Kapitel 1: Eine schwere Frage
Angorn hasste diese großen Städte. Er hasste einfach alles an ihnen, die engen Gassen, die korrupten Beamten und den abartigen Gestank, der von den Straßen aufstieg. Grangor machte da bei Leibe keine Ausnahme.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätte der alternde Ritter seit seinem Rückzug aus dem Abenteuererleben keine einzige mehr betreten. Doch wie so oft hatte das Schicksal auch diesmal seine eigenen Pläne gehabt.
Angorn strich sich über den ergrauten Bart und kniff die noch immer jugendlich wirkenden Augen zusammen, als der Mann vor ihm ausgerechnet jetzt sein Boot aus dem Kanal und quer über die enge Gasse zog.
Angorn war bei Leibe wirklich ein ruhiger Mensch, den nichts so leicht aus der Fassung bringen konnte, doch diesmal konnte er sich ein abfälliges Grunzen nicht verkneifen. Schon den ganzen Tag lang schienen es die Götter es darauf anzulegen einen Wutanfall des Ritters zu provozieren: erst die anstrengende Reise, dann die Bootsfahrt, bei der selbstverständlich ausgerechnet sein Boot von einem scheinbar blinden Goblin gelenkt worden war, so dass er einmal fast gekentert währe. Das alles hatte er noch mehr oder minder gelassen aufgenommen, doch jetzt kam dieser Mann (der offensichtlich den Noioniten entlaufen war, denn warum legte er sein Boot nicht bei der – für diesen Zweck gebauten – Anlegestelle an?) und blockierte die ohnehin schon enge Gasse so, dass es im Augenblick kein Durchkommen gab.
Nun, wenn es allein nach ihm gegangen wäre, hätte er diese Stadt wohl kaum aufgesucht, doch – wie bereits erwähnt – wollte das Schicksal es anders.
Dieser Brief war schuld, erinnerte sich Angorn. Wo musste er nun noch gleich hin? Nun ja, er konnte auch ebenso gut noch einmal nachsehen, stellte er resigniert fest und nestelte das Pergament aus seiner Brusttasche.
Guter Freund Angorn!
Es scheint mir, als hätte ich ein ernsthaftes, Wirtschaftliches Problem und du bist vermutlich der einzige, der mit solchen Angelegenheiten vertraut ist und mir sicherlich aus diesem Schlamassel aushelfen kann, ich erwarte dich, sobald es dir möglich ist in meinem Haus gegenüber dem...
„Aha!“
Efferdtempel!
Mit herzlichster Zuneigung, dein Freund
Amaldo Pandolfo
Efferdtempel! Das hätte er sich eigentlich merken sollen! Nun gut, er wurde eben langsam alt, man konnte nicht mehr alles von ihm erwarten.
Endlich war der Taugenichts mit seinem Boot verschwunden. Die Reise näherte sich seinem Ende.
Die Glocke über dem Eingang läutete einmal. Angorn wartete. Schließlich zog er noch ein zweites und ein drittes mal an der Kordel. Endlich öffnete ihm ein aufgebrachtes Mädchen.
Sie trug eine weiße Schürze und blonde, streng nach hinten gebundene Haare, die sie als Dienerin auswiesen.
Hne ein Wort zu sagen deutete sie in den Wohnraum und rannte davon.
Angorn schüttelte ob solcher Unschicklichkeit den Kopf. Trotzdem bemerkte er sofort, dass etwas nicht stimmen konnte. Seine Gesichtszüge wurden ernst. Der Ritter trat ein. Sein Blick schweifte über den Raum., der offensichtlich als Empfangs- und Aufenthaltsraum verwendet wurde. Drei gemütliche Sofas standen in der Mitte und zwei weitere Sessel an der Wand. Zwei Türen auf jeder Seite in weitere Räume. Über eine Treppe gelangte man auf die Galerie darüber und über eine weitere nach unten in den Keller.
Auf einem der Seitensessel saß in einem übertrieben gefassten Zustand die Hausdame. Steif stand sie auf, schüttelte Angorn die Hand und sprach eine Begrüßungsfloskel.
Schließlich sprach sie ruhig und langsam: „Ihr seid zu spät gekommen, Ritter. Mein Gatte ist nun bei Boron.“
Angorn verstand nur zu gut. Aber er war ein harter Mann, er ließ es sich kaum anmerken, dass ihn dieser tot berührte. Um genau zu sein tat er das auch nur wenig.
„Mein Beileid“, sagte er höflich. „Ist er...“
„Ermordet!“, unterbrach sie ihn bitter. Plötzlich löste sich alle Gefasstheit von ihrem Wesen und sie wirkte auf einmal sehr aufgelöst.
„Ich verstehe“, sprach Angorn kalt.
„Wollt Ihr ihn sehen?“, fragte die Hausherrin, vielleicht auch nur um einen Augenblick allein sein zu können.
„Ja...“, antwortete der Ritter. „Ein letztes Mal.“
Die Hausherrin blickte sich ein paar Augenblicke um, dann fand sie die Dienerin, die Angorn in das Haus gelassen hatte. Mittlerweile hatte sie sich wieder etwas besser unter Kontrolle. „Lynia, sei ein gutes Mädchen und zeige Ritter Angorn den...“
Die Hausherrin sprach den Satz nicht zu Ende, doch alle wussten was gemeint war.
Die Dienerin kam herbei, verbeugte sich und führte Ritter Angorn die Treppe hinauf.
Auf halbem Weg rief die Hausdame: „Ritter Angorn?“
„Ja, Frau Pandolfo?“, antwortete dieser.
„Ich wünsche Euch anschließend in meinem Zimmer zu sehen!“
„Gerne werde ich dem nachkommen!“, versicherte der Ritter und setzte seinen Weg fort.
Der Ermordete bot einen furchtbaren Anblick: mehrere Messerstiche hatten ihn an nahezu allen tödlichen Körperstellen getroffen. Dies musste zweifellos das Opfer einer äußerst reaktionären Handlung geworden sein.
Man hatte den Toten dort gelassen, wo er sich im Augenblick des Mordes aufgehalten hatte: in seinem Bett.
Angorn blickte zum Fenster. Es war mit einem Laden verschließbar, im Augenblick aber stand es weit offen.
Die Kammer ansonsten war nicht bemerkenswert, kaum angemessen für einen Kaufmann seines Einflusses: neben dem besagten Bett befand sich noch eine Schreibkommode und ein Sessel in dem Zimmer. Dies hier war augenscheinlich ein bescheidener Mann gewesen.
Angorn war keineswegs ein sentimentaler Mensch, trotzdem konnte er es nicht verhindern, dass ihm eine Träne über das Gesicht lief, obwohl er den Ermordeten überhaupt nicht gut gekannt hatte.
Frau Pandolfo saß an dem Schreibtisch in ihrer Kammer, gegenüber dem Eingang.
Sie war eine beginnende Vierzigerin, also wesentlich jünger als der Ermordete, mit einem rotbraunen Haarschopf und einem Gesicht, das vor Schminke nur so strotzte. Sie machte eine bemerkenswerte Erscheinung.
„Ihr habt mich gerufen?“, fragte Angorn.
„Nun ja. Ich fürchte, wir werden einige Dinge klären müssen“, sagte sie in geschäftigem Tonfall.
Ihr Gesicht drückte keine von den Emotionen aus, die sich in dem Gesicht einer erst vor kurzem verwitweten Frau spiegeln mussten.
„Stets zu Ihren Diensten!“, antwortete Angorn aus Höflichkeit und deutete eine Verbeugung an.
„Zu erst einmal zu Ihrer Unterkunft. Wendet Euch bitte deswegen an Lynia, sie wird Euch ein Zimmer zeige“, fuhr Frau Pandolfo fort.
„Selbstverständlich. Macht Euch aber wegen mir keine Umstände“, sagte der Ritter.
„Gut. Die Todesfeier meines Gatten wird in zwei Tagen stattfinden. Selbstverständlich würden wir uns geehrt fühlen Euch zu den Gästen zählen zu können.“
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite“, sagte Angorn, obwohl er keine sonderliche Lust verspürte, sich unter solch noble Herrschaften zu mischen.
Dazu sei angemerkt, dass Angorn zwar vom Titel her zu den Adligen zählte, seine Freunde sich allerdings eher unter dem einfachen Volk befanden. Der Ritter hatte meist für die Lebensweise der Oberschicht nur Spötteleien übrig.
„Und nun zu diesen... Vorkommnissen. Ich benötige dringend Euren rat als Ehrenmann: was soll ich bloß tun um diese scheußliche Tat aufzuklären ohne gleichzeitig Stadtweiten Wirbel auszulösen“, fraget die Hausherrin.
Angorn verzog das Gesicht, als würde er in einen saueren Apfel beißen. „Ihr solltet die Stadtgarde benachrichtigen...“
„Die Büttel in meinem Haus? Seid Ihr von Sinnen? Wisst Ihr nicht, dass eine solche Bekanntmachung solcher Dinge meinen Handelsbeziehungen nur schaden können?“, rief Frau Pandlofo und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Man merkte sofort, dass sie sich wohl ebensoviel um die Geschäfte kümmerte, wie der Verstorbene es wohl getan hatte.
„Durchaus nicht, gute Frau“, beschwichtigte Angorn sie ruhig.
„Was schlagt Ihr also vor?“
„Wenn Ihr keine Garden wollt, so bleibt Euch nur einen Privatdetektiven zu Rate zu ziehen“, schlug Angorn vor.
„Nun ja, wie soll ich nur sagen... ich habe bereits viel von Euren großen taten gehört, vielleicht könntet Ihr...“
Angorn hatte gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde. Sein ganzes Leben lang hatten Leute sich um seine Hilfe gerissen, in den vielfältigsten Angelegenheiten. ES sah so aus, als währe ihm auch hier sein Ruf vorausgeeilt.
„Tut mir leid, werte Dame. Dieses Kapitel meines Lebens ist geschrieben“, sagte Angorn und blickte ein wenig wehmütig.
