Wie menschlich darf ein Antagonist sein?

  • Überschrift sagt alles, und auf die schnelle hab ich nix passendes Gefunden.

    Ich werde in nächster Zeit das Finale meiner Spieler gegen den Antagonisten des Abenteuers einleiten. Und aktuell zaudere ich noch mit mir, wie "süß" oder "bitter" das sein darf oder muss. Ich selbst bin kein Freund davon, dass die Bösen einfach nur Böse sind und keiner Gnade würdig wären.

    In diesem speziellen Fall ist der Antagonist sogar (tagsüber) ein sehr sympatischer Typ, der nur darauf bedacht ist, anderen Leuten zu helfen (er leitet so etwas wie ein Sanatorium), nur nachts greift die dämonische Pranke um sich. Hier und da hab ich schon angedeutet, dass man da nicht einfach nen Typen platt macht, sondern eine beliebten Arbeitgeber, Familienvater (von 3 Kindern, die ihren Papa natürlich lieben!) und Ehemann.

    Nun stelle ich mir selbst die Frage: Will ich den Spielern das nochmal so richtig mit der emotionalen Keule unter die Nase reiben? Normalerweise passiert das nicht (auch, weil ich eher selten meistere), und das könnte einige vllt durchaus hart treffen. Ich will nur nicht den ganzen Spielspaß verderben. Daher hier die Frage:

    Hat jmd Erfahrungen in einem ähnlichen Setting bereits gemacht? Wie reagieren Spieler auf so etwas? Zur Niedergeschlagenheit fürchte ich zusätzlich noch Verneinung, also das Abstreiten jeder Menschlichkeit des Antagonisten. Argumente sind ja nicht immer nützlich ^^

  • Du wirst bestimmt überrascht werden von deinen Spielern - meine gehen oft mit überraschender Gnade oder Ideenreichtum vor wenn sie auf sowas stoßen und ich persönlich finde nichts langweiliger als ein Opponent, der böse ist, nur damit es einen Bösen gibt. Böse machen nichts böses dem Bösen willen, ihr weg ist nur ein für sie selbst als korrekt gerechtfertigtes Mittel zum Erreichen der eigenen Ziele.

    Dreh den Spieß mal um: Der Gute leitet nur sein Sanatorium zum Wohle der Menschen und dann kommen umherziehende Brandschatzer her (deine Helden), die ihm an die Kehle wollen? Wie kurzsichtig muss man sein, das mal eben entscheiden zu können, mit was sich der Gute schon lange auseinandersetzt?

    Lass deinen Helden den Mann so wie er ist. Ich finde das super =)

    *IIRC oder IMO je nach Kontext; ich beziehe mich da auf pers./subj. Erfahrung
    "The fatal flaw in every plan is the assumption that you know more than your enemy."

  • Worauf du nur aufpassen solltest: Mit dem 'Unter-die-Nase-reiben" nicht erst zu beginnen, wenn die Spieler gerade dabei sind den Antagonisten zu köpfen. Denn dann könnten sie sich vom SL gedrängelt fühlen den Typen den sie gerade in die Niederhöllen schicken wollten, doch am Leben zu lassen...es war dann quasi nicht ihre Entscheidung.

    Sanatorium...klingt nach Mishkhara oder evtl. Tijakool.


  • Wenn die Spieler aus dem Teenageralter raus sind, kannst du denen das eigentlich zumuten.


    Naja - damit hat das nicht unbedingt zu tun. ^^

    Ich glaube, es kommt auch darauf an, wie die Personen medial sozialisiert wurden. Braucht es für sie bei Filmen ein Hollywood-Happyend oder darfs auch mal ein düsterer Alptraum am Ende sein? Es kommt glaube ich darauf an, was sich die Leute in Bezug darauf vom Spiel erwarten. Aber allgemein würde ich auch sagen, dass sich fast jede Gruppe, die ich kenne, sich nach solchen Momenten die Finger lecken würde...

