1. Beschwörung
Rote Hose
Alle guten Gruselgeschichten beginnen in der Nacht, nicht? Die sehr guten sogar bei Regen. Atmosphäre halt. Ich bitte untertänigst um Verzeihung, dass die folgende Erzählung gleich durch Regelbrüche ruiniert wird. Denn am Anfang war die Dämmerung. Abend, gewiss. Noch warm. Windstill.
Die Wangen beinahe trocken, eher Ardare Vasanti den linken Arm hob. Sie schniefte. Keines der Schiffe, die an den Docks lagen, hatte eine rote Hose in der Takelage hängen. Kein Zeichen von Phedro. Ihre Augen suchten den Koloss. Wie beneidenswert. Den ganzen Tag einfach dastehen und aufs Meer hinausblicken. Ein zu teurer Luxus. Sie strich sich die Haare hinters Ohr und wandte sich zum Gehen. Dann eben morgen. Sie warf dem Horizont eine Kusshand zu. Und ließ sich vom Strom der Spaziergänger fortspülen.
Wieder strandete sie vor der Tür von Rahjas Hauch. Wieder musste sie nicht lange warten, bis ein breiter Streifen dunkelroten Lichts auf den Gehsteig fiel und eine leicht bekleidete Gestalt ausspie. Begleitet von wüsten Beschimpfungen. Ardare runzelte die Stirn. Diese Stimme…Woher-?
Mühsam rappelte sich die Frau hoch und stieß ihrerseits einige Flüche aus, welche Ardare jedoch ignorierte. "Dy Sulvano, murmelte Ardare, Phedro dy Sulvano."
Die Frau ließ von ihrem Träger ab (er rutschte ihr auch prompt von der Schulter). "Keinen Schimmer, 'kay. Die Knaben haben alle so komische Namen. Nach der dritten Vorstellung hab' ich einfach jedes Mal genickt, wenn sich jemand zur Runde setzen wollte." Sie wickelte sich eine Strähne um den Zeigefinger. Bleib' besser draußen, Darling. Die da drin sind echt mies drauf."
Ardare hörte nicht. Sie hatte die Hand auf die Klinke gelegt. Drückte nach unten. Die Tür blieb zu.
In die schwarzen Augen der Frau trat ein gefährliches Glitzern.
"Phedro, Ardare drückte erneut, ich muss… muss zu ihm." Sie spürte wie sich etwas auf ihre Hand legte. Etwas Warmes. Ardare sog die Luft ein.
"Komm'!" sagte die Frau, wobei sie ganz langsam die Finger unter Ardares schob und den Klammergriff nach und nach löste.
"Wohin?"
Die Frau grinste. "Na, zu Phedro natürlich."
Gemeinsam schritten sie von Anlegestelle zu Anlegestelle. Inzwischen war die Praiosscheibe kaum mehr als eine Braue Efferds. Sie waren wenige Schritte von Ardares Lieblingsplatz entfernt. Da packte Ardare die Frau am Ärmel. Sie blieb stehen. "Angst?"
Ardare senkte den Blick. Nickte.
"Wovor?"
Doch Ardare schüttelte den Kopf. "Alles verschwimmt." Sie krallte sich in den Stoff.
"SKELETTARIUS! Bring' mir den Leichnam am Rande des Hafenbeckens!"
Die Frau kicherte. "Die zehn Jahre des Wartens haben ein Ende! Und eine Gefesselte Seele kehrt in ihren Körper zurück!" Sie riß sich los.
Ardare stolperte.
Ein Blubbern als würde ein Kochtopf überlaufen. Das menschliche Skelett, das sich aus dem Meer erhob, trug Fetzen einer roten Hose - sowie eine zierliche Figur in den Armen. Die Augen geschlossen, das Gesicht vertraut.
Wahn ergriff Besitz von Ardare. Sie schrie. Bis zur äußersten Sphäre. Und noch weit darüber hinaus.