Irgend einmal musste es ja ein Ende haben! Und doch wusste der Ritter, dass man es dabei nicht belassen würde.
„Ihr tut es also nicht für einen alten Freund und dessen einsame, unglückliche, hilf- und schutzlose Frau?“, fragte sie aufgebracht und schien beinahe den Tränen nahe.
„Ihr stellt mich vor eine schwere Frage. Ich hatte das Gefühl, dass sie mit dem Adelstitel, den sie mir gaben, vor allem bezwecken wollten, dass ich mich künftig aus solchen Angelegenheiten heraushalte“, sagte der Ritter wahrheitsgemäß.
„Ihr seid hier nicht mehr im Neuen Reich! Euer Adelstitel zählt hier so wenig wie der Wille Eurer Herrscher“, sagte Frau Pandolfo wieder im Tone eines Geschäftsmannes.
In diesem Moment viel Angorn einmal mehr auf, wie schnell die Stimmung dieser Frau wechseln konnte. Oder war sie einfach nur eine überragende Schauspielerin?
„Das mag stimmen. Ich bin also euer Mann“, sagte Angorn seufzend, dem wohl kaum mehr etwas anders übrig blieb als zu akzeptieren, wollte er sich nicht in der ganzen Stadt unbeliebt machen.
„Es freut mich sehr das zu hören“, erklärte Frau Pandolfo und lächelte sogar.
„Nur nicht so voreilig“, lenkte Angorn sogleich ein, „denn ich habe durchaus noch ein paar Bedingungen.“
„Lasst nur hören.“
„Ich benötige Zugang zu sämtlichen Räumen...“
„Gerne!“
„Ich brauche die uneingeschränkte Kooperation aller Hausbewohner...“
„Das versteht sich von selbst!“
„... und schließlich möchte ich noch jemanden ins Vertrauen ziehen.“
„Wer ist dieser jemand?“, fragte Frau Pandolfo ein wenig ungehalten.
„Oh, ein guter Freund von mir...“
Kapitel 2: Ein guter Freund
Als Angorn in sein Zimmer gewiesen werden sollte, erfuhr dieser, dass die Gästezimmer offensichtlich bereits belegt waren. Die Dienerin wand sich aus der unangenehmen Situation, indem sie den Ritter in das Haus eines guten Freundes, Herr Sevillo, einquartierte.
Angorn betrat das Herrenhaus des Herrn Sevillo. Er war offensichtlich ein Händler, wie Pandolfo einer gewesen war.
Sein Haus unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von dem Pandolfos: es war wesentlich kleiner. Dies konnte zwei Gründe haben: zum einen den, dass Sevillo lange nicht so erfolgreich war wie sein Freund und zum anderen, dass er Junggeselle war und allein wohnte. Wenigstens in diesem Punkt schien er eine stille Übereinkunft mit Angorn getroffen zu haben, der auch wie eh und je ohne weibliche Begleitung auskam.
Ein Punkt, der sich allerdings im wesentlichen von Angorns Lebensweise unterschied war, dass sich im Arbeitszimmer des Händlers Unmengen von Kram türmte, den kein Mensch in diesen Gegenden benötigte, der noch mehr oder weniger bei Sinnen war: neben einem Lindwurm-Schläger der Zwerge, befanden sich hier auch ein Fläschchen Engasal Wein, eine Mirhamer Seidenliane und ein unglaublicher Schundraum mit dem Titel „Zwei Herzen am Abgrund der Liebe“.
Der Mann mit dem gewinnenden Lächeln am Schreibtisch war der Händler Sevillo.
„Ah! Der Ritter Angorn! Die Dienerin der unglücklichen Frau Pandolfo hat mich bereits benachrichtigt. Es ist furchtbar was auch in diesen zivilisierten Zeiten immer wieder geschieht!“
„Die Götter mit Euch“, sagte Angorn. „ich hoffe, dass ich Euch nicht zur Last falle.“
„Das glaube ich kaum. Ich freue mich immer wieder über Gäste, zumal ich ja alleine lebe.“
Sevillo lächelte ein wenig wehmütig.
Angorn erwiderte es. Er wusste, wovon der Mann redete.
„Das ist sehr großzügig von Euch. Es bedrückt mich zwar ungemein Euch bereits jetzt auf die Nerven gehen zu müssen, hätte aber dennoch einen kleinen Wunsch.“
„Macht Euch darum keine Sorgen. Ich helfe wo ich kann“, antwortete Sevillo offenherzig.
Angorn grinste nun breit, was er nicht häufig tat. „Das freut mich. Ich hätte gerne einen Zweitschlüssel für das Haus, da ich wohl gezwungen sein werde in und wieder ein und aus zu gehen, auch in den unmöglichsten Nachtzeiten.
„Das stellt kein Problem dar. Hier habt Ihr ihn.“
Sevillo reichte dem Ritter den Gegenstand.
Nachdem der Hausherr Angorn das Haus und natürlich vor allem dessen Zimmer gezeigt hatte, machte sich dieser auf den Weg seinen Freund zu besuchen. Er hatte ihn bereits als Jungen kennen gelernt, als der Ritter selbst noch auf Abenteuerreisen gegangen war. Nun gut, es waren damals denkbar schlechte Umstände gewesen, die ihr Zusammentreffen begleitet hatten: Angorn hatte einen wichtigen Auftrag gehabt und deswegen in seiner Eile den jungen Flaminio beleidigt, der ihn daraufhin – schwer in seiner Ehre gekrängt – zum Duell herausgefordert hatte. Angorn hatte ihn ernst genommen, das Duell gegen den damals vierzehn jährigen gefochten und selbstverständlich gewonnen. Den Göttern sei Dank war dieser Tag nur der Ausgangspunkt für eine tiefe Freundschaft gewesen, obwohl die beiden sich höchstens zweimal im Jahr sahen.
Ganz in Gedanken versunken, hatte es Angorn nicht einmal bemerkt, dass er bereits vor dem Haus Flaminios stand, der noch bei seinen Eltern wohnte.
Eben jeneer, den er suchte stand gerade vor dem Haus und unterhielt sich mit einem Mädchen. Angorn grinste breit, denn so kannte er den ungestümen Jungen.
„Nun, das mit Valari darfst du nicht so ernst nehmen...“, sagte er soeben.
- Batsch. Flaminio hielt sich die Backe.
Das Mädchen sah ihn wütend an.
„Pass auf, wir gehen heute Abend ...“
Wieder batsch.
„Wie kannst du es wagen!“, rief sie und rannte davon.
Eben wollte sich Flaminio umdrehen und in das Haus zurückkehren, als Angorn ihn von hinten antippte.
„Ich möchte dir mein Beileid aussprechen“, sagte Angorn gespielt ernst.
Flamio drehte sich langsam um und erstarrte, als er das Gesicht des Ritters sah. Plötzlich verschwand aller Ernst aus den Gesichtern der beiden und sie umarmten sich stürmisch.
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du in der Stadt bist?“, fragte Flaminio voll überschwänglicher Freude und zerrte der Ritter auf den Hauseingang zu.
„Nun, die Gegebenheiten erforderten es... und wer war übrigens die Schönheit eben?“, fragte Angorn breit grinsend.
„Oh... das war nichts. Komm doch rein!“, sagte Flaminio schnell und lief knallrot im Gesicht an.
Flaminio war blond, groß gewachsen und gut gebaut, kurzum ein Mann, der bei gleichaltrigen Mädchen überaus beliebt war, was übrigens gleichzeitig sein größter Fehler sein konnte.
Da sein älterer Bruder den Handelskontor einmal erben würde, hatten sein Eltern ihn in die Schule nach Gareth geschickt, weswegen nun nicht wie andere seines Alters einen aufwändigen Schnurrbart trug. Erst vor wenigen Monaten war er aus der Kaiserstadt des neuen Reiches zurückgekehrt.
Nach einem kurzen Höflichkeitsgespräch kam Angorn relativ schnell auf sein Anliegen: „Pass auf, Flaminio. Ich brauche deine Unterstützung.“
„Gerne. Wobei den?“, fragte der Junge neugierig.
„Es hat einen Mord gegeben. Pandolfo, ein einflussreicher Kaufmann wurde erstochen.“
Flaminio blickte nachdenklich. „Und dich haben sie beauftragt?“
„So sieht es aus.“
„Meinst du nicht, dass du langsam zu alt wirst für solche Sachen?“, fragte Flaminio ein wenig zweifelnd.
Er wusste natürlich, dass Angorn ihm das nicht weiter über nehmen würde.
„Nicht alt – nur älter, mein Freund. Außerdem bist du ja auch noch da!“
„Ich?“, fragte Flaminio überrascht, obwohl er sich das durchaus schon gedacht hatte.
„Ja du. Ich brauche einen Assistenten . Hast du Zeit?“
„Selbstverständlich. Für dich immer. Haben wir Verdächtige?“, fragte Flaminio strahlend.
Angorn lächelte ob dem Eifer des Jüngeren.
„Nun ja, die Wahrheit ist: das Fenster stand offen... es kann also eigentlich jede aus dem haus gewesen sein“, erklärte Angorn.
„Wer wohnt in dem Haus?“
„Ich war mit dem Toten bekannt, deswegen kann ich dir recht gut Bescheid geben.“
„Nur zu.“
„Also: da gibt es seine Ehefrau, eine Dienerin und einen Koch, zwei Söhne und eine Tochter, sowie zwei Gäste.“
„Und genaueres?“
„Ich möchte dir nicht deine Unvoreingenommenheit nehmen. Du wirst sie morgen noch kennen lernen.“
„Wann?“
„Eine Stunde nach Aufgang von Praios’ Strahlen, in Ordnung?“
„So früh?“
„Junger Mann...“
„Schon gut...“
Kapitel 3: Auf Messers Schneide
Frau Pandolfo, Ritter Angorn und Flaminio saßen zusammen um den Frühstückstisch.
