
Endlich graute der Morgen, obwohl das Alveranszelt über der Hügelkuppe noch tiefschwarz war. Das fahle Licht des Tages kroch nur schwerfällig am Himmel empor. Dafür hielt sich die Nachtkälte im Schatten des Hügels hervorragend. Dennoch atmete ich erleichtert auf. Wir waren nicht entdeckt worden.
„Wir teilen uns auf,“ schlug ich schließlich vor, als wir an einem kalten Frühstück kauten. Der Plan war schnell gefasst: Rahjadis und Paske wollten die Dornenhecke untersuchen. Sie mussten herausfinden, ob es eine Möglichkeit gab, sich durch das dichte Gestrüpp zu schleichen. Alondro und ich hingegen – ich sah uns bereits wie ein eingespieltes Späherteam – würden uns an das Heer heranwagen, um bis zum Nachmittag mehr über das Lager herauszufinden. Bevor es erneut dunkelte, wollten wir uns wieder treffen.
Alondro und ich machten uns auf den Weg, mit Zandon in einigem Abstand hinter uns. Der Druide hielt sich zurück, während Alondro und ich uns näher an das Lager heranschlichen. Die Bäume wurden spärlicher. Als wir den höchsten Punkt des Hügels erreichten, hielt ich inne, überwältigt von der schieren Masse an Zelten und Kämpfern, die sich unter uns ausbreitete. Meine Augen blieben an einem Banner hängen, das sich im leichten Wind hob. Ein Schauer lief mir über den Rücken: Das war das alte Banner von Altzoll, das Zeichen der Schwarzen Lande. Der Anblick weckte Erinnerungen und die stille Wut darüber, dass immer noch unzählige Heerführer und Söldneranführer ihr Unwesen in diesem ausgelaugten Land trieben.
„Drachengardisten... und Söldner“, murmelte Alondro. Zwischen den Zelten bewegten sich viele dieser Kämpfer. Die Untoten allerdings waren nirgendwo zu sehen. Vielleicht hatten die Nekromanten sie zurück in die Schatten geholt, unter Zelte und Planen, da heute die Sonne durch die Wolkendecke brechen könnte. Doch die Anzeichen sprachen dafür, dass mindestens genauso viele Untote wie lebende Krieger das Heer verstärkten - es mussten insgesamt dreihundert Kämpfer sein.
Alondro deutete auf ein größeres Zelt im Herzen des Heerlagers. „Dort drin werden die Befehle ausgegeben“, flüsterte er. Sofort hatte ich das Bild von Lucardus, dem Verräter, vor meinem inneren Auge, wie er über einen Tisch mit Karten und Plänen gebeugt dastand, und mit einer Handvoll Totenbeschwörern die Köpfe zusammensteckte. Ein Funkeln blitzte in seinen Augen auf. „Ein Brandpfeil“, sagte er schließlich versonnen. Der Übermut sprang sofort auf mich über und ich wusste, dass das ein unvernünftiger Vorschlag war, doch tief in mir fühlte es sich... richtig an. „Es ist riskant,“ meinte ich, „aber wenn wir gar nichts tun, geben wir Lucardus einen weiteren Tag für seine Vorbereitungen.“
Alondro spannte den Bogen, ein schmaler Brandpfeil glühte in der Morgenluft und zischte davon. Der Pfeil fand sein Ziel - eines der Zelte am Rande des Lagers. Erst geschah nichts. Doch dann brach Unruhe aus, als die Soldaten bemerkten, dass das Zelt Feuer gefangen hatte. Dem Raunen, das lauter wurde, lauschten wir nicht mehr. Ich spürte, wie mein Herzschlag sich beschleunigte, doch es gab keine Zeit zu verlieren. „Zurück!“ flüsterte ich. Wir zogen uns hastig in den Schutz der Bäume zurück, so leise und schnell, wie es uns möglich war.
„Lasst die Hunde los!“ hallte es über das Lager hinweg. Die Stimme eines Offiziers, scharf und bestimmend. Ein Schaudern lief mir über den Rücken, und ich war mir sicher, dass unsichtbare Späher in die Lüfte stiegen. Lucardus' Heer war auf der Suche nach uns.
Im Lager, unweit des flammenden Zeltes, sorgte die Nachricht von Angreifern für Panik.
„Sie haben einen unserer Nekromanten getötet!“, rief ein Söldner und hielt sich verängstigt an seinem Schwert fest.
Ein anderer schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Und die Vorräte! Verdammt, sie haben unsere Vorräte angezündet. Das wird Lucardus ganz und gar nicht gefallen.“
Ein leises Husten erklang in der Dunkelheit, gefolgt von einer bedrohlich ruhigen Stimme. „Was genau wird mir nicht gefallen?“