzubringen.

    Ich für meinen Teil finde das Spielerinnen genauso relevante und würdevolle Charakterrollen verdient haben wie Spieler. Und das nicht nur als Feigenblatt.

    Onna-bugeisha
  • Gasthäuser? Gibt es nicht.

    Und? Gab es bis etwa 1400 rum im Großteil Europas auch nicht. Reisende übernachteten in den Scheunen von Bauern, deren Wohnstuben, in Dörfern, Klöstern, oder bei lokalen Herrschern. Vor dieser Problematik waren auch Könige nicht gefeit. Das fahrende Volk besaß daher auch Wohnwagen und nicht nur eine Rabattkarte von Airbnb.

    Ich denke das Problem hier ist weniger das "Gasthäuser gibt es nicht". Die Aussage bezieht sich nicht auf die Abwesenheit von entsprechenden Etablissements, sondern auf die Abwesenheit des Konzept des Reisenden. Und das ist eben auch ein Symptom für ein tiefer liegendes Phänomen, das die fundamentale Fremdartigkeit der Kultur aufzeigt, die -- unter anderem -- dazu führt, dass es eben das Konzept der Reisenden schon fundamental nicht in der Art und Weise geben kann. Also kein "es ist unpraktisch / gefährlich", sondern "es widerspricht dem Willen der Götter".

    Das unterstreicht die Fremdartigkeit des Settings, und ist, wie ich nach längerem Überlegen immer wieder finde, das was den Reiz der Welt auch ausmachen kann. Aber man ist wirklich gezwungen, sich von dem altbekannten trope der umherziehenden Heldengruppe zu verabschieden. Wenn man kein Ausgestoßener ist, hat man z.B., per Definition, immer einen Herren, dem man aufs Wort gehorchen muss. Von daher kann ich BardDM sehr gut verstehen, das macht vieles erst einmal ziemlich schwer.

    P.S.: Ich finde auch, es gibt viel zu wenig Raumschiffe in DSA! Ich will mehr Curthansche (?) Sphären, fliegende Städte wie zum Jahr des Feuers, oder dem Krieg der Magier! :D

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  • Ich persönlich sehe das sehr pragmatisch: ganz gleich wie man eine fiktive Gesellschaft gestaltet und wie welche NSCs in ihr leben, sie sollte Spielern und Spielerinnen weite Gestaltungsfreiheiten bieten sich in Charakterwahl und Rollenspiel zu entfalten und zu verwirklichen.

    Eine weltumspannende Gesellschaft die praktisch keinen Raum für klassisches Abenteurerleben und Individualismus lässt und die fast alles und jeden in das enge Korsett von Leibeigenschaft steckt, wäre selbst dann noch eine sehr gewagte Wahl für einen kommerziellen RPG-Hintergrund, wenn die Frauen nicht doppelt den Stiefel im Nacken spüren würden.

    Das macht mehr Sinn wenn man an die Ursprünge von Tharun denkt, als eine Art Freiluft-Megadungeon mit dem klaren Spielziel: "Die Helden mit den Zwölfgöttern gegen alles in dieser Welt."

    Aber das alles heute wieder so zu übernehmen und auf die Spitze zu treiben anstatt die Chance der Überarbeitung zu nutzen um eine Welt mit bedeutend mehr Chancen und Freiheiten für die verschiedensten Spielertypen zu kreieren, das ist defintiv sehr viel an Selbstbeschränkung und Spielerbeschränkung.

    Ein RPG-Hintergrund ist am Ende immer ein Abenteuerspielplatz für moderne Menschen die sich in ihm entfalten wollen, die faszinierende Rollen spielen, faszinierende Orte besuchen und spannende Abenteuer erleben möchten.

    Geschichte taugt dabei wunderbar als Quelle von Kulissen und Requisiten aber in die Fußstapfen eines realen mittelalterlichen Leibeigenen, einer realen Geisha oder auch eines realen Samurai im feudalen Japan wollen dabei aus gutem Grund nur wenige treten.

    Diese Leben waren nämlich wenig abenteuerlich und erbaulich.

    That's a whole different beast, die reale Geschichte, wie der Amerikaner sagen würde.

    Und ein Fantasy-RPG-Hintergrund muss sich am Ende eben an der Fülle und Vielfalt seiner Möglichkeiten als Abenteuerspielplatz messen lassen.

    Das ist in meinen Augen die entscheidende Kenngröße.

    Nicht simulationistische oder historische Erwägungen.

    3 Mal editiert, zuletzt von BardDM (10. April 2018 um 09:06)

  • Den ausgeprägten Sexismus hingegen sehe ich definitiv als ein großes Problem an. Das ist in dieser Form absolut nicht zeitgemäß und eine fiktive Welt kann sich da auch nicht damit rausreden das sie ist wie sie ist, weil sie eben nicht so ist wie sie ist. Sie ist wie der Autor sie geschrieben hat und zwar genau so. Wenn der Autor eine sexistische Welt erschafft, dann ist das ausgesprochen sexistisch von ihm. Außer eben dieser Sexismus ist spezifisch relevant für die Geschichten, zentral für die gewünschte Dramaturgie und durch vollwertige Optionen spielerseitig ausbalanciert.

    Okay, da muss ich grad mal reingrätschen. Hast du die entsprechenden Abschnitte im WnT gelesen? Denn Marcus und Arne, zwei sehr vehementen Feministen, hier eine unreflektiert sexistische Haltung zu unterstellen, halte ich ehrlich gesagt für geradezu absurd.

