In diesem Jahr ist es vielleicht so weit, dass ich (nach einem ersten kurzen Ausflug vor 5 Jahren) zum ersten mal Spieler für eine Sandbox-Kampagne mit völlig offenem Ende nach Tharun entführe.
Das bringt mich dazu die Eindrücke die ich bei der neuen Beschäftigung mit dem Setting gewonnen habe und die Herangehensweise mit der ich mit dem Setting umgehen möchte hier mal zu teilen.
Erst einmal muss ich sagen, dass ich viele Grundelemente von Tharun schon seit einer Zeit gut finde als an die relativ neuen DSA 4.1 Publikationen noch garnicht zu denken war und ich zum ersten Mal hoch interessiert durch PDFs der originalen Schwertmeister-Box blättern konnte.
Diese Mischung aus aventurischen Elementen, asiatischen Elementen und Sword & Sorcery hatte es mir sofort angetan.
Genau wie der harte und herausfordernde Stil und Ton des Settings, der grimmige Götterhimmel, die völlig fremdartige tharunische Sonne und der Aufbau der Welt aus wilden, kaum beschriebenen Inselreichen die aller Phantasie ihren Platz boten herum um den Sitz des Tharuns, eines mystischen Herrschers über eine ganze Welt.
Da war in mir der Wunsch geboren das mal zu spielen und entsprechend begeistert habe ich Jahre später beim Erscheinen des Bandes "Die Welt der Schwertmeister" zugegriffen.
Und da will ich trotz der kritischen Punkte die ich gleich auch habe allen die das möglich gemacht und daran mitgearbeitet haben ein großes Dankeschön sagen als Spieler.
Das ist das was DSA in meinen Augen braucht: mehr Kampagnen-Settings als nur Aventurien, ein Stück mehr "Multiversum" und Leute die das möglich machen.
Beim weiteren Lesen und Durchstöbern der neuen Bände musste ich aber feststellen, dass viele ihrer Setzungen nicht wirklich geeignet waren für meinen Spielstil.
Dieses Tharun ist mehr oder weniger so geschrieben, dass es perfekt ist für einen einzigen Plot: für den Plot einer totalen Konfrontation der Spieler mit dieser Welt, für den Ruf zur Revolution gegen die tharunische Ordnung ob im Ausbruch eines Dorfes oder zweier Liebender aus der Gesellschaft oder im Kampf gegen ganze Reiche und Kulte bis hin zum Thron des Tharun selbst.
Für einen Kampf gegen alles dort, bis hin zu den Göttern: die Kampagnenwelt - dein Feind.
Wenn man so einen Plot aber nicht spielen will, wird es schwer.
Eine Gesellschaft so extrem geordnet wie ein buddhistisches Kloster.
Es geht dabei nicht um das System selbst aus Schwertmeistern, Inselherren, Richtern, Guerai, Azarai, Brigantai, Morguai - das finde ich alles großartig!
Es geht um die sehr abenteuerunfreundliche Absolutheit und Radikalität mit der viele Eigenheiten tharunischer Kultur auf die Spitze getrieben werden.
Gasthäuser? Gibt es nicht.
Reisen durch die Welt? Gibt es nicht.
"Normale" individuelle Lebensführung oder gar Abenteurerleben? Wird nicht mal als Konzept verstanden.
Man hat eine Welt und Gesellschaften in dieser Welt die den Helden kaum konstruktiven Zugang bieten.
Die fast sämtliche normale Plots für Stadtabenteuer und Gesellschaftsabenteuer unmöglich machen, die obendrein weibliche Spieler mit der weitgehenden Entrechtung ihres Geschlechts konfrontieren und die einem Abenteurerleben jenseits von Brigantai-Guerilliakrieg quasi keine Spielräume bieten.
Auch Abenteuer mit "politischer" Dimension können wenig Tiefe gewinnen in einer Welt wo nicht wirklich grundverschiedene Fraktionen da sind (wie Zwölfgöttergläubiges Mittelreich vs. Borbaradianer vs. Pardona vs. Al'Anfa) die durch Intrige oder Krieg aufeinandertreffen könnten.
Und zu den Bereichen die mir am allerwichtigsten sind gab es am wenigsten Material und Anregungen: exotische und gefährliche Wildnis, exotische und gefährliche Fauna und Monstrositäten, ein differenziertes Bild uralter Geheimnisse, dunkle Mächte und sinistre Akteure, Wege in die schrecklichen Ruinen untergegangener Zivilisation, Gewölbe in die Tiefe der Erde, Kreaturen die die Helden bekämpfen können, bedrohliche, fremde Rassen ...