Das Flaminio eigentlich nur wegen seinem Freund geduldet wurde ließ man ihn nur zu deutlich spüren. Die ganze Zeit über lächelte er und sagte kein Wort.
„Ritter Angorn“, sagte Frau Pandolfo grade, „ich weiß, dass es eigentlich nicht meine Sache sein sollte solche Forderrungen zu stellen, och ich will es trotzdem tun.“
„Tut nur, Frau Pandolfo.“
„Ich würde es sehr begrüßen, wenn die ganze Angelegenheit bis zu Totenfeier geklärt währe, damit der Verstorbene leichter zu gehen kann. Ihr versteht?“
„Selbstverständlich. Versprechen aber kann und will ich es nicht“, erwiderte Angorn.
„Ihr versteht, dass Euer Ruf natürlich gewisse Erwartungen schürt.“
„Ich tue mein bestes“, antwortete Angorn und deutete eine leichte Verbeugung an.
Flaminio raunte ihm zu: „Das hat man nun davon eine Berühmtheit zu sein.“
„Was gedenkt Ihr also heute zu tun?“, fragte Frau Pandolfo.
„Zuerst einmal werden wir jeden Einzelnen hier befragen. Wollen wir mit Euch anfangen?“
„Mit mir?“
„Sehr wohl.“
„Jetzt?“
„Wenn es Euch beliebt.“
„Nun gut. So fragt.“
„Wen könnte es in diesem Haus geben, der dem Verstorbenen schlechtgesonnen war?“
„Nun, ich bedauere sehr, dass mir da nur ausgerechnet mein ältester Sohn und meine Tochter einfallen.“
„Worum geht es da?“
„Das werden sie Euch gerne selber sagen. Sie machen daraus keinen Hehl.“
„Gut, dann...“
Plötzlich ertönte aus dem Hof ein Schrei.
„Wir werden vielleicht noch etwas wissen wollen“, schloss Angorn, „zunächst aber werden wir und geschwind ansehen, was da im Hof geschehen ist.“
Lynia, die Dienerin und die beiden Gäste Sevolio und Frau Selena standen im Hof im Kreis um ein Messer zusammen, das da auf dem Boden lag.
Angorn und Flaminio schoben die Menschen beiseite und betrachteten den Gegenstand: Es war ein großes Messer, das in jeder Küche zu finden war und scheinbar vornehmlich dazu diente Fleisch zu schneiden. Verwunderlich war nur, dass es über und über mit Blut beschmiert war.
„Die Tatwaffe!“, stellte Flaminio leise fest.
Angorn reagierte nicht darauf.
„Wer hat das gefunden?“, fragte er statt dessen im sachlichen Tonfall.
„Ich, Herr“, antwortete Lynia schüchtern.
„Gerade eben?“, hakte der Ritter nach.
„Ja, Herr“, erwiderte die Angestellte.
„Ihr wisst also nicht, ob es heute Morgen auch schon hier lag?“
„Nein Herr, aber das ist doch...“
Angorn zog ärgerlich die Augenbraue hoch. „Überlast das getrost mir.“
„Ja, Herr“, sagte Lynia resigniert.
„Wer hat ein solches Messer in diesem Haus?“
„Der Koch, Arthag, Herr.“
„Gehen wir“, sagte Angorn zu Flaminio und entfernte sich bereits.
Arthag war ein Zwerg vom alten Schlage: dick, klein und bärtig (selbstredend hegte er eine Abneigung gegen diese neue, moderne Generation: jagende Zwerge und schmiedende Elfen passten nicht in sein Weltbild). Seine Haare waren ungepflegt und rot, seine Augen listig.
Die Küche, in der er arbeitete war klein und unordentlich, trotz dem schien er bestens mit der Kochkunst vertraut zu sein, denn als Flaminio und Angorn eintraten wuselte er eilig von Topf zu Topf, zerhackte, rührte, gab hinzu und tat eben alles, was man für ein gutes Mittagsmahl tun musste.
Als er die beiden erblickte, blieb er stehen und sagte unfreundlich: „Was wollt ihr?“
„Euch ein paar Fragen stellen, wenn’s beliebt“, antwortete Angorn höflich aber bestimmt.
„Schnell also, denn die Herrin erwartet ihr Essen pünktlich.“
„Selbstverständlich. Zuerst einmal: wo wahrt ihr zur zeit des Mordes?“
„Wann war denn der?“
„In der vergangenen Nacht...“
„Tatsächlich?“, fragte Arthag spöttisch.
„... aber genaueres wissen wir nicht.“
„Also am Abend war ich hier mit Vorbereitungen für das Frühstück, später dann schlafen selbstverständlich.“
„Gibt es jemanden der das bezeugen kann?“, fragte Angorn pflichtbewusst.
Der Zwerg hielt reinen Augenblick inne und überlegte, während er sich am Kopf kratzte. „Nein, ich glaube nicht.“
„Kann es sein, dass Euch jemand gehört hat?“, fragte Angorn hilfsbereit, „schließlich haben die Töpfe ja leider die Eigenschaft laut zu klappern.“
„Bei mir klappert nie etwas!“, grummelte Arthag stolz, „nein ich glaube nicht, dass mich jemand gehört hat.“
„Wir haben unseren Mann!“, platzte Flaminio heraus.
Angorn bedachte ihn nur mit einem bescheidenen Lächeln.
„Ich nehme nicht an, dass Ihr mir etwas über die Beziehung der Familienmitglieder untereinander erzählen könnt?“
„Nun, nein...“, sagte Arthag, „wenn Ihr aber meine bescheidene Meinung hören wollt, so sage ich Euch, dass ich nicht glaube, dass es jemand aus der Familie war. Nach meinem bescheidenen Urteil war diese Familie genauso wie jede andere, für die ich gekocht habe.“
„Wer dann?“, fragte Angorn ernsthaft interessiert.
„Ihr seid der Detektiv“, sagte Arthag mit einer abwehrenden Handbewegung.
„Nun gut. Zum Schluss noch: habt Ihr jemanden gesehen oder gehört, in jener Nacht?“
„Hm... nein, ich glaube nicht.“
„Sollte Euch doch noch etwas einfallen, so sagt es uns... und nun wollen wir Euch nicht länger belästigen. Auf wiedersehen.“
Kapitel 4: Eine neue Thematik
Flaminio sah sich angestrengt in dem abgedunkelten Zimmer um. Nun gut, die Leiche hatte er nur überflogen, da der Händlersohn kein Blut sehen konnte, dafür betrachtete er das Schreibpult umso ausführlicher.
Angorn sah ihm lächelnd dabei zu. „Hast du schon etwas gefunden?“
„Warum hilfst du mir nicht einfach?“, gab Flaminio bissig zurück , während er einen Blätterstapel durchsah. „Dann geht es vielleicht ein wenig schneller.“
„Junge, du weißt doch, dass meine Augen es mir nicht mehr erlauben in diesem Licht zu arbeiten“, sagte Angorn, der sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen konnte.
„Ah, da ist ja noch etwas!“, rief Flaminio und zog ein kleines Büchlein aus dem Blätterwulst hervor.
Die beiden hatten sich daran gemacht das Zimmer des Verstorbenen zu durchsuchen, weil erstens Flaminio es noch nicht gesehen hatte und zweitens auch Angorn das erstemal keine Gelegenheit für eine ausführliche Durchsuchung gehabt hatte.
„Was ist es?“, fragte Angorn und trat hinter seinen Freund um ihm über die Schulter sehen zu können.
„Ein Tagebuch, glaube ich“, antwortete Flaminio.
Angorn warf einen Blick zur Türe, um sicherzugehen, dass niemand sie sehen konnte und sagte: „Lies den letzten Tag vor. Wir wollen sehen, ob sich daraus etwas ergibt.“
„Also pass auf:
... Heute trafen meine Geliebte Selena und der Taugenichts Sevolio bei uns ein. Meine Frau ist derzeit auf einem Ball, Gelage oder sonstige Veranstaltung (mir ist es eigentlich gleich), so habe ich heute Abend genug Zeit für Selena. Angorn ist noch immer nicht eingetroffen. Nun, mir soll es jetzt auch recht sein, denn die Angelegenheit habe ich nun abgelehnt...“
„Interessant“, sagte Angorn. „Herr Pandolfo hatte also eine Geliebte.“
„Na und?“, fragte Flaminio höchst erstaunt . „Wir sind hier im Horasreich, nicht im prüden Mittelreich. Es ist hier ganz normal, dass...“
Angorn fiel ihm ins Wort: „das ist mir durchaus bewusst, doch du lässt eine wichtige Tatsache außer acht.“
„Und zwar?“
„Pandolfo wohnte zwar bereits seit vielen Jahren in Grangor, allerdings ursprünglich kam er aus dem Mittelreich eingewandert, wo dies noch lange nicht so sehr Sitte ist wie hierzulande.“
„Das wusste ich nicht... ich meine, dass er aus dem Mittelreich stammt.“
„Die wenigsten wissen es. Ich bin gespannt , was sich uns noch alles offenbaren wird...“
Angorn atmete den würzigen Bratenduft ein.
„Oh! Es scheint mir bald essen zu geben!“, sagte er überaus erfreut.
Am Rand erwähnt sei nur, dass Ritter Angorn überall als großer Feinschmecker bekannt war.
Flaminio (der selbst ein gutes Essen durchaus zu schätzen wusste) schüttelte ob solchem Eifer den Kopf, sagte aber nichts.
In eben diesem Augenblick kam Frau Pandolfo des Weges und wollte schon vorbeigehen, als Ritter Angorn sie am Hemdsärmel ergriff und sagte: „Frau Pandolfo! Wir haben eine kleine Frage an Euch.“
„Fragt nur, mein guter Angorn.“
„Können wir dazu einen Augenblick in Euer Arbeitszimmer gehen?“
„Selbstverständlich.“
Und so machten sie sich zu dritt auf den Weg zu Frau Pandolfos Kammer.
Die Hausherrin und Ritter Agorn traten ein. Flaminio folgte mit ein wenig Abstand und schloss die Türe.
