Paske von Rabenmund hatte nicht nur die Platzwunde auf seiner Stirn davongetragen. Er war so schwer verletzt, dass er einknickte, sobald die größte Anstrengung, uns in Sicherheit zu wissen, vorüber war. Donna Rahjadis eilte sofort zu ihm, nun wieder im Vollbesitz ihrer körperlichen Bewegungsfähigkeit. Sie stimmte den Heilzauber an, während ich ebenfalls neben dem Ritter niederkniete und die gütige Herren Peraine im Namen meines Herrn Borons anflehte, ihm ihre Kraft und Heilung zuteil werden zu lassen.
Ein Murren meiner Begleiterin offenbarte mir, dass ihr Cantus fehlgeschlagen war. Vielleicht war es ihr Missfallen darüber, das sie nun umtrieb. "Was fehlt Euch?", inquirierte sie mit strenger Miene. Der Ritter antwortete ihr: "Es ist nichts . Ich brauche nur einen kleinen Moment, um auszuruhen." Wir hörten beide, dass er nicht die Wahrheit sprach.
Rahjadis insistierte forsch: “Sagt uns die Wahrheit!” Ich fühlte mich verpflichtet, ihre harsche Forderung abzumildern, und beugte mich zu ihm: “Ihr wisst, dass Ihr uns nichts verschweigen dürft, was unsere Mission gefährdet?” Es mochte ja sein, dass er uns aus Stolz etwas Wichtiges verschwieg. Donna Rahjadis fügte hinzu: "Das ist wichtig, damit wir Euch helfen können!” Paske funkelte sie zornig an: “Peraine war nicht gut zu mir. Ich leide an einer Krankheit, die einem Kämpfer von meinem Stande nicht gebührt.” Zu einer genaueren Erläuterung wollte ich ihn aus Rücksichtnahme nicht bewegen, da es scheinbar ein schmerzhaftes Thema für ihn war und - was auch immer es sein mochte -, es hatte uns die bisherigen Tage und Erlebnisse hindurch noch keine Unannehmlichkeiten verursacht.
Derart aufgewühlt und erschöpft kehrten wir zu der Hütte der Nekromantin zurück. Prompt begann Satorga zu zetern, als sie unser Näherkommen hörte. Wir ließen sie meckern.
Wie nun sollten wir den Soldaten, die sicherlich bald hier eintreffen würden, klarmachen, dass wir nicht zu den fehlgeleiteten Einwohnern der Schwarzen Lande gehörten? Wir malten einen sehr ansehnlichen Zwölferkreis auf die Hüttenwand, nicht unähnlich der Bunten Mauern von Methumis... nur, dass er eben in weißer Kreide gemalt war und nicht in allen Farben des Tsabogens. Und dass wir uns an Satorgas Beschwörungskreide bedienten. Diese zwölfgöttergefällige Verwendung hatte sich die Totenbeschwörerin sicherlich nicht ausgemalt.
In aller Ruhe besah ich mir noch einmal Paskes Verwundung. Der Heilsegen hatte die Blutung gestoppt und die Wunde sah nicht schlimm aus. An welcher merkwürdigen Erkrankung Paske litt, war nicht zu ersehen. Dann sah ich nach den Toten, die Boron-sei-Dank immer noch brav auf ihrem Karren lagen - das waren die Untoten, die uns bei unserer Ankunft an der Hütte angegriffen hatten. In der diesigen Morgensonne strahlt dieses Bild Frieden aus… wenn man Boron zugetan ist.
Zurück im einzigen Raum der Hütte sah ich, dass sich Rahjadis bei Paske entschuldige. Er hatte sein Schwert über den Knien liegen und deutete mit einem Finger auf eine Stelle, die jetzt eine Scharte zierte. Das war durch den Schlag entstanden, der die letzte Säule im Dämonenwall durchtrennt hatte. Er sagte zu ihr, er wünsche sich, dass sie den Moment respektierte, in dem er nicht über seine Schwäche sprechen will, und dankte ihr für ihre Entschuldigung.
