• Es herrschte eine fast gespenstische Stille in dieser Nacht im Dschungel Maraskans. Naja, so still wie es auf Maraskan nun mal sein kann. Denn die Insel ist niemals still. Der Dschungel spricht immer. An allen Ecken und Enden konnte man Geräusche hören, die dem normalen Mittelreicher die Nackenhaare aufgerichtet hätten. Man hörte Äste knacken, Blätter rascheln, Tiere durch das Unterholz oder die Baumwipfel huschen, das Zirpen von Insekten oder ähnlichen Wesen. Aber für maraskanische Verhältnisse war es wirklich totenstill.

    Die drei Frauen in der kleinen Hütte am Fuße eines Mammutbaumes interessierte das aber nicht, selbst wenn sie unter anderen Umständen hellhörig geworden wären. Sie waren mit etwas anderem beschäftigt.

    Ein gellender Schrei drang aus der Hütte und endete schließlich in einem leisen Wimmern, das nur von schweren Atemzügen unterbrochen wurde.

    Ein unvoreingenommener Beobachter hätte vermuten können, dass hier gerade ein Leben beendet würde. Aber abgesehen davon, dass kein Beobachter jemals ungeschoren an den drei vor der Tür wachenden Marasken vorbei gekommen wäre, hätte er damit auch völlig falsch gelegen. Hier endete kein Leben. Hier entstand ein neues!

    „Es tut so weh!“ Die Stimme der jungen Frau klang matt. „Wie lange dauert es denn noch?“

    Sie saß auf einem tulamidischen Gebährstuhl. Die langen roten Haare klebten an ihrem schweißnassen Körper. Der weit vorgewölbte Bauch ließ auf eine baldige Niederkunft schließen.

    „Bald, Shadischa, bald.“ Auch die alte Frau musste früher einmal leuchtend rote Haare gehabt haben, wenn auch jetzt das Weiß überwog. „Nur ein wenig Zeit noch, dann wirst du dein Töchterchen in den Armen halten.“

    Sie unterbrach sich, als eine neue Wehe die Schwangere erschütterte. Ihre Worte sollten nicht nur sie, sondern auch die dritte Frau in der Hütte beruhigen, eine schlanke Tulamidin. Sie kniete neben dem Stuhl und hielt die Hand der anderen fest umklammert. Hin und wieder wischte sie ihr mit einem feuchten Tuch die Schweißperlen von der Stirn. Sie schien fast mehr zu leiden, wie die Gebärende.

    Flehend sah sie die alte Frau an.

    „Können wir den gar nichts tun? Eine Betäubung…“

    „Nein, Jushibi! Willst du ihr etwa diese Momente stehlen?“

    „Aber sie leidet.“

    „Es sind die schönsten Leiden ihres Lebens. Neunmal habe ich so gelitten und ich möchte nicht eines davon missen. Genieße es sie dabei zu unterstützen, Schwester. Ihr werdet euch nie näher sein.“

    Wieder wurde sie von dem Schrei Shadischas unterbrochen.

    „Lass es raus, Schwester, lass es raus.“

    Sie wandte sich wieder an die Tulamidin.

    „Sie gebärt in der Levthansnacht.“ Selbst in dieser Situation stahl sich ein wenig Sehnsucht in ihre Stimme, als sie den Namen des Widdergehörnten aussprach. „Das ist ein gutes Omen.“

    An der Tür entstand ein wenig Unruhe, als eine der Marasken versuchte in die Hütte zu gelangen. Ihr Giftstachel stand steil in die Höhe.

    „Caya.“ Die alte Frau seufzte. „Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Warte draußen. Das ist Menschensache.“

    „Nein, Schwester!“ So schwach die Stimme auch klang, so entschlossen war sie auch. Shadischa versuchte sich mühsam etwas aufzurichten. „Caya gehört zu mir! Auch sie unterstützt mich.“

    Prüfend blickte die Alte sie an. „Na gut. Wenn du es so willst.“

    Sie drehte sich wieder der Spinne zu. „Nimm ihre andere Hand, Caya.“

    Langsam bewegte sich das Tier in der kleinen Hütte an die Seite der Schwangeren und nahm vorsichtig die freie Hand in ihre Mundwerkzeuge. Hätte sie richtig zugepackt, hätte sie die Hand ohne Probleme gebrochen, aber sie verhielt sich fast noch zärtlicher, als die Tulamidin auf der anderen Seite.

    Kurz untersuchte die alte Frau die Schwangere und ein leichtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Es ist so weit, Schwester. Beim nächsten Mal musst du pressen … Ja … Jetzt!“

    Der Schrei, der jetzt aus der Hütte gellte, war dreistimmig. Nicht nur die Gebärende kreischte sich ihre Lunge aus dem Leib. Sie wurde stimmgewaltig nach besten Kräften von den beiden anderen unterstützt.

    In diesem Moment geschah etwas Seltsames. Es war, als ob der Dschungel seinen Atem anhielt. Die allgegenwärtigen Geräusche der Tiere waren verschwunden. Selbst die Bäume schienen sich gegen den Wind zu stemmen und weigerten sich mit ihren Blättern auch nur einen Ton von sich zu geben. Eine solche Stille hatte Maraskan wohl nicht mehr erlebt, seit Los die Erdriesin Sumu erschlagen hatte.

    Die Stille wurde erst durchbrochen von einem weiteren Schrei. Aber dieser Schrei hatte mit den vorherigen nicht das Geringste gemeinsam. Es war der Protestschrei eines Lebewesens, das zwangsweise den sicheren Bauch der Mutter verlassen musste. Es war der Willkommensruf eines Babys. Es war die Herausforderung eines Menschen an die Welt, mit der er sagte: Hier bin ich! Jetzt hast du mich am Hals!

    Und die Welt antwortete! Die Kakophonie von Geräuschen, die nun hereinbrach stellte alles Bekannte in den Schatten. Jedes Lebewesen, das in den Augenblicken vorher keinen Ton von sich gegeben hatte, schrie jetzt auch dem Baby seinen Gruß entgegen, so laut, dass die arachnoiden Wächter vor der Hütte unruhig wurden und nervös mit ihren Mundzangen klackten.

    In der Hütte streichelte Jushibi zärtlich das Gesicht ihrer Gefährtin und weinte vor Glück.

    „Du hast es geschafft, Shadi. Du hast es geschafft“, war alles, was sie stammeln konnte.

    Auch Shadischa befand sich im Himmel der Seeligen. Aber nur so lange, bis sie in das Gesicht der alten Frau blickte. Deren Augen waren ernst.

    Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. „Ist sie gesund? Es ist doch alles in Ordnung?“

    Die alte Frau zögerte. „Gesund? … Ja … In Ordnung? …“

    Dann sprach sie die Worte, die für die junge Hexe eine Welt zusammenbrechen ließen: „Es ist ein Junge!“

    Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, und nicht für das, was ihr versteht.

  • :) Ah, deshalb kam sie mir bekannt vor:

    EIN PAAR JÄHRCHEN FRÜHER…

    Hm, eigentlich… :/ Weil ich nicht rumsuchen oder vergleichen will: Was hat sich da denn geändert?

  • Du hast recht!

    Ich habe total vergessen, dass ich diese Geschichte schon einmal gepostet habe. Das ist ja auch schon fast sechs Jahre her.

    Den alten Beitrag habe ich jetzt gelöscht.

    Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, und nicht für das, was ihr versteht.