Als wir den düsteren Thargunitoth-Tempel verließen, umfing uns die kalte Luft wie eine unnachgiebige Erinnerung an die Realität. Kalte Luft, durchsetzt mit Waffenklirren und Schreien. Wie alveranische Boten hielten drei Reiter auf uns zu - Gernot von Mersingen, die düstere Hochmeisterin der Golgariten Borondria, und ein Mann, dessen Name mir im ersten Moment entglitt. Doch als ich das Gesicht mit dem spitzen Kinn und den akkuraten Seitenscheitel sah, fiel er mir wieder ein: Welfert von Mersingen, der Heerführer, mit seinem wieselartigen Gesichtsausdruck.
Während sie näherkamen, spürte ich die Präsenz des Jungen neben mir. Der Name, den er bisher getragen hatte, war eine Erinnerung an seine schreckliche Vergangenheit, an die Verdorbenheit des "Tempels" und seines Meisters. Wenn er all dies hinter sich lassen wollte, so musste er auch seinen alten Namen ablegen.„Mein Junge,“ sagte ich bestimmt und der Junge blickte zu mir auf. „Wenn du ein neues Leben beginnst, dann auch mit einem neuen Namen.“ Sein Blick verriet mir, dass er diesen Neuanfang akzeptierte, auch wenn die Angst vor dem Unbekannten noch nicht vollständig von ihm gewichen war. Im Gedenken an die Großmeisterin meines Ordens, Josmabith saba Marbod, nannte ich ihn Josmar und er war's zufrieden.
Das Aufeinandertreffen mit den zwei hohen Herrschaften und der ehrwürdigen Golgariten-Großmeisterin verlief knapp. Sie schienen recht angetan von unserer Leistung, dass wir uns des Unheiligtums auf eigene Faust angenommen hatten und den Anführer des Thargunitoth-Kultes bereits ins Jenseits befördert hatten. Verzeih meinen saloppen Ausdruck.
Die erste Woche in Altzoll war ein Durcheinander aus Scharmützeln und Gerüchten. Tykran Bluthand fand sein Ende, und der zwielichtige Leichenhändler Xarfried Jerganer verschwand spurlos. Auch die berüchtigte Borbarad-Hohepriesterin Iriaja Schwarzentann, deren Bekanntschaft wir gemacht hatten, war wie vom Erdboden verschluckt. Für Agrima Vegensen, die ehrgeizige Schmiedin, war es unter den neuen Umständen kein Vorteil, dass ihr Ruf besagte, sie würde sich jedem Herrn anzubiedern, der ihr von Nutzen sein könnte. Es gab so viel Unruhe, so viel Chaos. Aber der Tod von Gansfried, der sich uns zuerst als Iriadon vorgestellt hatte und der Sprecher der Armen gewesen war, schmerzte mich am meisten.
Während Rahjadis in Guntians Diarium las und ihre Augen an Spekulationen über Todesgötter und die düsteren Visionen eines mysteriösen „L.“ - Lucardus, sicherlich? - hängen blieben, beschäftigte ich mich mit Josmar. Ich wollte sicherstellen, dass er den richtigen Weg fand - fernab von dem Wahnsinn, dem er so lange ausgesetzt war. Sein Geist war verletzt, doch noch nicht verloren. In den Gesprächen mit den Borongeweihten, derer es nun nicht mehr mangelte, erkundigte ich mich, wer bereit und fähig wäre, ihn unter ihre oder seine Fittiche zu nehmen. Schließlich fand ich eine junge Etilianerin, Bishdalia von Mersingen. Sie war die Schwester des Markgrafen Gernot von Mersingen. Sie war klug, mitfühlend und stark, genau die Art von Person, die Josmar auf seinem Weg brauchen würde.
Ich öffnete die Kiste, die wir im Tempel gefunden hatten, mit dem Rabenschnabel, den wir dort ebenfalls aufgelesen hatten. Selbstverständlich übergab ich die Ordenswaffe bald darauf den Golgariten. In der Kiste befand sich Tand, ein Amulett und Geld, das ich gerecht aufteilte - auch Josmar bekam einen Anteil. Es sollte sein erster Schritt in ein selbstbestimmtes Leben sein.
Doch bevor ich mich weiter um ihn kümmern konnte, kam eine Einladung zum Abendessen mit Gernot von Mersingen in der Grafenburg. Rahjadis wettete, dass dieses Treffen mit Lucardus zu tun haben würde. Keiner von uns wagte, dagegen zu wetten. Ich hoffte, dass Gernot uns zumindest einige neue Informationen geben konnte und würde, was außerhalb der Stadt geschehen war. Lucardus' rascher Auszug aus der Stadt, gerade als wir in Altzoll ankamen, ließ mich noch immer die prophetische Gabe bei ihm argwöhnen.