„Nun also?“, fragte Frau Pandolfo.
„Kurz und knapp: wusstet Ihr, dass Euer Gatte sich eine Geliebte hielt?“, begann Angorn.
„Durchaus nicht.“ Frau Pandolfo wirkte ehrlich verstört.
„Wer war es?“
„Die ehrenwürdige Frau Selena, die sich derzeit unter Eurem Dolch befindet.“
„So was mag ja in solchen Ländern zum guten Ton gehören, aber in unserem Haus...?“
„Nun gut“, endete Angorn, „das war es vorerst. Nun wollen wir sehen, was Euer Koch schönes vollbracht hat...“
Das Mittagessen verlief durchwegs in gedrückter Stimmung. Anfangs beschränkte sich die Hausfrau darauf, Frau Selena strafende Blicke und doppeldeutige Bemerkungen zuzuwerfen, was allerdings darin ausartete, dass sie die Andere offen mit dem Vorwurf konfrontierte eine Affäre mit ihrem Ehemann gehabt zu haben. Beim Nachtisch hatte man es endlich soweit geschafft in wildes Geschrei und wüste Beschimpfungen zu verfallen, die endlich damit endeten, dass Frau Selena nach dem letzten Bissen aufsprang und hinauseilte. Ritter Angorn folgte alledem mit besorgter Miene.
Trotz allem mussten die Befragungen natürlich fortgesetzt werden. Aus humanitären Gründen wählte man hierzu eine Person, die beim Mittagessen nicht anwesend gewesen war, nämlich die Dienerin Lynia. Diese trafen sie, als sie gerade dabei war den Boden im Empfangsraum zu wischen. Ohne sich zu zieren begleitete sie die Detektive ins Freie, damit sie niemand hören konnte.
Während einem Spaziergang an einem der berühmten Kanäle entlang fragte Angorn: „Wie Ihr Euch sicherlich denken könnt, wollen wir Euch ein paar Fragen stellen.“
„Und ich dachte, Ihr wolltet mir ans Leben“, gab Lynia eiskalt zurück.
Angorn ignorierte das. „Wo wahrt Ihr in der Todesnacht?“
„In meinem Zimmer.“
„Aha. Gibt es jemanden der bei euch war, oder es anderweitig bezeugen könnte?“, fragte Angorn kühl.
„Nein. Ich habe nie Besuch.“
Flaminio konnte sich das gar nicht vorstellen und nahm sich vor eben dieses in der nächsten Zeit gehörig nachzuholen.
„Soso. Dann seid Ihr also sehr einsam, wie?“, setzte Angorn die Befragung fort.
„Das braucht Euch nicht zu scheren“, erwiderte Lynia abweisend und mit starrem Blick geradeaus.
„Und gibt es sonst noch etwas, das Ihr uns sagen könntet, was mit dem Mord in Verbindung stehen könnte?“
Lynia blieb abrupt stehen und drehte sich um. Sie pustete sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht.
„Ich habe mitbekommen, worüber es heute beim Mittagessen ging“, sagte sie unvermittelt.
„So?“
„Ehrlich gesagt kann ich gar nicht nachvollziehen, warum sich die Herrin so sehr darüber aufregt, wo sie doch selbst einen Liebhaber hat.“
Flaminio riss Augen und Mund auf. Angorn blieb ruhig.
„Woher wisst Ihr das?“, fragte Flaminio aufgebracht.
„Ich habe sie häufig gesehen, während ich Nachts noch aufgeräumt habe. Sie schleicht oft nach draußen und kehrt erst morgens zurück.“
„Wann das letzte Mal?“, fragte Flaminio.
„Es ist schon ein paar Wochen her. Das ist eigentlich ungewöhnlich.“
„Wer ist es?“, fragte nun wieder Angorn.
„Ich kenne seinen Namen nicht. Er ist groß, blond und hat einen wunderbar gezwirbelten Schnurrbart.“
„ich danke Euch“, sagte Angorn. „Ihr habt uns gute Dienste geleistet.“
Ohne auf eine Antwort auf ihr Klopfen zu warten, traten Angorn und Flaminio abermals in Frau Pandolfos Zimmer ein.
Erstaunt blickte diese auf. „Noch mehr solche Botschaften?“
„Das könnte man so sagen“, antwortete der Ritter zurückhaltend.
„So? Was gibt es denn diesmal?“, fragte sie etwas abweisend.
Flaminio platzte mit der neuen Erkenntnis heraus und schloss gleich eine Standpauke an, dass sie sich niemals so hätte aufregen dürfen, als sie das gleiche von ihrem Mann erfahren hatte. Dies endete damit, dass Angorn beschwichtigend seinem Schützling die Hand auflegte und ihn zur Seite schob.
„Woher wisst Ihr das?“, fragte rau Pandolfo matt.
„Das tut nichts zur Sache“, antwortete Angorn streng.
„Das Miststück Lynia hat es Euch gesagt, nicht wahr?“
„Das tut nichts zur Sache“, wiederholte Angorn.
„Und selbst wenn?“, was hat das schon mit dem Mord an meinem Mann zu tun?“
Angorn schwieg eisern.
„Ah! Verstehe!“, schrie die Hausherrin, „Ihr glaubt ich hätte ihn wegen eines anderen umgebracht? Das habe ich nicht! Das habe ich nicht... habe ich nicht“, schluchzte sie unter Tränen.
„Was seid Ihr für ein herzloser Mensch!“, rief Flaminio zu Angorn, „Ihr könnt sie doch nicht einfach so zurücklassen!“
Angorn sah ihn ungewohnt hart an. „Es kann jetzt niemand etwas für sie tun. Am allerwenigsten wir.“
„Aber so... das ist doch unmenschlich! Außerdem glaube ich kaum, dass sie einen Mord begangen hat.“
Angorn blinzelte ihm lächelnd zu. „So? Warum nicht?“
„Na... habt Ihr nicht gesehen, wie sie geheult hat?“, fragte Flaminio fassungslos.
„Sie ist eine vollendete Schauspielerin“, erklärte Angorn, „Vorhin hat sie uns noch sehr glaubhaft erzählt, dass sie entrüstet über die Liebeleien Ihres Mannes ist, warum sollte sie uns dann jetzt nicht vorschwindeln, dass sie unschuldig ist?“
Flaminio dachte nach. „Hm... vielleicht habt Ihr recht...“
Angorn lachte. „Darüber hinaus gebe ich dir recht: ich glaube auch nicht, dass sie einen Mord begangen hat...“
In diesem Moment kam Arthag, der Koch vorbei.
„Ah! Ich habe euch eben gesucht!“, sagte der Zwerg.
„Tatsächlich?“, fragte Angorn mit einem ironischen Lächeln.
„Ich habe darüber nachgedacht, was Ihr mir gesagt habt, dass wenn mir etwas einfällt, ich es Euch mitteilen soll.“
„Nicht mir, mein Freund. Gehen wir in Eure Küche.“
Dort angekommen erzählte Arthag: „Also, passt auf: ich habe in der fraglichen Nacht tatsächlich jemanden gesehen.“
„Fahrt fort.“
„Ich habe die Küche kurz verlassen, um einige frische Gewürze aus dem Garten zu holen, die ich dringend für mein Spezialbrot benötige...“
Flaminio fiel ihm ins Wort: „Mitten in der Nacht?“
Der Zwerg machte eine missbilligende Handbewegung. „Ich hatte am Tage eben nicht mehr daran gedacht. Jedenfalls habe ich die Dienerin Lynia durchs Haus schleichen sehen. Sie sah mich nicht, und weil wir beide uns nicht so gut verstehen, grüßte ich sie nicht. Jetzt wo Ihr es sagt, glaube ich fest, dass sie zum Hausherren gegangen ist um ihn zu ermorden.“
„Interessant“, fand Flaminio und stützte sich auf eine Ablage mit Kochgeräten, die unter seinem Gewicht zusammenbrach.
„Tölpel!“, kreischte Arthag und fing an die Gerätschaften aufzuheben und sie auf anderen Schränken zu verteilen.
„Hätte sie denn ein Motiv für so eine Tat?“, fragte Angorn um das Gespräch wieder aufzunehmen.
„Hm... ich glaube nicht, denn wir werden hier alle gut bezahlt.“
„Euch entgeht, dass es auch noch andere Motive als Geld gibt“, warf Angorn ein.
„Mag sein, aber mehr kann ich Euch nicht helfen, tut mir leid.“
„Nun gut, besten Dank“, beendete Angron das Gespräch.
Als die beiden die Küche fast verlassen hatten, drehte sich Angorn noch einmal um. Und sagte: „Fast hätte ich etwas vergessen!“
„Nämlich?“, fragte Arthag nur mäßig interessant.
„Vermisst Ihr ein Messer?“, fragte Angorn.
„Ich? Ich glaube nicht, ich will aber noch einmal nachsehen.“
Und tatsächlich: Angorn vermisste ein scharfes Messer.
„Wie kann das denn sein?“, fragte der Zwerg und kratzte sich am Kopf.
Flaminio kramte in dem einfachen Rucksack, den er immer bei sich führte und holte das blutbeschmierte Messer hervor.
„Wir haben es so im Hof gefunden“, kommentierte er.
„Jemand muss in die Küche eingebrochen sein und es entwendet haben!“, rief er wutentbrannt und wurde knallrot im Gesicht.
„Wie kann das sein, wenn Ihr in dieser Nacht die ganze Zeit in der Küche gewesen seid?“, fragte Flaminio listig.
„Es muss schon länger fehlen?“, verteidigte sich Arthag.
„Habt Ihr es denn nicht gebraucht?“, fragte Flaminio.
„Durchaus nicht. Den ganzen Tag vor dem Mord gab es nur pflanzliche Nahrung, weshalb ich das große Messer nicht benötigte.“
„Mag sein“, sagte Angorn und verließ ruckartig den Raum.
Lynia war wieder dabei den Boden des Hauses zu waschen. Diesmal in dem zur Zeit unbenutzten Esszimmer.