    Natürlich ist dieser Sexismus für die Geschichten relevant - zusammen mit den grausamen Göttern und der Kultur im Allgemeinen ist das einer der Punkte, der aventurische Helden geradezu anspringt und "Tut verdammt nochmal was dagegen!" schreit. Es gibt eben zwei Möglichkeiten, die Sexismusfalle zu umgehen: Entweder Sexismus für nicht-existent erklären (und dann auch wirklich keinen reinschreiben, statt jede zu rettende Person dann doch wieder zur jungfräulichen Prinzessin zu machen) oder ihn gerade thematisieren und die SCs damit konfrontieren. Tharun wählt beide Wege, den einen in Ilshi Vailen, den anderen im Rest der Welt.

    Würdest du denn The Handmaid's Tale für sexistisch halten?

    BardDM

    Wie gesagt: Ich halte es für durchaus akzeptabel, ein Setting zu schreiben, welches eben nicht für alle Geschichten taugt, sondern auf ganz spezielle abseits von "Murder Hobo Gruppe wandert herum und schaut, was für ein Plot ihr heute vor die Füße fällt" zugeschrieben ist. Siehe zum Beispiel diverse PbtA-Hacks, die ein ganz klares Genre vorgeben und mit Mechaniken auch nichts anderes unterstützen. Demgegenüber sind die großen Welten von DSA und D&D eigentlich fast die Ausnahme, die das halt auch mit "Wikinger leben ein paar Seetage nördlich von Rennaissancekultur" bezahlen.

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    Avatar by Tacimur

  • Da meine Spieler sich jetzt für meine eigene Kampagnenwelt-Kreation, die "Domänen der Dunkelheit" entschieden haben, werden wohl doch Jahre ins Land gehen bis ich irgendwann mal wieder vor der Option stehe Tharun für meine/unsere Zwecke zu überarbeiten.

    Vielleicht irgendwann mal. :gruntcool_1:

  • Interessante Debatte. Fand mich teilweise in BardDMs und Rattazustras Beschreibungen wieder. So ähnlich ging und geht es mir ebenfalls mit Tharun.

    Eine wundervolle Welt, deren Quellenbände ich verschlungen habe. Zum Lesen (und Geschichtenschreiben!) ganz toll. Aber das Spiel ist schon ziemlich eingeengt für DSA-Verhältnisse. Im Grunde genommen unterstützt Tharun nur zwei Verhaltensweisen: Entweder man schwimmt mit dem "System", wie man es beispielsweise in anderen oppressiven Settings wie "Engel", "40k" und Co. macht oder man rebelliert gegen das System.

    Bei allem tiefen und großen Respekt vor eurer tollen, kreativen Arbeit, muss ich sagen dass euer Setting in meinen Augen zu sehr einer Plotrichtung und einem Spielstil auf den Leib geschneidert ist.

    Es ist wohl richtig, dass, wie hier schon angesprochen wurde, klassische Questen in Tharun schwieriger umzusetzen sind, als in anderen Settings. Und ja: Auch die sehr eingeschränkte Auswahl weiblicher SCs und NSCs ist tatsächlich nicht zeitgemäß. Selbst in barbarischsten und (absichtlich) sexistischen Settings wird es dir als Spieler oder Spielerin niemals wirklich schwer gemacht, gleichwertige Heldencharaktere zu generieren und zu spielen. In Andergast wirst du als Frau auch gemobbt. Dennoch kannst du problemlos weibliche Andergaster erstellen mit allen möglichen Professionen. Und Andergast steht auch nicht im luftleeren Raum, sondern ist von Ländern umgeben, in denen Gleichberechtigung herrscht und die die Hinterwäldler auch gerne mal für ihre Weltfremdheit verspotten. Ein solches Korrektiv fehlt in Tharun.

    Wer eine fiktive Welt sexistischer macht als sie es unbedingt sein muss um ihren Inhalt zu tragen, der trägt selbst die volle Verantwortung dafür und sollte lieber seine Gründe dafür besser untermauern, als halbgare Ausnahmen wie Dienerin, Sklavin, Ehefrau, Hure, Nonne und dergleichen anzubringen.


    Ich für meinen Teil finde das Spielerinnen genauso relevante und würdevolle Charakterrollen verdient haben wie Spieler. Und das nicht nur als Feigenblatt.

    Das ist wirklich ein gravierendes Problem. Der Sexismus kann zwar als Plotaufhänger bzw. Spielanreiz dienen, an dem man sich abarbeiten kann (und so sehe ich auch die Intention der Autoren, denen ich keinen Sexismus vorwerfen würde), aber ist es wirklich sinnvoll, eine solche generelle Sperre/Mauer für weibliche Personen einzubauen, selbst in Kampagnen, wo es um andere Konflikte gehen sollte?

    Natürlich ist dieser Sexismus für die Geschichten relevant - zusammen mit den grausamen Göttern und der Kultur im Allgemeinen ist das einer der Punkte, der aventurische Helden geradezu anspringt und "Tut verdammt nochmal was dagegen!" schreit. Es gibt eben zwei Möglichkeiten, die Sexismusfalle zu umgehen: Entweder Sexismus für nicht-existent erklären (und dann auch wirklich keinen reinschreiben, statt jede zu rettende Person dann doch wieder zur jungfräulichen Prinzessin zu machen) oder ihn gerade thematisieren und die SCs damit konfrontieren.

    Meiner Meinung nach dürften tharunische Charaktere wohl kaum gegen etwas aufbegehren, was lediglich uns als Spieler stört. Der Wille etwas gegen die Ungerechtigkeit zu tun, kann also nur von aventurischen Helden kommen, die nach Tharun gelangen.

