Das Blutopfer
Allondro nähte ein schwarzes Tuch über die Stickerei auf dem Rücken meiner Robe, die mich als Traumdeuterin ausweist - zumindest so lange, bis er sich zu einer Gruppe Kartenspieler gesellte. Um meine Tarnung zu komplettieren, unternahmen Rahjadis und ich einen Spaziergang in den Wald in der Dämmerung einen passenden Stock. Sie fertigte für mich mittels Magie einen Magierstab. Es war natürlich ein unmagischer Stecken, aber sie formte ihn sehr kunstfertig aus Holz, dass sie weich wie Ton werden ließ - kunstfertig, bis das Kopfende zum Schluss herabsackte und nicht mehr aufrecht halten wollte. Es gemahnte nun an eine altersschwache Blüte, die den Kopf hängen ließ.
Wir hatten noch genügend Restlicht und Tatendrang, um den Alzunam-Schrein aufzusuchen. Immerhin waren wir sowieso schon in der Nähe und ich wollte diesen seltsamen Schrein mit eigenen Augen sehen. Wir hatten noch genügend Restlicht, um den Umweg auf uns zu nehmen.
Wir kamen an Feldern vorbei, die gesund und ertragreich aussahen. Doch wir sahen auch die kreisrunden Flecken, die wir vom Pferderücken aus bereits erspäht hatten. Beim genaueren Ansehen war der Boden dort nicht gänzlich tot. Die Pflanzen waren krank wie das Land ringsum, abgesehen von den Getreidefeldern,
Lange mussten wir nicht nach der Stelle suchen, die die Dorfälteste Erdmute uns gewiesen hatte. Denn wir bemerkten eine Bewegung auf dem Feldweg: Ein Mann näherte sich dem Steinblock, der an einer Kreuzung zweier Pfade zwischen den Äckern stand. Wir waren nahe genug - und die Flur war still, da die Wildtiere fehlten -, dass wir das meiste von dem hörten, was der Mann in die Dämmerung sprach. Die Schneide eines Messers blinkte kurz, als er sich damit an der Hand schnitt. Er streckte seine Hand aus, ging einen Schritt auf den behauenen Felsblock zu und sagte: "Alzunam! ... segne unsere Felder! Bewahre unsere Tiere..."
So brachte er sein Blutopfer dar. Aufgrund dessen, was wir gesehen und gehört hatten, vermutete ich, dass sich hinter dem seltsamen Namen eine Anbetungsform der Erdmutter Sumu verbarg. Mindestens die Dorfbewohner hier in diesem Ort brachten Blutopfern in ihrem Namen dar. Zuvor hatte ich noch nie davon gehört. Mir schien, es war wohl der makabere Einfluss des Nekromantenrates, dass diese Menschen für die Fruchtbarkeit der Felder ihr Blut opferten.
Der Mann beendete seine kurze Anrufung und machte sich auf seinen Rückweg in Richtung Dorf. Donna Rahjadis... nein, als 'Zantaris' sollte ich von nun an von ihr denken... und ich schlichen uns an den kruden Altar heran. Nun, ich schlich und sie ging. Die Magierin sprach einen Zauber, um Magie in unserer Umgebung zu sehen - und siehe da, sie erklärte mir, dass der Zauber ihr eine ganze Linie arkaner Kraft offenlegte, die sich durch die Felder zog. Somit war für mich der Beweis erbracht, dass sich die wundersame Fruchtbarkeit nicht um ein göttliches, sondern ein magisches Phänomen handelte.
Befeuert von dieser Erkenntnis war unsere letzte Tat im Dorf, bevor wir am nächsten Morgen wieder unsere Pferde bestiegen, die Dorfälteste Erdmute zu warnen: Wir sagten ihr im Vertrauen, nachdem wir nach unsrem Gang zu Alzunams Opferaltar an ihrer Türe gepocht hatten, dass das Heer des Markgrafen in drei Tagen durchziehen würde und sie und all ihre Mitmenschen besser daran täten, von nun an passende Opfergaben an die Herrin Peraine darzubringen, statt ihr Blut für Götzen zu vergießen. So schockiert sie auch war, versprach sie doch mit großem Ernst, meinen Ratschlag zu beherzigen. - Ach, Herr Boron, es wird noch lange Götterläufe dauern, bis du die letzten hinfort genommen hast, die im falschen Glauben erzogen worden sind! Ich fürchte, erst dann wird dieses weite, gepeinigte Land endgültig heilen können.