„Wir würden gerne noch ein paar Feinheiten klären“, begann Angorn.
„Nur zu“, sagte Lynia ohne mit ihrer Tätigkeit aufzuhören.
„Ihr sagtet, Ihr wärt die ganze Zeit in Eurem Zimmer gewesen?“, versicherte sich der Ritter.
„So ist es“, lautete sie zu erwartende Antwort.
„Und warum hat Euch dann jemand in eben dieser nacht im Haus herumschleichen sehen?“, fragte Angorn.
Lynia hielt inne und richtete sich auf.
„Wer?“
„Arthag.“
„Ihr glaubt demnach einem Zwerg mehr als mir?“, fragte sie verletzt.
„Das hat wenig mit glauben zu tun“, fuhr Flaminio dazwischen. „Wir stehen hier vor einer Tatsache!“
„Redet!“, rief Angorn etwas zu hart.
„Schon gut, ich habe verstanden. Nun ja, der Zwerg hat recht: ich bin durch das Haus gewandert, allerdings nicht um einen Mord zu begehen.“
„Sondern?“, fragte Angorn.
„Nun ja, ich habe einen Freund, den ich oft des Nachts besuche“, gestand das Mädchen ohne ein Zeichen von Scham zu zeigen.
Flaminio war aus mehreren Gründen gar nicht glücklich mit dieser Antwort.
Er fragte ungläubig: „Warum lügt Ihr uns dann vor, Ihr währt die ganze Zeit in Eurem Zimmer gewesen?“
„Nun, es ist uns, sagen wir es einmal so, nicht ganz gestattet das Haus in der Nacht zu verlassen. Ich wollte nicht in Ungnade bei der Hausherrin fallen. Und glaubt mir, ich hätte es euch kaum gesagt, müsste ich mich nicht selbst entlasten.“
„Wie ist sein Name?“, fragte der Ritter.
„Trevillio, aber bitte sicht ihn nicht auf. Er würde es nicht leiden können, dass ich es euch offenbart habe.“
Angorn verzog das Gesicht. „Das wird schätzungsweise nicht notwendig sein, denn höchstwahrscheinlich würde er sowieso – ob richtig oder falsch – genau das sagen, was Ihr von ihm verlangt.“
„Oh, Danke, Herr.“
Angorn und Flaminio verließen das Zimmer.
Kapitel 5: Nachtschatten
Herr Sevillo, der Gastgeber unseres Ritters, brachte diesem und Flaminio eine Kanne Tee, Gebäck und zwei Tassen in die Sitzgruppe im Eingangsraum.
„Ich werde aus dem Ganzen einfach nicht schlau“, sagte Flaminio soeben und stützte den Kopf in die Hände.
„So? Ich bin recht zuversichtlich, dass wir den Fall bis zum vereinbarten Zeitpunkt gänzlich aufgeklärt haben“, sagte Angorn – lächelnd wie immer.
„Tja, ich bin mir mittlerweile recht sicher, dass Lynia es gewesen sein muss...“, erklärte Flaminio.
Doch Angorn unterbrach ihn: „Ach Flaminio! Würdest du es bitte unterlassen nach jedem befragten Zeugen eine neue Verdächtigung auszusprechen?“
„Aber seht Ihr denn nicht? Sie hatte die ideale Möglichkeit, wie Ihr selbst sagtet, ihr Freund würde sicherlich alles erzählen, was sie von ihm verlangt...“
„... und das Motiv?“, fragte Angorn.
„Passt auf: der Hausherr wollte ihre Freundschaft unterbinden und erlaubte ihnen nicht sich in der Nacht zu sehen, da ermordete sie ihn kaltblütig...“
„Wir werden sehen“, sagte Angorn unzugänglich und biss in ein Gebäckteil. Zu Sevillo gewandt sagte er: „Mein Freund, würdet Ihr die Güte haben einen Boten zu Frau Pandolfo zu senden? Ich möchte noch diesen Abend alle Bewohner von ihrem aus bei Euch treffen, wenn es Euch nichts ausmacht.“
„Sicherlich nicht“, antwortete Sevillo. „Wollt Ihr etwa schon den Fall auflösen?“
„Nein. Ich möchte nur noch etwas in der Allgemeinheit kundtun.“
„Nun, so sei es. Ich werde den Boten gleich schicken.“
Und so geschah es.
Frau Pandolfo war die erste, die Herr Sevillos Tür passierte. Hinter ihr kamen all die anderen Bewohner, die Dienerschaft, die Familie und die Gäste. Nur einer war noch nicht erschienen: Anderio, der älteste Sohn der Verstorbenen. Zur Überbrückung der Wartezeit brachte Sevillo alkoholische Getränke, die auch sofort reichlich genossen wurden.
Endlich erschien Anderio. Laut stieß er die Türe auf und zeigte sich in voller Montur: weite Hosen, ein kunstvolles Oberteil und ein langer Mantel schmückten seinen schmalen Körper. Seine Haarfarbe war schwarz, die Hände bleich. Doch was in diesem Augenblick am meisten auffiel war der wilde Gesichtsausdruck und die blitzenden Augen.
Kaum war er eingetreten warf er die Tür ins Schloss und zog den Degen blank.
„Angorn und Flaminio! Genug habt ihr eure Spiele getrieben! Jetzt verlange ich Rechenschaft!“
Angorn antwortete gelassen: „Es währe unrondrianisch zu zweit gegen Euch zu kämpfen...“
Doch Anderio dachte gar nicht daran auf rondrianische Regeln Rücksicht zu nehmen und stürzte sich vor.
Darauf waren die Angegriffenen nicht gefasste gewesen und wichen also zuerst aus, während sie ihre Waffen zogen.
Die andern Gäste drängten sich gemeinsam in einen Verbindungsgang und beobachteten von dort aus das ungewöhnliche Spektakel.
Anderio zeigte sich als vollendeter Kämpfer: tänzelnd und immer in Bewegung versuchte er gegen beide Gegner gleichzeitig zu kämpfen: kaum hatte er einen Hieb gegen Angorn ausgeführt, schon war er auf dem Weg um Flaminio zu attackieren. Diesem ungewöhnlichen Kampfstil hatte er es zu verdanken, dass Flaminio schon bald eine schwere Armwunde beigebracht worden war und dieser sich in Sicherheit bringen musste.
Angorn war ebenfalls ein Krieger von echtem Schrot und Korn. Zwar verstand er sich eher auf den Kampf mit dem Schwert, als auf die eleganteren Degenduelle, doch schlug er sich durchaus so, dass er seinen Gegner das eine oder andere Mal in ernste Bedrängnis geriet. Als er merkte, dass Flaminio sich zurückziehen musste, sprang auf einen Tisch um sich etwas Luft zu verschaffen, doch mit einem eindrucksvollen Sprung hatte Anderio sich bald auf gleiche Höhe gebracht. Angorn führte nun geschwind drei schnelle Attacken in Folge aus, dann rette er sich mittels eines gewaltigen Sprunges an den Kerzenleuchter auf die andere Seite des Zimmers.
Wutentbrannt ergriff Anderio einen Stuhl und schleuderte ihn gegen seinen Gegner, der allerdings gewandt auswich.
Nun setzte sich der Kampf in der Mitte des Zimmers fort. Angorn wusste wohl, dass er einen solchen Gegner nicht in die offensive gehen lassen durfte, weshalb er so viele Angriffe wie möglich in einer möglichst geringen Zeit schaffen wollte. Der Leser wird sich freilich gut vorstellen können, dass beide Kämpfer bald ermüdet waren, weshalb sie das Tempo etwas nach unten zu schrauben suchten. Wir wollen aber unseren Angorn zu gute halten, dass er trotz seiner über fünfzig Jahre währenden Lebensdauer den Feind kaum zu Atem kommen ließ.
Der Kampf fand schließlich sein Ende, als Angorn seinem Gegner einen wichtigen Streich an dessen Handgelenk beibrachte. Dieser ließ daraufhin den Degen zu Boden fallen und konnte es nicht verhindern, dass Angorn ihm seine Waffe auf die Brust setzte.
Plötzlich erlosch das Feuer in Anderios Augen und machte Platz für unglaublichen Hass. Angemerkt sei nur, dass sich die Einwohner des Horasreiches nur höchst ungern bei solchen Disziplinen wie Degenduellen übertrumpfen ließen.
„Ergebt Ihr Euch also, oder verlangt Ihr nach härteren Maßnahmen?“, fragte Angorn, der es nicht ganz verhindern konnte, dass man merkte wie sehr er außer Atem war.
Anderio grunzte etwas und Angorn nahm seinen Degen wieder zu sich.
Frau Pandolfo eilte herbei und rief: „Anderio! Was ist nur in dich gefahren? Verzeiht ihm, Ritter Angorn!“
Dieser nickte nur und trat zu den Gästen.
Mit befehlsgewohnter Stimme sagte er: „Seid nicht zu hart mit ihm; ich glaube kaum, dass er es freiwillig getan hat.“
„Was denn sonst?“, erkundigte sich Selena.
„Ich halte es für möglich, ja gar für wahrscheinlich, dass er zu seiner Tat auf die eine oder andere Weise gezwungen wurde – etwa durch Magie.“
„Wieso meint ihr das, Ritter?“, fragte Frau Pandolfo.
„Zum Beispiel wegen der Art seines Angriffes: hätte er tatsächlich erst Herrn Pandolfo umgebracht und dann das gleiche an mir versucht, so hätte er es heimlich getan, wie beim Hausherren. Ein Mörder geht nicht mit seinen Taten hausieren, die Aufforderung zu einem unsinnigen Degenduell scheint mir da kaum ins Schema zu passen. Und einen anderen Grund für meine Beseitigung sehe ich nicht, schließlich hatten wir ihm nichts getan, nein noch nicht einmal befragt.“
Der Verwundete Gegner hatte sich mittlerweile in eine Ecke verkrochen und verband mit düsterer Miene seine Wunden. Starr hielt er die Lippen zusammengepresst.
