Schwere, metallene Schritte erklingen auf dem kargen Steinboden der Tempelfestung Auraleth. Lang ist es her, dass Tyrion seine alte Heimat betrat, doch er wünschte,
er hätte es unter angenehmeren Umständen getan. Seine Hand zittert, als er die Klinke der Tür des Hochmeisters des Ordens vom Bannstrahl Praios' umfässt. Die Hand,
welche von vielen Narben versehrt ist, die Hand, die schon so viele Kämpfe für Tyrion gefochten und dabei weder Schmerz noch Scheitern kannte, die Hand, die schon so
viele schwere Lasten trug. An diesem schicksalshaften Tag jedoch versagt sie ihm die Treue. Wilde Gedanken umschwirren seine Sinne, Bilder seiner Kameraden, die ihn
verlachen und ächten. Der strenge Blick des Erwählten, in welchem eine tiefe Enttäuschung bis ins Mark zu spüren ist. "Es gibt kein zurück!" flüstert er, den Kopf schwer
von den Schultern hängend. "Es ist meine Pflicht, dass der Hochmeister davon erfährt. Herr Praios, wohin führt mich dein unergründlicher Weg? Jede Seele ist von Sünde
umhüllt, doch ich werde Buße tun. Dies ist der Weg des Gläubigen. Die Wahrheit drängt nach Offenbarung und ihr Diener zu sein habe ich geschworen." Sichtlich um Fassung
bemüht, bemerkt Tyrion, dass sein Herz wie wild unter seiner Rüstung schlägt, so sehr, dass es wohl jeder im Gang hören könnte. "Zum Glück bin ich allein.", rast es durch
seinen Kopf.
Wäre sie jetzt hier, sie würde ihn bestimmt einen Narren nennen, ihn bei der Hand nehmen und sie zärtlich umfassen. So hatte sie es immer getan, wenn er verletzt war.
Sie hatte immer zu ihm gehalten, ihr Leben für ihn riskiert und sogar ihre eigenen Prinzipien für ihn missachtet. Ihr Lächeln ließ ihn sämtlichen Schmerz vergessen. Die
Erinnerung an ihre Augen, welche die Farbe der Morgendämmerung trugen, ließ ihn langsamer atmen. Er schloss die Augen und sah sie vor sich stehen. Ihre Figur war
grazil und anmutig, wie die eines Firnluchses, ihre Augen erinnerten jedoch an die Wachsamkeit und die Weisheit einer Schneeeule. Er vernahm ihren Geruch, ein leichter
Duft nach Tanne und Talaschin-Kraut. Ihre Haare, welche am Tag eine kristallblaue Farbe annahmen, tanzten verspielt mit dem Wind. Doch ihr stets gefasstes Auftreten
und ihre ernste Miene, welche sie nur selten ablegte, verrieten, dass auch sie tiefen Schmerz kannte, an den sie sich nur ungern erinnerte. Er wünschte sich zurück in die Nacht,
in der sie einst im Ewigen Eis nah aneinander saßen, um nicht zu erfrieren, und im Schein des Lagerfeuers das bunte Lichtspiel am Nachthimmel betrachteten. Er hatte viel von
ihr gelernt, und ohne sie wäre er sicher umgekommen in diesem lebensfeindlichen und doch so wunderschönen Land fernab seiner Heimat.
Als er die Augen wieder öffnete, war die Unsicherheit, welche ihn wie im Würgegriff gepackt hatte, fast gänzlich verschwunden. Er wusste, dass es zwecklos war, seine Gefühle
zu verleugnen. Würde er sie wiedersehen wollen, hatte er keine Wahl, als diesen einen Schritt zu gehen. "Herein!", rief es von drinnen, als Antwort auf sein Klopfen. Er umfasste
die Türklinke fester, vor der er noch immer stand und öffnete mit aufrechter Haltung die Tür.
"Hochmeister Ucurian Jago, Bannerführer Tyrion Alarich von Sighelmsmark, melde mich in persönlicher Angelegenheit." Die Furcht stieg erneut in ihm auf und ließ seine letzten
Worte mit leichtem Kratzen seinem Hals entfahren. "Dann sprecht, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!", schnarrte der überarbeitete alte Mann mit dem weißen Haarkranz.
"Da ich euch nicht mit langen Ausflüchten belästigen möchte, spreche ich frei heraus: Ich wünsche, erneut in den hohen Norden versetzt zu werden. Meine Arbeit, dort den Glauben
an den Götterfürsten zu verbreiten, ist noch nicht beendet. Außerdem... ", sein Herz raste wie wild, "... liebe ich eine Frau vom Volke der Eiselfen. Wohin auch immer ich gehe,
welche Aufgabe ich auch immer in Eurem Namen vollbringe, mein Herz wird ewig ihr gehören. Ich kenne meine Pflichten und ersuche Euch um Rat, wie ich meinen Eid erfüllen kann,
den ich hier in diesen Hallen schwor. Niemals habe ich dem Götterfürsten abgeschworen, nie seine Tugenden verraten, denn aus diesem Grunde stehe ich vor euch. Ich bitte Euch, ..."
Noch bevor er seinen letzten Satz vollenden konnte, lief ihm eine heiße Träne über sein sonst so ernstes und unerschütterliches Gesicht. Sein Atem stockte und er rang mit all seiner
Kraft um Fassung, sich nicht diese Blöße vor dem Ordenshochmeister zu geben. Er wagte nicht, den Kopf zu heben, entzog sich vor den strengen, grauen Augen des Erwählten und
erwartete in stiller Furcht sein Urteil.
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Die Geschichte entsprang unserer Rollenspielrunde, vielleicht habt ihr ja Ideen und Anregungen,
wie es weitergehen könnte. Mit der inneraventurischen Regelung waren wir uns unsicher. Wird ein Bannstrahler für so etwas seinem Orden verwiesen,
evtl nur degradiert? Wird es toleriert und mit einem Schmunzeln wahrgenommen? Alles natürlich unter der Voraussetzung, dass die Elfe sich nichts
zu schulden hat kommen lassen. Schreibt mir eure Version der Geschichte, wie ihr sie euch weiter vorstellt.
Liebe Grüße,
Nuala