    Plot provoziert die sexistische Provokation leider nur, wenn es Spielerhelden gibt, die sich davon provoziert fühlen. Die Voraussetzungen für eine solche Erfahrung sind deutlich eingeschränkter und bedingen bestimmte Charaktere (wie Aventurier), was das gesamte Setting weiter in ein Korsett presst.

    Und selbst wenn man den Sexismus als Plotkomponente heranzieht: Wie lange trägt diese Hintergrundkomponente? Wird es bei jedem neuen Abenteuer, bei jeder neuen Kampagne erneut thematisiert und bearbeitet? Wie oft kann man in einer jahrelangen Spielrunde gegen eine Eigenschaft des Systems ankämpfen, bevor es langweilig wird? So eine "Rebellion" gegen das System funktioniert ja storytechnisch durchaus ein- oder zweimal.
    Aber ein Setting muss auch nach dem dritten und vierten Mal noch Spielanreize bieten.

    Tharun hat den Vorteil (oder das Problem), dass es im Kern immer eine große Kampagne für aventurische Helden ist, die schon alles gesehen haben. Unter diesem Gesichtspunkt kann man Tharun als gewaltigen (auch jahrelangen) One-Shot betrachten und bespielen. Das funktioniert wunderbar.
    Sobald man sich von diesem Pfad (oder diesem Korsett) entfernt, ist ziemlich viel SL-Arbeit nötig. ;)

    - nicht mehr im Forum aktiv -

  • Nur um es mal beigetragen zu haben, einige meiner veranschlagten Veränderungen in der Überarbeitung, zu der es erst mal nicht kommen wird wären z.B. gewesen:

    - Veränderung der Rolle der Frau im Reich des Tharun hin zu einem zwar klassischen Rollenbild, das aber gleichzeitig problemlos weibliche Heldinnen, Herrscherinnen und vereinzelt auch Guerai und Schwertmeisterinnen zulässt und ihnen ohne großes Aufsehen allen Raum gibt.

    Geschlechterverhältnisse wie man sie in der Welt von Game of Thrones sieht für die zivilisierteren Gebiete und Verhältnisse wie in der der Welt von Hyboria (Conan) für die wilderen Gegenden am Rand des Reiches.

    - Umgestaltung und Interpretation der Welt nach Motiven des Sword & Sorcery Genres.

    Gewaltige Urwälder und Steppen und Wüsten und Gebirge und Gletscher die auf den verschiedenen Inselreichen absolut alle Register prähistorischer und phantastischer Fauna und Flora ziehen.

    Rieseninsekten, Dinosaurier und mehr.

    Farnwälder in denen die frühesten erdgeschichtlichen Zeitalter wieder lebendig werden, die Gehäuse riesiger Ammoniten angeschwemmt an den Stränden und als liebevolle Referenz zu Aventurien ein tharunischer Ursprung der Tatzelwürmer die hier im Dutzend an den Ufern archaischer Flüsse liegen.

    Und gleichzeitig Gesellschaften die je weiter man sich vom Zentrum der Welt und der Inselreiche weg entfernt wilder und barbarischer werden.

    - Relativierung der Absolutheit der Tharun-Herrschaft in dieser Welt.

    Der Tharun beherrscht durch die Macht der gewaltigen Achtgötter die Welt, aber sein Zugriff in den äußeren Inselreichen muss durch ständigen Kampf einigermaßen aufrecht erhalten werden.

    Wie im Vorspann von "Conan the Destroyer" donnern schwarze Krieger auf ihren Pferden durch die Steppe um die Standarte des Tharun in wilde Grenzlande zu tragen wo archaische Reiche, dunkle, teils sogar untote Morguai-Tyrannen, wilde Stämme und Wesen die nie Menschen waren regieren.

    Die Implementierung der Herrschaft und des Gesetzes des Tharuns als sehr gradueller Prozess vom Zentrum nach außen.

    - Neutrale Darstellung und Entschärfung des an sich vom irdischen Buddhismus nicht so unendlich verschiedenen Gesetzes des Tharuns und der tharunischen Götter.

    Als ein Gesetz das mit großer Härte Ordnung und Zivilisation in eine chaotische und barbarische Welt trägt und das bei aller Unfreiheit tatsächlich geistig befreiend sein kann für Menschen, da der Kreislauf der belohnenden und bestrafenden Wiedergeburten und der gleichzeitigen de-facto Unsterblichkeit der Seele in der Welt von Tharun ein real eingelöstes Versprechen ist.

    Gleichzeitig Offenheit der Welt für einen Stand der Reisenden, normale Gasthäuser, bunte, exotische Städte usw.

    Aber auch eine Welt so wild, dass viele froh sind wenn endlich, endlich, endlich mal ein Richter kommt und raubende und vergewaltigende Horden in den Elendsviertel hinrichten und ihre Körper für hunderte Schritt an den Ausfallstraßen ausstellen lässt ...

    - Und damit auch neutrale Darstellung der Neugötter als eher "rechtschaffen neutrale" Gottheiten die eine Ordnung aufrecht erhalten und in die Welt tragen lassen, die sie selbst als verheißungsvolles Ideal betrachten.

    Götter die trotz all ihrer Härte für die Helden definitiv theoretisch anbetungswürdig sind und die finde ich persönlich auch viel zu interessant und "cool" sind um sie nur als Antagonisten zu gebrauchen.

    - Und schließlich noch ein Tharun, das seinen Teil an fremden Rassen und Monstern hat, die vor allem Abseits der menschlichen Zivilisation leben.