„Vielleicht möchte uns der Angreifer selbst über seine Motive aufklären?“, fragte Flaminio, der mit einem Arm in der Schlinge wieder im Raum erschien.
Doch Anderio sagte nichts.
„Wieso habt Ihr uns überhaupt holen lassen?“, fragte Selena ungeduldig.
„Weil ich etwas wichtiges sagen möchte“, erklärte Angorn. „Aber zuerst sollten wir sehen, dass unsere Wunden...“
In eben diesem Augenblick betrat Herr Sevillo mit einem Medizinkofferchen den Raum. Schnell begann er mit einer unglaublichen Fingerfertigkeit erst Flaminio und dann Angorn zu Verbinden. Anderio hatte sich bis dahin ganz alleine ausgeholfen und saß von allen unbeachtet in einer Ecke.
„Woher könnt Ihr denn das so gut?“, fragte Flaminio höchst verwundert.
„Ah“, antwortete Sevillo lächelnd, „ich war einmal Apothekarius, müsst Ihr wissen. Ich verstehe mich auf die verschiedensten Arten des Tränkebrauens, Heilungsarten und so weiter.“
Flaminio nickte.
Angorn erhob sich schließlich und sah in die Runde. „Nun also zu meinen Bitten.“
„Lasst nur hören“, sagte Frau Pandolfo stellvertretend für alle anwesenden.
„Ich bitte Euch, dass trotz der gespannten Atmosphäre im Haus die Ruhe bewahrt wird...“
„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Selena aufgebracht.
„Schön, dass gerade Ihr das sagt, denn genau Euch hatte ich mit dieser Anspielung gemeint. Mir ist durchaus nicht entgangen, dass Ihr mut dem Gedanken spieltet, das Haus wegen Eurer... Meinungsverschiedenheit mit der geehrten Frau Pandolfo zu verlassen.“
„Und selbst wenn?“
„Ich bitte Euch es nicht zu tun. Ich brauche alle, wirklich alle, Zeugen um diesen Fall auflösen zu können. Tut es dem Toten zuliebe.“
Selena wurde glutrot im Gesicht wegen dieser erneuten Anspielung, sagte aber nichts.
In diesem Moment trat Flaminio von hinten an den Ritter heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Ja, wir sind nun sowieso fertig. Ihr könnt wieder gehen“, sagte Angorn laut und verabschiedete sich mit Flaminio ins Nebenzimmer.
„Wo ist er?“, fragte Angorn und verriegelte die Türe von innen.
Flaminio zog einen kleinen Zettel aus einer Tasche an seiner Hose und sagte: „Hier. Das muss mir jemand zugesteckt haben.“
„Ließ vor!“, forderte der Ritter.
„Also pass auf:
Ich möchte Euch dringendst ersuchen mich eine Stunde nach Mitte der Nacht in Frau Pandolfos Eingangshalle zu treffen. Bis dann, Selena.
„Das hört sich tatsächlich interessant an“, kommentierte Angorn. „Wann hast du diesen Zettel entdeckt?“
„Gerade eben erst.“
„Gut, wir werden also in der Nacht der Frau Selena einen Besuch abstatten.“
Angorn öffnete die Türe wieder und ging zurück in den Aufenthaltsraum. Die meisten Gäste waren gerade eben dabei sich zu verabschieden. Flaminio suchte nach Selena, konnte sie aber nicht entdecken.
„Wo wir gerade bei Zetteln sind“, bemerkte Flaminio zu dem Ritter und deutete auf den Tisch in der Sitzgruppe in der Ecke. „Das sieht mir sehr nach einem solchen aus!“
„Tatsächlich!“, rief Angorn und eilte hin. „Das scheint schon wieder eine Botschaft an uns zu sein!“
Angorn las sich den Brief leise durch.
Ich gebe auf. Ich hoffe Euch innerhalb der nächsten halben Stunde beim Efferdtempel zu sehen.
Keine Unterschrift.
„Wir haben genug Zeit für beide Termine!“, rief Flaminio.
Angorn wog den Kopf hin und her und nickte dann. „Du hast recht. Las uns gehen.“
Die Nacht war dunkel und kalt. Flaminio und Angorn machten sich in warmen Mänteln auf den Weg zum Stadtzentrum. Suchend blickten sie immer wieder um sich, dennoch fanden sie niemanden, der interessiert war sich mit ihnen zu unterhalten, geschweige denn sich eines Mordes zu bekennen.
„Ich bin sauer!“, murmelte Flaminio.
„Schau! Dort!“, rief Angorn und deutete auf eine Seitengasse.
Flaminio erblickte gerade noch einen maskierten Menschen, der in einer Gasse verschwand.
„Warte!“, rief er und rannte dem Anderen hinterher.
Flaminio war ein guter Läufer und folgte dem mutmaßlichen Mörder geschwind und ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Doch die Verfolgungsjagd nahm ein schnelles Ende, als Flaminio den Platz vor dem Efferdtempel erreichte.
Der Junge riss die Augen auf und konnte nicht glauben, was er da sah: auf dem Platz tummelten sich mehrere hundert Menschen – alle maskiert. Da fiel es Flaminio wie Schuppen von den Augen: heute war Maskenfest in Grangor, kein Wunder, dass die beiden einem Gast begegnet waren!
In diesem Moment kam von hinten Angorn gerannt und rief: „Flaminio! Wir haben uns reinlegen lassen! Zurück!“
Ohne auf eine Antwort zu warten war der alte Ritter auch schon auf dem Weg zurück zu Frau Pandolfos Villa. Flaminio folgte ihm kopfschüttelnd.
Kapitel 6: Die Spur wird dichter
Angorns schlimmste Befürchtungen bewahrheiteten sich: als er und Flaminio die Eingangshalle erreichten liefen sie direkt in ein furchtbares Szenario: Frau Selena lag in der Mitte der Wohnung, das Gesicht zur Treppe hin gerichtet - tot.
Ein Armbrustbolzen hatte sie von hinten durchbohrt und scheinbar sofort getötet.
„Oh, bei den Zwölfen!“, stieß Flaminio aus. „Das alles nur um uns von Selena abzulenken, die scheinbar etwas wusste, das uns geholfen hätte.“
Angorn nickte kalt. Er hatte schon zu viele Menschen sterben sehen, als dass er sich über diesen aufregen könnte.
„Flaminio, tu mir den Gefallen und benachrichtige die Hausbewohner. Ich muss nachdenken.“
Angorn drehte sich um und verließ das Haus. Er musste sich ernsthaft Gedanken machen, und das schnell.
Angorn blickte auf, als Flaminio sein Zimmer in Herr Sevillos Wohnung betrat war der Ritter gerade dabei sich die Haare zu raufen.
„Geht es dir nicht gut?“, fragte Flaminio besorgt.
„Ach, ich glaube, ich sollte langsam wirklich aufhören so etwas zu machen. Außerdem brauche ich mehr Schlaf“, antwortete Angorn.
„Hast du etwas herausgefunden?“, fragte Flaminio, obwohl er diesbezüglich kaum Hoffnung hatte.
„Eben nicht! Ich bin davon überzeugt, dass Selena nur Dinge gewusst hat, die wir auch wissen könnten, wenn wir darüber nachdenken würden, Dinge gesehen hat, die wir auch gesehen haben könnten.“
„Aber was könnte das sein?“, fragte Flaminio.
„Das weiß ich eben nicht. Manchmal frage ich mich tatsächlich, ob du mir überhaupt zuhörst.“
„Und wie kommst du darauf, ich meine, dass wir das auch wissen könnten und so weiter...“
„Sehr einfach. Ich glaube kaum, dass Frau Selena auf eigene Faust Nachforschungen angestellt hat, denn in diesem Fall wüssten wir etwas davon. Sie muss also etwas mehr oder weniger zufällig etwas bemerkt haben.“
„Jetzt verstehe ich“, murmelte Flaminio.
„Schön das zu hören“, bemerkte Angorn ironisch.
Das Frühstück in Frau Pandolfos Haus begann in gedrückter Stimmung. Wenigstens eine strittige Sache war nun geklärt: man hatte es mit einem tatsächlichen Planungsmörder zu tun, nicht einem, der den Mord „nur“ als Reaktion ausgeführt hatte.
Die Detektive bekamen diese schlechte Stimmung deutlich zu spüren. Erleichtern würde sich sicherlich nichts.
Nach dem Essen sagte Angorn zu Flaminio: „Ich würde vorschlagen, wir trennen uns. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich schlage also vor, dass wir getrennt nun Sevolio, den Gast und die Tochter Aldare aufsuchen.“
Flaminio wafo sofort ein: „So sei es! Ich kümmere mich um Aldare!“
Angorn lächelte schief und stimmte zu. „Aber pass auf, dass es bei einem ernsten Gespräch bleibt. Eine Ablenkung können wir jetzt nicht brauchen.“
„Also bis nachher.“
„Bis nachher“, echote Angorn.
Flaminio klopfte taktvoll am Zimmer Aldares. Ein schwaches „herein“ forderte ihn auf einzutreten.
Aldare war ein hübsches, kaum zwanzig Jahre altes Mädchen mit blonden Haaren, einem weichen Gesicht und zerbrechlicher Figur.
Flaminio zog den Hut und vollzog eine kunstvolle Verbeugung.
„Ich hatte damit gerechnet jetzt aufgesucht zu werden“, sagte Aldare.
Flaminio nickte und erklärte: „Es würde mich sehr belasten Euch längere Zeit stören zu müssen, so wollen wir es also kurz machen.“
„Also fangt an.“
„Also gut. Zuerst einmal: wer in diesem Haus lag im Zwist mit dem Hausherren?“, begann Flaminio.
„Da fallen mir nur zwei Personen ein: mein Bruder, Anderio...“
Flaminio unterbrach sie: „Und warum?“
„Ich weiß es nicht recht, dauernd stritten sie sich. Vielleicht schon aus Prinzip, denn bei welchem Thema auch immer – sie waren immer verschiedener Meinung.“
„Das ist allerdings kein geeignetes Motiv für einen Mord“, murmelte Flaminio.
