Die Grafenburg von Altzoll ragte wehrhaft auf ihrem Hügel in den Abendhimmel, als wir uns ihr näherten. Ihre Mauern aus grobem Stein schienen aus der Landschaft erwachsen, als hätten sie dort schon immer gestanden. Sie war ein Symbol der Macht, und nun hatte der Machthaber gewechselt. Die gestreifte Flagge der Familie Mersingen wehte über den Zinnen, auch wenn mir meine Augen das Gelb zwischen dem Schwarz nicht offenbarten. Im Inneren, im großen Bankettsaal, herrschte eine Atmosphäre gegensätzlicher Pole, von Feierlaune und Disziplin. Viele Menschen, denen wir begegneten, waren Angehörige des Heeres. Überall glänzte Silber, an den Griffen von Waffen und als Tafelsilber.
Vor dem Bankett gab es eine Zeremonie - zu unseren Ehren. Paske von Rabenmund, Rahjadis Ulfhart-Bonareth, Alondro und mir wurde uns eine große Ehre zuteil. Der Markgraf steckte jeder von uns von eigener Hand einen silbernen Anstecker an die Brust: zwei gekreuzte Schwerter vor einem Schild. Diese Orden waren Kaiser-Raul-Schwerter in Silber – ein militärischer Orden für besondere Leistungen, wie mir Rahjadis erklärte. Ich fühlte mich geehrt, als mir die Auszeichnung überreicht wurde. Ein Zeichen für Mut und Stärke, verliehen für unsere außergewöhnliche Dienste um die Befreiung der Schattenlande. Doch Alondro, unser stets schweigsamer Jäger, schien keinen großen Wert darauf zu legen. Er nahm den Anstecker kaum an und steckte ihn direkt wieder weg. Für ihn waren es wohl keine Orden, die seinen Wert bestimmten. Ich hoffte nur, dass er diese Auszeichnung nicht bei seiner nächsten Würfelrunde in einer Taverne als Einsatz verpfändete.
Nach dem Essen erbat ich die Gelegenheit, mit Borondria, der Hochmeisterin der Golgariten, zu sprechen. Sie gewährte mir eine Audienz in ihren Gemächern. Ihre Räumlichkeiten waren kaum dieses hochtrabenden Ausdrucks wert. Sie hieß mich, ihr in ein karges Arbeitszimmer zu folgen, das ihrem strengen und pflichtbewussten Wesen entsprach. Dort erzählte ich ihr in knappen Worten von unserem Kampf im und unter dem Unheiligtum der Herrin der Heulenden Finsternis. Dies war mir ein Anliegen gewesen, dass ich der hohen Erzpriesterin persönlich von unseren, und ja, meinen Leistungen berichten konnte. Und ich wagte mich weiter: Ich brauchte geweihte Pfeile, um in kommenden Kämpfen sicher auf den Beistand Borons zählen zu können, da ich keine geweihte Waffe führen konnte. Borondria war zögerlich, doch schließlich gewährte sie mir diese Bitte. Ihre Miene blieb ernst, fast widerwillig, doch sie wusste, dass es notwendig war.
Ich erkundigte mich auch, ob Borondria eine weitere Vision des weißen Raben gehabt hatte, wie wir es beide schon einst erlebt hatten. Doch auch sie hatte keine Zeichen erhalten. „Achte auf die Zeichen, die er dir sendet“, riet sie mir mit festem Blick, und ich versprach, wachsam zu bleiben. "Er". Ich war mir nicht ganz sicher war, ob sie damit den Herrn der Ewigkeit - den Herrn Boron - oder Bishdariel als Sendbote der Visionen in dieser Gestalt, im schneeweißen Gefieder, meinte. Ich fragte auch nicht nach. War es nicht eins, da Bishdariel auf Borons Geheiß hin handelte?
Später führte mich ein Bediensteter zu Gernot von Mersingen. Sein Arbeitszimmer war weitaus luxuriöser eingerichtet als das von Borondria, doch ich wusste, dass es ihre eigene Wahl war, in Bescheidenheit zu leben. In dem Raum traf ich auch Rahjadis, Ritter Paske und Alondro wieder. Der Markgraf erklärte uns seinen nächsten Auftrag an uns: Etwas Unheimliches ging im Stadtviertel Grafbergen vor. Blumen erblühten viel zu früh, und in anderen Teilen der Stadt, wie in Beinwerk, wuchsen die Pflanzen in einem wilden, unnatürlichen Ausmaß. Rahjadis berichtete ihm von der „Kraftlinie“, die sie auf unserer Reise immer wieder auf magische Weise untersucht und beobachtet hatte. Sie erklärte ihm, dass dieser Fluss arkaner Kraft eine starke Affinität zum Element der Erde hätte. Gernots Schilderungen, dass Gebäude von Pflanzen umschlungen und Keller von Schlamm verschüttet würden, fügten sich gut in dieses Bild einer ungezähmten Kraft, die durch die Erde floss. Doch warum sie sich genau in Altzoll Bahn brach, blieb vorerst ein Rätsel. Welches er zu lösen uns beauftragte. Mit welchem Recht verfügte er eigentlich über uns?
Ich hätte den Auftrag gerne höflich abgelehnt, doch meine Ehrfurcht vor dem Adel hinderte mich daran. Zudem brachte der Markgraf noch ein weiteres Hilfsgesuch vor. Aus der Ortschaft Wulfen hatte ihn ein seltsamer Bericht erreicht. Der Boronanger dort sollte neu geweiht werden, und es gab Berichte von mysteriösen Vorkommnissen. Meine Neugier war geweckt, denn dies war nun mein Fachgebiet. Gernot plante, seine Schwester Bishdalia und zu ihrem Schutz den Golgariten Elurion nach Wulfen zu entsenden.
Bishdalia kannte ich bereits. Sie hatte sich Josmars, des verkrüppelten Messdieners, angenommen. Ich freute mich auf die bevorstehende Reise mit ihr. Josmar jedoch würde in der Stadt bleiben, aber ich hatte bereits gehört, dass er große Fortschritte machte. Er betete zu Boron und arbeitete hart daran, seine dunkle Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ich war stolz auf ihn und sah ihn bereits jetzt in einer besseren Zeit als die, die hinter ihm lag.