    Etwas Cthuluhides hatte ich im Sinn, das in einer Art Unterreich lebt und eher wohlgesonnene Rassen von Affenmenschen.

    Dazu einfach alles was man irgendwann mal braucht an Kreaturen und sich später immer noch ausdenken und irgendwann irgendwo mal erscheinen lassen kann.

    Die Kampagne wollte ich starten mit Helden die bei der Brandschatzung von Mendena in der Invasion der Verdammten in einen Ingerimm Tempel gepfercht werden, der dann von den Schergen Ingolf Notmarkers (eines bei uns recht unbeliebten Söldnerführers Borbarads) in Brand gesetzt wird.

    Im Innern weiß sich dann ein alter zwergischer Geweihter inmitten von Rauch, Hitze und Todeskampf der Männer, Frauen und Kinder nur noch dadurch zu helfen mit Runensteinen der Sonne Glost einen Sphärenriss nach Tharun zu erzeugen ...

    Dort kommen nur die Helden zusammen zu sich unter dem fremdartigen blauen Licht der tharunischen Morgenstunde in einem gewaltigen Urzeit-Wald in dem sie von einem Hang aus eine weite Aussicht über eine Wasser- und Sumpflandschaft wie aus dem Devon-Erdzeitalter haben aus der fremdartigste Laute herauf dringen: https://youtu.be/PFha1cTEYCA .

    Irgendwann hätten die Helden dann mal ein Dorf gefunden in trockenerem Mischwald- und Savannenland (bei mir ist vieles immer Sandbox) und hätten dort ihren Erstkontakt gemacht mit Tharunern auf dem Entwicklungsstand der Jungsteinzeit.

    Dort wäre auch ein Richter anwesend gewesen der von den Helden in natürlich völlig fremder Sprache Unterwerfung unter die Standarte des Tharun - einer Art Totempfahl in der Dorfmitte - und Küsse auf seine Hand oder seine Amtsinsignien verlangt.

    Würde das so klappen, würde danach ein Dorfältester mit langem, weißem Bart vom Richter beauftragt den Helden "das Gesetz zu geben".

    Das heißt er rattert eine halbe Stunde in fremder Sprache von der nur gute Urtulamidya- oder Zelemja-Sprecher 20% verstehen das Gesetz des Tharun herunter.

    Alles exakte mündliche Überlieferung.

    Und wenn das alles klappt, gibt es erst mal kein Problem für die Helden.

    Dass sie Brigantai sein könnten ist nicht tragisch so lange sie sich benehmen.

    Denn der Richter ist wie sich herausstellt einer der Männer eines halb-daimoniden Zauberers der vom Tharun mit einer Armee in dieses Inselreich gesandt wurde um das Gesetz des Tharun wieder aufzurichten.

    Das erste Abenteuer der Helden könnte dann sein für das Gesetz des Tharun einen untoten Morguai-Tyrannen zu bezwingen, der Stämme der weiteren Umgebung vesklavt und sich von Sklaven über Jahrzehnte einen hoch aufragenden Zikkurat-Turm hat erbauen lassen.

    An der Seite tharunischer Waffenbrüder.

    Wenn die Helden sich drauf einlassen ...

    Es wären Zeiten zwischen der Gewalt uralter Natur, dem harten und gleichsam schillerden Leben in barbarischer Wildnis und wimmelden Städten, Zeiten der Tyrannei archaischer Mächte und uralter Magie in denen die rastlosen Armeen des Tharun das harte Gesetz von Arkan'Zin in jeden Winkel der Welt tragen, das die einen fürchten und verabscheuen und zu dem viele Niedergetretene in Hoffnung ihre Hände erheben.

    In jedem Fall "times of high adventure"!

    Das wäre das was ich aus Tharun machen würde, wenn sich meine Spieler nicht für eine andere, ganz von mir kreierte derische Globule entschieden hätten: die "Domänen der Dunkelheit".

    2 Mal editiert, zuletzt von BardDM (24. April 2018 um 11:01)

  • Meiner Meinung nach dürften tharunische Charaktere wohl kaum gegen etwas aufbegehren, was lediglich uns als Spieler stört. Der Wille etwas gegen die Ungerechtigkeit zu tun, kann also nur von aventurischen Helden kommen, die nach Tharun gelangen.

    Plot provoziert die sexistische Provokation leider nur, wenn es Spielerhelden gibt, die sich davon provoziert fühlen. Die Voraussetzungen für eine solche Erfahrung sind deutlich eingeschränkter und bedingen bestimmte Charaktere (wie Aventurier), was das gesamte Setting weiter in ein Korsett presst.

    Wie meinst du denn, dass Feminismus und Gleichberechtigkeitsbestrebungen irdisch angefangen haben? Kamen da irgendwann mal Reisende aus einer fernen Welt, die alles umwarfen? Und die wenigen Herrscherinnen, die es in patriarchalen Gesellschaften gab, von Kleopatra über Isabella und Elisabeth bis Katharina - alles Außerirdische?

    Es ist bereits gesetzt, dass tharunische Frauen existieren, die sich mit ihrer Rolle nicht abfinden. Ganz sicher nicht die Mehrheit und nicht in einem Maß, das von sich aus auf eine bevorstehende Revolution hindeutet, aber sowohl im offenen Widerstand bei den Brigantai als auch heimlich innerhalb des Systems gibt es Möglichkeiten für entsprechende Charaktere - wobei letztere natürlich sehr dazu tendieren können, sich primär um den eigenen Aufstieg zu kümmern und andere Frauen dafür zu opfern, statt tatsächlich etwas in der Gesellschaft zu ändern.