„Wohl kaum.“
„Und der Zweite?“, fragte Flaminio.
„Ich selbst.“
„Tatsächlich?“, fragte Flaminio ungläubig, „das mag ich kaum glauben. So ein hübsches Mädchen wie Ihr?“
„Er hatte etwas altmodische Ideen von Mädchen in angesehenen Familien und sah nicht ein, warum ich manchmal Nachts fortging um mit Freunden zu feiern.“
„So, so... nicht, dass es wichtig währe, aber wo wahrt Ihr in der Nacht des Verbrechens?“
„Hier, auf meinem Zimmer. Und um gleich Eurer nächsten Frage vorzubeugen: niemand war bei mir und bezeugen kann es auch niemand“, sagte Aldare trotzig und fügte hinzu: „Werde ich jetzt verhaftet?“
„Keineswegs! Ich bin überzeugt von Eurer Unschuld und werde das auch dem Herr Ritter mitteilen“, rief Flaminio entrüstet und meinte seine Worte auch so, wie er sie sagte.
„Sind wir dann fertig?“, fragte Aldare schon mit einer etwas weicheren Stimme.
„Ja.“ Flaminio machte sich auf dem Weg zum Zimmerausgang. Plötzlich blieb er jedoch wieder stehen und drehte sich wieder um. „Und, äh, noch eine Frage...“
„Die da währe?“, fragte Aldare lächelnd.
„Möchten wir uns nachher noch einmal treffen?“
Angorn musterte seinen Gegenüber misstrauisch.
„Also, Herr Sevolio Ihr sagtet Ihr hättet ein astreines Alibi?“, fragte der Ritter verwundert.
„Stört Euch das, Ritter?“, fragte Sevolio.
„Es ist nur höchst ungewöhnlich für diesen Fall“, sagte Angorn lächelnd. „Wo wart Ihr denn?“
„Zusammen ein paar Freunden – allesamt angesehene Händler oder Mitglieder der Stadtverwaltung – beim Abendessen im Goldenen Krug. Ihr könnt gerne alle aufsuchen, ich müsste die Gästeliste hier irgendwo herumliegen haben...“
Sevolio sah einen Stapel auf dem Schreibbrett durch.
Angorn bremste ihn: „Gebt mir nur Eure Liste, allerdings glaube ich kaum, dass ich sie benötigen werde. Ich denke ich kann Euch vertrauen.“
Sevoloio hielt ihm das Blatt hin und der Ritter steckte es ein.
„Gut, ich denke, wir wären dann fertig.“
Angorn deutete eine Verbeugung an und verließ das Zimmer.
Angorn und Flaminio trafen sich auf dem gang wieder.
„Und, wie sieht es aus?“, fragte Angorn.
„Sie ist es nicht gewesen, das weiß ich bestimmt“, sagte Flaminio.
Angorn lächelte. „So? Was hat sie denn gesagt?“
„Ich habe alles notiert. Lest es nur selber durch.“
Angorn steckte auch diesen Zettel ein.
„Und nun?“, fragte Flaminio.
„Zunächst einmal bleiben noch die beiden anderen Söhne des Hausherren zu befragen, den kleinen Alricio und Anderio. Ich denke, ich werde mich besser um den Kleinen kümmern, denn ich befürchte, dass mir der ältere gleich an die Kehle springt, wenn er mich nur sieht!“
Flaminio nickte und sagte: „Also los!“
Anderio war sehr übel gelaunt an diesem Morgen. Deutlich merkte man ihm seine Wut an, als Flaminio ihn darum bat mit ihm über die Morde zu sprechen.
„Also gut, aber fasst Euch kurz!“, stimmte Anderio schließlich zu.
„Ich habe gehört, Ihr habt Euch nicht sonderlich mit dem Hausherren vertragen, Anderio. Was sagt Ihr dazu?“, fragte Flaminio.
„Ich mache daraus kein Geheimnis. Er hat mich nicht gemocht und ich habe ihn nicht gemocht. Und? Ist das jetzt schon ein Schuldgeständnis?“
„Es liegt an Euch dies zu beurteilen“, warf Flaminio ein. „Ist es denn eins?“
„Natürlich nicht! Würde ich sonst so fei mit Euch darüber sprechen?“
„Verbergen könnt Ihr es kaum, denn wir haben es schon mehrfach gehört. Ich glaube vielmehr, dass Ihr genau das tut, was ein Mörder an Eurer Stelle tu würde.“
„Wie dem auch sei. Ihr habt nichts gegen mich in der Hand.“
„Man wird sehen. Wo wart Ihr denn in der ersten Tatnacht?“
„In einer Kneipe mit meinen Freunden.“
„Wie heißen die und wo sind sie?“
„Das werde ich Euch nicht sagen, denn es geht Euch nichts an.“
Flaminio funkelte böse zu ihm herüber. „Ich sehe das anders.“
„Seht es, wie Ihr wollt.“
„Ihr wisst, dass Ihr somit kein funktionierendes Alibi, wohl aber ein Motiv habt?“, fragte Flaminio.
„Was schert es mich? Ich bin es ja nicht gewesen!“
„Wie Ihr wollt. Es ist Eure Sache. Wenn Ihr es doch gewesen seid, werden wir Euch auch ohne ein Schuldgeständnis überführen.“
„Soll das so etwas wie eine Anklage sein?“, fragte Anderio und zog den Degen blank.
Flaminio hob abwehrend die Hände. „Nicht liegt mir ferner. Es war nichts als reine Tatsachen. Ich habe Euch nicht beschuldigt.“
Der Händlersohn drehte sich um und ließ Anderio allein.
Frau Pandolfo war äußerst unghalten, als Angorn ihr eröffnete, dass er sich mit dem kleinen Alricio unterhalten wolle.
„Er ist doch noch ein kleiner Junge!“, rief die Hausherrin. „Er ist sicher ganz verängstigt wegen dieser ganzen Geschichte.“
„Das mag ich ja gerne glauben, aber dennoch werde ich kaum darum herum kommen mich mit ihm zu unterhalten. Ich kann Euch aber gerne versprechen, dass ich es kurz halten will.“
Frau Pandolfo stimmte schließlich murrend zu, da sie erkannte, dass der Ritter durchaus nicht bereit war von seiner Meinung abzurücken.
Als Angorn schließlich vor dem kleinen Alricio niederkniete kroch dieser verängstigt in eine Ecke.
Mit sanfter Stimme sprach der Ritter „Also, Kleiner, ich möchte jetzt gerne mit dir über deinen Vater sprechen.“
Alricio presste die Lippen zusammen.
„Wie war der letzte Tag, den du mit ihm verbringen durftest?“, fragte Angorn.
Alricio schüttelte den Kopf.
„Du willst dich nicht mit mir unterhalten? Ich bitte dich aber sehr darum.“
„Man schlägt mich tot, wenn ich rede!“, brach Alricio schließlich hervor.
Angorn nickte stumm. Damit hatte er gerechnet. Langsam hatte er das Gefühl, dass er der einzige war, der den Fall noch nicht auflösen konnte.
Das Mittagessen verlief ähnlich wie das Frühstück schweigend und in gedrückter Stimmung.
Nach dem Essen trafen sich Angorn und Flaminio und saßen gemeinsam im kleinen Teezimmer von Frau Pandolfos Haus.
„So, jetzt ist es passiert“, stöhnte Flaminio, „wir haben alle Zeugen befragt und trotzdem haben wir noch immer keine Auflösung des Falles und obendrein nur noch bis heute Abend Zeit, wenn wir nicht unser Gesicht verlieren wollen.“
Angorn lächelte diesmal nicht, denn er wusste, dass Flaminios Pessimismus angebracht war. Neben ihm auf dem Boden lag der Bericht von Flaminios Besuch bei Aldare und blätterte ihn durch.
„Warum genau glaubst du, dass sie es nicht gewesen ist?“, fragte der Ritter.
Flaminio lief rot im Gesicht an und sagte: „Mein Instinkt sagt es mir.“
„Aber sie hätte ein Motiv, kein Gutes selbstverständlich, aber immerhin. Und kein Alibi – genauso wie ihr Bruden, den du sehr verdächtigst. Wie passt das zusammen?“
„Nun, sie hat... nicht die Mentalität für so einen Mord“, murmelte Flaminio und versuchte überzeugt dreinzublicken.
In eben diesem Moment kam Frau Pandolfo herein und sagte: „Ich möchte nur kurz sagen, ass ich nun den Herrn Sevillo aufsuche um die letzten Geschäfte des Vaters mit ihm durchzugehen. Mein Mann hat nämlich in den letzten paar Wochen nur mit ihm zusammengearbeitet.“
Angron nickte und Flaminio sagte verabschiedende Worte
„Ach ja, wie sieht es mit der Auflösung des Falles aus? Vor der Totenfeier sollte es geklärt sein“, sagte die Hausherrin.
Angorn nickte und sagte: „Wir werden es bis dahin geschafft haben.“
Frau Pandolfo verschwand und Flaminio warf Angorn fragende Blicke zu. „Ich dachte, du währst auch nicht viel schlauer als ich, und jetzt sagst du, dass wir es schaffen werden...?“
Angorn lächelte wieder und sagte: „Ja, denn ich habe das Gefühl, dass ich ein Riesenhornochse bin! Ich werde nun eine Kleinigkeit unternehmen. Wir sehen uns bei Sonnenuntergang bei Sevillo. Du kannst bereits den anderen mitteilen, dass ich gedenke aufzulösen.“
Flaminio nickte verwundert.
„Und was hast du vor?“, fragte Angorn.
„Na ja, ich wollte eigentlich mit Aldare auf einen Spanziergang gehen...“, sagte der Junge verlegen.
Arion lachte jetzt und sagte wohlwollend: „Tu das nur! Bis nachher!“
Und damit verließ der Ritter das Zimmer.