Es fühlte sich noch recht kühl an zwischen den beiden, doch es war gut, dass sie sich so bald nach diesem Zwischenfall ausgesprochen hatten.
Ganz anders ging es Weso. Er war in Feierlaune, schließlich hatten wir einen Sieg davongetragen. Er reichte einen Flachmann mit “Greifenfurter Bergtau” herum, ein Schnaps aus Korn, klar wie Wasser, der uns allen in Windeseile zu Kopf stieg.
Unvermittelt frage mich Rahjadis: "Noiona, wer ist Mhanach?" Ich war perplex, denn ich konnte mich nicht erinnern, diesen Namen jemals in ihrem Beisein ausgesprochen zu haben. Als sie mir eröffnete, dass ich ihn im Schlaf genannt hatte, spürte ich die Hitze in mein Gesicht steigen. Ich wurde feuerrot. “Eine… Bekanntschaft... würde es vielleicht treffen?", sagte ich zögernd und es war der Bergtau, der aus mir weitersprach: "Um darüber zu reden, bräuchte es mehr Schnaps.”
Einen Schnaps später reden wir über Mhanach ibn Dajin aus Fasar, der nach seinem Studium an der dortigen Magierakademie Dozent in Brabak wurde, dann eine Lehrtätigkeit in Al’Anfa aufnahm und schließlich auf einer Expedition in das Regengebirge anno 1032 meine Bekanntschaft machte. Soweit nichts Falsches. Es ließ nur aus, warum ich seinen Namen im Schlaf gemurmelt hatte. Rahjadis füllte meinen Becher nach. Sie war großzügig. Es war bestimmt für unsere Weiterreise von Vorteil, wenn ich Einzelheiten aus meiner persönlichen Geschichte mit Donna Rahjadis teilte, um unsere Verständnis füreinander und damit unsere Zusammenarbeit zu stärken? Ich erzählte ihr von der Expedition, die ein lange verschollener und unverhofft wieder aufgetauchter Reisebericht von Bastan Munter hervorgerufen hatte. Vor ungefähr 200 Jahren war der große Boron-Tempel mitsamt Tempelschatz, Statuen und allem, was den Tempel ausmachte, von Mirham nach Al’Anfa umgezogen. Der Reisebericht enthielt Hinweise auf den Verbleib eines wichtigen Artefaktes der Boronkirche: Dem "Raben Marbos", eine heilige Statuette in Rabenform. Um dieses alte Artefakt zu bergen, war die Expedition in den Dschungel ausgeschickt worden - und Mhanach und ich mit ihr. Und dabei sind wir uns näher gekommen - so nahe, dass ich mich bei meiner Rückkehr nach Al'Anfa nicht länger eine geweihte Jungfrau nennen durfte. Der Skandal, den ich deswegen befürchtet hatte, blieb vollkommen aus.
Dies war das Detail, über das ich mit Rahjadis in fließendem Bosparano sprach. Als ich von meiner Kindheit im Kloster der Heiligen Noiona in Selem sprach, wechselte ich wieder in das Garethi, das alle verstanden.
Auch Donna Rahjadis teilte die Geschichte ihrer Kindheit und was sie zu ihrer Reise in den Norden veranlasste: Ihre Mutter war ihr unbekannt, deshalb war sie im Hause Bonareth nicht für die Erbfolge vorgesehen. Sie hatte mehrere ältere Geschwister, die für das Haus und die Linie demzufolge wichtiger waren.
Bei einer Rückkehr ihrer Reisen nach Al’Anfa hat sich herausgestellt, dass ihre Mutter die Donna Ulfhart war und ihr wurde das Haus Ulfhart zugeschrieben. So trägt sie nun beide Namen: Ulfhart-Bonareth.
Ihre Erzählung wurde beendet, als Rufe außen zu hören waren. Die ersten Golgariten kamen auf unserer Seite des Schutthaufens herüber. Ihre weißen Umhänge strahlten in der Morgensonne. Ein paar Soldaten sprachen uns an, die Soldaten glaubten, dass ihre Gebete den Wall zum Einsturz gebracht hatten. Weso war empört, aber das werden wir schon noch klären.