    Und selbst wenn man den Sexismus als Plotkomponente heranzieht: Wie lange trägt diese Hintergrundkomponente? Wird es bei jedem neuen Abenteuer, bei jeder neuen Kampagne erneut thematisiert und bearbeitet? Wie oft kann man in einer jahrelangen Spielrunde gegen eine Eigenschaft des Systems ankämpfen, bevor es langweilig wird? So eine "Rebellion" gegen das System funktioniert ja storytechnisch durchaus ein- oder zweimal.
    Aber ein Setting muss auch nach dem dritten und vierten Mal noch Spielanreize bieten.

    Wie gesagt, es gibt ja die Optionen, das auf verschiedene Arten und Weisen anzugehen: Die offene Rebellion, die heimliche Infiltration, die Arbeit in einer Gruppe, die einen nach außen beschützt ... Je nachdem, wie lange man in einem Setting verbleibt, kann man (oder eher frau) sich eine Position einmal erarbeiten und muss das Thema dann bis zum nächsten Settingwechsel nicht mehr anspielen.

    Aber nur mal so am Rande: Du bist schon der Thorus vom Rakshazarprojekt, oder?

    Jeder Mensch ein Magier!
    Avatar by Tacimur

  • Also ich persönlich sehe zwischen dem klassichen Rollenbild der Sword&Sorcery (das beide Geschlechter und noch viele andere Dinge gerne mal stereotypisiert) und der einfach pragmatisch für Spielerinnen völlig unattraktiven und plotbehindernden Frauenentrechtung im offiziellen Tharun noch mal einen großen Unterschied.

    Für mächtige Zauberinnen und Kriegerinnen ist im offiziellen Tharun wenig Platz.

    Und allgemein halte ich diesen dumpfen dogmatischen Ideologieeintopf mit "Sexismus" und "Feminismus" und Ismus hier und Ismus da, diese ganze Strangulierung ausgewogenen, freien Denkens durch Schubladen der einen oder anderen political correctness - ob sie nun von linksliberaler oder konservativer Seite kommt - schon in der realen Welt für eine Zumutung.

    Für etwas das dazu führt, dass Menschen sich nicht mehr richtig zuhören und die sehr verschiedenen Vorlieben und Lebensentwürfe ihrer Mitmenschen nicht einfach akzeptieren können so lange alle sich an die Gesetze halten.

    Und in bunten Fantasywelten sollte so eine enge ideologische Inquistionsmentalität meiner Meinung nach um so weniger einen Platz haben.

    Das macht die Fantasy kaputt und zu einem weiteren Schlachtfeld für dumme, anmaßende, überspannte, antifreiheitliche und intolerante Social Justice Warriors und Alt-Rigths und andere Eiferer ohne deren Einflüsse wir alle besser dran wären.

    Will ich wirklich mal so ganz deutlich sagen.

    Fantasy-Welten der Schwerter und der Magie, der Helden, Monster, Härten und Abenteuer sind nicht politisch korrekt im Sinne welcher der vielen sozialen Utopien und Dystopien des 21. Jahrhunderts auch immer und können und dürfen das auch garnicht sein in meinen Augen.

    Ein Gedanke daran sollte garkeine Rolle spielen wenn man Fantasy kreiert.

    Ich für meinen Teil gehe einfach von ganz pragmatischen Erwägungen über den Spielspaß durchschnittlicher weiblicher Spielerinnen aus wenn ich die Frauenentrechtung im offiziellen Tharun kritisiere.

    Ohne großes ideologisches Brimborium das mich garnicht interessiert sondern mit dem Spaß und den Möglichkeiten am realen Spieltisch im Auge.

    Und die sind in Rakshazar z.B. fundamental andere.

    Einmal editiert, zuletzt von BardDM (24. April 2018 um 13:06)

  • Wie meinst du denn, dass Feminismus und Gleichberechtigkeitsbestrebungen irdisch angefangen haben?

    Nur dass wir es hier nicht mit einem realen, irdischen Setting zu tun haben, sondern einer künstlichen Fantasiewelt die im späten 20. Jahrhundert entstand und im frühen 21. Jahrhundert neu aufgelegt wurde. Und ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Sexismus als Plot-Device, den es zu überwinden gilt, auch durch Strömungen in der Welt, die evtl. in Wechselwirkung treten. Nur ist Tharun hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt und obwohl es das zarte Pflänzchen der Emanzipation geben mag, so ist es doch in der Hand einer Heldengruppe, hier größere Veränderungen herbeizuführen. Durch diese Änderungen entfernt man sich aber dann vom Kanon.
    Das ist schon ein Problem. Ein Beispiel: Selbst wenn du in deiner Spielrunde den Sexismus abgeschafft und die Frauen "befreit" hast, bekommst du spätestens dann ein Problem, wenn ein Abenteuer (ob offiziell oder inoffiziell) auftaucht, das die Welt "vor der Befreiung" als Status quo voraussetzt. Meiner Meinung nach hätte man diese Setzungen im Rahmen der Neuauflage behutsam anpassen können.
    Es gab ein ähnliches Spiel, das ebenfalls so einen "Rebellen-Plot" beförderte, der dann aber nur einmal reizvoll war: Chroniken der Engel. Ein Spiel, das sich im Grunde nur um einen riesigen Plottwist drehte und danach, als die Zahnpasta aus der Tube war, nie wieder den Resetknopf im Kopf der Spieler zu drücken imstande war.

