Die Tarnung beginnt
In Gesellschaft unserer Reitpferde war Allondo weitaus entspannter und gesprächiger als mit uns, seinen menschlichen Gefährten. Ich bin gespannt, ob sich das im Verlauf unseres Kennenlernens ändern wird.
Die alte Reichsstraße führte uns gen Osten. Wir hatten von Markgrafen einen detaillierte Karte erhalten, die Straßen, Dörfer, Weiler und Wälder verzeichnete. Vorsicht war jedoch geboten, da schon lange niemand mehr dieses Land bereist hatte und der Krieg unzweifelhaft seine Spuren hinterlassen hatte. Das Land sah kränklich aus, das erkannte ich sogar ohne die Farben in der Natur wahrzunehmen. Der dämonische Einfluss der Nekromantenherrschaft ließ diesen Landstrich seit Jahrzehnten siechen. Die Praiosscheibe hatte ihren Zenit noch nicht erreicht, da hob Paske von Rabenmund den Arm und deutete auf einen Hügel zu unserer Linken. "Dies ist der Ort an dem die letzte Schlacht im Krieg gegen den Dämonenmeister geschlagen wurde. Der Feldherrenhügel Borbarads."
Rahjadis und ich waren uns einig, dass wir diese historische Stätte genauer in Augenschein nehmen wollten. Der Hügel war nicht schwer zu erklimmen und was wir oben fanden, überraschte mich: in der Erde prangte ein dunkler Stern mit dreizehn Zacken, ein Tridekagramm. Es war aus dunklerem Sand oder Asche und als die al'anfaner Magierin mit dem Fuß darüberkratzte, zeigte sich die Linie unbeeindruckt. Rahjadis erklärte uns die Bedeutung des arkanen Zeichens: "Es wurde verwendet, um einen dreizehn-gehörnten Dämon zu rufen. Er erschlug den Schwertmeister Raidri Conchobair." Außerdem war der Dämon nicht zu kontrollieren, nicht einmal von Borbarad selbst. Und wie wurde dieser mächtige Diener der Niederhöllen gebannt? Waren es die legendären sieben Gezeichneten? Hatte der Schwertkönig den Dämon in seines Sphäre zurückgeschickt? Hatte er sein Ende durch das Eingreifen von Priestern oder gar der Götter selbst gefunden? Die Antwort auf meine Frage wusste leider keiner meiner Begleiter.
Um nichts Falsches zu kolportieren, die Herrin Hesinde möge es verhindern: Später schließe ich darauf, dass es ein siebengehörnter Dämon war, was seine Gefährlichkeit mitnichten schmälert.
Das Auge freute sich, denn das Land sah etwas gesünder aus. Nur merkwürdige, kreisrunde Flecken prangten die Brandmale bar jeder Pflanzen in den Wiesen. Mittags rasteten wir und als wir erst am späten Nachmittag, als wir durch erstaunlich üppige Felder mit Getreide ritten und soeben ein ungemütlicher Nieselregen einsetzte, vor uns Fachwerkhäuser erblickten, waren wir sicher dass die Karte schon jetzt zwei Ortschaften enthielt, die es nicht mehr gab. Wir waren nicht einmal an Ruinen vorbeigekommen.
Knapp drei Dutzend Leute kamen uns auf der schlammigen Straße entgegen. Eilends berieten wir: Was sollten wir Ihnen über unser Hiersein erzählen? Schnell kamen wir überein, kein Wort über das Heer zu verlieren. Wir waren Reisende und wenn man weiter fragte, dann begleiteten sie mich auf meiner Reise nach Warunk, um dort ein Ordenshaus zu errichten. Dies war der Grund, aus dem ich tatsächlich in den Norden gereist war.
Die Dorfälteste ergriff das Wort und stellte sich als Erdmute Dergelsteiner vor. Sie warnte uns – insbesondere mich – vor dem Schergen des Nekromantenrats. Deren Handlanger sein ausgeschickt worden, um Umtriebe wie meine Anwesenheit aufzuspüren und zu unterbinden. Ich wäre wahrscheinlich ein gefundenes Fressen, um ein abschreckendes Exempel gegen die zwölfgöttliche Ordnung zu statuieren.
Allondro erkundigt sich nach den Ernteerträgen und Erdmute erklärte wohlgemut: "Der Herr Alzunam segnet uns! Wir sind die Kornkammer der ganzen weiten Gegend. Nirgends sonst sind die Erträge so hoch...." In dieser Weise schwadronierte sie noch, bis ich sie mit strengem Blick unterbrach: "Ihr wisst, das die Herrin Peraine es ist, die die Felder segnet und das Getreide wachsen lässt?”
Die Dorfälteste zeigte sich so unbeeindruckt von meiner Zurechtweisung wie das Tridekagramm von Rahjadis Schuhspitze. Energisch erläuterte sie uns, dass Rechtgläubige verleumdet und getötet würden. Hatte sie mir gerade gedroht? Im selben Atemzug besaß sie die Dreistigkeit, uns einzuladen, den Alzunam-Schrein in den Feldern zu besuchen. Rahjadis brachte irgendeine höfliche Antwort vor und wir wimmelten die Frau in einer Gaststätte mit Herberge ab.
Wenn die Gardisten des Feindes auf der Suche nach Eindringlingen aus dem Westen waren, wie wir es waren, dann war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auf uns aufmerksam wurden. Ich war ja nicht gerade unauffällig. Über dem Abendessen überzeugte mich Rahjadis, dass es klüger wäre, unsere Identitäten zu verbergen. Allondro als Jäger war unproblematisch. Paske mussten wir überreden, auf seinen Wappenrock zu verzichten. Ich haderte mit mir. Noch nie zuvor hatte ich mich als jemand ausgegeben, der ich nicht bin. Außerdem ist uns Götterdienern vorgeschrieben, dass wir uns als diese zu erkennen geben. Aber genau das lässt uns hier herausstechen.
Welche Identitäten sollten wir also annehmen? Die Grandessa hatte natürlich mehr Erfahrung darin, sich zu verstellen. Was konnte ich überzeugend darstellen? Ich, mit meiner bleichen Haut... Mir kam einer meiner damaligen Patienten in den Sinn. Wir hatten lange Gespräche geführt und er hatte mir viel von seinem Leben an der Magierakademie von Brabak erzählt. So würde ich immer noch meine schwarze Robe tragen können, aber natürlich nicht mehr das Rabensymbol Bishdariels auf meinem Rücken oder das silberne Boronrad um meinen Hals.
Ich würde mich als das ausgeben, was ich am meisten hasste: als Totenbeschwörerin. Nefina war mein neuer Name. Rahjadis, die sich nun Zantaris nannte, blieb weiterhin Magierin aus Al'Anfa, die angeblich zu Studienzwecken hierher gekommen war.