    Wichtig ist bei sowas eben immer, dass man die SpielerInnen nicht gängelt,- was nicht heißt, dass die Spieler auch mal herausfinden können, dass der Badguy gut war, nachdem sie ihn geköpft haben^^

  • Hatte ich vergessen, die Spieler sind alle zwischen 23 und 35, sind also schon "groß" :D

    Böse machen nichts böses dem Bösen willen, ihr weg ist nur ein für sie selbst als korrekt gerechtfertigtes Mittel zum Erreichen der eigenen Ziele.


    Naja, in Aventurien ist schon schon so, deine Sicht der Dinge ist vllt etwas weltlich geprägt. Dämonenpaktierer sind per Definition zu vernichten. Blöd nur, wenn der n netter Typ ist und man nachher den Kindern (5, 7 und 9 Jahre) erklären muss, wieso man ihren Vater getötet hat, während die sich die Augen aus dem Kopf weinen. Aber das Leben ist kein Ponyhof!

    Alptraum am Ende... Hmm... deswegen mach ich den Post hier. Das setting spielt neben der 7G Story, und da verlieren die Jungs und Mädels schon genug. Aber anders, wie ich finde. Da schafft man den großen Wurf nicht, da entwischt der Böse immer knapp (sind aktuell bei Bastrabuns Ban). Hier bekommt man den Übeltäter zu fassen (normal). Der wert sich gut (normal). Und dann muss man hinterher aufwischen (und hier will ich Druck machen). Ich hab nur Angst, dass dieser Teil es den Helden madig macht. Oder, zu madig.

  • Ich finde es gut, wenn von einem Antagonisten mehr im Gedächtnis bleibt als „Alrik Alrikson, Paktierer, erschlagen am 15. Boron durch den Krieger Rondrian“, oder so. ^^

    Allerdings fände ich es in so einer Situation schade, wenn ich nicht zumindest die Chance gehabt hätte, so einen Hintergrund vorher herauszukriegen, und vielleicht das Ende etwas abzumildern. Das heißt nicht, daß es ein Happy End geben muß (wenn der Kerl z.B. ein Paktierer ist und nichts bereut), aber vielleicht kann man zumindest etwas tun (z.B. sich darum kümmern, daß die Kinder versorgt sind). Daß das immer noch bitter ist, ist klar. Was du m.E. vermeiden solltest, ist, daß sich die Spieler so fühlen, als könnten sie nichts ändern – es muß aber nicht möglich sein, alles zu ändern. :zwinker:

    „Ich habe ja durchaus Verständnis dafür, daß die Beschwörung eines Humus-Elementars nicht ganz so funktioniert, wie man sich das vorstellt. Aber wie, bei allen Zwölfen, kann man versehentlich einen Elefanten beschwören?“ (aus dem DSA4 Forum)

  • Worauf du dich einstellen solltest, ist, dass die Helden dann durchaus vom "pöser Pupe...fort mit ihm!", zum "Oh, der Arme, dem muss man helfen!" umschwenken und da solltest du dir überlegen: Kann ihnen das gelingen? Wie kann ihnen das gelingen? Soll es wirklich in dem "Töten oder es passieren schlimme Dinge" hinaus laufen?

    Diesen trope des sympathischen Bösen nutze ich ungefähr genau so häufig, wie den des bösen Bösen (boah, wie mir diese Weichspülung von Antagonisten teilweise auf den Zeiger geht. Ich will auch meine Moriatis und Madame Mims. Auf so etwas hat man auch ein Anrecht. Aber nööö, wir fahren ja bei jedem heute die Emo-buhuhu-ich-hab-eine-ganz-doll-schlimme-Kindheit-und-voll-das-Motiv. Pro chaotisch böse!  :lach: ). Gleiches gilt für bitter-süße Ende und glückliche Enden. Man kann seinen Spielern, meiner Erfahrung nach, eigentlich alles zumuten, wenn man eine Balance hält zwischen den verschiedenen Extremen.