    Ich erachte es für ganz ganz schwierig nach einer solchen Kampagne wieder auf den Ausgangsstatus zurückzukommen. Berücksichtigt man jedoch die Setzungen der eigenen Kampagne (die womöglich Herrschaft, Götter und Sexismus überwinden konnte), so zerstört man den Kanon.
    Tharun funktioniert, genau wie Engel, grandios als One Hit Wonder. Danach verliert es - für mich - den Reiz.

    Aber nur mal so am Rande: Du bist schon der Thorus vom Rakshazarprojekt, oder?

    Der Textauszug ist einerseits ein Missverständnis und andererseits sogar in dieser missverständlichen Lesart ein fundamentaler Unterschied zu Tharun:

    Der Unterschied zu Tharun ist zunächst, dass sich der Text auf jene rakshazarische Helden konzentriert, die sich an der sexistischen Vorlage der 30er Jahre Literatur eines Robert E. Howard orientieren bzw. an den Conan-Filmen aus den 80er Jahren.
    Diese Gruppe von Personen war und ist vor allem im Lande Kurotan zu finden. Der Text stand ursprünglich in der Einleitung der Einsteigerspielhilfe (der Regionalspielhilfe für Kurotan) und wurde dann aus Bequemlichkeit, Schusseligkeit oder Unwissenheit eins zu eins ins Buch der Helden übernommen.
    Für Kurotan hatten wir diesen Text extra als Triggerwarnung vorweg geschickt, da wir in dieser ganz bestimmten Region das politisch unkorrekte Flair jener Literatur und Filme einfangen wollten, bzw. diese uns als Vorlage dienten (übrigens auch landschaftlich). Die ESH hat übrigens auch zu dem anderen Missverständnis geführt, dass bei uns in Rakshazar nur muskelbepackte Barbaren herumlaufen. ;) Hätte man DSA damals mit einem Aranien-Setting eröffnet, würden die meisten wohl beim Begriff "Das Schwarze Auge" ein 1001-Nacht-Setting vor Augen haben. Ist ungefähr das gleiche Verhältnis.

    Wir haben aber bereits zur Frühzeit des Projekts klipp und klar gesagt, dass ALLE rakshazarischen Helden männlich und weiblich sein können und in Rakshazar grundsätzlich Gleichberechtigung herrscht (mit Ausnahme der Cromor-Brokthar, die ein Matriarchat ausgeprägt haben) und dass es - im Sinne des fantastischen Realismus von DSA - keine physischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Frauen und Männer können jeweils die selben Professionen ergreifen.
    Wir haben auch immer wieder eine DSA-typische 50:50 Geschlechteraufteilung bei den Archetypen vorgenommen bzw. Frauen sogar oftmals bevorzugt dargestellt, als mächtige Auftraggeberinnen, Herrscherinnen, Senatorinnen von Amhas, Gladiatorinnen, Söldnerinnen, Antagonistinnen oder in generischen Heldengruppen.

    Obendrein legten wir immer großen Wert auf starke feministische Akzente:
    Das Cover unserer Spielhilfe "Buch der Klingen" zeigt beispielsweise eine komplett weibliche Heldengruppe. Bis dato war uns kein Rollenspielwerk bekannt, das eine ausschließlich aus weiblichen Personen bestehende Heldengruppe zeigt; so dass wir hier womöglich sogar eine historische Duftmarke gesetzt haben. Und gegenwärtig erarbeiten wir ein Solo-Abenteuer, in dem ausschließlich nicht-männliche, nicht-weiße Charaktere auftauchen (und das auch gut begründet ist. Glaubwürdigkeit darf bei solchen Experimenten niemals auf der Strecke bleiben.)

    Richtig ist hingegen, dass im Genre des Sword & Sorcery die üblichen Tropes wie "Frauen als Opfer", "Frauen als femme fatale", "Frauen als Hintergrunddeko" oder "Frauen als Belohnung" auftauchen. Daher tauchen diese Tropes auch vereinzelt in Rakshazar auf (insbesondere in Kurotan) und DAFÜR gab es die Triggerwarnung. Diese Tropes sind aber nur Randerscheinungen und nicht settingdefinierend: Die rakshazarischen Gesellschaften stehen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau wie die Nachbarn aus Aventurien.

    In Rakshazar sind keine "SC-Reservate" nötig, die man Spielerinnen zuweist und ihnen sagt: "Öh, das und das und das geht leider nicht, aber hier, guck mal: Du kannst eine Brigantai sein. Oder die Magd von jemand wichtigen."

    Als Faustregel für Rakshazar gilt: Soziale Anerkennung erlangt die Person, die Erfolg hat! Ob sie männlich, weiblich, verschlagen, ehrenhaft, diebisch, mutig, verlogen, schwul, lesbisch, hetero, schwarz oder weiß ist, ist den Einwohnern Rakshazars schnurzegal; auf das Ergebnis kommt es an.


    Damit ist Rakshazar zwar ein eiskaltes, neoliberales Ego-Setting (und soll es auch sein) - aber sexistisch (Ausnahme Cromor) oder gar rassistisch (Ausnahme Amhas) ist es definitiv nicht. ;)


    - nicht mehr im Forum aktiv -

    Einmal editiert, zuletzt von Thorus84 (24. April 2018 um 15:13)

  • Was das Design Tharuns angeht, hat das Geschlechterverhältnis in der Tat eine große Rolle in der Diskussion gespielt. Ausgehend von der ursprünglichen Vorlage durch Ulrich Kiesow und Hadmar von Wieser wollten wir einerseits möglichst viele der Setzungen erhalten und andererseits auch eine möglichst erwachsene Modernisierung des Settings vornehmen. Das weitgehend geschlechtsneutrale Herrschaftsdesign in Aventurien betrachten wir als eines der gößten Verdienste von DSA. Dass in den Veröffentlichungen und an den Spieltischen aber eine Spannung
    zwischen den gesellschaftlich verinnerlichten Sexismen und der Design-DNA des Spiels entsteht, ist ein Problem, das auch oft zutage tritt. Wenn ein SL ohne großes Bewusstsein für sexistische Standards ein Abenteuer improvisiert und Gardisten aus dem Ärmel schüttelt, sind das meistens Männer. Der lokale Herrscher eines Dorfes ist meistens ein Mann, der Anführer eines Heerhaufens, der Wirt in der Taverne, meistens erstmal Männer. Die Schankmaid ist dann aber eben meistens eine Frau usw. Es sei denn, man ist sich dessen bewusst und gewöhnt sich daran, diese Automatismen bewusst zu überschreiben.