Kapitel 7: Das Ende einer Tragödie
Flaminio teilte am späten Nachmittag allen Hausbewohnern mit, dass Ritter Angorn allesamt bei Sonnenuntergang im Hause Sevillos treffen wollte.
Flaminio hätte wirklich gerne bereits als erstes die Auflösung erfahren, doch er traf gerade rechtzeitig mit allen anderen bei Sevillo ein.
Gemeinsam setzten sie sich in einem Halbkreis um den Ritter, der unruhig auf und ab ging.
„Nun also“, begann Frau Pandolfo, „wollen wir also sehen, was der Ritter uns zu sagen hat.“
„Heute Abend wollen wir zwei Leute beisetzen, die durch fremde Hand gestorben sind. Ich muss selbst eingestehen, dass Frau Selena vielleicht noch leben würde, wenn ich etwas mehr nachgedacht hätte, aber leider weiß man solches meist erst später.“
Alle nickten andächtig.
„Frau Pandolfo hat mich beauftragt diese unglücksselige Geschichte aufzulösen und gemeinsam mit meinem Freund Flaminio haben wir es zu diesem Zeitpunkt auch geschafft. Eines vorneweg: der Mörder befindet sich in diesen Minuten unter uns, aber das wussten wir selbstverständlich schon die ganze Zeit.“
„Kommt zur Sache!“, rief Frau Pandolfo. „Ich möchte wissen, wer meinen Mann umgebracht hat!“
„Dazu gleich, werte Frau Pandolfo“, beschwichtigte der Ritter sie, „ich möchte aber nicht, dass Ihr nur den Mörder kennt, sondern, dass Ihr auch wisst, warum er es getan hat.“
Dem Leser sei an dieser Stelle kurz erläutert, dass unser Ritter Angorn einen leichten Drang zum dramatischen verspürte.
„Wir wissen alle, dass eigentlich jeder hier verdächtig ist: Frau Lynia, die uns bewusst angelogen hat, sie wäre auf ihrem Zimmer gewesen, in Wirklichkeit aber durch das Haus wanderte...“
Die Gesichter aller Anwesenden zeigten Spannung.
„... Arthag, der Koch, der die mutmaßliche Tatwaffe besaß und sie komischerweise den ganzen Tag nicht vermisst hatte...“
Der Zwerg fiel ihm ins Wort: „Ich sagte doch bereits...“
„... Das ist jetzt nicht der Punkt, Arthag! Weiter also: Anderio, der seinen Vater hasste, Aldare, die ebenfalls im Streit mit dem Vater lag, der kleine Alricio, der etwas weiß, aber nichts sagen möchte, Sevolio, der in den Tagebuchnotizen des Hausherren als Taugenichts beschimpft worden war und sogar Frau Pandolfo, die sich einen Geliebten hielt, von dem Herr Pandolfo nichts wusste.“
„Aber das ist ja...!“, rief die letztgenannte, doch sie verstummte, als Flaminio ihr die Hand auf die Schulter legte.
„Ich muss bei dieser Gelegenheit gestehen, dass Flaminio und ich zwei entscheidende Fehler gemacht haben, die mir in meinem Alter nicht mehr passieren sollten. Zuerst zu dem weniger offensichtlichen: immer hatten wir angenommen, dass es sich bei der Tatwaffe um ein Messer handelte.“
„Das ist ja wohl auch offensichtlich!“, warf Lynia ein.
„Da habt Ihr recht, es ist aber nicht die Wahrheit, Lynia. Mir machte nämlich die Art des Mordes zu schaffen: der Hausherr war mit beinahe einem halben duzend Stichen durchbohrt gewesen, die einen Menschen sofort getötet hätten. Warum sollte ein Mörder das tun? Doch wohl nur, wenn es sich um einen Reaktionsmord handelt, der voller Wut ausgeführt war. Konnte es aber ein solcher sein? Nein, denn dazu müsste ein Mensch zu ihm ins Zimmer gekommen sein, gar nicht mit der Absicht einen Mord zu begehen und deshalb hätte er es kaum vermieden gesehen zu werden. So hätte die Dienerin Lynia also gewusst, dass sich ein Mensch bei Herr Pandolfo aufhielt. Hat sie das aber? Es lag an mir dies herauszufinden, also habe ich mir die letzte Gewissheit verschafft und einen Medikus kommen lassen, der sich die Wunde ansah. Er diagnostizierte allerdings etwas ganz anderes: Tot durch Gift: Kukris, das wohl beliebtest Gift unter professionellen Meuchlern. Des weiteren stellte er eine Dosis Schlafmittel fest. Es wird also so gewesen sein, dass Pandolfo von dem Wasserglas auf dem Brett neben seinem Bett trank, das zuvor mit Schlafmittel und Kukris angereichert worden war und erst in schweren Schlaf und schließlich in den Tot fiel. Die Messerstiche wurden somit erst nachträglich angebracht um uns vom richtigen Tatwerkzeug abzulenken. Es gibt allerdings noch einen anderen Fehler, den wir begangen haben, der eigentlich nicht verzeihlich ist: wir nahmen die ganze Zeit über an, dass sich der Mörder unter dem Haus der Pandolfo Familie aufgehalten haben musste. Woher aber nahmen wir diese Gewissheit? Im Nachhinein habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung.“
Die Anwesenden hingen mit starrem Blick am Körper des Ritters.
„Dabei war der Mörder aus einem ganz anderen Haus. Ich spreche von unserem lieben Gastgeber, Sevillo.“
Der Gastgeber wollte aufspringen, doch im gleichen Moment hatte er bereits Flaminios Degen am Hals.
„Ihr wollt sicherlich wissen, warum er das getan haben sollte und vor allem wie ich darauf gekommen bin“, fuhr Angorn unbekümmert fort. „Nun, also: es gab eine ganze Menge Anzeichen. Beginnen möchte ich mit dem Grund meiner Ankunft hier in Grangor. Herr Pandolfo hatte mich rufen lassen um mit mir ein Geschäft durchzugehen, bei dem er nicht wusste, ob er es annehmen sollte. Die ganze Angelegenheit hatte sich natürlich erledigt, als der Hausherr bereits tot war, als ich ankam. Später entdeckten Flaminio und ich in den Tagebuchaufzeichnungen des Toten, dass er eben dieses Geschäft abgelehnt hat. Aber was war das für ein Geschäft und mit wem wollte er dieses abschließen? Letzteres läst sich selbstverständlich leicht beantworten, denn wir haben ihn bereits enttarnt. Sevillo war nach Angaben der Frau des Ermordeten der Einzige, mit dem der Ermordete in den letzten Wochen seines Lebens Handel trieb. Welche Form dieses Geschäft hatte weiß ich nicht, denn es ist nirgendwo erwähnt, es ist allerdings sehr anzunehmen, dass es sich eher um eine illegale Angelegenheit gehandelt hat. Was tut also ein Mensch, der einen Mitwisser hat, der bei wissen-die-Götter wem davon erzählt? Der Mitwisser muss aus dem Weg geschafft werden. Sevillo hat hier einen kleinen Bonus, denn er war einst Apothekarius, wie er uns selbst erzählt hat. In seinem Zimmer entdeckte ich bereits am Tag meiner Anreise die Mirhamer Seidenliane, die normalerweise für das drehen von Seilen verwendet wird, in diesem fall allerdings für die Herstellung des Kukris Giftes verwendet wird. Nun tauchen aber wir auf und versuchen ihm auf die Spur zu kommen. Und auch hier kommt ihm seine Vergangenheit als Tränkebrauer zu gute: er stellt einen Trank her, den er Andario verabreicht, dem ältesten Sohn des Verstorbenen. Der Trank war magisch und zwingt Andario sich gegen mich und Flaminio in einem Degenduell zu stellen – wohl um uns entweder einzuschüchtern, zu töten oder auch nur die Spur auf einen anderen zu lenken. Nun zum zweiten Mord: Selena hatte nämlich genau das gesehen, was ich auch festgestellt habe, mir aber nichts dabei gedacht hatte, nämlich die Pflanze Mirhamer Seidenliane – der Grundbestand für das Gift – im Arbeitszimmer des Herren Sevillo. Sie kam also auf diese Idee und wollte sie uns mitteilen. Sevillo aber hatte sie gesehen und musste sie sofort aus dem Weg räumen, weshalb er uns derweilen in die Stadt schickte. Dieser Trick ist sehr, sehr alt, aber erstaunlicherweise wirkt er selbst bei einem alten Hund wie mir immer noch... Ich denke, das war die ganze Geschichte. Ich schlage vor wir holen jetzt die Garde.“
Kapitel 8: Die Totenfeier
Angorn stand mit gesenktem Kopf bei den Menschen, die sich nach der Bestattung noch in stiller Gemeinschaft im Aufenthaltsraum von Frau Pandolfo aufhielten.
Nachdem der Ritter den Fall aufgeklärt hatte, hatte man den Mörder abführen lassen und war zur Bestattung aufgebrochen. Angorn hoffte, dass dies alles bald einmal ein Ende haben würde, denn er spürte immer deutlicher, dass er dies alles immer schwerer ertrug. Vielleicht sollte er künftig doch lieber auf seiner Burg bleiben und das Alter genießen. Andererseits – wer würde dann die Mordfälle lösen?
Angorns gesamte Hoffnung ruhte auf Flaminio, der sich vielleicht eines Tages zu einem brauchbaren Detektiv entwickeln würde, aber bis dahin würde vielleicht noch viel Zeit vergehen.
Kaum hatte er an den jungen Händlersohn gedacht tauchte dieser hinter ihm auf und sprach ihn an: „Angorn! Ich habe eine tolle Neuigkeit!“
„Was denn, Flaminio?“
„Aldare und ich werden heiraten!“
Angorn lächelte und wusste, dass sich diese Entscheidungen bei Flaminio von einem auf den anderen Tag ändern konnten. „Ich wünsche euch alles gute.“
Vielleicht würde es ja diesmal etwas werden. Aber das würde die Zeit zeigen.