    Wenn jetzt deine Gruppe dieses "der Gegner hat ein menschliches Gesicht" so noch nicht kennt, würde ich mir da vielleicht noch etwas mehr Zeit für den Showdown lassen und sie da wirklich drauf vorbereiten. Eventuell sogar (wenn nicht schon geschehen), dass sie ihn persönlich beim Abendessen o.ä. kennen lernen und ihn als an sich netten Kerl einstufen und sich vielleicht fragen, ob hinter dem allen nicht noch eine Geschichte steckt. Vielleicht zweifelt er auch selbst, ob sein Weg so richtig ist und ein einfühlsamer Charakter hat eine Chance ihn da etwas auf den Zahn zu fühlen...


    Kurz: Es gibt da sehr viele Möglichkeiten, die allesamt irgendwie reizvoll sind.

    Der Himmel hat dem Menschen als Gegengewicht gegen die vielen Mühseligkeiten des Lebens drei Dinge gegeben: die Hoffnung, den Schlaf und das Lachen.

    - Immanuel Kant

  • Soll es wirklich in dem "Töten oder es passieren schlimme Dinge" hinaus laufen?

    Na, ja... eine solche Situation waere per Definition tragisch. Und die Erfinder des Theaters, betrachteten die Tragoedie als dessen Krone.


    Zitat

    Allerdings fände ich es in so einer Situation schade, wenn ich nicht zumindest die Chance gehabt hätte, so einen Hintergrund vorher herauszukriegen, und vielleicht das Ende etwas abzumildern. Das heißt nicht, daß es ein Happy End geben muß (wenn der Kerl z.B. ein Paktierer ist und nichts bereut), aber vielleicht kann man zumindest etwas tun (z.B. sich darum kümmern, daß die Kinder versorgt sind). Daß das immer noch bitter ist, ist klar. Was du m.E. vermeiden solltest, ist, daß sich die Spieler so fühlen, als könnten sie nichts ändern – es muß aber nicht möglich sein, alles zu ändern. :zwinker:

    Wir hatten mal einen sehr ehrenhaften Antagonisten (hat den Helden zu Beginn das Leben gerettet - und den Thorwaler-Krieger dann spaeter etwas unter seine Fittiche genommen), der dann gegen Ende des (sehr langen) ABs (nach stundenlangem Zweikampf - moechte ich anmerken) vom Thorwaler erschlagen wurde.

    Andersrum gehts auch - ich hab mal eine Gruppe von SCs gemeistert die ueberdurschnittlich stark vom Motiv "Rache" Gebrauch gemacht haben, was sie dann letzendlich ziemlich - man kann es nicht anders sagen - boesartig (!) gemacht hat.
    Die "Helden" starben am Ende beim (vergeblichen) Versuch sich an den Heptarchen zu raechen.
    Aus der ganzen Gruppe hat am Ende nur eine (gelaeutert), zumindest ihre Seele retten koennen.
    Die Kampagne haben die Spieler ueber 2 Jahren lang gespielt, ohne dass es (ihnen) langweilig wurde...


    Ein tragisches Ende sollte man hin und wieder einbauen. Es wertet das Rolle, meines Erachtens, enorm auf.

  • Auch jeden Fall eine gute Idee, wie man sie sich selbst oft in einem AB wünscht. Wenn du glaubst, das die Spieler das "vertragen", dann spiel den Kerl genau so. Denn die Welt ist schließlich nicht schwarzweiß, sondern bunt, und so sollte man es auch spielen.
    Denn nicht immer weiss man als Kämpfer, auf was genau man sich einlässt, wenn man mit einem Auftrag loszieht.


    "Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man sie einem Chirurgen oder Mörder gibt, gebraucht sie jeder auf seine Weise." - Wernher v. Braun

    #hexenfanclub

  • Wenn die Spieler aus dem Teenageralter raus sind, kannst du denen das eigentlich zumuten.