    Tharun hatte da einen anderen Ansatz im Original. Hadmar hat den neulich auch ausführlich erklärt. Die gesellschaftlichen Strukturen in Tharun sind – wenngleich gar nicht so weit weg von irdisch-historischen Relaitäten zu früheren Zeiten an vielen Orten – so extrem, dass sie eben nicht nur bei Besucher_innen (aus Aventurien, Myranor bzw. der Erde) widerständische Reflexe erzeugen, sondern auch bei den in diesen Gesellschaften aufgewachsenen und verstrickten Individuen. Die Strategien, sich darin zu bewegen und vielleicht sogar zu befreien, sind sehr unterschiedlich und mitnichten immer kollektive. In einer totalitären Gesellschaft entwickeln die Menschen zunächst einmal individuelle, egoistische Strategien, um ihre Situation zu verbessern.

    Wir bevorzugen einen bewussten Umgang mit gesellschaftlichen Zwängen – auch im Spiel. Dass auch weibliche Charaktere in Tharun viele Optionen haben und auch Spielerinnen darin hoffentlich ihren Spaß finden können, war ein wichtiges Ziel in unserem Welt- und Spieldesign. Dass das kein Lippenbekenntnis ist, lässt sich an zahlreichen Stellen in den Werken belegen. In 'Welt der Schwertmeister' haben wir eine Erklärung vorangestellt, der auf diese Thematik eingeht. Das Kapitel zum Spiel in Tharun in 'Wege nach Tharun' enthält viele Hinweise dazu, wie Frauenfiguren, NSCs wie SCs in Tharun eingefügt werden können und ich denke 'Schwerter und Giganten', der Abenteuerband, bietet viele Beispiele dafür, wie das in der Praxis aussehen kann.

    Ich will zur Lektüre der Bücher ermuntern. Nach dem, was oben diskutiert wurde, denke ich, dass sich in den Texten viele Antworten auf die aufgeworfenen Fragen und scheinbaren Probleme finden, denn ich denke, dass all das tatsächlich berücksichtigt wurde – nicht nur, was das Geschlechterverhältnis angeht.

  • Ich habe jetzt zugegebenermaßen nur die Schwertmeisterbox II gelesen (und nur einen Blick in "Wege nach Tharun" geworfen), und auch wenn ich sage, dass die Welt in ihrer Fremdartigkeit durchaus einen gewissen Charme hat (ich fand sie zB rein vom Stil und Flair her gelungener als das extrem chaotische Myranor mit den drei Dutzend Tiermenschenrassen und Neristu, die eher in ein SciFi-Setting passen), muss ich trotzdem sagen, dass die Stasis des Systems dessen Verwendbarkeit arg behindert.

    Im Grunde kam mir Tharun vor wie "West World" - alles ist statisch (bzw irrelevant) bis zu dem Moment, in dem die Helden sie betreten. Zunächst mal fehlte damals so etwas wie eine niedergeschriebene Geschichte (ausgerechnet! Selbst im DSA von 1984 gab es für Aventurien schon eine knapp 2000 Jahre zurückreichende Historie zwischen Dalida Horas und Kaiser Hal), was solche Fragen wie "woher kommt das System? Wie hat es sich entwickelt? etc." ausspart. Die Details, die mir geläufig sind, besagen, dass die Neugötter sich Tharun als Refugium ausgesucht und Glost zerstört haben - das ist nicht gerade viel an Background. Dasselbe gilt für geografisch-kulturelle Details, wo außer Hamur nicht wirklich etwas beschrieben wird.

    Wenn Tharun in der Uhrwerk-Box so "weitergesponnen" worden ist, dass sie tatsächlich auch weiterhin so statisch und geschichtslos ist; dass sie praktisch immer noch auf die Revolutionäre von außerhalb wartet, wäre das schon problematisch. Zumal ich nicht sehe, warum die Setzung für Hamur (keine Gasthäuser, keine Reisen) so umfassend sein müssen, dass sie für jede Insel in jedem Reich auf jedem Archipel gelten müssen. Wer sagt, dass unter einem der 50-100 nicht beschriebenen Archipele nicht auch eins ist, wo die zentrale Autorität so schwach ist, dass sich dort eine Piratengesellschaft etabliert hat, die einen Deal mit einem Giganten eingegangen ist, der irgendwelche Expeditionsflotten zuverlässig versenkt? Spielraum wäre hier gewesen, um Abstand zum Status Quo zuzulassen.