All das was ich als Abenteueransätze und Plotbausteine für klassisches Abenteuerspiel sehe, diese Dinge die in Welten wie Aventurien (DSA) oder Faerun ((A)D&D) in so großem und üppigem Reichtum vorhanden sind aus dem sich jeder seins aussuchen kann, mit denen sieht es in den Tharun-Bänden verhältnismäßig dünn aus - sehr dünn.
Und ich habe gemerkt, das ist so nicht wirklich das Tharun, das ich spielen will.
Denn ich suche keine Welt als Gegner meiner Spieler und möchte keinen Plot spielen Freiheitskämpfer vs. klösterlich geordnete Mehrheitsgesellschaft.
Ich suche eine Welt voller exotischer, harter Herausforderungen, Freiheiten und Wunder, düsterer Geheimnisse und abenteuerlicher Perspektiven abseits festgefügten aventurischen Metaplots für meine Helden.
Ich wünsche mir für meine Spieler einen konstruktiven Erstkontakt mit einer ganz fremden Kultur.
Ich möchte sie unter den Farben der tharunischen Sonne durch gigantische, fremdartige Natur nach dem Vorbild längst vergangener erdgeschichtlicher Epochen führen, vielleicht an der Seite tharunischer Waffenbrüder.
Ich möchte Kreaturen vorzeitlicher als Dinosaurier die in der Sonne liegen und Tatzelwürmer die an den Ufern wilder Flüsse kämpfen.
Ich möchte dass die Helden eintauchen können in das Wimmeln exotischer Städte, ich möchte dass sie in dunklen Tunneln Eingänge in Reiche cthuluider Wesenheiten entdecken können, ich möchte dass sie ernsthaft darüber nachdenken zu Arkan'Zin oder Shin-Xirit zu beten und das mögliche weibliche Mitspieler dabei genauso viel Spaß haben ...
Kurz: ich werde mit viel Sword & Sorcery und mit Inspirationen aus Rakshazar und mehreren AD&D-Kampagnenwelten meine eigene Interpretation von Tharun kreieren für meine Kampagne in der die Tharun-Bände vom Uhrwerk-Verlag nur den halben Hintergrund und den Rahmen liefern.
Ich nenne es vielleicht "Tharun - Welt der Abenteuer" oder "Tharun - High Adventure" und es wird ein grimmiger, faszierender und reichhaltiger Abenteuerspielplatz für aventurische Helden die noch Helden sein wollen.
Mein Punkt dabei an die Autoren der offiziellen Tharun-Bände ist aber folgender:
Bei allem tiefen und großen Respekt vor eurer tollen, kreativen Arbeit, muss ich sagen dass euer Setting in meinen Augen zu sehr einer Plotrichtung und einem Spielstil auf den Leib geschneidert ist.
Ich habe das selbst als Meister auch schon gemacht und etwa ein Steam-Magotechnik-Setting entworfen das wunderbar für Polizei-, Geheimdienst-, Politik-, Mafia- und Kriegsabenteuer funktioniert, aber für wenig anderes.
Aber so ein kommerziell veröffentlichtes Setting dem tut in meinen Augen eine große Reichhaltigkeit gut, als großer und heterogener Steinbruch der Subsettings, Möglichkeiten und Ideen in dem sich verschiedene Spielerinteressen wiederfinden.
Da sollte es darum gehen was Gruppen und Charaktere verschiedener Spielstile tun können, was sich ihnen an reichhaltigen Möglichkeiten bietet und weniger darum was sie alles nicht tun können bis hin zu dem Punkt: "Gasthäuser, Abenteurer, Aufträge, fast alle herkömmlichen Plots und Plotelemente? So etwas existiert hier nicht! Ihr werdet mit niemandem normal kommunizieren können ohne wegen unerlaubten Umherreisens Zirraku geopfert zu werden!"
Ich weiß, es gibt viele Spieler denen es sicherlich genauso gefällt wie es ist, aber es gibt sicher auch viele Leute die durch die Bücher blättern und ähnliches denken wie ich.
Wenn Ulisses Tharun mal neu auflegt - was ich hoffe! - denkt an mehr Möglichkeiten für mehr Spielertypen.
Denkt an die die aus Aventurien kommen um exotische Städte und Wildnislande zu besuchen, um sich Ruhm und Ehre und Reichtum oder gar einen kleinen Stadtstaat zu erkämpfen und sie in einer einigermaßen normalen Gesellschaft genießen zu können, um Monstern und bösartigen, fremden Wesen zu begegnen, um Rakshasa und Tatzelwurm ringen zu sehen, um zu tharunischen Göttern zu konvertieren und um auf Riesenkäfern, Skorpionen und Dinosauriern zu reiten (auch als Frau).
Denn so eine Tharun-Globule wäre die perfekte Ergänzung, das perfekte minimal-metaplotverbundene zeitlose Abenteuer-Refugium neben dem kleinteilig simulierten Aventurien.