    Ja? Als wir im Teenageralter gespielt haben, gab es genauso Gewissensbisse und Schattierungen. Ein Grund warum ich als Teenager gesagt habe, die Rückkehr Borbels ist doch blöd, da hat man etwas wirklich böses als Gegner. Aber damals haben die Antagonistinnen die SCs um den kleinen Finger gewickelt, geweint, dass doch nur ihr gemeiner Papa alles gemacht hat und schon waren sie gerettet. Womit sie weiter brav ihre Steuern hinter ziehen konnten oder anderes...

    Aber um auf die Frage zurück zu kommen: Ich kann mich dem Ton hier nur anschließen. Genau so etwas macht doch Rollenspiel aus, aber auch einen guten Film oder Buch oder kurz eine gute Geschichte: Die Motivation der Charaktere. Wenn sie nachvollziehbar, sinnvoll und logisch ist. Wenn die Charaktere Stärken und Schwächen haben. Wenn eben ein Mensch* dahinter steht und nicht nur Scherge Nr. 2.

    Wie die Spieler darauf reagieren? Sie sagen: "Boah, Schatz, das Rollenspiel ist mir nahe gegangen und der Typ (NPC) regt mich so auf." - "Mist, ich musste die ganze Heimfahrt darüber nachdenken." - "Ich hab davon geträumt..." - "Das war Wahnsinn, wie kannst Du Dir so was ausdenken?" oder ähnliches. Und das macht mich dann schon ein bisschen stolz. :rot:

    *Oder anderes Humanoides

    I ♡ Yakuban.

  • Wie die Spieler darauf reagieren? Sie sagen: "Boah, Schatz, das Rollenspiel ist mir nahe gegangen und der Typ (NPC) regt mich so auf." - "Mist, ich musste die ganze Heimfahrt darüber nachdenken." - "Ich hab davon geträumt..." - "Das war Wahnsinn, wie kannst Du Dir so was ausdenken?" oder ähnliches. Und das macht mich dann schon ein bisschen stolz.


    Da hast du Recht! Ein Freund von mir hat neulich gesagt: "Wenn man als SL die Spieler durch seine Darstellung so mitreißen kann, dass die hinterher am Heulen sind, dann kann man wirklich stolz sein."

    Und da konnte ich ihm nur zustimmen. (Gott, klingt das jetzt versülzt! *g*)


    "Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension. Sie ist wie ein Messer. Wenn man sie einem Chirurgen oder Mörder gibt, gebraucht sie jeder auf seine Weise." - Wernher v. Braun

    #hexenfanclub

  • Man sollte nur vermeiden, dass die SCs hinterher das Gefühl haben, sie hätten die Sache durch ihr Handeln nur noch schlimmer gemacht oder es wäre letztlich egal.
    Die Kinder können weinen, die Frau ist wütend/traurig, aber der NSC, der das Sanatorium dann übernimmt, dankt den SCs dann aus vollem Herzen für ihre Hilfe bei der Beseitigung des Paktierers. Dann erklärt er ihnen, er hätte kürzlich erfahren, man könne viele Verrückte heilen, wenn man ihnen einen Teil ihres Gehirns entfernt und dass er morgen früh mit der Prozedur beginnt (der letzte Satz ist ein Scherz und sollte nicht erwähnt werden).

    Bei DSA Paktierern bietet sich ja auch immer eine abstraktere Erklärung an (z.B. geliefert von einem Geweihten), dass durch deren Beseitigung das chaotische Wirken der Erzdämonen eingeschränkt und die Welt dementsprechend wieder etwas stärker geordnet wurde.

    Zum Töten von Paktieren hatten wir hier übrigens vor kurzem eine gute Diskussion. Vllt interessant, wenn du auch Geweihte in der Gruppe hast. Da wurde z.B. argumentiert, dass ein Paktierer eigentlich mit einem Exorzismus getötet werden müsste, damit seine Seele gerettet werden kann.