    Zitat von Rattazustra

    Den ausgeprägten Sexismus hingegen sehe ich definitiv als ein großes Problem an. Das ist in dieser Form absolut nicht zeitgemäß und eine fiktive Welt kann sich da auch nicht damit rausreden das sie ist wie sie ist, weil sie eben nicht so ist wie sie ist. Sie ist wie der Autor sie geschrieben hat und zwar genau so. Wenn der Autor eine sexistische Welt erschafft, dann ist das ausgesprochen sexistisch von ihm. Außer eben dieser Sexismus ist spezifisch relevant für die Geschichten, zentral für die gewünschte Dramaturgie und durch vollwertige Optionen spielerseitig ausbalanciert.

    Da vertrete ich so ziemlich komplett eine entgegengesetzte Meinung.

    1. Empfinde ich persönlich diese "Historizität à la carte", wo man sich aus vergangenen Zeiten nur die Sachen rausgreift, die einem in den Kram passen, und unbequemere Details nicht nur ausblendet, sondern gar in ihr Gegenteil verkehrt, ziemlich daneben. Und das trifft auch auf die Geschlechterfrage zu - da finde ich Ein Lied von Feuer und Eis, wo Charaktere wie Arya, Danaerys oder Brienne von Tarth besondere Persönlichkeiten sind, deutlich kongruenter.

    Dass man sich das bei DSA explizit gespart hat, macht zwar aus pragmatischen Gründen Sinn (direkt mal die Hälfte der potenziellen Spieler von Anfang an zu vergraulen ist keine ökonomisch sinnvolle Entscheidung), aber das bedeutet nicht, dass es besonders passend ist ("wir nehmen ganz Europa, Nahost, Indios, Afrika, irgendwas asiatisches; dann nehmen wir auch Sklaverei, Religionskriege, Massenmord, Theokratien, Fundamentalisten, plündernde Barbaren, die Inquisition, Ständegesellschaften, Piraten, Söldner... aber klassische Geschlechterrollen sparen wir aus, das wäre zu heikel").

    2. Der Grund "nicht zeitgemäß" ist nicht wirklich tragfähig - wenn du damit anfängst, müsstest du DSA gleich an den Nagel hängen, weil es dort keine Demokratie, keinen Liberalismus, keinen Atheismus und auch keine Religionsfreiheit gibt. Was nebenbei gesagt von den Autoren auch ganz klar so gedacht war, mit Verweis darauf, dass die modernen Empfindsamkeiten in Aventurien nunmal fehl am Platz sind und es in der Tat so etwas wie eine von (manchen) Göttern gewollte Ordnung gibt. Fantasy-Geschichten, die sich komplett den Empfindlichkeiten der Zeit unterwerfen, in der sie geschrieben wurden, tendieren dazu, qualitativ eher minderwertig zu sein.

    3. Wurde Tharun damals (also 1988) ganz absichtlich als fundamentaler Gegenentwurf zu Aventurien erschaffen, wo Frauen (von einzelnen Kulturen abgesehen) gleichberechtigt sind. Und hier den Autoren zu unterstellen, sie wären Frauenfeinde, weil sie eine (ausdrücklich als zu überwindendes Feindbild konzipierte!) Gesellschaft kreiert haben, in der Frauen Menschen zweiter Klasse sind, ist einfach nur daneben. Was kommt als nächstes? Die DSA-Redaktion besteht aus Rassisten, weil in Al'Anfa (ebenfalls eine Feindbild-Gesellschaft) dunkelhäutige Sklaven gehalten werden?

    Und der Uhrwerk-Verlag konnte letztlich auch nur mit dem arbeiten, was er hatte, und das war nun mal dieses Tharun, wie es 25 Jahre zuvor beschrieben worden war... und zwar ein Setting, in dem Einheimische (gleich welchen Geschlechts) als Spielercharaktere eher nicht vorgesehen waren.

    Zitat von rattazustra

    Auch stehen uns heute bessere Techniken zur Verfügung und so entpuppt sich dann auf einmal das Skelett aus einem der bekanntesten Kriegergräber der Wikingerzeit als das einer Frau und keineswegs als das eines Mannes.

    Ja, wegen dieser Sache... https://mashable.com/2017/09/12/fem…ue#hHhzc8d4emqU

    Zitat von rattazustra

    Historischer Realismus ist oft ein sehr dünnes Eis und die meisten die sich auf ihn berufen sind wahlweise Narren, oder Lügner. Narren, wenn sie glauben das es so etwas in der Form wie sie es glauben tatsächlich gäbe und Lügner, wenn sie solche Konzepte und Phrasen nur benutzen um ein mehr oder minder autokratisches Phantasiekonstrukt auf die Geschichte anzuwenden, um damit Macht und Strukturen in der Gegenwart zu legitimieren.

    Ich habe da so das dumpfe Gefühl, dass hier jemand ganz gewaltig am projizieren ist...

    Zitat von Thorus84

    Meiner Meinung nach hätte man diese Setzungen im Rahmen der Neuauflage behutsam anpassen können.

    Naja, leider ist die Welt halt extrem statisch, siehe oben. Man hätte allerdings kulturelle Unterschiede einbauen können, die den entsprechenden Spielraum eröffnen. Wie sähe zB ein Archipel aus, auf dem im Grunde die Brigantai das sagen haben? Wie eine Insel, auf der der Insellord mehr dem Kommandanten einer Strafkolonie gleicht, der so etwas wie die Zentralautorität aufrechtzuerhalten versucht, während die eigentliche Macht bei einem Morguai liegt? Was ist mit einer Subkultur, wo Nanurta eine wesentlich höhere Stellung genießt? Und so weiter.

    Das Bild, das von Der SM-Box gezeichnet wurde, erweckt irgendwie den Eindruck, dass die die ganzen Archipele von Kleinigkeiten abgesehen im Grunde alle relativ austauschbar sind, und das kann es ja auch nicht sein.